Eine Frage der Klasse

Von der Alltagsarbeit einer Basisgewerkschaft

Die FAU-Berlin feiert im April 2018 ein besonderes Jubiläum. 10 Jahre sind seit dem Neustart vergangen, der die Grundlage dafür bot, dass sie von einer Ideenorganisation zu einer Basisgewerkschaft mit knapp 500 Mitgliedern geworden ist. Damit hat sie die Stärke erreicht, die die historische FAUD am Ende der Weimarer Republik hatte. Doch wichtiger als die Mitgliederzahl ist die Verankerung an den Arbeitsplätzen. Aktuell führt die FAU in sieben Fällen Arbeitskämpfe. Da gab es in den letzten Monaten sehr unterschiedliche Konflikte.

Nehmen wir den bei vielen Linken beliebten Club S036. Dort haben sich einige Mitarbeiter*innen in der FAU-Betriebsgruppe organisiert und forderten mehr Mitbestimmung bei der Arbeit. Doch mittlerweile sind die Mitglieder der Betriebsgruppe gekündigt oder haben das S036 selber verlassen. Der Konflikt macht deutlich, dass auch in linken Clubs gewerkschaftliche Organisierung nicht immer willkommen ist, die FAU aber auch dort den Konflikt nicht scheut. Das ist ein Bruch mit den Szene-Gewohnheiten, wo oft zu Ausbeutung und Niedriglöhnen in „Szeneeinrichtungen“ geschwiegen wird. Die FAU lässt sich hingegen von dem Grundsatz leiten, dass miese Arbeitsbedingungen und Ausbeutung an jedem Arbeitsplatz angegriffen werden müssen.

Riders Unite!
Kämpferische Beschäftigte gibt es mittlerweile auch in Branchen, die lange Zeit als schwer organisierbar galten. Dazu gehören KurierfahrerInnen von Deliveroo und Foodora, die sich in der Deliverunion-Kampagne zusammengeschlossen haben, die nicht nur ein große Medienecho ausgelöst hat. Auch in Teilen der DGB-Gewerkschaften gab es Solidarität. So übermittelte die Taxi-AG der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi während einer Protestaktion der Deliverunion eine Grußadresse. Dort betonte sie, dass sie den Kampf um bessere Arbeitsbedingungen über alle Gewerkschaftsgrenzen solidarisch unterstützten. Zudem machte der Kollege der Taxi-AG darauf aufmerksam, dass sowohl Kurier- wie auch TaxifahrerInnen über die Apps einer besonderen Kontrolle und Überwachung am Arbeitsplatz ausgesetzt sind. Hier bieten sich sicher Möglichkeiten eines Agierens über Gewerkschaftsgrenzen hinweg an. Dass Deliveroo bei der von der Initiative Arbeitsunrecht ausgelobten Aktion „Freitag, der 13.“ die Abstimmung deutlich gewonnen hat, ist auch ein Verdienst der FAU-Berlin. Kämpferische KollegInnen haben mit dafür gesorgt, das Deliveroo deutlicher als erwartet, für den Negativpreis als das Unternehmen ausgewählt wurde, welches federführend bei Union Busting und Ausbeutung ist. „Shame on you, Deliveroo“ heißt die klare und einfache Parole, die in der nächsten Zeit sicherlich noch häufiger zu hören sein wird. Die Deliverunion-Kampagne hat einen besonderen Stellenwert, weil sich hier mobile junge Beschäftigte organisieren, die lange Zeit als unorganisierbar galten. Die FAU scheint hier mit ihren basisdemokratischen Strukturen der richtige Ansprechpartner zu sein. Mittlerweile sieht man häufiger FAU-Aufkleber auf den charakteristischen Taschen mit den Namen der Lieferdienste. Das ist ein wichtiges Zeichen dafür, dass die FAU in der Branche als Gewerkschaft anerkannt ist. Dass mittlerweile in verschiedenen Berliner Medien die FAU mit ihrem Selbstverständnis als Basisgewerkschaft benannt wird, ist ebenfalls ein gutes Zeichen dafür, dass der Kampf der FAU auch auf schwierigem Terrain der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit nicht erfolglos ist.
Natürlich gab es in den letzten Monaten für die FAU auch Niederlagen bei Arbeitskämpfen.

Gegenangriff vom Boss
Beispielsweise beim Bildungswerk des Schwulen- und Lesbenverbands Berlin (BSLV). Obwohl die Beschäftigten hochmotiviert in den Kampf gingen, konnten sie nicht gewinnen, weil der Chef einen Großteil der KritikerInnen entließ. In einem Abschiedsbrief zogen sie dieses bittere Resümee:

„Der Feldzug des LSVD gegen die eigenen Mitarbeiter*innen und damit gegen jahrelange Erfahrung, Expertise und Netzwerkzugehörigkeiten endet in einem Trümmerfeld. Um unsere gute Arbeit für sinnvolle und wichtige Projekte zu sichern, forderten wir einen Tarifvertrag mit minimalen Standards, die in der restlichen Arbeitswelt selbstverständlich sind. Als Antwort darauf, erfolgte ein breit angelegter Kahlschlag bei der Belegschaft, an dessen Ende manche Projekte (Regenbogenfamilienzentrum, Respekt Gaymes, Community Games) gänzlich ohne Mitarbeiter*innen dastanden. Der Preis, der damit für eine weitgehend neue und damit gefügigere Belegschaft bezahlt wird, lässt ahnen, dass es der Führung des LSVD mehr um sich selbst, als um die Projektarbeit geht.“

