Für Ökosozialismus und gegen jede Diskriminierung: politische Debatten auf Frühlingsfest der Luxemburg-Stiftung

Grüne und »woke« Linke: ja bitte!

Ein Panel befasste sich am Abend mit der Frage, ob die Linke »woke« sein muss. Moderatorin Amina Aziz erinnerte daran, dass der Begriff Wokeness (Wachsamkeit bzw. Aufmerksamkeit) in der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung der USA schon in den 1920er Jahren entstanden ist. Man umschrieb damit ein geschärftes Bewusstsein für soziale Ungerechtigkeit und Rassismus. Und vielleicht, so Aziz, sei die Arbeiterbewegung schon im 19. Jahrhundert »woke« gewesen, denn schon im Refrain der Internationale von 1871 heiße es: »Wacht auf, Verdammte diese Erde«.

»Ich freue mich schon so auf den Frühling, das einzige, was man nie satt kriegt, solange man lebt, was man im Gegenteil mit jedem Jahr mehr zu würdigen und zu lieben versteht«, schrieb Rosa Luxemburg im Januar 1918. Das Zitat spielte auf dem Frühlingsfest der nach der Kommunistin benannten Stiftung insofern eine Rolle, als dort auch ein Theaterstück über die charismatische Politikerin aufgeführt wurde – wenn auch eines über ihre »menschliche« Seite und ihre Leidenschaft für Pflanzen und Vögel, basierend auf ihren Briefen aus dem Gefängnis. Jenseits der Aufführung dominierten aber aktuelle politische Fragen mehrere Diskussionsveranstaltungen am Berliner Franz-Mehring-Platz, die von vielen jüngeren Menschen besucht wurden. Besonders großer Andrang herrschte bei der Diskussionsrunde zu der Frage …

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Lukas Meisner: Medienkritik ist links. Warum wir eine medienkritische Linke brauchen. Das Neue Berlin, 154 S., br., 16 €.

Linke Medienkritik: Jenseits von Lügenpresse

Lukas Meisner legt ein wichtiges Plädoyer für eine linke Medienkritik vor, versteigt sich jedoch in manch konservative Kulturkritik

Vielleicht finden sich im hinteren Winkel manches Kleiderregals in linken Hausprojekten noch T-Shirts mit der Parole »Taz lügt«. Vor 30 Jahren wollten sich Aktivist*innen der außerparlamentarischen Linken von den Grünen und den ihnen nahestehenden Medien abgrenzen. Ihre Parole war auch eine Antwort auf die Kampagne »Bild lügt«, die über Jahrzehnte von Linken und Linksliberalen unterstützt wurde. Indem auch die »Taz« mit dem unterkomplexen Vorwurf der Lüge belegt wurde, sollte deutlich gemacht werden, dass die wohlfeile Kritik am Springer-Konzern und seinen Zeitungen nicht ausreicht. Es brauchte, so viel schien der Linken klar zu sein, eine grundlegende Kritik der Medien in der kapitalistischen Gesellschaft. Es ist nicht verwunderlich, dass viele Linke an diese Parole heute nicht mehr erinnert werden wollen. Schließlich ähnelt sie dem auf rechtsoffenen Demonstrationen lauthals skandierten Vorwurf der Lügenpresse. Das Anliegen einer linken Medienkritik ist damit freilich nicht erledigt. Die Konsequenz kann nicht sein, die von rechts angegriffenen Medien umstandslos zu verteidigen. Daher ist es begrüßenswert, dass der Soziologe Lukas Meisner im Verlag Das Neue Berlin sein Buch …

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Plädoyer für einen differenzierten Blick und eine Perspektive für Partizipation der Bevölkerung statt den Fokus auf die Wahlen zu richten

Können die Linksregierungen in Lateinamerika noch ein Bezugspunkt sein?

Müsste es nicht analog zu den Unteilbar-Demonstrationen gegen die Rechte in Deutschland globale Unteilbar-Aktivitäten auch einen Morales und einen Maduro als Bündnispartner gegen die Rechte willkommen heißen?

In den frühen 1920er Jahren sorgten einige Bücher von Russlandreisenden für Aufmerksamkeit und oft für viel Abwehr. Verfasst hatten sie Linke, die oft mit großer Begeisterung in das nachrevolutionäre Russland bzw. die Sowjetunion gegangen sind und dann durch die politische Entwicklung enttäuscht wurden.

Sie wollten irgendwann nicht mehr schweigen und wurden so zu leidenschaftlichen Kritikern des Staates, dem sie so viel Hoffnung entgegengebracht hatten. Als Beispiele seien nur die Schriften von Emma Goldmann und Alexander Berkman genannt. Wie nah bei ihm Hoffnung und abgrundtiefe Enttäuschung zusammenhingen, hat Bini Adamczak in ihren Büchlein „Der schönste Tag im Leben des Alexander Berkman“beschrieben. Das war der Tag, an dem der US-Anarchist die Sowjetunion betrat. Für ihn blieb es auch dann noch der schönste Tag, als er längst die politische Entwicklung in der SU heftig kritisierte. In diese Tradition kann man das aktuelle Buch von Matthias Schindler stellen, das den Titel „Vom Triumph der Sandinisten zum demokratischen Aufstand“trägt und in dem Verlag „Die Buchmacherei“ herausgegeben wurde. Er ist eine gute Adresse für dissidente Linke. In dem Buch rechnet der langjährige Unterstützer …..

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Decio Machado / Raúl Zibechi: Die Macht ergreifen, um die Welt zu ändern? Eine Bilanz der lateinamerikanischen Linksregierungen. Realität der Utopie 4. Übersetzt von Raul Zelik, Bertz + Fischer, Berlin 2019, 220 Seiten, 12 Euro, ISBN 978-3-86505-755-6

Linke Alternativen?

