Autonome Theorien – Theorien der Autonomen?

Sie gelten als der militante Flügel sozialer Bewegungen und als Subkultur. Es existiert aber auch eine lebendige Theorieproduktion, die mehr bietet als die blosse Befürwortung von Militanz. In Robert Foltins Buch werden jene Theorien vorgestellt, die in autonomen Szenen diskutiert werden und am Beispiel konkreter sozialer Kämpfe wird das Spannungsverhältnis von selbstbezüglicher Subkultur und Massenwirksamkeit ebenso angesprochen wie jenes von Spontanität und Organisation.

Die Zeiten sind vorbei, als die Autonomen zumindest in den deutschsprachigen Ländern die Medien bestimmten und diverse Polizei- und Verfassungsschutzbeamte auf Trapp hielten. Als militanter Arm der sozialen Bewegung verschiedener Länder wurden sie besonders vor bestimmten Grossdemonstrationen zum Popanz aufgebaut. Doch in der letzten Zeit ist es ruhig um die Autonomen geworden. Selbst die revolutionären 1. Mai-Demonstrationen in Berlin, die als letztes autonomes Grossereignis gelten, sind in der letzten Zeit scheinbar befriedet. Zumindest ist das die Einstellung der meisten MedienbeobachterInnen. Sie haben Autonome fast ausschliesslich mit Strassenmilitanz gleichgesetzt. Politische Inhalte, gar Theorien der autonomen Bewegung, waren für einen Grossteil der MedienvertreterInnen nie von Interesse. Das konnte auch im Vorfeld der revolutionären 1. Mai-Demonstrationen in Berlin immer gut beobachtet werden. Bei den immer sehr gut besuchten Pressekonferenzen bemühten sich die an der Demo beteiligten Organisationen immer wieder politische Inhalte zu vermitteln, die JournalistInnen interessierte jedoch nur die Frage, ob und wann es wieder zur Randale kommt.

Zwischen Subkultur und Revolution

Der Wiener Journalist und langjährige politische Aktivist Robert Foltin hingegen beschäftigt sich in dem im Mandelbaum-Verlag herausgegebenen Buch nun im Schnelldurchgang mit den Theorien der Autonomen. Bereits im Vorwort  beschreibt Foltin in der ersten Person das  Theoriefeld in dem es im Buch geht. «In der Zeit, in der ich politisiert wurde, ab Mitte der 70er Jahre, ging das Intermezzo der neoleninistischen Dominanz der linksradikalen Szene zu Ende. Unsere Theorie war geprägt von der Abgrenzung zum Marxismus-Leninismus. Wir bewegten uns in einer Subkultur, als Markenzeichen trugen wir damals lange Haare und kifften, wollten aber ebenso eine soziale und politische Revolution. Wir interessierten uns für den Feminismus und die Schwulen-/Lesbenbewegung und kritisierten den Fetisch Proletariat».  In den folgenden Kapiteln widmete sich Foltin in Kurzform den verschiedenen historischen und theoretischen Strängen, die auf die autonome Theorieproduktion auf unterschiedliche Weise Einfluss  hatte. Der Anarchismus in den verschiedenen Fassungen spielt dabei natürlich eine entscheidende Rolle, aber auch der Operaismus und der Rätekommunismus hatten einen wichtigen Einfluss auf die autonome Theorieproduktion. So erinnert der historisch bewanderte Foltin an die kurze Geschichte der «Kommunistischen Arbeiterpartei Deutschland» (KAPD) in den frühen Jahren der Weimarer Republik, die eine Art autonome Fraktion der kommunistischen Bewegung gewesen war und zeitweise sogar die KPD an Mitgliedern überflügelte. Dass kommunistische Theorien durchaus auch Einfluss in der autonomen Bewegung hatten, schrieb der anarchistische Autor Horst Stowasser bereits 2007: «Inhaltich vertritt die autonome Bewegung ein Gemisch aus alt-kommunistischen Avantgardeanspruch und einem anarcho-spontanistischen Kult der direkten Aktion».

