„Ich bin so wütend, dass ich dieses Schild gemalt habe“

Berlin: Occupy-Proteste mit großer Beteiligung, aber ohne Verbindung zur konkreten Situation

Mögen die Veranstaltungen zum globalen Antikrisentag am 15. Oktober insgesamt eher schwach besucht  gewesen sein, so traf das für Berlin nicht unbedingt zu. Rund zehntausend Menschen hatten sich am frühen Nachmittag zu einer Demonstration versammelt, die vom Alexanderplatz zum Bundeskanzleramt ziehen sollte. Kurz vor dem Ziel verließ die Menge die angemeldete Route und besetzte den Platz vor dem Reichstag. Auch der Pfeffersprayeinsatz der überraschten Polizei konnte die Menge nicht aufhalten. Bald herrschte am Platz zwischen Kanzleramt und Reichstag im spätherbstlichen Sonnenschein Feierlaune. Einige sahen den Jongleuren bei der Arbeit zu, andere ließen große Seifenblasen platzen, die wohl die Finanzblasen symbolisieren soll.

Als am späten Abend immer noch mehrere hundert Menschen auf den Rasen saßen und auch keine Anstalten machten, ihn zu verlassen, begann die Polizei mit der Räumung. Schon zuvor hatte die Polizei Decken und warme Kleidung beschlagnahmt und alle Versuche, Zelte auf der Wiese aufzubauen, unterbunden.

Kaum innenpolitische Auswirkungen

„Ich bin so wütend, dass ich dieses Schild gemalt habe.“ Ob der Spruch, den eine Frau auf ein Stück Pappe geschrieben hat, ironisch gemeint war? Jedenfalls charakterisiert es den Protest recht gut. Zum Schildermalen reicht die Wut, aber weiter?

Auch gegen wen sich die Wut richtete, war nicht so klar. Reden gab es keine, auch Flugblätter waren eher dünn gesät. „Brecht die Macht der Banken und Konzerne“, lautete die häufig skandierte Parole. Andere Teilnehmer betonten im Gespräch, dass sie eigentlich zufrieden wären, wenn es wieder eine soziale Marktwirtschaft gäbe. Schließlich war der Aufruf für den Aktionstag so breit gefasst, dass im Grunde wirklich die viel zitierten 99% der Bevölkerung irgendwie damit einverstanden sein konnten.

Deswegen durfte es auch nicht zu konkret werden. So fehlte jeder Bezug zum Arbeitskampf bei der Charité Facility Management, obwohl sich einer der Standorte in unmittelbarer Nähe der Demonstration befindet und die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di zwei Stunden vor Beginn der Antikrisendemo auf der gleichen Route eine Solidaritätsdemonstration für die Streikenden organisiert hat. Anders als in den USA, Israel und auch in verschiedenen anderen Ländern hapert es hierzulande mit der Kooperation zwischen den Krisenprotesten und gewerkschaftlichen Gruppen.

Ein zentraler Grund liegt im Fehlen von Organisationen, die eine Verbindung herstellen können. Das war vor einigen Jahren die zentrale Aufgabe der Sozialforen, die aber in letzter Zeit stark an Bedeutung verloren haben, ebenso wie die Antikrisenbündnisse. Es ist fraglich, ob die Proteste des 15.Oktober diesen Organisationen neues Leben einhauchen. Schließlich hätte ein Aufruf des Antikrisenbündnisses nie eine solche Resonanz gehabt.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/150641

Peter Nowak