„Die Angst wegschmeißen“

Labournet.tv erinnert in ihrem jüngsten Film an den Zyklus der Arbeitskämpfe in der norditalienischen Logistikbranche.

Seit 2011 kämpfen in Italien meist migrantische ArbeiterInnen in der Logistikbranche für reguläre Arbeitsbedingungen. In vielen großen Unternehmen ist es ihnen gelungen, durch entschlossenes Vorgehen die Einhaltung der nationalen Standards zu erzwingen und sich gegen die VorarbeiterInnen, die Leiharbeitsfirmen, die Polizei, die großen Gewerkschaften und die großen Medien durchzusetzen. Sie waren auch deshalb erfolgreich, weil sie auf die eigene Kraft vertrauten und auch in scheinbar aussichtslosen Situationen die Konfrontation mit den Bossen nicht scheuten. Durch ihre entschlossene Haltung erreichten sie es, dass sich große Teile der radikalen Linken aus Mailand und anderen norditalienischen Städten mit ihnen solidarisieren und ihre Aktionen unterstützen. Der Arbeitskampf hat die bisher rechtlosen ArbeiterInnen mobilisiert. Eine zentrale Rolle dabei spielt die Basisgewerkschaft Sindicato Intercateoriale Cobas (S.I. Cobas).

„Vor zwei Jahren hatte unsere Gewerkschaft in Rom drei Mitglieder. Heute sind es dreitausend“, erklärt Karim Facchino. Er ist Lagerarbeiter und Mitglied der italienischen Basisgewerkschaft S.I. Cobas. Der rasante Mitgliederzuwachs der Basisgewerkschaft ist auch eine Folge der Selbstorganisation der Beschäftigten. „Wir haben keine bezahlten Funktionäre, nur einen Koordinator, doch sein Platz ist nicht am Schreibtisch eines Büros, sondern auf der Straße und vor der Fabrik“, betont Facchino. Er war im Mai 2014 Teilnehmer einer Delegation italienischer GewerkschafterInnen und UnterstützerInnen aus der außerparlamentarischen italienischen Linken, die hierzulande über den erbittert geführten Arbeitskampf informierte, der fast vier Jahre andauerte. Zwei Monate vorher hatte eine Delegation von S.I. Cobas auf einem Treffen europäischer BasisgewerkschafterInnen über den Kampf der LogistikarbeiterInnen in Italien berichtet. Bei dem kleinen Team von labournet.tv hatte er dort deren Interesse geweckt. Die VideoaktivistInnen fuhren mehrmals nach Norditalien, führten zahlreiche Interviews mit den Beschäftigten und stellten sich auch die Frage, wie es dazu kam, dass sie so lange und kompromisslos ihren Arbeitskampf führten. So ist ein Film entstanden, der zeigt, wie Menschen sich verändern, wenn sie zu kämpfen beginnen. „Wir haben die Angst weggeschmissen“, erklärte ein Beschäftigter, der dem Film den Titel gab.„Die Angst wegschmeißen – Die Bewegung der LogistikarbeiterInnen in Italien“ liefert Dokumente eines Arbeitskampfs in Norditalien, der bisher in Deutschland kaum bekannt war.„Mafia verschwinde“, rufen die Jugendlichen und schwenken Fahnen der Antifaschistischen Aktion und der Gewerkschaft S.I. Cobas. Es ist eine Szene des mehrjährigen Arbeitskampfes. Eine Stärke des Films besteht darin, dass die unterschiedlichen Beteiligten am Arbeitskampf zu Wort kommen. Junge Männer aus Nordafrika, die durch den Arbeitskampf erstmals für ihre Rechte kämpften, berichten mit Stolz in der Stimme, dass sie diese Erfahrung für ihr Leben geprägt habe. Nüchterner formulieren mehrere Frauen, wie der Streik ihr Leben verändert hat. Sie sind nicht mehr bereit, die Verhältnisse einfach hinzunehmen, sondern erwehren sich auch der patriarchalen Zustände, denen sie ausgesetzt sind. Im Film kommt immer wieder die Rolle der Gewerkschaft S.I. Cobas zur Sprache, ohne die der Kampf nie hätte begonnen werden können. „Hier sind die Erfahrungen von langjährigen linken Aktivisten und die Wut der Logistikarbeiter zusammengekommen,“ formulierte es eine am Streik beteiligte Kollegin.Der langjährige S.I. Cobas-Aktivist Roberto Luzzi spricht im Film auch über die Grenzen der gewerkschaftlichen Kämpfe. „Hier können wohl Erfahrungen gesammelt werden, aber für eine Veränderung der Gesellschaft sind auch politische Organisationen notwendig“, erklärte er. Besonders die Jugend, die in ihren Leben oft noch keine Arbeitskämpfe kennengelernt habe, mache durch die Beteiligung am Arbeitskampf die Erfahrung, dass die kämpfende Arbeiterbewegung noch existiert, betont Luzzi. Die KollegInnen mussten Ende August auch wieder die Erfahrung machen, dass die Kapitalseite entschlossen ist, die Errungenschaften rückgängig zu machen. Mehrere der Beschäftigten, die im Film Interviews gegeben haben, wurden entlassen, einem migrantischen Gewerkschafter droht die Abschiebung.Der Film ist von einer Grundsympathie für die Streikenden geprägt und am Ende denkt man an den Amazon-Streik. Roberto Luzzi war Ende März und Anfang April 2015 für einige Tage in Deutschland und berichtete über den Arbeitskampf in Italien. Dabei besuchte er auch streikende Amazon-KollegInnen in Leipzig. Bei vielen von ihnen setzt sich nach den monatelangen Kämpfen die Erkenntnis durch, dass ein Arbeitskampf gegen einen multinationalen Konzern wie Amazon nur durch die transnationale Solidarität der Beschäftigten gewonnen werden kann. Der Film kann dadurch, dass er einen bisher weitgehend unbekannten Arbeitskampf in der europäischen Nachbarschaft bekannt macht, dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Er könnte auch Argumente für die KollegInnen liefern, die auch für undokumentierte Beschäftigte das Recht auf Mitgliedschaft in einer DGB-Gewerkschaft durchsetzen wollen. Bei S.I. Cobas ist diese Praxis selbstverständlich. Dem Film1 ist eine weitere Verbreitung zu wünschen.

