Rechten Taten auf der Spur

Berliner Gruppe prüft und zählt Übergriffe in Sachsen

»Gersdorf – Heil Hitler rufende Gruppe verprügelt Anwohner«, »Pirna – brutaler Angriff auf Asylsuchende mit abgebrochenem Flaschenhals«, »Altenberg – Nazi mit Stahlhelm und Hakenkreuz greift Geflüchtete an«. Das sind drei von 107 rechten Vorfällen in den letzten 2 Monaten in Sachsen. Sie sind auf einer Liste zu finden, die die ehrenamtlich arbeitende Antirassistischen Initiative Berlin (ARI) kürzlich unter www.ari-berlin.org ins Netz gestellt hat. Die Berliner Gruppe gibt es seit 1993. Bekannt wurde sie durch ihre alljährlichen Dokumentationen zur deutschen Flüchtlingspolitik.

Der Anstoß zur aktuellen Recherche kam durch die offene rassistische Gewalt in Bautzen und Clausnitz am vorletzten Wochenende. »Neben Zeitungsartikeln haben wir die Mitteilungen aller Polizeidienststellen in Sachsen gelesen und ausgewertet. Danach gab es vom 1. Januar bis zum 22. Februar 2016 107 rechte Vorfälle«, erklärt ARI-Mitarbeiter Carsten Wolf gegenüber »nd«. Der Schwerpunkt der rechten Gewalt seien die sächsischen Regionen Chemnitz, Erzgebirge und Bautzen gewesen. Hier habe es neben rechten Propagandadelikten auch Anschläge und Überfälle gegeben.

Nur wenige der aufgelisteten Fälle wurden von den Medien aufgegriffen. Dazu gehört der Angriff auf einen zwölfjährigen Flüchtling aus Irak in Limbach-Oberfrohna, der es nur in die Lokalzeitung schaffte, weil sich der städtische Präventionsbeauftragte Dietrich Oberschelp empört über die Attacke auf ein Kind zeigte und die Familie beim Formulieren der Anzeige unterstütze.

Die meisten rechten Vorfälle werden dagegen auch in den Lokalmedien nicht erwähnt. Verantwortlich dafür sind laut Carsten Wolf von der ARI vor allem die Polizeiberichte. Dort würden rassistische Übergriffe »häufig entpolitisiert oder schlichtweg verharmlost, oft findet eine Täter-Opfer-Verwischung statt«. So vermeldet der Polizeibericht am 3. Februar »eine tätliche Auseinandersetzung in der Straßenbahn« in Chemnitz. Die Herkunft des Täters aus dem rechten Milieu wird dort nicht erwähnt und wurde erst von der ARI recherchiert. Die Gruppe veröffentlichte den Vorfall auf der von ihr erstellten Liste unter der Überschrift: »Chemnitz-Helbersdorf – Neonaziüberfall in Straßenbahn«.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1003524.rechten-taten-auf-der-spur.html

Peter Nowak

Rechte Alltagsgewalt in Sachsen

Eine zivilgesellschaftliche Initiative hat Vorfälle rechter Gewalt in Sachsen in den letzten 2 Monaten dokumentiert

Nach den rassistischen Übergriffen in Clausnitz und Bautzen hatte sich kurzzeitig der Fokus auf die rechte Szene in Sachsen gerichtet. Es gab Parlamentsdebatten, in denen Redner der Oppositionsparteien auch die Politik und Rhetorik der sächsischen Christdemokraten mit für die rechten Aktivitäten verantwortlich gemacht haben. Auch zivilgesellschaftliche Gruppen übten ähnliche Kritik. Andere hatten deshalbdie Einladung der sächsischen Landesregierung ausgeschlagen, die an dieUnterstützer der Geflüchteten gegangen ist.

Die Vorfälle von Clausnitz und Bautzen waren keine Ausnahmen. Im Gegenteil. Die Antirassistische Initiative Berlin [1] hat eine Recherche [2] zu rechten Vorfällen im Jahr 2016 in Sachsen durchgeführt. Neben Zeitungsartikeln haben die ehrenamtlich arbeitenden Mitarbeiter der ARI-Mitteilungen aller sächsischen Polizeidienststellen gelesen und ausgewertet. Nach dieser Recherche gab es in den 53 Tagen vom 1. Januar bis zum 22. Februar 2016 107 rechte Vorfälle in dem Freistaat. Schwerpunkte rechter Gewalt in diesem Zeitraum sollen die Regionen Chemnitz/Erzgebirge und Bautzen gewesen sein. In diesen drei Regionen häuften sich zahlreiche rechte Propagandadelikte, Überfälle und Anschläge.

Die ARI hat sich seit Jahren einen Namen mit ihrer kontinuierlichen Recherche über Gewalt gegen Flüchtlinge [3] in Deutschland einen Namen gemacht. Seit 1993 dokumentiert [4] sie jährlich die bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen.

