Aktuell geht es augenscheinlich weniger um die Inhalte der Politik der Bundesregierung, sondern hauptsächlich um die Art und Weise, wie man sie der Bevölkerung verkauft: Dass Opfer und Verzicht im Krisenwinter alternativlos sind.

„Die Menschen müssen verstehen, warum sie ärmer werden“

Die große Frage ist nur: Lässt sich die Bevölkerung so regieren? Oder sieht sie sich nicht davon beleidigt, dass es nicht um politische Inhalte gehen soll, sondern um die Form, wie eine als alternativlos angesehene Politik kommuniziert wird. Das ist die große Frage auch für die Staatsapparate. Daher wird schon seit Wochen vor Protesten gewarnt, die noch gar nicht begonnen haben. Mal sollen sie von rechts oder links vereinnahmt werden, mal von beiden und dann kommt noch der Vorwurf, hier würden die Montagsdemonstrationen der DDR instrumentalisiert. Dabei waren die spätestens ab Mitte November 1989 durchaus rechtsoffen. So müsste eigentlich die Maxime lauten, genau den Fehler dieser Montagsdemonstranten in der DDR nicht zu machen und sich klar von rechts abgrenzen.

Hält die Bundesregierung bis zum Krisenwinter? Diese Frage kann man sich stellen, wenn man beobachtet, wie sich die einzelnen Parteien bekämpfen. Vor allem zwischen SPD und Grünen wachsen die Spannungen, was auch gut zu erklären ist. Schließlich hatten die Grünen in Umfragen Erfolge, während die SPD eingebrochen war. Die Medien, die Politik gerne personifizieren, machten einen Hype um Habeck, der „seine politischen Maßnahmen erklärt“, die Menschen also „mitnimmt“, wie man so schön sagt. Dagegen wird vor allem Kanzler Scholz als Politiker beschrieben, der nicht erklärt. Diese Medienberichte sorgen für eine weitere Entpolitisierung, weil es dann eben nicht mehr um die Inhalte der Politik geht, sondern um …

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Öffentlicher Streit und krampfhafte Versuche, sich im Wahlkampf regierungsfähig zu zeigen, waren der falsche Weg. Was Die Linke von Grazer Kommunisten lernen kann

Die Linke: eine Partei auf der Suche nach ihren Wählern

Tatsächlich wurde Die Linke auch an ihren selbstgestellten Anspruch gemessen, Teil einer Mitte-Links-Reformkoaltion zu sein. Genau da konnte Die Linke nur verlieren. Hätte sie mit einen Wahlkampf, in dem sie sich nach dem Modell der Grazer Kommunisten als Interessenvertreterin der Mieterinnen und Lohnabhängigen präsentiert hätte, besser abgeschnitten?

Die Linke ist bei der Bundestagswahl knapp unter der Fünf-Prozent-Hürde geblieben und kann nur wegen dreier Direktmandate in Fraktionsstärke ins Parlament einziehen. Das schien noch vor wenigen Monaten undenkbar. Schließlich bewegte sich die linkssozialdemokratische Partei in Umfragen konstant um die sieben Prozent. Es war also klar, dass die Partei …

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Unteilbar und der progressive Neoliberalismus

Was ist mit einer Großdemo gemeinsam mit SPD und Grünen für eine offene Gesellschaft gewonnen? Einiges, wenn man nicht nur auf die Aufrufer, sondern auf die Menschen blickt, die die Demo gestalten

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Am Tag nach der Großdemonstration [1] Unteilbar [2] ist der Deutungsstreit ausgebrochen. Dabei schreibt [3] die bürgerliche Wochenzeitung Die Zeit, bisher nicht gerade als Vorreiterin von sozialen Bewegungen von unten bekannt geworden, unter der Überschrift „Die Sammlungsbewegung ist da“ „Unteilbar gegen rechts – darauf können sich fast alle einigen – nur CDU und Die LINKE nicht“.

Nun hat auch die FDP wie viele andere aus dem bürgerlichen Spektrum die Demonstration ebenfalls nicht unterstützt.

Wagenknechts Intervention – Taktik oder Fehleinschätzung

Dass der Eindruck entstanden ist, dass es in der Linken Streit um die Demonstration gibt, liegt an einer Äußerung in einem Gespräch mit Sahra Wagenknecht, die dem Aufruf von Unteilbar vorwarf, zu stark auf offene Grenzen zu setzen und damit Menschen auszuschließen, die gegen den Rassismus, aber nicht für offene Grenzen seien.

Sehr verkürzt wurde diese Aussage dann auch von Wagenknechts Konkurrenten in der Linken als Absage an das ganze Konzept von Unteilbar und gar als Grenzüberschreitung gewertet [4]. Nun ist diese Reaktion so erwartbar wie heuchlerisch.

Linke Realpolitiker, die dort mitgehen, geben sich auf einmal als Gralshüter der offenen Grenzen, die sie natürlich überall dort negieren müssen, wo sie auch nur eine Regierung anstreben. Aber sie machen es dann eben so wie ein Großteil der Demounterstützer, die von Grünen über die SPD bis zur Berliner Taxiinnung reichte. Niemand von ihnen ist bisher dadurch aufgefallen, dass sie für „Offene Grenzen“ kämpfen und sie werden es auch in Zukunft nicht tun.

Nun stellt sich die Frage: Warum können alle die politischen Kräfte problemlos die Unteilbar-Demo unterstützen und Sahra Wagenknecht hat Einwände? Haben all diese Kräfte den Demoaufruf missverstanden oder Sahra Wagenknecht? Oder war es nicht so, dass der Aufruf bewusst so gehalten war, dass dort sowohl Befürworter als auch Kritiker der offenen Grenzen mitmachen konnten.

Daher war auch das Schlagwort „Offene Gesellschaft“ dort viel mehr der zentrale Begriff. Der aber ist im Gegensatz von offenen Grenzen so vage und nichtssagend, dass sich wirklich fast alle dahinter stellen können. Die Taxi-Innung versteht darunter etwas ganz anders als eine Flüchtlingsinitiative.

