Nach der Räumung ist vor dem Protest

Bezirk schließt Weddinger Kinderfarm / Ponyhof soll künftig von anderem Träger geführt werden

200 Unterstützer protestierten am Montagmorgen gegen die Räumung der Weddinger Kinderfarm. Erfolgreich waren sie nicht.

»Widerstand ist immer eine Lösung«, hieß es auf Plakaten, die in den vergangenen Tagen im Wedding dazu aufgerufen hatten, die Räumung der Weddinger Kinderfarm in der Luxemburger Straße zu verhindern. Doch selbst die große öffentliche Präsenz half dem Ponyhof nicht. Am Montag kam der Gerichtsvollzieher.

Zahlreiche Eltern und Kinder hatten auf dem Areal übernachtet. Am Morgen fanden sich 200 Unterstützer dort ein. Darunter waren regelmäßige Besucher der Kinderfarm, aber auch Nachbarn und stadtpolitische Aktivisten sowie Menschen, die in ihrer Kindheit zu den regelmäßigen Besuchern des sozialen Projekts gehört hatten. Dazu gehörte auch die Schriftstellerin Sarah Waterfeld. Die Weddingerin befürchtet, dass sich der Bezirk mit der Räumung der seit 1988 bestehenden Kinderfarm Zugriff auf ein lukratives Grundstück sichern will.

Noch heißt es aus dem Bezirk, dass die Kinderfarm an einen neuen Träger überführt werden soll. Viele der Unterstützer befürchten, dass die Qualität der Projektarbeit ohne den Gründer und Leiter Siegfried Kühbauer sinken wird. Der Sozialpädagoge darf künftig die Räume nicht mehr betreten. Seine Wohnung im hinteren Teil des Geländes darf er nur über einen mit weißen Linien markierten Korridor betreten, die Mitarbeiter des Bezirksamtes am Montagmittag zogen.

Die Räumung war der Höhepunkt eines langjährigen Streits zwischen Bezirksamt und Kühbauer (»nd« berichtete). Bezirksstadträtin Sabine Smentek wirft ihm vor, die Nachweise für die Verwendung öffentlicher Gelder nicht fristgemäß eingereicht zu haben. Die Unterstützer Kühbauers halten die Vorwürfe für einen Vorwand, um einen Mann loszuwerden, der immer wieder den Umgang von Senat und Bezirkspolitik mit der Kinder- und Jugendarbeit heftig kritisiert hat. Kühbauer hat den Arbeitskreis Kinder- und Jugendarbeit im Bezirk der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di mit aufbaut. Die Gewerkschaft sprach sich in einer Erklärung gegen die Räumung aus.

Vor Ort wird weiter protestiert. Auf dem Zaun der Kinderfarm sind Transparente angebracht, darunter »Kids besetzen für den Kiez«. »Mit der Räumung ist für uns die Sache nicht erledigt«, sagt eine Frau. Weitere Protestaktionen sind in Planung.

Peter Nowak


Schlösser ausgetauscht

RÄUMUNG Der Träger der Kinderfarm Wedding wurde trotz Protesten von Eltern und Kindern mit Polizeihilfe geräumt
Um 10 Uhr stand am Montag die  Gerichtsvollzieherin in Polizeibegleitung vor dem Eingang der Weddinger Kinderfarm in der Luxemburger Straße, um den bisherigen Träger zu räumen. Doch zunächst war kein Durchkommen. Ein Auto versperrte den Zugang. Dahinter hatten sich rund 250 Menschen versammelt und deutlich gemacht, dass sie die Amtspersonen nicht auf das Gelände lassen wollten. Nachdem die Polizei das Tor aufgestoßen hatte und einige der Personen zur Seite schubste, erklärte der langjährige Mitbegründer der Kinderfarm, Siegfried Kühbauer, die BesucherInnen zu seinen Gästen. Sie mussten fast zwei Stunden in Kühbauers Wohnung auf dem Gelände ausharren. In dieser Zeit wurden sämtliche Schlösser an den Gebäuden der Kinderfarm ausgetauscht. Kühbauer ist es untersagt, seinen Arbeitsplatz zu betreten, den er seit 1988 mit aufgebaut hat.

„Kinder haben Rechte“
Auch Stunden später ist das Unverständnis angesichts der Räumung unter PassantInnen groß. Ein Mittdreißiger berichtet, wie er als Kind hier seine Freizeit verbracht hat. Daneben steht eine Mutter mit zwei Kindern. Sie halten ein Schild mit dem Spruch „Kinder haben Rechte“ in die Höhe“. Auf Transparenten, die am Zaum angebracht sind, heißt es: „Kids besetzen für denKiez.“  Tatsächlich hatten rund 40 UnterstützerInnen, darunter Kinder mit ihren Eltern, auf dem Areal ihre Zelte aufgeschlagen und übernachtet. „Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass die Polizei sich gewaltsam in der Weddinger Kinderfarm Zutritt verschafft“, meint auch Sarah Waterfeld. Die im Wedding geborene Schriftstellerin hat in ihrer Kindheit den Bauernhof mit seinen Ponys, Hühnern, Ziegen und Meerschweinchen regelmäßig besucht. Seit Monaten hat sie sich dafür engagiert, dass Siegfried Kühbauer seine Arbeit fortsetzen kann. „Ich befürchte, dass esdem Bezirk darum geht, Zugriff auf das lukrative Grundstück zu bekommen“, sagt sie. Waterfelds Befürchtung teilen viele der UnterstützerInnen des alten Trägers. Die Erklärung  der zuständigen Bezirksstadträtin von Mitte, Sabine Smentek, kann sie nicht beruhigen. Sie wirft den bisherigen Trägern der Kinderfarm vor, sich geweigert zu haben, öffentliche Mittel abzurechnen. Kühbauer bestätigt, dass in einem Fall Rechnungen zu spät abgerechnet wurden, weil der Kassenwart überlastet war. In der harten Haltung des Bezirks sieht er eine Retourkutsche, weil er als Mitbegründer des Arbeitskreises Kinder- und Jugendarbeit im Berliner Bezirk der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi heftige Kritik an der Politik von Senat und Bezirk geäußert hat. Wie es jetzt mit der Kinderfarm weitergehen soll, ist völlig offen. Die Bezirksstadträtin Smentek bittet die bisherigen NutzerInnen, den neuen Träger „Kinderbunte Bauernhof Wedding e. V.“ zu unterstützen. Die protestierenden Eltern und Kinder äußern offen, dass sie kein Vertrauen in dessen Arbeit haben. Derweil zeichnen MitarbeiterInnen des Bezirksamts mit weißer Farbe den Weg ein, den Kühbauer zu nehmen hat, wenn er in seine Wohnung will, die im hinteren Teil des Areals liegt. Wenn er sich außerhalb der Linie bewegt, könnte ihm eine Anzeige drohen.
Weddinger Kinderfarm
■■ Am 24. Mai 1983 wurde der
Weddinger Kinderfarm e. V.
gegründet, die Kinderfarm liegt
an der Ecke Tegeler und Luxemburger
Straße. Die Einrichtung
wurde im Rahmen der sozialen
Stadtentwicklung vom Quartiersmanagement
unterstützt.
■■ Am Montag wurde der Träger
Weddinger Kinderfarm e.V., der
2013 sein 30-jähriges Bestehen
feierte, geräumt. Der Bezirk hat
einen anderen Träger. Die Tiere
werden weiter versorgt.
aus Taz vom 21.6.2016
Peter Nowak