Der Stellenwert der Basisbewegungen im bolivarischen Venezuela bleibt in dem Buch von Machado/Zibechi offen. Sie erwähnen die Arbeiten von Dario Azzellini, der in verschiedenen Büchern und Filmen eine starke Rolle dieser linken Basisbewegungen festgestellt hat. Da wäre eine genauere Analyse ebenso angebracht.

Es ist kaum ein Jahrzehnt her, da machten sich nicht wenige Menschen hierzulande Hoffnungen auf einen neuen weltweiten linken Aufbruch, der von Lateinamerika ausgeht. Schließlich hatten sich dort Ende der 1990er Jahre Entwicklungen abgespielt, die unterschiedlichen Spektren der Linken Hoffnung machten. In Brasilien wurden die Sozialdemokrat*innen stärkste Partei und mit Lula wurde ein Metallarbeitergewerkschaftler, der gegen die Militärherrschaft aktiv war, Präsident. Auch in Uruguay und Ecuador gab es scheinbar nach Massendemonstrationen progressive Regierungsbündnisse.In Venezuela schien die Regierung von Hugo Chávez sogar ….

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ne kritische Bilanz der lateinamerikanischen Linksregierungen. Von Peter Nowak

Von Macht ergriffen

Decio Machado/Raúl Zibechi: Die Macht ergreifen, um die Welt zu ändern? Eine Bilanz der lateinamerikanischen Linksregierungen. Übersetzung von Raul Zelik. Bertz + Fischer, 220 S., brosch., 12 €.

Nachdem Hugo Chavez 1998 seine erste Wahl gewonnen hatte, geriet der Neoliberalismus in Lateinamerika in die Defensive. Wie Dominosteine fiel eine rechte Regierung nach der anderen. In den beiden größten Ländern des Subkontinents wurden diese durch mehr oder minder sozialdemokratische Regierungen ersetzt, während in Venezuela, Ecuador oder Bolivien Kräfte an die Macht kamen, die sich noch weiter links verorteten. Inzwischen aber läuft der Roll-Back. Argentinien und Brasilien sind gekippt – und nicht nur in Venezuela stehen jene Linksregierungen unter Druck. Sicher spielt dabei eine massive äußere Einflussnahme eine wichtige Rolle. Doch sollte das nicht den Blick auf die Praxis dieser Regierungen in den vergangenen anderthalb Dekaden verstellen. In Buchform haben nun Raúl Zibechi und Decio Machado eine solche Bilanz vorgelegt – und zwar aus einer….

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Kommentar zum "bundesweiten Signal" für eine Koalition aus SPD, Grünen und Linkspartei

Bremen: Der Mythos von den Mehrheiten links von der Union

Mal nannte man es Crossover, mal Mosaiklinke, der Mythos von der angeblichen parlamentarischen Mehrheit links von Union und FDP ist nicht totzukriegen. Dabei schafft es nur einige Pöstchen für linke Funktionäre

Der Stadtstaat Bremen ist das kleinste Bundesland und traditionell eher linksreformistisch ausgerichtet. Trotzdem wird jetzt von manchem Reformpolitiker der Linken von dort ein Signal für eine Koalition aus SPD, Grünen und Linkspartei gesehen. Dabei haben die Bremer Grünen nur die Empfehlung gegeben, in Bremen Koalitionsverhandlungen mit SPD und Linken aufzunehmen.Rechnerisch wäre auch ein Bündnis mit CDU und FDP möglich, zumal die CDU erstmals in Bremen die SPD stimmenmäßig überholt hat und einen Spitzenkandidaten mit einer Hippievergangenheit aufgeboten hat. Doch Kommentatoren erwarteten schon nach der Wahl, dass es in Bremen eher…

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Buchtipp: Raul Zelik: Spanien. Eine politische Geschichte der Gegenwart