Wenn Wagenknecht darauf hingewiesen und die Heuchelei von Politikern aus SPD und Grünen aufgespießt hätte, die eine Demonstration für die „Offenen Grenzen“ unterstützen und gleichzeitig die Flüchtlingsabwehr real verschärfen, wäre das auch in linken Kreisen sehr vermittelbar gewesen.

Doch das hat Wagenknecht nicht gemacht, sondern eben der Demonstration die Forderung nach offenen Grenzen untergeschoben, die dort bewusst so nicht formuliert wurde. So konnte es scheinen, als stünde sie mit ihrer Kritik rechts von SPD und Grünen und bekam dann dafür von AfD-Politikern Beifall. Die medienerfahrene Politikerin dürften diese Reaktionen nicht überrascht haben. Daher stellt sich die Frage, war es eine politische Fehleinschätzung oder eine bewusste Taktik und welche wäre das.

Aufstehen – wohin geht’s?

Dabei muss an ihre paradoxe Doppelrolle als wichtige Stimme von „Aufstehen“ und Fraktionsvorsitzende der Linken erinnert werden, einer Partei die im Vorstand mehrheitlich die neue Bewegung nicht mitträgt. Dabei muss es zu Querelen kommen. Wenn dann noch persönliche Animositäten und Machtkämpfe dazukommen und darum geht es in jeder Partei, kann es schnell zu Brüchen kommen.

Nun hat Wagenknecht ihre kritische Haltung zu Unteilbar als eine zentrale Sprecherin von Aufstehen und nicht als Fraktionsvorsitzende der Linken gemacht. Doch diese Funktion sind nun mal nicht so einfach zu trennen, worauf ihre parteiinternen Kritiker immer hinweisen werden. Eigentlich wäre eine Trennung beider Funktionen die plausible Lösung.

Doch Wagenknecht hat bisher jeden Vorstoß aus der Linken in dieser Richtung als Angriff auf sie und den ihr nahestehenden Flügel verstanden und entsprechend reagiert. Da stellt sich schon die Frage, ob sie mit ihrem jüngsten Vorstoß den Streit weiter zuspitzen will, so dass sie dann gezwungen wird, den Fraktionsvorsitz aufzugeben und womöglich doch die von vielen befürchtete von manchen erhoffte Eigenkandidatur in welcher Form auch immer realisiert.

Der Publizist Rainer Balcerowiak, der kürzlich ein Buch zur Perspektive von Aufstehen unter dem Titel „Aufstehen und wohin geht’s?“ veröffentlichte [5], hält eine solche Trennung für sehr wahrscheinlich. Sie stünde zumindest in der Logik von solchen Organisationen, bei denen inhaltliche und persönliche Spannungen derart verwoben sind, dass es selten zu einer sachlichen Auseinandersetzung kommt.

Das zeigte sich bereits vor einigen Monaten, als Wagenknecht nach einem Interview zur „Ehe für Alle“ sogar Homophobie vorgeworfen wurde [6], weil sie sie als Wohlfühllabel bezeichnete.

In einem längeren Interview [7] mit dem Berliner Schwulenmagazin Siegessäule hat sie die Vorwürfe größtenteils entkräftet und einige kluge Gedanken zum Zusammenhang von Konzepten der Offenen Gesellschaft und dem modernen Kapitalismus beigetragen, die auch für das Unteilbar-Bündnis von Bedeutung sein können.

Die amerikanische Feministin Nancy Fraser hat den Begriff „progressiver Neoliberalismus“ geprägt. Er beschreibt Politiker, die die sozialen Bedürfnisse breiter Bevölkerungsschichten mit Füßen treten und den Sozialstaat zerstören, zugleich aber für progressive liberale Forderungen eintreten – in den USA ist Hillary Clinton ein Beispiel dafür.

Sie verkörpert einerseits eine korrupte, von der Wall Street gekaufte Politikerin, der das Schicksal der Ärmeren gleichgültig ist, damit natürlich auch das Schicksal der armen Homosexuellen oder der armen Latinos und Farbigen in den USA. Andererseits gibt sie sich als Vorkämpferin von Gleichstellung und Antidiskriminierung.

Diese Kombination hat Trump mit seinen rassistischen Ausfällen und seiner zur Schau gestellten political incorrectness zu einem für viele attraktiven Gegenmodell gemacht. Wer die Trumps dieser Welt nicht stärken will, darf kein Bündnis mit dem Neoliberalismus eingehen, der die sozialen Voraussetzungen einer offenen, toleranten Gesellschaft zerstört.

Darum geht es mir. Homosexuelle sind genauso von Hartz 4, Niedriglöhnen und Altersarmut betroffen wie alle anderen auch. Auch für sie hat sich die Ungleichheit vergrößert. Wem an Gleichstellung gelegen ist, der kann keine Politik stützen, die die sozialökonomischen Voraussetzungen echter Chancengleichheit zerstört.

Sahra Wagenkencht, Siegessäule

Hier könnte Clinton auch gegen Politikerinnen und Politiker von Grünen und SPD ausgetauscht werden und wir wären dann bei der Großdemonstration vom gestrigen Samstag. Doch das wäre nur ein Blick von oben, auf den Aufruferkreis.

Wie immer bei solchen Großaktionen kommen unterschiedliche Menschen zusammen, die auch bereits vorher politisch organisiert waren. Sie machen eigene Erfahrungen und sind eben nicht einfach Marionetten, die von den illustren Aufrufern irgendwo hin mobilisiert werden. Die Politologin Detlef Georgia Schulze beschrieb ihre Eindrücke von der gestrigen Demonstration so:

Von den Redebeiträgen, die ich hörte, war keiner auf der Linie von kapitalistischem diversity management; mehrere Redebeiträge sprachen sich explizit gegen Neoliberalismus und Hartz IV-Gesetzgebung aus; die Ryanair-Kolleginnen und -kollegen redeten sowohl bei der Auftakt- als auch der Abschlusskundgebung und betonten dabei auch die Gemeinsamkeit von Flugbegleitern und begleiterinnen und -kapitänen. In mindestens einem Redebeitrag kam „kapitalistische Verwertungslogik“ kritisch vor; mehrere Redebeiträge thematisierten europäischen Kolonialismus und Waffenexporte als Fluchtursachen.