[1] Der Film kann kostenlos heruntergeladen werden auf der Onlineplattform de.labournet.tv/video/6796/die-angst-wegschmeissen

Erschienen in: Direkte Aktion 231 – Sept/Okt 2015

https://www.direkteaktion.org/231/die-angst-wegschmeissen

Peter Nowak

Welthandeln

Zur länderübergreifenden Solidarität im Amazon-Streik

Roberto   Luzzi bekam am 30. März viel Applaus im  Streikzelt der Amazon-Beschäftigten in Leipzig. Er hat im Rahmen einer Delegation der italienischen Basisgewerkschaft  SI Cobas den Streikenden einen Solidaritätsbesuch abgestattet und solidarische Grüße überbracht.   Bei einer Veranstaltung und einen Workshop in Berlin berichteten die SI-Cobas-GewerkschafterInnen, wie sie in den letzten Monaten  im italienischen Logistikbereich erfolgreich Beschäftigte organisieren und Tarifverschläge abschließen konnten, die für die  Beschäftigten Lohnerhöhungen und eine Verminderung der Arbeitshetze bedeuteten. Die großen italienischen Gewerkschaftsverbände haben an die Logistikunternehmer einen Brief geschrieben, in dem sie sich beschwerten, dass sie mit der    kleinen Basisgewerkschaft bessere Tarifverträge als mit ihnen abschließt. „Die haben nicht begriffen, dass diese Verträge kein Geschenk der Unternehmen  sondern  ein  Ergebnis der  kämpferischen Gewerkschaftspolitik ist“, meint Luzzi.

So haben die Streikenden im  italienischen Logistikbereich  die  Tore der Unternehmen blockier.  Weder Personen noch LKW kamen rein oder aus.  Der Warenverkehr stockte.   Die GewerkschafterInnen  wissen, dass sie damit die Logistikunternehmen am neuralgischen Punkt treffen.   Wenn es bei den Warenauslieferungen Verzögerungen gibt, verlieren die Unternehmen große Summen.  Deswegen sorgen Unternehmen wie Amazon vor. Es hat bereits vor Monaten eine Filiale im polnischen Poznan errichtet,  um die Waren von dort auszuliefern, wenn in Deutschland gestreikt wird.

