Beruf oder Berufung?

Krise der Medien
Tagelang wurde Ursula von der Leyen in den Medien als Bundespräsidentenkandidatin der Union gehandelt. Als es dann anders kam, blieb eine mediale Selbstkritik weitgehend aus, moniert Thomas Leif vom Netzwerk Recherche. Er bezeichnet den Fall als einen Tiefpunkt eines Journalismus, der sich auf anonyme Quellen aus der Politik verlässt ohne diese zu hinterfragen. Dass liege ganz im Trend eines Journalismus, der längst zu einer Tätigkeit statt zu einer Berufung geworden sei. Seine Kritik am Zeitgeistjournalismus äußerte Leif am Dienstagabend auf einer Veranstaltung der Linken Medienakademie (LIMA) und des Vereins Helle Panke im Taz-Cafe in Berlin. Bleibt im aktuellen Journalismus überhaupt noch Zeit für aufwendige Recherchen oder gehören diese journalistischen Methoden der Vergangenheit an, lautete die Frage.

Leif bleibt skeptisch. Vor allem bei den jüngeren Journalisten gebe es den Hang zum »Neonjournalismus«, der sich über viele Seiten darüber auslässt, wie man sich in der Badewanne fühlt, aber wenig Interesse für gesellschaftliche Probleme hat. Als Leif dann auch die Bloggerszene in ihrer gesellschaftlichen Funktion als maßlos überschätzt bezeichnet, widerspricht eine Teilnehmerin heftig und sprach von einer räsonierenden Altherrenrunde, die den modernen Journalismus nicht mehr verstehe. Diesen Vorwurf wies Leif mit Verweis auf die von ihm initiierten Recherchestipendien für junge Journalisten zurück.

Bei der Internetplattform Wikileaks, die bisher unveröffentlichte Dokumente ins Netz stellt, fänden sie ein großes Betätigungsfeld. Mit Daniel Schmitt saß das deutschsprachige Gesicht der weitgehend anonym arbeitenden Plattform auf dem Podium. Wikileaks verstehe ich nicht als Ersatz sondern als Ergänzung der übrigen Medien, betonte er. Die Plattform machte weltweit Furore, weil sie ein bisher geheimes Video über einen US-amerikanischen Luftangriff im Irak im Herbst 2007, bei dem auch Zivilisten umkamen, ins Netz stellte. Vor wenigen Tagen wurde ein US-Soldat verhaftet, der Wikileaks das Video zugespielt und später damit geprahlt haben soll. Mehr als 1000 Mitarbeiter rund um den Globus würden die Echtheit der zugespielten Dokumente prüfen, betonte Schmitt. So konnten schon manche gefälschte Dokumente aufgespürt werden. Aber auch Schmitt ist sicher, dass die Kontrollen irgendwann versagen werden. Die Mitarbeiter von Wikileaks arbeiten in der Regel ohne Bezahlung.

Dass die meisten Medienschaffenden von ihrer Arbeit leben müssen und schon deshalb für zeitaufwendige Recherchen wenig Kapazitäten haben, wurde in der Runde kaum angesprochen. Nur Christian Bommarius von der »Berliner Zeitung« verwies auf den Alltag im Zeitungsbetrieb, der oft wenig Raum für zeit- und geldaufwendige Recherchen lässt. Leider musste ver.di-Gewerkschafterin Maria Kniesburge, die über die oft prekären Arbeitsbedingungen der Medienschaffenden reden sollte, wegen Krankheit absagen. Sie hätte sicher manche herablassende Bemerkung über Journalisten, die nur für ihr Honorar schreiben und mancher idealistischen Phrase vom Journalismus als Berufung statt Beruf, mit Fakten gekontert.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/172775.beruf-oder-berufung.html

Peter Nowak

Verhaftete Recherchehelfer und selbstgemachte Verliese der Journalisten

Der Whistleblower für Wikileaks wurde in den USA verhaftet. In Berlin diskutierten Journalisten über den Fall und die Fallen, in der Journalisten sitzen, wenn es um Recherche geht
Die Internetplattform Wikileaks machte international Furore, als sie ein bisher geheimes Video über einen Hubschraubereinsatz von US-Soldaten, bei dem im Herbst 2007 im Irak auch Zivilisten starben, ins Netz stellte. Auf dem Video ist zu sehen, wie zwei Fotojournalisten von den Soldaten getötet werden (siehe „Schieß weiter, schieß weiter, schieß weiter, keep shoot’n“). Einer, als er schon verwundet abtransportiert werden sollte, und sich die Soldaten hinterher beglückwünschten.