Detlef Georgia Schulze

Kampf gegen Kapitalismus und Rassismus unteilbar

Hier zeigt sich, dass sich eine Großdemonstration wie „Unteilbar“ eben nicht allein über die Aufrufer kritisieren lässt. Man muss dann die Motivationen der unterschiedlichen Akteure mit einbeziehen. Dass die Streikenden von Ryanair eine wichtige Rolle auf der Demonstration spielten, ist nicht zu unterschätzen.

Handelt es sich doch bei dem Arbeitskampf um ein bisher erfolgreiches Beispiel eines transnationalen Arbeitskampfes [8]. Es wäre dann eigentlich die Aufgabe von Linken, die sich gegen das Bündnis mit dem progressiven Neoliberalismus wenden, hier eigene Organisationsvorschläge einzubringen.

So hat es Karl Marx vor ca. 150 Jahre gemacht, als er sich vehement für die Trennung der damals neu entstehenden Arbeiterbewegung vom Linksliberalismus stark gemacht hat. Auch aus diesen Gesichtspunkt war Wagenknechts Kommentierung überflüssig und kontraproduktiv.

Sie trägt eben nicht dazu bei, deutlich zu machen, dass der Kampf gegen Rassismus und der Kampf gegen kapitalistische Verwertung unteilbar ist. Das aber wäre die Aufgabe einer linken Kritik. Auch die weniger beachtete Kritik an einer angeblichen Querfront mit islamistischen Verbänden gegen Teile des Demobündnisses [9] orientiert sich nur an den Aufrufern und hat mit der Dynamik der Demonstration, in der bestimmt nicht für eine islamistische Gesellschaft geworben wurde, wenig zu tun.

„Man muss die soziale Frage in den Mittelpunkt stellen, gerade wenn man eine offene, tolerante Gesellschaft verteidigen will“, sagte Wagenknecht im Interview mit der Siegessäule.

Doch dazu können wohl weder Politiker der SPD noch der Grünen noch Funktionäre von Organisationen beitragen, die „Aufstehen“ vor allem als eine Organisationsaufgabe sehen. Beitragen dazu könnten aber sehr wohl Menschen, die von ihren Streiks und Alltagskämpfen berichten.

Das kann der Kampf gegen Rassismus ebenso sein, wie der Kampf um mehr Lohn oder gegen Jobcenter. Eine Sammlungsbewegung auf dieser Basis hätte längerfristige Perspektiven. Die Demonstration vom Wochenende war hingegen ein temporäres Ereignis, das schnell verpufft, wenn diese Alltagskämpfe nicht geführt oder nicht in den Mittelpunkt gestellt werden.

Peter Nowak

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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/tp/features/Mobilisierungserfolg-fuer-Unteilbar-4190399.html
[2] https://www.unteilbar.org
[3] https://www.zeit.de/politik/deutschland/2018-10/unteilbar-demonstration-berlin-gegen-rechts
[4] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/sahra-wagenknecht-distanzierung-von-unteilbar-demo-in-der-kritik-a-1232811.html
[5] https://www.eulenspiegel.com/termine/veranstaltung/4669-aufstehen-und-wohin-gehts.html
[6] https://www.heise.de/tp/features/Ehe-fuer-Alle-nur-glitzernde-Huelle-4107161.html
[7] https://www.siegessaeule.de/no_cache/newscomments/article/4043-ist-die-ehe-fuer-alle-nur-ein-wohlfuehllabel-sahra-wagenknecht-im-interview.html?PHPSESSID=583255f306abde7e6cd4269df9f78a8f
[8] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1096996.streik-bei-ryanair-internationalismus-als-selbstverteidigung.html
[9] https://jungle.world/artikel/2018/41/unteilbar-oder-gespalten

Dem Volk nah – aber irgendwie links

Warum ein Vorschlag von Sahra Wagenknecht für Aufregung sorgt, obwohl er inhaltlich weitgehend Konsens bei der Linken ist

Zum Jahresauftakt setzen die Parteien Akzente für die nächsten Monate ihrer politischen Agenda. Die CSU positionierte sich stramm rechts mit der „konservativen Revolution“, die Grünen als „offen für alle“, die FDP als „AFD light“[1]. Die SPD streitet weiter darüber, ob sie weiter mit der Union regieren will.

Es wären eigentlich gute Zeiten für die Linke, um diejenigen zu sammeln, die gegen Kriege und die Fortsetzung des Sozialabbaus sind. Mehr kann man von einer sozialdemokratischen Partei, und das ist Die Linke nun mal, nicht erwarten. Wenn sie aber selbst diese Minimalziele nicht vertritt, macht sie sich schlicht überflüssig.

Nun geistert seit einiger Zeit der Begriff der „linken Sammlungsbewegung“ durch die Medien und sorgt in der Partei nicht etwa für Einigkeit und Aufbruch, sondern für neuen Streit und sogar für Spaltungsgerüchte.

Wagenknecht schockt nicht mehr mit Bekenntnissen zum Kommunismus, sondern zur linken Volkspartei

Anlass für die neu entstandene Debatte ist ein Interview der Fraktionsvorsitzenden der Linken, Sahra Wagenknecht, im Spiegel[2]: „Ich wünsche mir eine linke Volkspartei“, ist die Zusammenfassung ihrer Auslassungen. Das ist das Gegenteil von radikal und kollidiert auch mit den Positionen, die Wagenknecht noch vor einem Jahrzehnt hatte.

Damals hatte sie als bekannteste Exponentin der parteiinternen Kommunistischen Plattform[3] einen neuen Kommunismus gewünscht und sie wollte die DDR nicht in Bausch und Bogen verurteilen. Sie war ein rotes Tuch für alle in der PDS, einer der Vorläuferorganisationen der Linken, die endlich in dem real existierenden Staat ankommen wollten.

Gregor Gysi hatte sogar verhindert, dass Wagenknecht in den Parteivorstand gewählt wurde. Das ist lange her und Wagenknecht hat ihre Wendung zur Reformistin mit Bekenntnissen zu Ludwig Erhard und der sozialen Marktwirtschaft schon lange unter Beweis gestellt. Auch in der Flüchtlingsfrage hat sie schon längst den Anschluss an die ganz große Koalition gefunden, als sie vom Gastrecht sprach.