Es ist schon einige Jahre her, als Spanien an der Spitze einer EU-weiten Protestbewegung gegen die wesentlich von Deutschland ausgehende Austeritätspolitik stand. Massendemonstrationen und Platzbesetzungen in vielen spanischen Städten wurden zum Vorbild für Proteste in anderen europäischen Ländern.
Besonders wichtig war, dass in Spanien auch die gewerkschaftlichen Aktivitäten spürbar zunahmen. Höhepunkt war der transnationale Generalstreik am 12.November 2012, an dem sich Gewerkschaften aus Italien, Portugal, Griechenland und Zypern beteiligten. Hier hatten sich Ansätze einer europäischen Widerstandsbewegung entwickelt, die die Austeritätspolitik infragestellte.
Warum ging der Impuls für diese Bewegung damals vor allem von Spanien aus? Und warum konnte sich die Bewegung nicht ausbreiten? Das sind einige der Fragen, die der Politikwissenschaftler Raul Zelik in seinem neuen Buch Spanien – eine politische Geschichte der Gegenwart stellt und teilweise beantwortet. Zelik, der sich seit langem mit der linken Bewegung im Spanischen Staat beschäftigt, beginnt mit seiner Geschichtsbetrachtung Mitte der 70er Jahre, beim als transición bezeichneten Übergang vom faschistischen Francostaat zur bürgerlichen Demokratie, an dem sich die Kommunistische Partei Spaniens (PCE) maßgeblich beteiligte. Dieser Prozess ermöglichte den Institutionen des Franco-Regimes einen reibungslosen Übergang und führte zu einer massiven Enttäuschung der damals starken außerparlamentarischen Linken.
In den Folgejahren wechselten sich die Postfrankisten und die Sozialdemokraten an der Regierung ab. Marktliberalismus und Repression gegen die Reste einer linken Opposition waren die Kennzeichen der Politik beider Parteien. Ausführlich geht Zelik auf die von einer sozialdemokratischen Regierung unterstützten Todesschwadronen der GAL ein, die zwischen 1983 und 1987 in Südfrankreich 29 Menschen töteten, die dem Spektrum der baskischen Unabhängigkeitsbewegung zugerechnet wurden. «Die Attentate richteten sich gegen baskische Kneipen, JournalistInnen und Linke», beschreibt Zelik die Opfer des heute weitgehend vergessenen Staatsterrors in der Europäischen Gemeinschaft (EG). Repression und ein wirtschaftlicher Aufschwung auf Pump schien die linke Opposition in Spanien stillgelegt zu haben.
Doch nicht erst mit dem Bankenkrach und der Immobilienkrise begann die Rückkehr der Bewegungen, die Zelik mit viel Hintergrundwissen beschreibt. Die Bewegung V wie Vivenda mobilisierte bereits 2006 Tausende Menschen gegen die Wohnungsnot einkommensschwacher Mieter. «Die Bewegung, die diesen Zusammenhang sichtbar machte, entstand ähnlich wie fünf Jahre später die 15M: scheinbar aus dem Nichts», schreibt Zelik.
Fünf Jahre lang gab die 15M-Bewegung Impulse in viele europäische Länder. Zelik beschreibt Aufstieg und Niedergang der außerparlamentarischen Linken in Spanien sehr detailliert. Nachdem die Polizeirepression gegen die Platzbesetzungen immer massiver wurde, verlegten sich die Aktivisten auf den Kampf im Stadtteil.
Dort entstanden auch die Konzepte von kommunalen und später auch landesweiten Kandidaturen, um der Protestbewegung auch eine Stimme in den Parlamenten zu geben. So entstand die Partei Podemos, die mit der Parole «Den Himmel stürmen» ihre erste Wahlkampagne begann. Auf soviel illusionären Überschwang musste die Enttäuschung folgen, wenn die neue Partei in den Mühen der Ebenen reformistischer Realpolitik angelangt sein würde. Auch hier beschreibt Zelik kenntnisreich, wie schnell die Partei, die alles anders machen wollte, zu einer neuen Sozialdemokratie mutierte.
Im letzten Kapitel setzt sich Zelik differenziert mit dem Kampf der katalonischen Unabhängigkeitsbewegung auseinander. Dort sieht er viele emanzipatorische Potenziale, verschweigt aber auch die Gefahr nicht, dass am Ende nur ein bürgerlicher Nationalismus gestärkt werden könnte.
Zelik legt kein optimistisches, sondern ein realistisches Buch vor. Es ist nützlich, weil es Erfahrungen von Kämpfen mit ihren Erfolgen und Niederlagen zusammenfasst. Daraus können die zukünftigen Protestbewegungen lernen.

aus: SoZ, Sozialistische Zeitung

Buchtipp: Raul Zelik: Spanien. Eine politische Geschichte der Gegenwart

Buchtipp: Raul Zelik: Spanien. Eine politische Geschichte der Gegenwart
Berlin: Bertz+Fischer, 2018. 240 S., € 14

von Peter Nowak

Hartz-IV heißt in Italien jetzt Grundeinkommen

Mit dem „Dekret der Würde“ wird der Verarmung in Italien ein schöneres Etikett aufgeklebt

In den letzten Wochen hat Italiens Rechtsregierung vor allem durch flüchtlingsfeindliche Maßnahmen und Sprüche der Lega-Nord-Politiker Schlagzeilen gemacht. Vor allem Innenminister Salvini sorgt so immer wieder für Schlagzeilen und präsentiert sich erfolgreich als rechter Scharfmacher.

Dabei gerät in Vergessenheit, dass die Lega Nord eigentlich der kleinere Koalitionspartner ist. Die größere Regierungspartei ist die Fünf-Sterne-Bewegung (Movimento 5 Stelle – M5S), die sich brüstet, weder links noch rechts zu sein; sie gibt sich als Interessenvertreterin von prekär Beschäftigten aus, die in schnell bezahlten Arbeitsplätzen ohne Unterstützung großer Gewerkschaften leben.

Da die Pläne der Fünf-Sterne-Bewegung auch die Rücknahme einiger wirtschaftsliberaler Reformen der letzten Jahre beinhalteten, sahen EU-Gremien eine neue Krise heraufziehen. Der Regierungsantritt verzögerte sich um einige Tage, weil sich der italienische Staatspräsident als Interessenvertreter der Märkte gerierte und einen Minister wegen einiger eurokritischer Äußerungen ablehnte.

Einige Tage lang gab es den Versuch, einen EU-konformen Technokraten als italienischen Ministerpräsidenten zu installieren. Der Versuch scheiterte, weil der Kandidat das Vertrauen der EU-Gremien, aber keine Mehrheit im italienischen Parlament hatte. Zudem sahen die Eurokraten, dass ein solcher Coup sicher nicht das Vertrauen in die EU-Gremien stärken würde.

Zudem war die Lega Nord als durch und durch kapitalfreundliche Partei in dieser Frage auch ein objektiver Verbündeter der EU. Dass dann die Politiker dieser Partei in den ersten Wochen der neuen Regierung die Schlagzeilen bestimmten, sorgte für Empörung der flüchtlingsfreundlichen Milieus in ganz Europa, nicht aber auf EU-Ebene.