Jetzt hat das Video für den 22jährigen US-Soldaten Bradley Manning juristische Folgen. Er wurde festgenommen, nicht weil er an der Schießerei beteiligt war, sondern weil er das Video und weitere als geheim klassifizierte Informationen an Wikileaks weitergeleitet haben soll. Ein ehemaliger Hacker, dem er sich anvertraute, sah die nationale Sicherheit in Gefahr und informierte die Behörden.

Der Fall machte einmal mehr die Gefahren deutlich, denen Menschen auch in demokratischen Ländern ausgesetzt sind, wenn sie Missstände öffentlich machen. Allerdings wurde dieser aktuelle Fall nur kurz erwähnt, bei der von der Linken Medienakademie und dem Verein Helle Panke am Dienstagabend im Berliner Taz-Cafe organisierten Diskussionsrunde zum Thema [http://www.rosalux.de/stiftung/veranstaltungsdetail/cal/event/2010/06/08//tx_cal_phpicalendar/recherchieren-ist-eine-zier-mehr-verdient-man-ohne-ihr/view-list%7Cpage_id-20280.html“ Recherchieren ist eine Zier, mehr verdient man ohne ihr?“]. Unter dem Alias-Namen Daniel Schmitt saß das deutschsprachige Gesicht von Wikileaks mit am Tisch. Die Plattform wolle eine Ergänzung zu den übrigen Medien sein, betonte er.

Sind die Neonjournalisten das Problem?

Thomas Leif vom Netzwerk Recherche konzedierte ihr diese Rolle widerwillig und ging dabei hart mit jungen „Neonjournalisten“ ins Gericht, die lieber viele Seiten über das Wohlfühlen in der Badewanne vollschreiben, als sich gesellschaftlichen Problemen zu widmen. Eine Publikumsteilnehmerin mokierte sich daraufhin über die räsonierende Altherrenrunde, die den modernen Journalismus nicht verstehe. Leif verwies dagegen auf die von ihm initiierten Recherchestipendien für junge Journalisten.

Damit hätte man zu der Frage kommen können, ob die Arbeitsbedingungen der meisten Journalisten zeit- und geldaufwendige Recherchen überhaupt zulassen. Sind nicht die auch in der Diskussionsrunde als Vorbilder für einen investigativen Journalismus erwähnten „Edelfedern“ einiger großer Zeitungen dafür das beste Beispiel, weil sie durch ihre besonderen Arbeitsbedingungen die Zeit und das Geld haben, das der Mehrheit der weniger bekannten Kollegen für aufwendige Recherchen fehlt?

Christian Bommarius von der Berliner Zeitung bejahte diese Frage mit seinen Verweis auf den Alltag im Zeitungsbetrieb, wo der Redaktionsschluss und die finanzielle Mitteln die Grenzen setzen.

Leider musste Maria Kniesburge von der Gewerkschaftszeitung verdi-publik wegen einer Erkrankung ihre Teilnahme an der Diskussion absagen. Sie hätte sicher einiges zu den überwiegend prekären Arbeitsbedingungen der Medienschaffenden, die vielkritisierten Neonjournalisten nicht ausgenommen, sagen können. Vielleicht hätte sie auch manche herablassende Bemerkung über Journalisten, die nur für ihr Honorar schreiben und der idealistischen Phrase vom Journalismus als Berufung statt Beruf mit Fakten gekontert. 
 http://www.heise.de/tp/blogs/6/147783

Peter Nowak