Keine große Aufregung also für alle, in und außerhalb der Linken, die diese Ziele gar schon viel länger favorisieren und gerade deshalb lange Zeit Sahra Wagenknecht an exponierter Stelle in der Partei verhindern wollten. Eigentlich müssten sie doch zufrieden sein, dass Wagenknecht nun auch in den großen Konsens derer eingeschwenkt ist, die eine Volkspartei „irgendwie links“ wünschen.

Dies zu kritisieren, wäre von einer radikal staats- und kapitalismuskritischen Position aus auch berechtigt. Doch es ist nicht bekannt, dass entsprechende Auffassungen nun der Linkspartei Mehrheiten gefunden haben.

Daher ist die Kritik an Wagenknecht nur ein Ausdruck des innerparteilichen Kampfes um Pfründe und Einfluss. Diejenigen, die nun Wagenknecht für ihr Interview kritisieren, sind schließlich nicht gegen eine linke Volkspartei. Sie wollen nur nicht, dass damit Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine identifiziert werden.


Sammlungsbewegung: Mit wem und zu welchem Ziel?

Lafontaine hatte schon vor einigen Wochen einen Versuchsballon gestartet, als er von einer linken Sammlungsbewegung geredet[4] hatte. Wenn man die innerparteilichen Befindlichkeiten außer Acht lässt, welche die Diskussion begleiten, müsste man feststellen: „Dagegen hat in der Linken kaum jemand etwas.“

Gerade der eher bewegungsorientierte Flügel um Katja Kipping, der sich nun besonders dagegen wehrt, dass das Projekt mit ihrer Konkurrentin verbunden wird, hat vor einigen Jahren immer wieder Bewegungen wie Podemos in Spanien als Vorbild für die Linke ins Gespräch gebracht. Was ist das anderes als eine linke Bewegungspartei?

Der frankophile Lafontaine orientiert[5] sich mehr an dem französischen Linksnationalisten Mélenchon. Daher bekam der Neujahrsauftakt der Linken, auf dem beide gesprochen haben, in diesem Jahr eine besondere mediale Aufmerksamkeit. Nur die von manchen Medien herbeigewünschte Spaltung der Linken fand dort nicht statt.

Es waren schließlich auch erklärte Gegner des Duos Wagenknecht/Lafontaine wie Gregor Gysi dort anwesend, der sicher gegen eine linke Volkspartei nichts einzuwenden hat, wenn sie mit seinem Namen verbunden wird. Zudem hat der Neujahrsempfang am gleichen Ort mit fast exakt dem gleichen Personal seit Jahren stattgefunden. Zu Spaltungen hat er nie geführt.

Nun wäre die von Bernard Schmid gut herausgearbeitete linksnationalistische Wende von Mélenchon[6] Gegenstand von berechtigter Kritik. Schließlich bräuchte sich Lafontaine gar nicht zu wenden, um solche Positionen zu vertreten. Er hat als führender SPD-Politiker mit dazu beigetragen, dass die Flüchtlingsgesetze verschärft wurden und auch in der Linken immer wieder die nationale Flanke bedient.

Allerdings müssten auch die Freunde von Podemos dann die Frage beantworten, ob die nicht auch längst ihr basisdemokratisches Konzept zugunsten von Orientierung an staatlichen Strukturen und einigen Führungsfiguren aufgegeben haben[7]. Ähnlich wie in Frankreich wurde auch bei Podemos der Klassenbegriff durch das den Terminus von der „widerständigen Bevölkerung“ ersetzt.

Kaum Grundlagen für linke Sammlungsbewegung?

Die Unterschiede zwischen den unterschiedlichen Konzepten einer linken Sammlungsbewegung bzw. einer linken Volkspartei wären also nicht so unüberwindbar, wenn in der Linken eine Diskussion geführt würde, die nicht schon durch Vorfestlegungen personeller Art verunmöglicht wird.

Wenn es dann tatsächlich zu Spaltungen kommt, dann nicht wegen unvereinbarer inhaltlicher Gegensätze, sondern weil bestimmte Personen nicht in einer Partei sein können. Versuche, die Debatte auf inhaltliche Differenzen zu konzentrieren, wie sie die Autoren der im Laika-Verlag herausgegebenen Flugschaft „Jenseits von Interesse und Identität“[8] unternehmen, kommen von außerhalb der Linken. Es wird sich zeigen, ob sie und andere tatsächlich erreichen können, dass über Inhalte und nicht über Personen und Befindlichkeiten gestritten wird.

Zumal die Debatte ja aktuell im luftleeren Raum geführt wird. Es ist nicht absehbar, wo denn in Deutschland das Potential für die neue linke Sammlungsbewegung bzw. die neue linke Volkspartei herkommen soll. Die Linke ist durch die Bewegung gegen Hartz IV mitinitiiert worden, als Teile der SPD der Linie ihrer Partei nicht mehr folgen wollte.

Podemos und ähnliche Bewegungen in anderen Ländern stehen noch klarer für die Konsequenzen einer starken sozialen Bewegung. Davon aber ist in Deutschland im Jahr 2018 nichts zu sehen. Dafür stehen noch andere linke Reformisten in den Startlöchern, die überparteiliche Organisationen gründen wollen. So gibt es das Projekt DIEM25[9], das vom kurzzeitigen griechischen Finanzminister Varoufakis[10] mitgegründet wurde und zu den EU-Wahlen antreten will.

Da sie explizit EU-freundlich ist, dürfte eine Kooperation mit dem Wagenkecht/Lafontaine-Projekt nicht einfach sein. Solche Projekte sind natürlich auch immer abhängig von den innenpolitischen Faktoren. Sollte die SPD gegen großen innerparteilichen Widerstand mit der Union in eine Regierung gehen, könnte ein Teil der Opposition Gefallen an den Vorstellungen von Wagenknecht und Co. finden.