Die von der ARI jetztins Netz gestellte Liste der rechten Gewalt ist besonders verdienstvoll, weil die Quellen immer mit angegeben sind, so dass die Angaben überprüft werden können. So findet sich im Polizeiticker vom 14.3. unter den Meldungen über ein entwendetes Versicherungskennzeichen, einen Garageneinbruch und einen Gullideckel auf der Fahrbahn auch folgende Meldung:

„Körperverletzung

Gersdorf – (md) Am Samstag kam es gegen 23:45 Uhr auf der Hauptstraße vor dem Hausgrundstück 272 zu einer Körperverletzung. Als der 30-jährige Geschädigte sein Grundstückstor schließen wollte, bemerkte er eine Personengruppe, welche aus Richtung Netto-Markt gelaufen kam. Dabei riefen mehrere Personen laut „Heil Hitler“. Als die Personengruppe in Höhe des Geschädigten war, schlug ein bisher unbekannter Täter gegen das Kinn des 30-Jährigen. Als dieser um Hilfe rief, schlug ein weiterer unbekannter Täter gegen die linke Stirn des 30-Jährigen. Dadurch kam der Geschädigte zu Fall und schlug mit dem Hinterkopf gegen einen Metallpfosten. Hierbei zog er sich eine Kopfplatzwunde zu, welche ärztlich behandelt werden musste.“

Viele der Vorfälle schafften es nicht einmal in die Lokalpresse. Am 4.2. vermeldete der Polizeiticker „eine tätliche Auseinandersetzung in der Straßenbahn“. Jeglicher Hinweis auf einen rechten Hintergrund unterbleibt, obwohl die Beschreibung des Täters im Bericht einen Bezug zum rechten Milieu naheliegt. Konkreter ist ein Polizeibericht [5] über einen Vorfall am 17.1. in Altenberg verfasst, wo ein Mann mit einem Hitlerbärtchen und einem Hakenkreuz am Helm zwei Männer aus Afghanistan beleidigte und schlug.

In Limbach-Oberfrohna war ein 12-Jähriger aus dem Irak von zwei Jugendlichen angegriffen und getreten worden. Dieser Vorfall schaffte es in die Lokalzeitung [6], weil sich auch städtische Angestellte empört über den Angriff auf ein Kind zeigten und die Familie auch bei der Formulierung einer Anzeige unterstützen. Die meisten der rechten Angriffe werden aber selbst von den Lokalzeitungen nicht aufgegriffen. Die überregionale Presse nahm natürlich auch keine Notiz davon. So ist es auch nicht verwunderlich, dass die ARI-Mitarbeiter monieren, dass viele dieser Vorfälle in der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen werden.

Eine weitere Kritik der ARI geht an die Verfasser der Polizeiberichte. Rassistische Übergriffe würden als solche nicht benannt, häufig entpolitisiert und verharmlost. Wenn von Auseinandersetzungen zwischen zwei oder mehreren Personen die Rede ist und rassistische Aspekte gar nicht erwähnt werden, ist es auch nicht verwunderlich, dass die Medien darüber nichts berichten.

Mit Schwein und Stein gegen Moschee

Auch rechte Angriffe, deren politische Hintergründe auf der Hand liegen, bekommen oft nicht genügend Aufmerksamkeit. Dazu gehört ein Angriff [7]auf ein Moscheegelände in Leipzig-Gohlis. Unbekannte warfen ein totes Schwein mit der Aufschrift „Mutti Merkel“ auf das Areal.

Allerdings gab es auch Steinwürfe auf ein Gebetshaus im hessischen Florstadt. Das macht einmal mehr deutlich, dass es sich bei den rassistischen Umtrieben um kein rein sächsisches, sondern ein gesamtdeutsches Problem handelt. Daher wäre begrüßenswert, dass in allen Bundesländern ähnliche Rechercheteams entstehen, die rechte und rassistische Gewalt dokumentieren.

http://www.heise.de/tp/news/Rechte-Alltagsgewalt-in-Sachsen-3119878.html

Peter Nowak

Links:

[1]

http://www.ari-berlin.org/

[2]

http://www.ari-berlin.org/aktuelles/2016-Sachsen-rechte-Gewalt-2016.pdf

[3]

http://www.heise.de/tp/news/Gefaehrliche-Fluechtlingspolitik-2000310.html

[4]

http://www.ari-berlin.org/doku/titel.htm

[5]

http://www.polizei.sachsen.de/de/MI_2016_40435.htm

[6]

http://www.freiepresse.de/LOKALES/CHEMNITZ/Fluechtlingskind-angegriffen-artikel9441353.php

[7]

http://www.ahmadiyya.de/news/pressemitteilungen/art/mit-schwein-und-stein-angriffe-auf-ahmadiyya-einrichtungen-in-leipzig-und-florstadt