Recherchieren statt diffamieren

Linke Gruppen haben sich Regeln zum Outing von V-Leuten gegeben. Das soll falschen Verdächtigungen vorbeugen
Anschuldigungen müssen bewiesen werden. Was vor Gericht selbstverständlich ist, gilt in der linken Szene nicht unbedingt, wenn es um Spitzel geht. Ein Kodex soll das ändern.

Sehr bürokratisch hört sich der Titel eines Textes an, der von mehreren linken Gruppen in Berlin unterschrieben und kürzlich veröffentlicht wurde: »Richtlinien zum Outing von Spitzeln in linken Zusammenhängen.« Gleich am Anfang wird darin festgestellt: »Vermutungen über angebliche Spitzel dürfen auf keinen Fall leichtfertig in die Welt gesetzt und verbreitet werden. Denn solche Gerüchte erzeugen Unruhe, Misstrauen und politische Spaltungen.« Eine Gruppe, die Spitzelvorwürfe erhebe, müsse sich Nachfragen stellen und Kontaktmöglichkeiten anbieten. Zudem müsse ein Spitzelouting eindeutige Beweise enthalten. Berichte vom Hörensagen hätten dort nichts zu suchen.

Die ungewöhnliche Regelungsoffensive hat ein Vorspiel. Vor einem Jahr hatte eine autonome Gruppe auf der linken Internetplattform Indymedia eine Person aus der Antifaschistischen Linken Berlin (ALB) verdächtigt, die Szene für den Verfassungsschutz auszuspionieren. Angeblich habe die Betroffene die Vorwürfe zugeben, hieß es in dem Text. Zudem seien einige Mitglieder der ALB über die Vorwürfe informiert worden. Die ALB bestreitet das jedoch. Man sei weder kontaktiert noch anderweitig informiert worden. »Insofern wurden uns bislang auch keine Beweise, die diesen Vorwurf untermauern, vorgelegt«, erklärte die Berliner Antifagruppe im März 2012. Einige Wochen und zeitaufwendige Recherchen später ist die ALB überzeugt, dass die Spitzelvorwürfe falsch waren. »Niemand hat Beweise vorgelegt und wir haben durch eigene Recherche keine gefunden«, lautet ihr Fazit. Für sie ist die Sache damit vom Tisch.

Aus Sicht des Berliner Ermittlungsausschusses (EA) sind sie hingegen ungeklärt. Die linke Rechtshilfestruktur kritisiert die anonyme Anklage ebenfalls: »Ein Spitzelouting auf einer Plattform wie Indymedia, ohne ansprechbar zu sein, ist vollkommen inakzeptabel. Um ein Spitzelouting unangreifbar zu machen, hätten zudem veröffentlichbare Beweise gesichert werden müssen.« Der EA appelliert an beide Seiten, weitere Kampagnen gegen die denunzierte Person ebenso zu unterlassen wie Nachforschungen über die ominöse autonome Gruppe, die die Anschuldigung in die Welt setzte. Für den EA handelt es sich dabei entweder um einen Kreis von gut über die linke Szene informierten V-Leuten oder um eine Diffamierungskampagne von Menschen, die gut in die linke Szene integriert sind. Der EA schließt jedoch auch nicht aus, dass die autonome Gruppe als linke Struktur tatsächlich existiert.

Als gelungenes Beispiel für die Enttarnung eines V-Mannes gilt vielen hingegen der Fall von Simon B. Zwei bekannte linke Gruppen in Heidelberg hatten den Kontakt Ende 2010 öffentlich gemacht. Sie legten Beweise vor und verfassten Pressemitteilungen. Ein solches Vorgehen soll durch die Richtlinien gefördert werden, hoffen die unterzeichnenden Gruppen.

Der Streit über den Umgang mit Spitzelvorwürfen in linken Zusammenhängen ist nicht neu. Der Historiker Markus Mohr hat vor einigen Jahren eine kleine Sozialgeschichte des Spitzels herausgegeben. Darin beschreibt er auch, wie Spitzelvorwürfe in der linken Geschichte immer wieder genutzt wurden, um politische Kontrahenten zu diskreditieren.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/819698.recherchieren-statt-diffamieren.html

Peter Nowak