Dieser schnelle Wechsel  ist in der Logistikbranche auch deshalb besonders einfach, weil  in der Branche  kein aufwendiger Maschinenpark verlegt werden muss.  Die  GewerkschafterInnen  betonten auf den Workshop in Berlin,    dass damit auch eine länderübergreifende Streiksolidarität in der Branche erleichtet werden könnte.    Schließlich habe das  Standortdenken   bei Lohnabhängigen der fordistischen Schwerindustrie eine reale Grundlage auch in dem Maschinenpark, der nicht so leicht zu ersetzen oder auszulagern ist.   Dieses Standortdenken erschwerte aber  länderübergreifende  Kämpfe.    Wie die SI-Cobas-GewerkschafterInnen bemühen    sich auch die  Gruppen der Amazonstreiksolidarität, die sich in verschiedenen Städten gegründet haben, um eine Ausweitung dieser Solidarität über Landesgrenzen hinweg.  Einige ermutigende Beispiele der letzten Monate wurden genannt. So streikten vor Weihnachten 2014 auch in Frankreich Amazon-Beschäftigte und bezogen sich auf den Arbeitskampf in Deutschland.   Auch im Amazon-Werk in Poznan wächst die Unzufriedenheit der Beschäftigten. In  einem  Bericht eines der Beschäftigten, der kürzlich auf Deutsch übersetzt wurde, heißt es über die Stimmung Ende 2014 in dem  Werk:

„Im Dezember drang die Unzufriedenheit der Leiharbeiter  bei Amazon an die Öffentlichkeit: Sie fingen an, sich wegen nicht pünktlich gezahlter Löhne, Unregelmäßigkeiten bei der Berechnung der Löhne und überfüllter Kantinen an die lokalen Medien zu wenden.“  Mittlerweile sind zahlreiche Amazon-Beschäftige von Poznan in die kämpferische Basisgewerkschaft Workers Initiative eingetreten. Vielleicht  wird beim  nächsten Amazon-Streik tatsächlich  ein Alptraum für die Manager war. und  die Arbeitskämpfe    und nicht nur das Kapital  können keine Landesgrenzen mehr.

Herausforderung der Amazon-Streiksolidarität

Inzwischen sind ca. 150 Amazon-Beschäftigte in Poznan in einer  Betriebsgruppe der Inicijatywa Pracownicza (IP) organisiert. Sie ist 2004 als  Alternative zu den bürokratisierten, mit den verschiedenen Regierungsparteien verwobenen Gewerkschaften in Polen entstanden. Die IP versteht sich als Basisgewerkschaft in anarchosyndikalistischer    und syndikalistischer Tradition. Ihre Hauptprinzipien sind die Unabhängigkeit vom Kapital und  eine konsequente innergewerkschaftliche Demokratie. In Poznan hat sie IP eine Petition gegen die permanente Steigerung der Produktionsnormen  im Amazonwerk lanciert und am 15. Mai 400 Unterschriften dazu präsentiert. Der Kampf gegen die Steigerung der Arbeitsnormen und der Arbeitshetze ist aktuell das zentrale Kampffeld der IP bei Amazon-Poznan. Am 23. Mai  beteiligten sich an einer IP-Demonstration in Warschau auch  gewerkschaftlich aktive Amazon-Beschäftigte aus Deutschlandl.

Die Herstellung solcher Kontakte ist auch eine Herausforderung für die Amazon-Streiksolidarität, die sich in verschiedenen Städten gegründet hat. Schwerpunkte sind Leipzig, Frankfurt/Main und Berlin. Es gab mittlerweile zwei bundesweite Treffen, eins in Leipzig und eins in Frankfurt/Main. Dabei  gab es auch Diskussionen, ob diese Streiksolidarität über die Unterstützung  verdi.-Aktivitäten hinaus eigene Akzente setzen soll. Die Kontakte mit KollegInnen von SI Cobas  aus Italien oder der Workers Initiative  aus Polen  sind  ein solcher eigenständiger Akzent.  Beide Basisgewerkschaften gehören nicht zu den BündnispartnerInnen des DGB und seiner Einzelgewerkschaften. Die Verdi-Gewerkschafterin Mechthild Middeke  sprach im Interview mit dem Express 3-4/2015   über die  Kontakte des DGB und seiner polnischen Partnergewerkschaften in Poznan. Daher wäre der  Kontakt zu Gewerkschaften wie SI Cobas und IP ein wichtiger Part der Amazon-Solidarität. Im Anschluss an die Blockupy-Proteste    am 18. März in Frankfurt/Main und im Rahmen des Blockupy-Nachbereitungstreffens im Mai 2015 in Berlin  gab es ein eigenes Treffen für die  Koordinierung der  transnationalen Betriebs- und Streiksolidarität. In den nächten Monaten sollen die Kontakte intensiviert werden.