Schließlich ist es ein probates Mittel, soziale Forderungen zu neutralisieren, indem die Menschen mit Rassismus und Nationalismus davon überzeugt werden, dass sie nicht die Kapitalverhältnisse verändern sollen, sondern sich gegen die Menschen wenden, denen es noch schlechter geht. Ein solches Konzept funktioniert natürlich nur, wenn bei den Betroffenen schon die ideologische Disposition dafür vorhanden ist.

Versuche der Organisierung der Prekären von links

Das ist beim prekären Milieu zweifellos so. Von den großen Gewerkschaften nicht oder unzureichend vertreten, ist die Distanz zu den Traditionen der alten Arbeiterbewegung vorhanden. Vor ca. 20 Jahren versuchten Aktivisten der außerparlamentarischen Linken die Prekären in kapitalismuskritischem Sinne zu organisieren. Stichworte sind die Euromayday-Bewegung[1], die in Italien ihren Ausgang nahm[2] oder Aktivitäten wie San Prekaria[3].

Die Hoffnung der Linken bestand darin, dass hier Lohnabhängige, gerade weil sie nicht von den großen Gewerkschaften organisiert und damit auch in das repräsentative System eingehegt werden, offener für linke Vorstellungen der Selbstorganisierung sind. Es gab da durchaus Erfolge, solange die linke Bewegung in Italien und auch in den Nachbarländern im Aufschwung war.

Doch mit der massiven staatlichen Repression nach den G7-Protesten von Genua stieß die Bewegung an ihre Grenzen. Bald gab es einen massiven Rückgang der Aktivitäten. Neben der Repression waren auch die Mechanismen von außerparlamentarischen Bewegungen für diesen Niedergang verantwortlich. Nach einer Zeit des Aufschwungs setzt die Bewegungsflaute ein.

Dann werden oft wieder parteiförmige Formationen gesucht, die die Forderungen der außerparlamentarischen Bewegungen in die Institutionen einspeisen sollen. In Griechenland wurde die damals linkssozialistische Syriza-Partei für kurze Zeit zum Hoffnungsträger, der Menschen, die jahrelang auf der Straße gegen die Austeritätspolitik protestiert hatten.

Der Publizist Raul Zelik beschreibt in dem kürzlich bei Bertz + Fischer erschienenen Buch „Spanien – eine politische Geschichte der Gegenwart“[4], wie in Spanien Podemos zeitweilig zum Hoffnungsträger einer starken außerparlamentarischen Bewegung wurde, die an ihre Grenzen gestoßen ist.

In Italien übernahm die Fünf-Sterne-Bewegung zeitweise die Rolle, die Forderungen der Prekären parlamentarisch aufzugreifen. Zeitweise wurde die Partei, die sich immer von der Linken abgrenzte, von Personen mit einer langen linken Geschichte wie Dario Fo unterstützt. Das lag auch ihren Erfahrungen mit einer traditionellen Linken und deren Anpassung an den Neoliberalismus.

Da legte man in die neue Partei die Hoffnung, tatsächlich einen dritten Weg zwischen links und rechts zu finden. Doch ihre Anpassung an rechte Ideologeme begann nicht erst mit dem Bündnis mit der Lega Nord. In den letzten Jahren positionierten sich führende Parteipolitiker gegen Migranten und waren daher im EU-Parlament auch Teil der nationalkonservativen Fraktion im EU-Parlament.

Der schillernde Begriff der Würde

So war es auch nicht verwunderlich, dass es nur vereinzelten Widerspruch gegen die migrationsfeindliche Politik der Lega Nord bei der Fünf-Sterne-Bewegung gab. Das eigene sozialpolitische Programm gegen die prekäre Arbeit wurde nun doch noch beschlossen.

Kernpunkt ist die Korrektur des Job-Acts. Der wurde von der sozialdemokratischen italienischen Vorgängerregierung gegen den heftigen Widerstand von Gewerkschaften und der außerparlamentarischen Bewegung mit großer Zustimmung der EU-Gremien durchgesetzt. Der Job-Act bedeutete eine weitere Deregulierung des Arbeitsmarkts, die von den Urhebern natürlich damit begründet wurde, dass die italienische Wirtschaft nur so im EU-Rahmen konkurrenzfähig bleibe.

Das Gegen-Projekt „decreto dignità“ der neuen Regierung ist allerdings so verwässert, dass die Kapitalfraktionen und auch die EU-Gremien nicht mehr wirklich beunruhigt sind. Die Italienkorrespondentin der Wochenzeitung Jungle World Catrin Dingler fasst Propaganda und Realität dieses Sozialgesetzes so zusammen[5]:

Di Maio hatte in seiner Funktion als Arbeits- und Sozialminister mit seinem „decreto dignità“ (Dekret der Würde), das vorige Woche von der Abgeordnetenkammer verabschiedet wurde, kämpferisch ein „Waterloo für die Prekarisierung“ angekündigt und mit großer Emphase die Rettung der „Würde“ aller prekär Beschäftigen versprochen.

Tatsächlich werden die bestehenden Möglichkeiten zur befristeten Beschäftigung nur unwesentlich eingeschränkt, auf Druck der Lega für die Bereiche Tourismus und Landwirtschaft sogar ausgeweitet. Auch auf die im Wahlkampf versprochene Wiedereinführung des Kündigungsschutzes hat der M5S im Interesse des Koalitionspartners verzichtet, Unternehmen sollen zukünftig für ungerechtfertigte Entlassungen nur eine unwesentlich erhöhte Abfindung bezahlen.

