Kein Durchkommen

Nach erstem Urteil demonstrieren über 100 Nachbarn gegen Zwangsräumung

Noch läuft die Berufung, aber schon jetzt protestieren Nachbarn in der Reichenberger Straße gegen die Zwangsräumung einer fünfköpfigen Familie.

Kämpferische Stimmung herrschte am Samstagnachmittag auf einer Protestkundgebung in Kreuzberg. Mehr als 120 Menschen hatten sich an der Reichenbergerstraße 73 versammelt, darunter viele Nachbarn. Sie reagierten mit Empörung auf die Kündigung, mit der eine fünfköpfige Familie ihre Wohnung in dem Haus verlieren soll. Grund war ein zivilrechtlicher Streit zwischen den Mietern und den Betreibern der Pizzeria im Erdgeschoss. Weil dadurch der Hausfrieden gestört worden sei, wurde die Kündigung ausgesprochen. In der ersten Instanz hat das Landgericht der Kündigung stattgegeben. Die Mieter haben Berufung eingelegt.

Doch das Bündnis »Zwangsräumungen gemeinsam verhindern« will sich nicht auf den Rechtsweg verlassen. »Vor einen Jahr konnte die Polizei ganz in der Nähe nur unter großen Widerstand die Zwangsräumung gegen Familie Gülbol durchsetzen«, erklärte ein Aktivist. Ihre Kündigung war vom Gericht durch alle Instanzen bestätigt. »Menschen mit geringem Einkommen sollen aus dem Stadtteil verdrängt werden«, meinte ein älterer Mann. Die Reichenbergerstraße 73 ist für ihn genau so ein Beispiel: »In dem Haus haben sich die Mieter in der letzten Zeit gegen falsche Betriebskostenabrechnungen, Mieterhöhungen und Kündigungen wehren müssen«. Die Probleme hätten angefangen, als die Familie Brenning das Haus erwarb. Sie besitzt mehrere Immobilien, nicht nur in Berlin. Der Rechtsanwalt Ernst Brenning ist CDU-Politiker und stellvertretender Kuratoriums-Vorsitzender der Schulstiftung Evangelischer Schulen Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Auch eine Immobilie in der Kollwitzstraße 43 gehört ihm. Dort musste Brenning jedoch eine Niederlage hinnehmen: Das Oberverwaltungsgericht hob die Genehmigung für einen Anbau nachträglich auf, weil er zu dicht an den Nachbargrundstücken gestanden hat. Der Neubau musste nach einem jahrelangen Rechtsstreit abgerissen werden.

Auch in Kreuzberg wollen die Mieterinitiativen die Pläne Brennings stoppen. Auf der Kundgebung wurde deutlich, wie viele Menschen in der Gegend Angst vor Verdrängung haben. In zahlreichen Häusern in der Nachbarschaft gibt es Konflikte mit den Eigentümern. So berichteten Bewohner der Reichenbergerstraße 72a, dass in ihrem Gebäude die Zahl der Eigentumswohnungen zunimmt. Viele Mieter seien schon ausgezogen. Eine 65-Jährige aber, die dort seit Jahren wohnt, weigerte sich und hat gerade vor Gericht Recht bekommen. Sie habe vor allem Glück gehabt, erzählt sie, weil die Kündigung so offensichtlich fehlerhaft war.

Die Organisatoren freuten sich über die rege Beteiligung an der Kundgebung. »Wenn wir schon nach dem ersten Räumungsurteil so viele Menschen mobilisieren konnten, ist das ein gutes Zeichen.« Sollte ein Räumungstermin festgesetzt werden, sei für den Gerichtsvollzieher hier kein Durchkommen, rief eine Mieterin unter großen Applaus.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/923509.kein-durchkommen.html

Peter Nowak

Trommeln gegen Räumung

MIETEN Nach der Kündigung einer fünfköpfigen Familie in Kreuzberg versammeln sich Anwohner und Aktivisten zu einer Kundgebung

Ein Hauch von Vorfrühling wehte am Samstagnachmittag durch die Reichenberger Straße in Kreuzberg. Es wurde getrommelt und jongliert, bei milden Temperaturen saßen viele TeilnehmerInnen auf Bänken und hörten RednerInnen zu: AnwohnerInnen und AktivistInnen des Bündnisses „Zwangsräumung gemeinsam verhindern“ hatten sich zu einer Kundgebung versammelt. Sie hatten mobilisiert, nachdem das Landgericht der Kündigung einer fünfköpfigen Familie in der Reichenberger Straße 73 stattgab (die taz berichtete). Der Grund ist ein zivilrechtlicher Streit mit der Betreiberin einer Pizzeria im Erdgeschoss. Dadurch werde der Hausfrieden gestört, so das Gericht. Die MieterInnen gingen in Berufung.

Doch die Kündigung hat die AnwohnerInnen alarmiert, wie sich auf der Kundgebung zeigte. Ein Redebeitrag ging auf den Eigentümer des Hauses ein, mit dem die gekündigte Familie seit Jahren Konflikte hatte. Der Anwalt und CDU-Politiker besitze mehrere Immobilien in Berlin und Potsdam, so der Redner. Auch BewohnerInnen umliegender Häuser meldeten sich mit Kurzbeiträgen zu Wort. So berichteten NachbarInnen, dass in ihrem Haus die Umwandlung in Eigentumswohnungen voll im Gange sei, viele MieterInnen seien bereits ausgezogen. Eine 65-jährige Bewohnerin habe sich geweigert und kürzlich vor Gericht recht bekommen: Die Kündigung sei fehlerhaft gewesen.

Eine Aktivistin des Bündnisses „Zwangsräumungen gemeinsam verhindern“ zeigte sich erfreut über die rege Beteiligung an der Kundgebung. „Wenn wir schon nach dem ersten Räumungsurteil so viele Menschen mobilisieren können, ist das ein gutes Zeichen. Sollte ein Räumungstermin festgesetzt werden, ist für den Gerichtsvollzieher hier kein Durchkommen“.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2014%2F02%2F10%2Fa0112&cHash=961ad98de2800c268609142845d31ea8

Peter Nowak