http://www.labournet.de/express/

aus:  express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit

4/5-2015

Peter Nowak

Keine Geschenke

Deutschland: Bei Amazon wurde wieder gestreikt

An mehreren deutschen Standorten des Online-Handlers  Amazon wurde im März wieder gestreikt.   Wie schon in den Wochen vor Weihnachten sah die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di  auch vor dem   Ostergeschäft  eine gute Gelegenheit, um  den Druck auf den Konzern zu erhöhen. Die  Beschäftigten kämpfen  für einen Tarifvertrag nach den Bestimmungen des Onlinehandels. Amazon orientiert sich bisher am Logistiktarifvertrag, der für die Mitarbeiter_innen mit geringerem Lohn verbunden ist.

Der neue Streikzyklus bei  Amazon begann am 13. März als  sich  Amazon auf der Buchmesse  in Leipzig  als  erfolgreicher Global Player präsentieren wollte. Mit diesem   Streikauftakt  bekam der Arbeitskampf eine  maximale Aufmerksamkeit.  Im Anschluss wurde auch an den  Amazon-Standorten Bad Hersfeld in Osthessen und Graben in Bayern  gestreikt.  Das Amazon-Management reagierte  mit der lapidaren Erklärung, alle Aufträge würden termingerecht erfüllt. Allerdings wird  dabei nicht erwähnt, dass Amazon sowohl vor dem Weihnachts- wie dem Ostergeschäft zusätzliche Beschäftigte eingestellt hat, um  die Streikfolgen aufzufangen. Zudem hat Amazon im letzten Jahr in Polen zwei neue Niederlassungen eröffnet, um den Versandhandel  von dort abzuwickeln, wenn in Deutschland   gestreikt wird.

Während diese Zusammenhänge  in einen  Großteil der Medien  nicht  vermittelt wurden, bieb die Erklärung des Managements, es gäbe keine Behinderungen beim Versandhandel.   So verstärkt sich in der Öffentlichkeit der Eindruck,  Ver.di kann gegen einen global agierenden   Konzern wie Amazon nicht gewinnen. Dass die Bilanz von ver.di  nach den beiden Streikrunden nicht optimal  ist, bestätigte auch  verdi-Sekretärin Mechthild Middeke im Interview mit der  „Zeitung für sozialistische   Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit“  express: „Der wirtschaftliche Druck ist da, wenn auch nicht in ausreichender Dimension“.  Einen zentralen Grund  sieht sie in den vielen befristeten Arbeitsverhältnissen. „Nicht alle, doch einige Befristete hatten auch während der vorweihnachtlichen Streiks mitgemacht und die sind nun einfach nicht mehr da.“