Catrin Dingler, Jungle World

Schon der Begriff „Dekret der Würde“ zeigt an, dass es bei dem Gesetzentwurf eher um Ideologie als um reale Verbesserungen geht. Der Begriff der Würde hat mittlerweile in vielen Bewegungen Konjunktur und ist oft ein reines Surrogat.

Denn die Beschäftigten brauchen mehr Lohn, sichere Arbeitsverhältnisse, längere Arbeitsverträge. Das sind handfeste notfalls einklagbare Verbesserungen. Die Würde aber ist eben nicht einklagbar und kann eben auch heißen, dass die Verbesserungen ausbleiben und man dann eben stolz ist, dass die Regierung diejenigen, die noch weniger haben, weiter entrechtet.

Wenn Hartz IV-Grundeinkommen heißt

Auch die Einführung eines auch in Deutschland in sozialen Bewegungen heftig diskutierten Grundeinkommens gehört zu den Forderungen der Fünf-Sterne-Bewegung. Die erste Rechtsregierung, die ein temporäres begrenztes Grundeinkommen einführte, war die finnische.

Nun ist ja schon lange bekannt, dass es ganz unterschiedliche Konzepte unter dem Label Grundeinkommen gibt. Auch in Deutschland favorisieren besonders wirtschaftsliberale Ökonomen[6] bestimmte Grundeinkommensmodelle. An dem italienischen Modell könnten sie besonderen Gefallen finden, handelt es sich doch um eine besondere Form des Framing.

Man nimmt einen eher positiv besetzen Begriff für eine unpopuläre Maßnahme und schon ist die mediale Reaktion positiv.

Der Kölner Stadtanzeiger hat hinter die Verpackung geguckt[7]:

„Eines der besonders kritisierten Vorhaben der mal links-, mal rechtspopulistisch genannten Fünf-Sterne-Bewegung ist das so genannte Bürgergeld: Jeder Italiener erhält 780 Euro. Ein genauerer Blick jedoch zeigt: Hier handelt es sich nicht um ein bedingungsloses Grundeinkommen, sondern lediglich um ein schlechteres Hartz IV, mit dessen Einführung die Regierung zudem einer Forderung der EU nachkäme.“

Kölner Stadtanzeiger

Die 780 Euro erhält ein Single, der kein weiteres Einkommen hat. Für eine vierköpfige Familie ohne Einkommen gibt es maximal 1.950 Euro, rechnet der Korrespondent des Stadtanzeigers vor. Verdient der Single-Haushalt ein wenig, dann stockt der Staat das Einkommen bis auf 780 Euro auf.

Ziel des Bürgereinkommens ist es also nur, dass die Menschen nicht zu tief unter die offizielle Armutsschwelle fallen (vgl. Bürgereinkommen in Italien – eine repressive Armenfürsorge[8]).

Dazu muss der Betroffene dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, aktiv und nachweislich nach Arbeit suchen und auf Anweisung gemeinnützige Arbeiten ausführen, sich weiterbilden. Wer drei Jobangebote ablehnt, der verliert seinen Anspruch auf ein Einkommen knapp unterhalb der Armutsgrenze.

Da werden die Spindoktoren der Schröder-Fischer-Regierung sich ärgern, dass sie nicht auf die Idee kamen, das Verarmungsprogramm Agenda 2010 „Grundeinkommen“ zu nennen. Es wird sich zeigen, ob es der rechten italienischen Regierung gelingt, mit solchen Verpackungen die Menschen ruhig zu halten.

Es läge auch an Basisgewerkschaften und linken Bewegungen, die sich für die Lebensbedingungen aller Menschen, egal wo her sie kommen interessieren, eine Alternative zu finden, die die kapitalistischen Verhältnisse tatsächlich infrage stellt.

Peter Nowak

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Links in diesem Artikel:
[1] http://www.tacticalmediafiles.net/campaigns/6410/EuroMayDay;jsessionid=1C8A4F64F806E9DED6EF792AD9C52ED5
[2] https://zero.eu/eventi/73179-mayday-2017-orgoglio-della-classe-precaria,milano/
[3] http://www.precaria.org/
[4] http://www.bertz-fischer.de/spanien.html%22
[5] https://jungle.world/index.php/artikel/2018/32/rassistische-eskalation
[6] https://www.zeit.de/wirtschaft/2017-02/thomas-straubhaar-buch-bedingungsloses-grundeinkommen-auszug
[7] https://www.ksta.de/politik/buergergeld-italien-will-grundeinkommen-einfuehren—-aehnlichkeiten-zu-hartz-iv-30518494#
[8] https://www.heise.de/tp/features/Buergereinkommen-in-Italien-eine-repressive-Armenfuersorge-4075308.html

Wie proeuropäisch muss die Linke sein?

Die Linkspartei geht mit den Spitzenkandidaten Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch in die Bundestagswah

Mit der Nominierung der Spitzenkandidaten Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch für die Bundestagswahl hat die Linke eine der überflüssigsten Personaldebatten vorerst entschieden. Es fragt sich, was die Parteivorsitzenden Bernd Riexinger und Katja Kipping geritten hat, dass sie dieser Debatte überhaupt so lange Nahrung gegeben haben.

Warum haben sie nicht gleich erklärt, dass sie schon deshalb keine Ambitionen für die Spitzenkandidatur haben, weil sie die Trennung von Partei und Parlamentsmandat hochhalten? Dieser Grundsatz gehörte ja mal zu den demokratischen Errungenschaften der frühen Grünen, der natürlich sofort über Bord geworfen wurde, als sie nicht mehr Staat und Nation kritisierten, sondern mitgestalten wollten.