Autonome und Kommunismus

Foltins Verdienst ist es, dass er  in seinem Buch den Anteil vor allem dissidenter kommunistischer  Theorien für die autonome Bewegung sehr ausführlich darlegt. Er tritt damit der häufigen Vorstellung entgegen, dass die Autonomen nur eine besondere Spielart des Anarchismus sind und waren.  Foltin erinnert ausführlich an operaistische Ansätze, aber auch an die breite Rezeption, die  historische Schriften wie «Die andere Arbeiterbewegung» hatten, die von Karl Heinz Roth und Elisabeth Behrens 1974 herausgegeben wurde. Foltin kommentiert die Schrift so: «Die andere Arbeiterbewegung ist trotz vieler Schwächen ein Meilenstein in der Geschichtsschreibung der autonomen Kämpfe und wurde in den 70er Jahren viel diskutiert. Die Beschreibung ist zwar etwas schematisch – auf der einen Seite stehen die sozialdemokratischen FacharbeiterInnen und als Kontrast dazu die rebellischen unteren Segmente der Klasse». Foltin versucht die Thesen des Buches auf die Frühphase der Weimar  Republik anzuwenden, indem er schreibt, dass die zweite Welle der Kämpfe 1920 und 1921 von dieser anderen ArbeiterInnenbewegung  getragen wurden, während die erste Welle von den in Rätebewegungen organisierten FachbarbieterInnen dominiert wurde.

Doch Historiker der Rätebewegung wie Axel Weipert und Rolf Hoffrogge widersprechen dieser Sicht und sehen in den historischen Quellen keinen Unterschied zwischen den Trägern der ersten und zweiten Revolutionsphase. Die Theorien der anderen ArbeiterInnenbewegung könnten gerade in einer Zeit wieder eine grössere Rolle spielen, in der es Streiks auch in Bereichen gibt, die von den grossen Gewerkschaften nicht erreicht werden. Zunehmend sind es gerade die ExponentInnen dieser anderen ArbeiterInnenbewegung, die heute Arbeitskämpfe führen.

Die Autonomen heute

Foltin geht auch auf die kleinen Erfolge von Basisgewerkschaften wie der «Freien Arbeiter Union» (FAU) ein, die durchaus zum autonomen Politikfeld gehört. Der Feminismus und der Antirassismus kommen in Foltins Buch vor, doch es wird nicht recht der Stellenwert ersichtlich, den diese Ansätze in der autonomen Theorie und Praxis hatten. Foltin geht auch kritisch auf den Antiimperialismus ein, verwirft ihn aber nicht rundweg. Viel schärfere Kritik erfahren die sogenannten antideutschen Politikansätze, die von Foltin allerdings auch nicht einer differenzierten Betrachtung unterzogen worden sind. In dem letzten Kapitel geht Foltin auf das Konzept der Multitude ein, dass vor rund 15 Jahren von Antonio Negri  verfasst und in der autonomen Bewegung intensiv diskutiert wurde. Doch mittlerweile muss man auch fragen, welchen Einfluss die Multitude-Rezeption auf die konkrete politische Praxis der autonomen Bewegung hatte. Darauf geht Foltin leider nicht ausführlicher ein.  So bleibt man trotz der vielen interessanten Anregungen in dem Buch, am Schluss doch etwas ratlos nach dem letzten Kapitel zurück. Dort wird kurz auf die Syriza in Griechenland und die «Interventionistische Linke» (IL) und das Ums-Ganze-Bündnis in Deutschland eingegangen. Diese beiden linken Bündniskonstellationen gehören zur postautonomen Linken. Viele ihre  Gründer und   Mitglieder  gehörten in den 80er Jahren zur autonomen Bewegung und beteiligten sich in den 90er Jahren an den Debatten über eine Zukunft jenseits der autonomen Event- und  Jugendkultur. Hier hätte man sich in dem Buch einige weiterführende Gedanken  gewünscht. Ein guter Abschluss des Buches wären etwa einige provokative Thesen zur Frage, ob die autonome Bewegung noch eine Zukunft hat, gewesen.

«Autonome Theorien – Theorien der Autonomen?» von Foltin Robert. Erschienen 2015 im Mandelbaum Verlag, Wien.

aus Vorwärts/Schweiz 27/28 2015, 23.10. 2015

http://www.vorwaerts.ch

Peter Nowak