Was den Amazon-Streik von anderen Arbeitskämpfen heraushebt, sind kontinuierlich arbeitende außerbetriebliche Solidaritätsgruppen.  Die Initiative dazu ging im letzten Jahr von Studierenden in Leipzig aus. Mittlerweile sind auch in Berlin, Hamburg und Frankfurt/Main örtliche Solidaritätsgruppen entstanden. Es  gab bereits zwei bundesweite Treffen der Amazon-Solidarität.   Beschäftigte und Solidaritätsgruppen trugen   am 18.3.  in Frankfurt/Main ein Transparent mit der Aufschrift „Amazon  Strikers meet Blockupy“ was deutlich macht, dass die Kooperation nicht nur vor dem Werkstoren stattfindet.   Diese Solidaritätsgruppen versuchen auch verschiedene Arbeitskämpfe   zu koordinieren. So beteiligten  sich die streikenden Amazon-Beschäftigten in Leipzig am 30. März an einer Demonstration von Kita-Mitarbeiter_innen, die an diesem Tag ebenfalls für bessere Arbeitsbedingungen auf die Straße gegangen sind.  An diesen Tag nahm auch eine Delegation  der  kämpferischen italienischen Basisgewerkschaft SI Cobas an der Demonstration in Leipzig teil.  Die Gewerkschaft hat in Italien in den letzen Jahren einige Erfolge bei der Organisierung von Beschäftigten  in der Onlinehandels- und Logistikbranche zu verzeichnen.   Der Mailänder SI-Cobas-Gewerkschafter Roberto Luzzi betonte  bei einer Veranstaltung in Berlin die Bedeutung  einer transnationalen Kooperation im Arbeitskampf. Die  Notwendigkeit ergäbe sich schon aus der Tatsache, dass der Versandhandel in kurzer Zeit in ein anderes Land, beispielsweise  von Leipzig nach Poznan,  verlagert werden kann.   Ein solcher schneller Wechsel  ist in dieser Branche auch deshalb so einfach, weil es dort keine Hochöfen oder komplexe Maschinenparks gibt, die nicht so einfach verlegt werden können. Würde damit nicht auch die materielle Grundlage für das Standortdenken bei großen Teilen der Belegschaft wegfallen, das  transnationale Arbeitskämpfe massiv erschwert, diese Frage stellten sich Teilnehmer_innen  Veranstaltung in Berlin. Schließlich hat dieses Standortdenken seine materielle  Grundlage oft in der Überzeugung, dass  der     „eigene“ Betrieb nicht so leicht verlagert werden kann.

Wenn Arbeitskämpfe gegen einen Konzern wie Amazon nicht in einem Land gewonnen werden können, ist ein Agieren  über Ländergrenzen   existentiell. Einige Beispiele wurden in Berlin  genannt.   So streikten kurz vor Weihnachten 2014  Amazon- Beschäftigte in   Frankreich und bezogen sich dabei  auf die Arbeitskämpfe in Deutschland.  Auch im Amazon-Werk in Poznan ist bei der Belegschaft der Unmut über die Arbeitsbedingungen gewachsen.

https://www.akweb.de/

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Peter Nowak

Solidarität in Logistik und Onlinehandel

Italienische Arbeiter zu Besuch beim Amazon-Streik

bekam am 30. März viel Applaus im Streikzelt der Amazon-Beschäftigten in Leipzig. Er hat im Rahmen einer Delegation der italienischen Basisgewerkschaft SI Cobas den Streikenden einen Solidaritätsbesuch abgestattet und Grüße überbracht. Bei einer Veranstaltung und einem Workshop in Berlin berichteten die SI-Cobas-Gewerkschafter, wie sie in den letzten Monaten im italienischen Logistikbereich erfolgreich Beschäftigte organisieren und Tarifverschläge abschließen konnten, die ihnen Lohnerhöhungen und weniger Arbeitshetze garantieren.

Die großen italienischen Gewerkschaftsverbände haben sich in einem Brief an die Logistikunternehmer beschwert, dass diese mit der kleinen Basisgewerkschaft bessere Tarifverträge als mit ihnen abschließen. »Die haben nicht begriffen, dass diese Verträge kein Geschenk der Unternehmen sondern ein Ergebnis der kämpferischen Gewerkschaftspolitik ist«, meint Luzzi. Dass sich die Amazon-Beschäftigten und die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di mit ihren Arbeitskampf gegen ihre Einstufung als Logistiker wehren und für den einen Tarifvertrag nach den deutlich besseren Konditionen des Einzel- und Versandhandels kämpfen, verstehen die italienischen Kollegen. »Über die Feinheiten des deutschen Tarifrechts wissen die Amazon-Kollegen am besten Bescheid. Doch wichtig ist uns, die spezifischen Kampfbedingungen herauszuarbeiten, der in der Logistik und im Onlinehandel unabhängig von der tariflichen Einordnung gilt«, erklären sie auf dem Workshop.

So haben die Streikenden im italienischen Logistikbereich in den letzten Monaten die Tore der Unternehmen blockiert und sie damit an einem neuralgischen Punkt getroffen. Wenn es Verzögerungen bei der Warenauslieferung gibt, drohen hohe Verluste.