Gerade einer Partei wie der Linken, die ja auch eine Wurzel im autoritären Nominalsozialismus hatte, stände eine solche Trennung gut an. Es wird ja häufig inner- und außerhalb der Linken über die Konsequenzen aus ihrer Geschichte diskutiert. Meistens ist das nur eine Steilvorlage für die Übernahme liberaler und marktkonformer Regierungstechniken.

Der Fundus rätekommunistischer, linkssozialistischer und linksdemokratischer Konzepte wird hingegen bei dieser Debatte wenig in Anspruch genommen. Dann bietet sich schon mal die Gelegenheit, die Trennung von Parteiamt und Parlamentsfunktion hochzuhalten und die Linke erweckt den Eindruck, als hätte sie von einer solchen Debatte und den langen Kampf darum bei den Grünen nie etwas gehört.

Dass jetzt Wagenknecht und Bartsch Spitzenkandidaten der Partei sein werden, wird übrigens auch von den Befürwortern dieser Konstellation kaum mit der Debatte um die Trennung von Partei und Mandat verknüpft. Es ging vor allem um parteiinterne Machtspiele und Befindlichkeiten. So wurde auch darauf geachtet, dass in einem vierköpfigen Spitzenteam auch Riexinger und Kipping vertreten sind.

Dabei wird das komplexe Gemengelage bei den Linkssozialdemokraten verkürzt dargestellt und auf Wagenknecht zugespitzt[1], die sich die Sachverwalter der marktgerechten Demokratie und auch manche ihrer Nachwuchskräfte im linksalternativen Bereich zur Buhfrau im roten Kostüm auserkoren haben.

Da sie bei der Frage der Migration oft Untertöne vertritt, wie sie auch von SPD und Union vertreten werden, wird sie beharrlich in die Nähe der AfD gerückt. Das machen besonders gerne grünennahe Kräfte, die sich so als besonders migrantenfreundlich profilieren wollen. Dabei wird gerne unterschlagen, dass die Mehrheit der Grünen die Verschärfungen in der Asylgesetzgebung mitgetragen haben.

Wagenknecht hat aber mit ihrer Partei dagegen votiert. Ist das nicht auch ein Beispiel für die Macht des Postfaktischen, vom der in der letzten Zeit immer so viel zu lesen ist? Dabei hat Wagenknecht in der jüngeren Vergangenheit viel dafür investiert, um als Frau der linken Mitte wahrgenommen werden. Ihre Herkunft aus der Kommunistischen Plattform wird von ihr gar nicht mal erwähnt. Statt Marx lobt sie Ludwig Erhardt. Im Taz-Gespräch[2] übt sie sich mit Interviewpartnern von SPD- und Grünen im Small Talk und macht so den Eindruck, dass an ihr eine Kooperation links von der Union nicht scheitern werde.

Sogar auf ein Treffen mit Siegmar Gabriel[3] lässt sie sich ein, obwohl doch klar ist, dass es nur dazu dienen soll, dem früheren SPD-Popbeauftragten im innerparteilichen Kampf um die Kanzlerkandidatur Punkte zu bringen. Derselbe Gabriel hat mit der Nominierung des Agenda-21-Befürworters Steinmeier zum Bundespräsidenten-Kandidaten eigentlich schon genügend deutlich gemacht hat, dass er nicht mal für symbolische Erfolge bereit ist, die ein Verrücken der Stellschrauben nach links anzeigen würden.

Aber Wagenknecht hat ihrerseits schon mehrmals gezeigt, dass sie gelernt hat, wie stark man sich stromlinienförmig machen muss, um in der marktgerechten Demokratie mitspielen zu können.

Doch noch scheint Wagenknecht nicht ganz so glattgeschliffen. In der EU-Frage wagt sie es noch, dem herrschenden Mantra etwas entgegen zu setzen. Gerade einen Tag nach dem Referendum in Italien und der Präsidentenwahl in Österreich wird uns eingetrichtert, die eine Entscheidung sei gut, die andere schlecht für Europa.

Besonders der Ausgang der Wahl in Österreich wurde als großer Sieg für Europa erklärt. Dass in dieser Sprechweise ein bestimmtes Europa als gesetzt gilt, wird gar nicht erwähnt. Tatsächlich hatte der Nationalist Hofer keinen Austritt aus der EU im Sinn, er strebte allerdings eine engere Kooperation mit den Visagrad-Staaten und unter Umständen mit Russland an. Gehören die eigentlich nicht zu Europa?

Das wird suggeriert, wenn die Niederlage von Hofer als Sieg für Europa dargestellt wird. Dabei gäbe es wahrlich genug Gründe, Hofers Politik als rassistisch, nationalistisch etc. zu kritisieren. Doch dann müsste auch gefragt werden, ob das nicht auch für viele der Kräfte gilt, die sich hinter den Alpen-Kretschmann Van der Bellen gestellt haben.

Dazu gehört auch die ÖVP, die in den letzten Monaten die Restriktionen gegen Migranten durchsetzte, die die FPÖ immer forderte. Daher wird mit den Begriffen „EU-freundlich“ oder „EU-feindlich“ agiert, der aber gerade die am wenigsten geeignete Kritikkategorie ist. Dass dann ausgerechnet Wolfgang Schäuble das große Wort über EU-Feindlichkeit führt, ist der eigentliche Treppenwitz der Geschichte oder, um es modern auszudrücken, ein Sieg des Postfaktischen.

Denn wenn der Begriff „EU-Feind“ einen Sinn hat, wäre Schäuble mit seiner Politik der erste Anwärter dafür. Er wollte Griechenland aus dem Euro drängen und hat dieses Ziel anscheinend noch nicht aufgegeben. Gerade werden erneut die Daumenschrauben gegen Griechenland angezogen, das sich seit mehr als einem Jahr dem von Schäuble umgesetzten Austeritätskurs völlig unterworfen hat.