Sollte die SPD aber in der Opposition bleiben, dürfte sie die soziale Opposition abdecken und sich als linke Volkspartei profilieren wollen. Denn da, wo Wagenkecht hinwill, wo Lafontaine immer war und wo auch die meisten ihrer innerparteilichen Kritiker ihren Sehnsuchtsort entdeckt haben – „dem Volk nah, irgendwie links“, da gibt es bekanntlich großes Gedränge.
Peter Nowak

https://www.heise.de/tp/features/Dem-Volk-nah-aber-irgendwie-links-3943727.html
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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2017/august/afd-light-lindners-neue-fdp
[2] https://www.sahra-wagenknecht.de/de/article/2690.ich-w%C3%BCnsche-mir-eine-linke-volkspartei.html
[3] https://www.die-linke.de/partei/parteistruktur/zusammenschluesse/kommunistische-plattform
[4] https://www.heise.de/tp/features/Zwei-unvereinbare-Tendenzen-in-der-Linkspartei-3927842.html?seite=all
[5] http://www.zeit.de/politik/deutschland/2018-01/linkspartei-oskar-lafontaine-jean-luc-melenchon
[6] https://www.heise.de/tp/features/Jean-Luc-Melenchons-linksnationalistische-Wende-und-neue-Angriffspunkte-3930803.html
[7] https://www.heise.de/tp/features/Jean-Luc-Melenchons-linksnationalistische-Wende-und-neue-Angriffspunkte-3930803.html)
[8] https://www.laika-verlag.de/laika-diskurs/jenseits-von-interesse-identitat
[9] https://diem25.org/home-de/
[10] https://diem25.org/manifesto-lange-version/
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Schwere Niederlagen für beide sozialdemokratischen Parteien

Die Linke steht nach der Wahl vor der Frage, ob sie die AfD-Wähler zurückerobern oder Bündnispartner derer sein will, die von der AfD angegriffen werden

Wir sagen Danke“, heißt es in einer kurzen Stellungnahme der Linken[1] zu den Wahlen. Bei diesen dürren Worten dürfte es in den nächsten Tagen nicht bleiben. Denn das Wahlergebnis wird die Partei noch lange beschäftigten. Schließlich hat die Linke alle drei Wahlziele verfehlt.

Sie hat ihre Rolle als stärkste Oppositionspartei verloren und kein zweistelliges Ergebnis erzielt und die AFD ist souverän an der Linken vorbeigezogen. Und das in einer Situation, die eigentlich komfortabel für die Linke hätte sein müssen. Die Flügelkämpfe in der Partei wurden wegen der Wahlen vertagt und Union und SPD haben beide das schlechteste Wahlergebnis der jüngeren Geschichte, die Grünen haben durch ihr Liebäugeln mit einem Eintritt in eine Regierung mit der Union Raum für die Linken gelassen und die Piraten sind wahlarithmetisch nicht mehr relevant.

Das alles hätte eigentlich der Linken Wähler zutreiben können. Doch dafür sind die Zugewinne äußerst bescheiden. Dass die Linke nur ganz knapp[2] einem Votum entging, das sie zur schwächsten der sechs Bundestagsparteien gemacht hätte, wird den Frust in der Partei noch verstärken.

Abgeschlossene Phase der Wählerwanderung innerhalb der sozialdemokratischen Parteien

Mit dem Wahlergebnis ist auch die Phase in der Linkspartei endgültig abgeschlossen, in der sie davon profitiert hat, dass die SPD für eine unsoziale Politik steht. Das Stichwort war Hartz IV. Damals hatte sich ein relevanter Flügel von der SPD abgewendet, der sich nach verschiedenen Umwegen über die Fusion mit der PDS zur Linken transformiert hat. Der Exponent dieses Flügels war Lafontaine.

Danach konnte man sagen, dass Verluste bei der SPD Gewinne für die Linke bedeuteten. Wenn man von der Analyse des Politikwissenschaftlers Gero Neugebauer[3] ausgeht, der die Linke als sozialdemokratische Partei bezeichnet, blieben die Stimmen sozusagen in der „Parteifamilie“. Was die ehemaligen Sozialdemokraten der SPD verloren, konnte die jüngere Sozialdemokratie, die Linke, einsammeln. Schon bei den letzten Landtagswahlen aber stimmte diese Rechnung nicht mehr.

Dafür sorgt die AfD. Nicht nur von der SPD haben die Rechtspopulisten Wähler bekommen, ca. vierhunderttausend Wähler wanderten von den Linken zur AfD. Noch gravierender für die Linke sind die Stimmen für die AfD in der ehemaligen DDR, wo sie zweitstärkste Partei wurde. Die Linke ist dort nach Union und AfD drittstärkste Partei.

Das macht deutlich, dass sie nicht mehr die Kümmerpartei ist, die die Versehrten der Vereinigung tröstet. In Sachsen kommt die AfD sogar stimmenmäßig an die Union heran und könnte sogar stärkste Partei werden. Genau dieses Ergebnis stellt die Linke vor große Probleme, die durchaus das Zeug für eine größere innerlinke Auseinandersetzung haben könnte.

Wie national soll die Linke sein?

Im Kern geht es um die Frage, ob die Linke sich darauf konzentrierten sollte, die an die AfD verlorenen gegangenen Stimmen zurückzuholen. Das würde bedeuten, von den Ängsten und Nöten der AfD-Wähler zu reden, ihnen zu bescheinigen, dass sie im Kern in der Mehrheit gar nicht rassistisch sind und nur aus Angst die AfD gewählt haben. Eine solche Strategie versuchen Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine.

Da muss dann schon an die verlorenen Wähler das Signal ausgesendet werden, dass man über die Migranten auch nicht so glücklich ist und dass die Forderung nach offenen Grenzen im Parteiprogramm der Linken allenfalls ein fernes Zukunftsziel ist. Dagegen steht eine jüngere, urban geprägte Linke, die sich für die Rechte von Geflüchteten und Migranten und für den Schutz von Minderheiten einsetzt.

Diese Strömung will eher die Stimmen von Menschen, denen die Grünen zu rechts sind. Sie hält gar nichts davon, den AfD-Wählern hinterherzulaufen und ab und an nach rechts zu blinken. Sie redet nicht über die Ängste, die Wähler zur AfD treiben, sondern auch über die Ängste der Minderheiten, die vom Erstarken der Rechten ausgelöst werden. In den letzten beiden Jahren kam Sahra Wagenknecht genau deswegen immer wieder mal unter Druck.