Amazon hatte seine Filiale im polnischen Poznan errichtet, um die Waren von dort auszuliefern, wenn in Deutschland gestreikt wird. Die Gewerkschafter betonten in Berlin, dass das Fehlen eines großen Maschinenparks in dieser Branche eine länderübergreifende Solidarität erleichtern könnte. Schließlich habe das Standortdenken bei Beschäftigten der fordistischen Schwerindustrie, das länderübergreifende Kämpfe erschwert, ihre Grundlage eben in dem Maschinenpark, der nicht so leicht zu ersetzen oder auszulagern ist. Doch wie sieht es mit der länderübergreifenden Solidarität bei Amazon aus? Ermutigende Beispiele wurden auf der Veranstaltung genannt. So streikten vor Weihnachten 2014 auch in Frankreich Amazon-Beschäftigte und bezogen sich auf den Arbeitskampf in Deutschland. Auch im Standort Poznan wächst die Unzufriedenheit. Ein Beschäftigter beschrieb die Stimmung im Werk Ende 2014 so: »Im Dezember drang die Unzufriedenheit der Leiharbeiter bei Amazon an die Öffentlichkeit: Sie fingen an, sich wegen nicht pünktlich gezahlter Löhne, Unregelmäßigkeiten bei der Berechnung der Löhne und überfüllter Kantinen an die lokalen Medien zu wenden.« Mittlerweile sind zahlreiche Beschäftige von Poznan in die kämpferische Basisgewerkschaft Workers Initiative eingetreten.

Peter Nowak

»Wie eine Festung«

Im Tarifkonflikt mit dem Online-Versandhändler Amazon versuchte die Gewerkschaft Verdi im Ostergeschäft den Druck zu erhöhen und rief an mehreren Standorten zum Streik auf. Die Jungle World sprach mit Roberto Luzzi. Er ist Aktivist der italienischen Basisgewerkschaft SI Cobas, die Arbeitskämpfe in der Logistikbranche organisiert. Mit einer SI-Cobas-Delegation besuchte er am 31. März die streikenden Amazon-Arbeiter in Leipzig.

Wie war Ihr Eindruck vom Arbeitskampf?

Es ist sehr positiv, dass in Deutschland die Organisierung der Amazon-Mitarbeiter gelungen ist und sie mehrmals in den Streik getreten sind. In Italien ist uns das bisher nicht gelungen.

Was sind dort die Probleme?

Die meisten Amazon-Beschäftigten in Italien haben extrem befristete Verträge, was eine Organisierung sehr schwer macht. Zudem ist das größte italienische Amazon-Werk in Piacenza wie eine Festung ausgebaut, so dass wir nicht mit den Beschäftigten sprechen können.

Haben Sie in Leipzig auch kritische Eindrücke gesammelt?

Mir ist negativ aufgefallen, dass bei der Streikversammlung nur Gewerkschaftsfunktionäre und nicht die Beschäftigten zu Wort kamen. Zudem gab es keine Versuche, die Beschäftigten, die sich nicht am Streik beteiligten, am Betreten des Werkes zu hindern. Auch LKW konnten während des Streiks ungehindert auf das Gelände fahren und es verlassen. Es gab weder Blockaden noch Versuche, mit Flugblättern für den Streik zu werben.

Konnten Sie Kontakte mit den Kollegen knüpfen?

Wir haben auf der Streikversammlung über die Basisgewerkschaft SI Cobas und die Arbeitskämpfe in der italienischen Logistikbranche informiert und eine mit viel Applaus bedachte Solidaritätserklärung verlesen.

Könnten sich die transnationalen Kontakte verstetigen?

Bei konkreten Streikaktionen ist es einfach, Solidarität auszudrücken und mit den Kollegen in Kontakt zu kommen. Viel schwieriger sind offizielle Verbindungen zwischen den Gewerkschaften. Das liegt daran, dass die DGB-Gewerkschaften nur Kontakte zu den großen offiziellen Gewerkschaftsbünden in Italien unterhalten. Mit ­denen ist eine Zusammenarbeit bei der Firma DHL möglich. Doch in der Regel bekämpfen sie die Basisgewerkschaft SI Cobas in der Logistikbranche und haben sich sogar in einem Brief an die Logistikunternehmen beschwert, dass sie mit uns einen besseren Tarifvertrag als mit ihnen abgeschlossen haben. Dabei ist dieser Erfolg das Ergebnis unserer kämpferischen Gewerkschaftspolitik

http://jungle-world.com/artikel/2015/15/51751.html

Peter Nowak

Amazonstreik – keine Chancen für die Gewerkschaften?