Erst kürzlich brachte Schäuble wieder den Grexit ins Gespräch[4]. Damit soll die Syriza-Regierung gefügig gemacht werden, um in die Tariffreiheit einzugreifen und die Rechte der Gewerkschaften zu beschneiden[5]. Gibt es nicht gute Gründe, einem solchen Europa feindlich gegenüber zu stehen?

Wenn alles als „EU-feindlich“ deklariert wird, was sich gegen Schäuble und die von Deutschland ausgehende Austeritätspolitik wendet, sollte die Bezeichnung als Auszeichnung verstanden werden. Hier könnten sich neue Streitpunkte für die Linke auftun.

Während es dort viele Kräfte gibt, die sich als linker Flügel der proeuropäischen Kräfte gerieren und damit auch das deutsche Austeritätspolitik nicht grundsätzlich in Frage stellen könne, hatte Wagenknecht sich noch keine Denkverbote auferlegt und den Austritt aus Eurozone und EU nicht zu einer Frage über Sein und Nichtsein gemacht.


Es ist schlicht eine demokratische Möglichkeit, sich gegen diese EU und dieses Europa zu stellen. Für eine linke Partei ist es sogar eine Frage ihrer Überlebensfähigkeit. Als Feigenblatt des proeuropäischen Lagers, dem es um den Standort „Deutsch-Europa“ geht, wäre eine Linke schlicht überflüssig. Das hat sich im letzten Jahr am Schicksal von Syriza gezeigt.

Gerade weil sie keinen Plan B jenseits dieser EU hatte, ist sie an ihren eigentlichen solidarischen Ansprüchen gescheitert. Podemos sollte in Spanien ebenso auf die Pro-EU-Linke gebracht werden. In Frankreich hat Hollande mit seinem Einknicken vor diesem „Deutsch-Europa“ nicht nur seine Wiederwahl unmöglich gemacht, sondern auch die linken Kräfte in die Marginalität gestürzt.

Sollte es im nächsten Jahr nicht zu einer Konstellation kommen, wo eine Nationalistin mit sozialen Touch und ein selbsternannter Thatcherist in die Stichwahlen als Alternativen gelten, dann wäre das dem Linkssozialdemokraten Jean-Luc Mélenchon[6] zu verdanken, der manchen als französische Version von Oskar Lafontaine gilt.

Wenn Mélenchon es tatsächlich schafft[7], dann wäre das auch seinem Widerstand gegen jenes „Deutsch-Europa“ à la Schäuble und Merkel zu verdanken. Hier zeigt sich, wie nötig eine linke EU-Kritik ist, um den Rechten Einhalt zu gebieten. Hollande hat als Feigenblatt dieses Europa jedes Vertrauen verloren.

Für die Linkspartei in Deutschland hätte eine Positionierung gegen dieses Europa noch einmal eine besondere Bedeutung. In dem Land, das sich mit der EU seinen Hinterhof zusammengezimmert hat, das mit seiner Austeritätspolitik die Lohnabhängigen in den Nachbarländern in einen Dumpingwettbewerb zieht, ist eine Positionierung gegen dieses Europa gleichzeitig eine Absage an dieses Modell-Deutsch-Europa.

Das ist die zeitgemäße Version der Parole der linken Arbeiterbewegung vor 100 Jahre – „Der Hauptfeind steht im eigenen Land“ (Karl Liebknecht). Ein Jahrhundert später müsste es heißen, der Hauptfeind für ein solidarisches Europa ist die Politik des eigenen Landes. Daran sind aber nicht nur Schäuble und Merkel, sondern auch sämtliche Politiker der SPD und fast alle der Grünen beteiligt.

Ein relevanter Flügel der Linkspartei will sich dem anschließen, weil ihr klar ist, dass Minister- und Staatssekretär-Posten nur dann winken. Daher auch die Aversionen, die der heute als gemäßigte Sozialdemokratin auftretenden Wagenknecht entgegenschlägt, weil sie in dieser Frage noch nicht ganz eingeknickt ist.

Zumindest in linkssozialdemokratischen Think Thanks, in dem die Realpolitiker den Ton angeben, scheint sich die Erkenntnis durchzusetzen, dass eine Linke, nur im Bruch mit den Grundlagen bisheriger rotgrüner Politik[8] eine Zukunft haben kann.

Noch grundsätzlicher in der Herrschaftskritik[9] ist Raul Zelik[10], der in der außerparlamentarischen Linken sozialisiert wurde und seit einigen Monaten im erweiterten Parteivorstand der Linkspartei aktiv ist.

Es ist nur zu befürchten, dass solche grundsätzlichen Kritikansätze auch bei der Linken in den Schubladen oder Datenspeichern verschwinden, wenn sich reale Möglichkeiten des Mitregierens ergeben. Das zeigt sich aktuell in Berlin.

Eigentlich gehen alle davon aus, dass sich bei der Mitgliederbefragung eine starke Mehrheit für einen Eintritt der Partei in den Berliner Senat ausspricht, obwohl es bei Parteitreffen auch viele Gegenstimmen gab, die davor warnten, dass die Linke dann wiederum die sozialen Bewegungen enttäuschen muss.

Zumindest wurde deutlich, dass der Widerspruch gegen ein Mitverwalten über die bekannten antikapitalistischen Nischen der Partei[11] und ihre Protagonisten[12] hinausgeht.