Andererseits hatte auch das Argument etwas für sich, dass genau die Wagenknecht-Lafontaine-Linie vielleicht manchen Wähler der Linken davor abhält, zur AfD überzugehen. Nun muss die Linke diskutieren, ob das bescheidene Wahlergebnis der Partei trotz oder wegen Wagenknecht und Lafontaine zustande gekommen ist. Anders herum, wäre ohne den Dauereinsatz von Wagenknecht das Wahlergebnis für die Linke schlechter oder besser gewesen?

Schließlich haben viele, die in der außerparlamentarischen Linken aktiv waren, erklärt, dass sie die Linke wegen Wagenknecht und ihrer Blinkerei nach Rechts nicht wählen werden. Diese Frage werden die Analysen der Wählerwanderung in den nächsten Tagen beantworten müssen.

Warum Ernst Thälmann von der AfD genutzt wird

Dass es sich bei der Frage, wie sich die Linke künftig ausrichten soll, nicht um eine akademische Debatte handelt, zeigen zwei Ereignisse im Wahlkampf der letzten Wochen.

Da hatte die AfD ein Plakat drucken lassen, auf dem sie behauptet, der KPD-Vorsitzende Ernst Thälmann hätte diese Partei gewählt. Die traditionelle Linke, die sich auch als Erbverwalter Thälmanns sieht, reagierte mit Empörung und sprach vom Missbrauch[4].

Dabei wurde aber ausgeblendet, dass auf dem kritisierten AfD-Plakat ein nationalistisches Thälmann-Zitat steht, in dem er sich mit Stolz zu Deutschland bekennt. Auch die Thälmann-Enkelin distanziert sich in einem Interview in der jungen Welt[5] klar von der Vereinnahmung ihres Großvaters durch die AfD, nicht aber vom Zitat. Und niemand stellt infrage, ob das Zitat auch tatsächlich von Thälmann stammt. Hat man da Angst, noch Wähler nach rechts zu verlieren?

Sahra Wagenknecht oder Sarah Rambatz?

Die zweite Episode macht noch mehr deutlich, wie schwierig es in der Linken ist, wenn schon nicht selber eine anti-nationale Position einzunehmen, so zumindest eine Kandidatin zu verteidigen, die deswegen von Rechten angegriffen wurde. Es handelt sich um die junge Linke Sahra Rambatz[6], die auf einen eigentlich geschlossenen Internetforum nach Filmen, „in denen Deutsche sterben“, gefragt hat (siehe dazu: Rechter Diskurs im Wahlkampf[7]).

Sie wurde zum Ziel eines Shitstorms von Rechten, bekam sogar Mord- und Vergewaltigungsdrohungen. Obwohl sie die Filmanfrage als dumm bezeichnete[8], distanzierten sich maßgebliche Politiker ihrer eigenen Partei von ihr und der Lafontaine-Anhänger Fabio De Masi[9] bekam „das Kotzen“, nicht wegen der Drohungen gegen Rambatz, sondern wegen ihrer nichtöffentlich geäußerten Filmvorlieben.

Dass es die Linke nicht fertigbringt, sich vor die von rechts angegriffene Sarah Rambatz zu stellen und deren Filmvorlieben zur Privatsache zu erklären, ist ein Armutszeugnis. Zumindest hat die Linksjugend Bayern genug politische Courage bewiesen[10] und sich hinter die Angegriffene gestellt. Dort wurde auch noch sehr moderat an der Partei Kritik geübt.

Versucht man zusammen mit Sarah einen Weg zu finden, um sich bei den Leuten zu entschuldigen, ihnen klarzumachen, dass sie natürlich keine Irre ist, die einen Massenmord an Deutschen will, sich im Wahlkampf stark engagiert hat und für politisch sinnvolle Positionen einsteht, die nichts mit diesem schlechten Scherz zu tun haben?

So könnte man auf vernünftige und denkende Leute eingehen, also die Menschen, welche die Linken wählen, sich bei ihnen entschuldigen und dann in der Partei gemeinsame Konsequenzen ziehen. Oder lässt man Sarah fallen, überlässt sie alleine dem Mob im Internet und bestärkt diesen noch? Dieser zweite Weg wurde offensichtlich gewählt, und das verurteilen wir aufs Schärfste. Wir sind wirklich enttäuscht. Nicht nur weil unsere Genossin hier dem stumpfen Hass überlassen wurden, sondern auch weil dieser ganze Shitstorm wesentlich anders abgelaufen wäre, wenn es bedachte und gut abgewogene Reaktionen gegeben hätte.

Linksjugend Bayern

An dieser Frage zeigt sich, wie groß doch die Unterschiede in der Linken sind. Es geht dabei nicht um Sarah Rambatz, sondern um die Frage, ob man eher die AfD-Wähler zurückgewinnen will. Dann wird man nicht ein nationales Thälmann-Zitat kritisieren und dafür eine Kandidatin fallen lassen, weil sie eine von ihr selbst als dumm bezeichnete Äußerung im Internet gemacht hat. Oder man sieht diejenigen als Zielgruppe, die Angst vor der AfD haben. Die Linke muss sich in dieser Frage bald positionieren.

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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.die-linke.de/start/
[2] https://www.bundeswahlleiter.de/bundestagswahlen/2017/ergebnisse/bund-99.html
[3] http://www.polsoz.fu-berlin.de/polwiss/forschung/systeme/empsoz/mitarbeiter/neugebauer/index.html
[4] http://www.thaelmann-gedenkstaette.de/
[5] https://www.jungewelt.de/artikel/318703.das-treiben-der-rechten-ist-widerw%C3%A4rtig.html?sstr=Th%C3%A4lmann%7CAfD
[6] https://www.facebook.com/Sarah-Rambatz-861354724016867/
[7] https://www.heise.de/tp/features/Rechter-Diskurs-im-Wahlkampf-3834400.html
[8] https://www.facebook.com/861354724016867/photos/a.871207763031563.1073741829.861354724016867/871329869686019/?type=3&fref=mentions
[9] http://www.fabio-de-masi.de/
[10] https://www.facebook.com/solidbayern/posts/10155162182632672
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Was unterscheidet den IS von der Anti-IS-Koalition?