Doch in der Bilanz machen die nun ehemaligen BSLV-MitarbeiterInnen deutlich, dass sie trotz der Niederlage in der Auseinandersetzung wichtige Erfahrungen gemacht haben. „Der Konflikt ist als Klassenkonflikt zu begreifen, in dem die Arbeitgeber bewusst die Belegschaft in prekärer Beschäftigung ohne jegliche Chance zur Mitbestimmung halten, um so eine größtmögliche Machtposition zu behalten. Aber auch beim Umgang miteinander geht es um Klasse.“

Wenn KollegInnen nach einem Arbeitskampf in einer Branche, in der so viel von Toleranz und Respekt geredet wird, diese Werte aber am Arbeitsplatz täglich missachtet werden, diese Erkenntnis mitnehmen, hat sich der Kampf gelohnt.
Diese Erfahrung mussten auch die rumänischen Bauarbeiter machen, die auf dem Berliner Nobelprojekt Mall of Berlin um ihren Lohn betrogen wurden. Gemeinsam mit der FAU gingen sie an die Öffentlichkeit und sorgten dafür, dass das Projekt als „Mall of Shame“ bekannt wurde. Obwohl die Beschäftigten auch mehrere juristische Klagen gewonnen haben, bekamen die Bauarbeiter ihr Geld noch immer nicht. Dafür sorgte das Firmengeflecht mit Sub– und Subsubunternehmen, die insolvent waren, wenn sie zur Zahlung der ausstehenden Löhne verurteilt wurden. Doch die Klagen gehen weiter, nun gegen den Generalunternehmen der Mall of Berlin. Der juristische Kampf geht weiter und es wird auch immer wieder Gelegenheit geben, auf der Straße die Parole zu skandieren „Mall of Shame – Pay your Workers“.

DIREKTE AKTION
Anarcho­syndika­listische Zeitung
>, Sonderausgabe Mai 2018

Peter Nowak

Arbeitskonflikt in linkem Club

Mitarbeiter des SO36 haben sich der autonomen Gewerkschaft FAU angeschlossen und liegen seither mit der Geschäftsführung im Clinch. Ein Mitarbeiter klagt jetzt vor dem Arbeitsgericht

Ob es um Punkkonzerte, KiezBingos oder politische Veranstaltung geht: Das S036 in der Oranienstraße ist seit Jahren eine gute Adresse für Aktivitäten dieser Art. Doch in letz- ter Zeit haben sich einige linke Gruppen mit kritischen Fragen an die Geschäftsleitung gewandt. Grund ist ein Konflikt zwischen der Geschäftsführung und einigen MitarbeiterInnen, die sich im August 2016 zu einer Betriebsgruppe der Freien ArbeiterInnenunion (FAU) zusammengeschlossen haben. Den Beschäftigten ging es dabei vor allem um die interne Demokratie und Autonomie. Bisher hätten die einzelnen Arbeitsbereiche, Gewerke genannt, ihre Arbeit weitgehend autonom regeln können, erklärte ein ehemaliger Mitarbeiter des Clubs, der sich in der FAU-Betriebsgruppe engagierte, der taz. Doch zunehmend habe sich die Geschäftsleitung eingemischt. Besonders das für die Tresenschichten zuständige Gewerk habe protestiert. Die AktvistInnen in der FAU-Betriebsgruppe, darunter lang- jährige Club-MitarbeiterInnen, hatten bei der Gründung eigentlich auf Kooperation mit der linken Clubleitung gehofft und waren von der ablehnenden Reaktion überrascht, erklärten sie der taz. In einer von der FAU Berlin herausgegebenen Protestchronik wird sogar von Stimmungsmache der Geschäftsleitung gegen die Gewerkschafter geschrieben. Die Situation schien sich im Oktober 2016 zu entspannen, nachdem mithilfe einer Mediation ein Kompromiss zwischen der Geschäftsleitung und dem Tresengewerk erreicht wurde. Doch auf einer Vollversammlung des S036 wenige Wochen später eskalierte der Konflikt erneut. Laut der FAU-Konfliktchronik haben in den letzten Monaten mehrere unzufriedene Beschäftigte gekündigt. Ein FAU-Mitglied, das durch die Geschäftsführung seit dem 12. Mai 2017 bei Lohnfortzahlung von der Arbeit freigesetzt wurde, hat das S036 verklagt. Es wollte seine Tresenschichten im Club wiederaufnehmen. Das lehnte das S036 ab. Der Rechtsanwalt des Clubs kündigte vor dem Arbeitsgericht vorige Woche einen Vergleich an. Der Kläger soll nicht mehr im Club arbeiten und eine Entschädigung von 800 Euro bekommen. Der Gegenseite ist das zu wenig, man werde ein Gegenangebot schicken, so ein FAU-Sekretär. Vom S036 wollte sich gegenüber der taz niemand zu dem Konflikt äußern.

sonnabend/sonntag, 11./12. november 2017 taz