In der aktuellen Auseinandersetzung über den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine mischen sich Debatten aus der Anti-Raketen-Bewegung der 1980er Jahre
Die Beurteilung der russischen Politik in der Ukraine und der ukrainischen Übergangsregierung sorgen auch in der deutschen Opposition wieder einmal für Streit. Dabei zeigte sich schnell, dass es zwischen der Linkspartei und Grünen völlig entgegengesetzte Ansichten zur Krimpolitik Russlands gibt, dass aber auch in beiden Parteien Differenzen deutlich werden.
Zunächst sorgte der rechte Flügel der Grünen mit einem Plakat [1] für Aufsehen, auf dem die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linkspartei Sarah Wagenknecht [2] vor russischen Soldaten zu sehen ist. Darüber prangte der Spruch: „Jetzt neu, Linkspartei erstmals für Auslandseinsätze.“
Zuvor hatte Wagenknecht auf Handelsblatt Online [3] scharfe Kritik an der Ukraine-Politik der Bundesregierung geübt:
Weder Putin noch die ukrainische Rechte
Während der rechte Flügel der Grünen mit dem Plakat die Regierung verteidigte und deutlich machte, dass alles Gerede über eine linke Parlamentsmehrheit eine Schimäre ist, wollten andere Grüne diesen Kurs nicht mitgehen. Alle, die noch von rosa-rot-grünen Bündnissen träumen, wollen verhindern, dass sich Grüne und Linke noch weiter entzweien. So hat der Linksgrüne Robert Zion einen Aufruf mit dem Titel „Jetzt sind Besonnenheit und Klugheit gefragt“ [4] initiiert. Dort heißt es:
Diese Zeilen richten sich gegen grüne Politiker wie Rebecca Harms [5], die in den letzten Monaten mehrmals in die Ukraine reisten, dort das hohe Lied von der Demokratiebewegung sangen und die unverkennbar anwesende extreme Rechte ignorierten. Zuvor hatten sich bereits grüne Europapolitiker mit einem Redeverbot für Ex-Kanzler Schröder im Europaparlament zu profilieren versucht [6] und sich dabei eher lächerlich gemacht [7].
Dass Schröder zu den Putin-Verstehern [8] gehört, ist nicht unbekannt. Dieser Begriff ist mittlerweile zu einem Synonym für alle geworden, die sich weigern, die ukrainische Politik per se als gut und die russische als böse zu bezeichnen, wie dies die FAZ kürzlich so prägnant mit der Schlagzeile demonstrierte: „Moskau nimmt Ukraine in die Zange.“ [9]
Lehren aus der Friedensbewegung
Zum Russland- und Putinversteher macht sich auch schnell, wer noch an einige geschichtliche Daten erinnert: „Es waren deutsche Soldaten, die vor 70 Jahren Russland mit beispielloser Brutalität verwüsteten und die Einkreisungsängste in Moskau katalysierten. Berlin hat die historische Verpflichtung, verständiger auf russische Befindlichkeiten zu schauen. Diese Pflicht ist nicht erledigt, weil die Sowjetunion 1990 als Weltmacht abtrat und sich in unverhofft ziviler Art und Weise selbst abwickelte“, schreibt [10] Taz-Kommentator Stefan Reinecke und ist damit in dem grünennahen Blatt in der Minderheit.
Er erkennt auch richtig, dass Menschen, die auch die russischen Interessen in dem Konflikt ernst nehmen, vom Kalten Krieg und der deutschen Friedensbewegung geprägt sind. Aber hier wäre noch mehr Differenzierung nötig. Denn auch die Grünen sind einst von der Friedensbewegung zumindest beeinflusst worden.
Dort gab es vor allen in der älteren Generation der Friedensbewegung viele Menschen, die es mit der Aussöhnung mit der Verständigung mit der Sowjetunion ernst nahmen und diese Haltung jetzt auch auf Russland übertragen.
Dazu gehört auch die Mitbegründerin der Grünen Antje Vollmer, die sich nach ihren Rückzug aus der aktiven Politik mit einer Analyse zu Wort meldet [11] und das Scheitern jener neokonservativen Strategien konstatiert, die auch führende Grüne heute propagieren. Dabei hält Vollmer einen Grundsatz der alten Friedensbewegung hoch, wenn sie den scheinbaren Siegern der Geschichte vorwirft:
Deutsche Geschichte entsorgen und das System von Jalta zum Einsturz bringen
Demgegenüber steht eine große Fraktion der Grünen, die sich durchaus auf Teile der Anti-Raketenbewegung beziehen können, die vor allem Anfang der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts Zulauf gewann. Ihnen ging es keineswegs um eine Verständigung mit der Sowjetunion und die Anerkennung dort begangener deutscher Verbrechen.
Sie wollten vielmehr das System von Jalta zum Einsturz bringen, wie es damals in einschlägigen Publikationen dieses sich selbst als unabhängig bezeichnenden Teils der Anti-Pershing-Bewegung hieß. Mit dem System von Jalta meinen sie die Nachkriegsordnung, wie sie nach dem Sieg der Anti-Hitler-Koalition in Europa entstanden war. Diese Fraktion wollte mit der Überwindung der Nachkriegsordnung vor allem die Spaltung Deutschlands überwinden, dass sie als von den Großmächten SU und USA besetzt bezeichneten.
Wenn erst die Sieger über den NS von deutschen Boden verschwinden, werde auch die deutsche Frage gelöst, riefen Grüne und Nationalpazifisten wie Alfred Mechtersheimer [12] auf Veranstaltungen der Anti-Raketenbewegung unter großem Applaus.
Für diesen Teil der Anti-Pershing-Bewegung hatte der Publizist Wolfgang Pohrt schon vor mehr als 30 Jahren den treffenden Begriff der deutschnationalen Erweckungsbewegung [13] parat. In dieser Tradition stehen heute jene Grüne, die jetzt in der aktuellen Krimkrise vor allem an einer Schwächung Russlands interessiert sind.
Das verhasste System von Jalta soll an seinem Ausgangspunkt zerstört werden. Dass sie die rechten Bündnispartner in Kiew nicht besonders stören, ist nicht verwunderlich. Schon in den 1980er Jahren scheuten diejenigen, die sich die Überwindung der europäischen Nachkriegsordnung auf die Fahne geschrieben haben, keine Kooperation mit Rechtsaußen. Mechtersheimer war da keine Ausnahme.
http://www.heise.de/tp/news/Von-Putinverstehern-und-Friedensbewegten-2148922.html
Peter Nowak
Links:
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