Warum Wagenknechts Positionierung bei aller Kritik im Detail ein wichtiges Contra gegen die deutsche Militärpolitik ist

Die nachrichtenarme Zeit Ende Dezember eignet sich immer gut, um einen medialen Shitstorm zu erzeugen. Die Zutaten sind einfach. Man sage das, was man schon so oft gesagt habe, spitze es zu, dass es auch richtig provokativ wirkt und dann braucht man etwas Zeit und Glück und es gibt ein Medienthema. In den letzen Tagen hat das die Covorsitzende der Linksparteifraktion, Sarah Wagenknecht, gut hingekriegt.

Nachdem sie in einem dpa-Interview noch einmal ihre Position bekräftigt hat, dass sie die Angriffe der Anti-IS-Koalition in Syrien als Terror bezeichnet hat, wurde genau das zur Schlagzeile [1] vieler Medien. Nun kann doch einer linken Oppositionspolitikern doch gar nichts Besseres passieren, als wenn ihre Position einmal zur Schlagzeile in großen bürgerlichen Zeitungen wird.

Inhaltlich hat Wagenknecht diese Position bereits in der Parlamentsdebatte über den Syrieneinsatz der Bundeswehr [2] vertreten. Nur hatte ihre Position da wesentlich weniger Aufmerksamkeit bekommen. Im dpa-Interview hat die Politikerin ihre Position noch einmal zugespitzt, in dem sie die Soldaten der Anti-IS-Koalition und die IS verglich:

„Natürlich ist es kein geringeres Verbrechen, unschuldige Zivilisten in Syrien mit Bomben zu ermorden, als in Pariser Restaurants und Konzerthäusern um sich zu schießen.“

Das eine sei „individueller, das andere staatlich verantworteter Terror“.

Das ist eine alte Position der entschiedenen Antimilitaristen, die immer fragen, was denn einen von einer staatlichen Armee zu Tode gebrachten Menschen unterscheidet von einem, der durch eine Gang umkam. Doch in erster Linie die Konsequenzen für den Täter: In einem Fall wird er strafrechtlich verfolgt, im anderen Fall kann er einen Orden bekommen oder befördert werden. Das ist beispielsweise Oberst Klein passiert, der für die toten Zivilisten in Afghanistan verantwortlich war, die umgekommen sind, als sie an einem mutmaßlich von Taliban entführten Tanklastzug Benzin abzapften.

Zunächst muss man froh sein, dass Wagenknecht diesen gesinnungspazifistischen Ansatz wählt. Denn damit macht sie in dieser Frage deutlich, dass es ihr nicht ums Mitregieren geht .Denn dann hätte dieser moralische Grundsatz schnell ausgedient.

Positionen des radikalen Pazifismus

Eine Partei, die in der Bundesregierung mitverwalten will, muss vorher ihren Frieden mit der Bundeswehr und ihren Einsätzen gemacht haben. Dass ist der alten PDS und auch der Linkspartei immer wieder deutlich gemacht worden. Daher gehört der Kampf um den Erhalt der antimilitaristischen Grundsätze seit Jahren zu den am meisten umkämpften Fragen innerhalb der Linkspartei.

So kann Wagenknechts Formulierung auch als innerparteiliches Signal verstanden werden. Mit ihr ist eine weitere Aufweichung der antimilitaristischen Positionen nicht zu machen. Freilich sind diese Positionen des radikalen Pazifismus nicht die Positionen auch des linken Flügels der Arbeiterbewegung, der im 1. Weltkrieg die Kriegskredite ablehnte. Der damalige führende Protagonist dieser Strömung, Lenin ging scharf mit dem vom ihm als kleinbürgerlichen Pazifismus bezeichneten Position ins Gericht und verteidigte einen linken Antimilitarismus, der gerade eine Beteiligung an einen Krieg, wenn er zum Sturz der alten Gesellschaft führte, nicht ausschloss.

Von der Position des radikalen Pazifismus aus lässt sich auch hier fragen, was den Unterschied ausmacht, ob jemand von einem Kämpfer der Revolution oder der alten Mächte ums Leben kommt. Und Pazifisten haben diese Frage auch immer wieder gestellt. Es ist auch wichtig, diese Frage immer wieder gestellt zu bekommen. Nur dadurch kann verhindern werden, dass man Menschen eben als Material sieht, die für noch so hehre Zwecke in den Tod geschickt werden. Erst als sich nach der Oktoberrevolution viele Protagonisten diese Frage nicht mehr stellen, geriet sie auf eine Ebene, die in den Stalinismus mündete.

Genau deswegen ist es wichtig, dass heute oppositionelle Kräfte solche grundsätzlichen Fragen aufwerfen. Gerade weil man damit keine Regierung stellen kann, dürfte Wagenknechts Wortwahl auch manche in ihrer eigenen Partei sicher nicht glücklich machen. Da es auch unabhängig von der Position zu dem Militäreinsatz auch nach der nächsten Bundestagswahl keine realistische Option auf eine Regierungsbeteiligung unter Einbeziehung der Linkspartei auf Bundesebene geben wird, dürfte sich die innerparteiliche Diskussion darum in Grenzen halten.

Zumal auch deutlich wurde, dass die Linkspartei als klar antimilitaristische Kraft eher Wähler gewinnt als wenn sie sich als bessere Grüne oder bessere SPD gibt. Dann wird doch gleich das Original gewählt. Da auch in einer größeren Öffentlichkeit der Unterschied zwischen einer radikalpazifistischen Position wie sie Wagenknecht jetzt vertreten hat und einer antimilitaristischen Position, die Beteiligung an Militäreinsätzen unter bestimmten Umständen nicht ausschließt, kaum bekannt ist, bleibt hier die Botschaft übrig, Wagenknecht hat die antimilitaristische Fahne hochgehalten.

Wenn die Toten Nebenwirkungen sind

Die harschen Reaktionen auf ihr Interview dürften sie und auch viele Menschen im Umfeld der Linkspartei bestärken. So kommentierte Daniel Deckers auf faznet [3]:

„Auch als Nichtjurist muss man wissen, dass es unter allen Umständen ein Verbrechen ist, Unschuldige gezielt zu ermorden. Der Tod Unbeteiligter hingegen ist die Nebenwirkung einer Handlung, die möglichst vermieden werden muss – und weithin vermieden wird –, damit Gewalt legitim angewendet wird. Wer wider besseres Wissen von dieser Unterscheidung absieht, der verwirkt nicht de jure, aber de facto den Anspruch auf Gehör. Die Opfer des IS von Paris bis Sindschar werden derart verhöhnt, dass sich die Terrormiliz noch ermuntert fühlen könnte, Zivilisten als menschliche Schutzschilde zu nehmen.“

Damit aber stieg der Faz-Kommentator nicht nur in die Debatte ein, sondern erklärt die Toten der Anti-IS-Einsätze zu „Nebenwirkungen, die weitgehend vermieden werden müssen“. Und wenn nicht? Darüber schweigt sich der Kommentator aus. Es ist die Frage, die sich die Angehörigen der Opfer von Oberst Klein in Kunduz ebenso stellen, wie die Eltern, die ihre Tochter beim Angriff auf die Brücke von Vavarin verloren [4] und vor keinem Gericht eine Entschädigung [5] durchsetzen [6] konnten.

Während alle nach Polen gucken, wird hier der Bundestag mal einfach übergangen

Wagenknecht hat die Diskussion in einer Zeit angestoßen, wo die Bundeswehr bei dem Mittun in den Kriegen überall auf der Welt so ausgelastet ist, dass sogar die Einführung der Wehrpflicht wieder in die Diskussion gebracht [7] wird. Nur gut, wenn zumindest eine Oppositionspartei hier ganz klar nein sagt.

Zudem will die Bundeswehr beim neuen Einsatz in der Türkei das Parlament gar nicht erst fragen. Es war schon immer für die Planer von Militäreinsätzen ein Gräuel, wenn sie sich von Zivilisten sagen lassen mussten, ob sie überhaupt starten dürfen. Daher wurde immer dann, wenn die Zeiten kriegerischer wurden, die parlamentarische Kontrolle ausgehebelt. In dieser Reihe steht auch die Ausschaltung des Parlaments durch die Bundesregierung.

Nun ist in den letzten Tagen in Europa viel von der Aushebelung der Gewaltenteilung gesprochen wurden. Dabei ging es allerdings um den Umbau innerhalb des polnischen Staates durch die neue rechtskonservative Regierung. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn die in dieser Frage mit Recht so kritischen Medien zumindest einen Teil der Kritik auch an der Ausschaltung des Bundestag beim neuen Bundeswehreinsatz geübt haben. Denn wo ist der Unterschied, ob eine Regierung ein Gericht oder ein Parlament ausschaltet?

Solange hier sowenig Kritik an solchen Maßnahmen geübt wird, ist Wagenknechts Position tatsächlich ein notwendiges Contra. Auf Facebook [8] hat sie ihre Position auch nach der Kritik noch einmal bekräftigt:

„Was für ein Aufschrei in den etablierten Parteien, nur weil ich die Verlogenheit der westlichen Politik benenne: Natürlich ist es kein geringeres Verbrechen, unschuldige Zivilisten in Syrien mit Bomben zu ermorden, als in Pariser Restaurants und Konzerthäusern um sich zu schießen. Es gibt keine Toten erster und zweiter Klasse. Und es ist eine Lüge, dass die Bombardierungen Syriens wenigstens dabei helfen würden, den IS zu schwächen. Sie stärken ihn.“

Sicher könnte die radikalpazifistische Position hinterfragt werden. Schließlich wird Wagenknecht nicht die Toten der Anti-Hitler-Koalition und der Wehrmacht miteinander aufrechnen. Genau dazu käme es aber, wenn man eine solche radikalpazifistische Position jenseits von Zeit und Ort vertreten würde. Genau die Position aber vertreten Wagenknecht und auch die Linke in Bezug auf den 2. Weltkrieg nicht.

Daher hätte man sich hier eine größere Differenzierung gewünscht. In der aktuellen Debatte aber, wo die Bundesregierung ihre größere Macht auch militärisch absichern will, ist eine solche Position bei aller Kritik im Detail auf jeden Fall jenen linken Hobbystrategen vorzuziehen, die wie der Publizist Matthias Küntzel einem Krieg des Westens gegen die „Koalition der Wahnsinnigen“ das Wort reden, die nach Küntzel von der „Hamas bis zur Hizbollah, von den Muslimbrüdern zu al-Qaida, vom Islamischen Staat bis zum iranischen Regime reicht [9]“.

Von den Zivilisten, die in einem solchen großen Krieg umkommen würden, redet Küntzel mit keiner Silbe. Und mit einer solchen Position kann man auch keine Opposition gegen die deutsche Militärpolitik formulieren.

http://www.heise.de/tp/news/Was-unterscheidet-den-IS-von-der-Anti-IS-Koalition-3057040.html

Peter Nowak

Links:

[1]

http://www.sueddeutsche.de/politik/sahra-wagenknecht-zu-syrien-einsatz-wagenknecht-nennt-luftangriffe-in-syrien-terror-1.2797980

[2]

http://www.sahra-wagenknecht.de/de/article/2249.es-ist-eine-l%C3%BCge-dass-dieser-kriegseinsatz-den-is-schw%C3%A4chen-wird.html

[3]

http://www.faz.net/aktuell/politik/wagenknechts-vergleich-verhoehnte-terroropfer-13987578.html

[4]

http://www.ag-friedensforschung.de/themen/NATO-Krieg/varvarin-klage.html

[5]

https://www.juwiss.de/95-2013/

[6]

http://www.lto.de/recht/nachrichten/n/bverfg-beschluss-2-bvr-2660-06-2-bvr-487-07-bruecke-varvarin-nato-angriff-zivile-opfer-schadensersatz/

[7]

http://www.focus.de/politik/deutschland/es-geht-um-die-sicherheit-unseres-landes-wegen-aktueller-sicherheitslage-reservisten-wollen-wehrpflicht-wiedereinfuehren_id_5102455.html

[8]

https://de-de.facebook.com/sahra.wagenknecht/

[9]

http://www.matthiaskuentzel.de/contents/der-bock-als-gaertner

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Von Putinverstehern und Friedensbewegten