Ein Negativbeispiel der besonderen Art lieferte die Linkspartei in dem Bezirk Lichtenberg. Dort hatte sie als Bürgermeisterkandidatin mit Evrim Sommer eine Feministin kurdischer Herkunft aufgestellt, die auch schon mal eine Antifa-Demonstration im Bezirk angemeldet hatte. Dabei hatte sie Stimmen dazugewonnen, so dass die Partei den Zugriff auf den Bürgermeisterposten bekam.

Doch die innerparteilichen Gegner fanden es unerträglich, dass eine Frau ohne Ost-Biographie, eine Kurdin noch, jetzt ihren Bezirk regieren sollte. Sie lancierten eine Falschmeldung[13] über Sommers Bildungsabschluss und erreichten, dass sie schließlich aufgab[14]. Sehr zur Freude der Rechten aller Couleur.

Nun erklären sich Spitzenpolitiker der Partei[15] mit Sommer gegen die Hetze der NPD solidarisch. Dabei bestünde die größte Solidarität darin, die AfD-Fraktion in den eigenen Reihen zu demaskieren. Das sind die, die nicht von einer kurdischen Feministin vertreten werden wollen, selbst wenn sie Wählerstimmen erzielt. Dafür müsste die Linke konsequenterweise ihren Anspruch auf das Bürgermeisteramt aufgeben. Stattdessen soll nun einer der erklärten Sommer-Gegner nominiert werden.

https://www.heise.de/tp/features/Wie-proeuropaeisch-muss-die-Linke-sein-3555843.html


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Links in diesem Artikel:
[1] http://www.spiegel.de/spiegel/a-1124286.html
[2] http://www.taz.de/!5363056/
[3] http://www.berliner-zeitung.de/politik/rot-rot-gruenes-buendnis-treffen-von-gabriel-und-wagenknecht-naehrt-spekulationen-25210756
[4] http://www.taz.de/!5351622/
[5] https://www.taz.de/EU-Finanzministertreffen-zu-Griechenland/!5359609/
[6] http://melenchon.fr/
[7] http://www.jlm2017.fr/
[8] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1033551.rueckkehr-der-hoffnung.html
[9] http://www.raulzelik.net/kritik-literatur-alltag-theorie/486-macht-gegenmacht-plaedoyer-fuer-einen-perspektivwechsel-nd-8-10-2016
[10] http://www.raulzelik.net/
[11] http://www.antikapitalistische-linke.de/?p=1705
[12] https://www.sozialismus.info/2016/09/nein-zum-senat-heisst-nicht-rot-rot-gruen
[13] http://www.rbb-online.de/politik/wahl/berlin/bvv/evrim-sommer-bachelor-abschluss-bvv-lichtenberg.html
[14] http://evrimsommer.de/mein-wahlkreis/2016/pressemitteilung-erklaerung-in-eigener-sache.html
[15] http://www.die-linke-lichtenberg.de/politik/aktuelles/

Die Linkspartei muss sich nach dem Aufstieg der AfD neue Strategien überlegen

Lager der Solidarität statt Bündnisse mit SPD und Grünen?

Wenn die beiden Vorsitzenden der Linkspartei Katja Kipping und Bernd Riexinger das Wort Revolution in die Debatte werfen, müsste das eigentlich die mediale Aufregung groß sein. Es ist schließlich erst einige Jahre her, dass die damalige Parteivorsitzende Gesine Lötzsch große Empörung auslöste, als sie über die Perspektive Kommunismus[1] auf einer öffentlichen Veranstaltung diskutierte (Der Weg zum Kommunismus wird weiter beschritten[2]).

Als Riexinger und Kipping unter dem Motto „Revolution für soziale Gerechtigkeit und Demokratie“[3] Vorschläge für die innerparteiliche Debatte vorlegten, dürften sie vielleicht sogar auf etwas Pressewirbel gehofft haben. Doch der hielt sich in engen Grenzen. Schließlich wird heute ja in Wirtschaft, Werbung und Kultur jedes Lüftchen zu einer Revolution hochgejazzt. Und auch Kipping und Riexinger wollten nun weder die Pariser Kommune noch den Roten Oktober 1917 wiederholen.

Allerdings wurde in der Erklärung deutlich hervorgehoben, dass die Linkspartei auf den Aufstieg der AfD nicht mit Anpassung an deren Programm reagieren darf, aber auch nicht deren Wähler pauschal als Rassisten abschreiben darf. In dem Text wird der sächsische Linksparteivorsitzende Rico Gebhardt[4] mit den Worten zitiert:

Den größten Beitrag, den wir als Linke gegenwärtig gegen den Rechtstrend leisten können, ist, wenn wir die Arbeiterschaft und die Arbeitslosen zurückgewinnen. Das ist eine soziale Herausforderung mit hohem antifaschistischem Effekt!Rico Gebhardt

Rico Gebhardt

Nun bestünde ja eigentlich die größte Frage darin, wie es der Linkspartei gelingen kann, Gewerkschaftsmitglieder, prekär Beschäftigte und Erwerbslose, die bei den letzten Wahlen für die AfD gestimmt haben, zurückzuholen, ohne deren Diskurse und Programmpunkte auch nur ansatzweise zu übernehmen. Zudem hat gerade Gebhardt in Sachsen bisher einen besonders ausgeprägten Mittekurs gefahren und seine letzte Wahlkampagne auf ein Bündnis mit SPD und Grünen ausgerichtet.

Dass diese Pläne an dem Wahlergebnis gescheitert sind, ist das eine. Damit ist kein Politikwechsel verbunden, wenn man nur die Tatsachen zur Kenntnis nimmt, dass es schlicht in noch mehr Bundesländern keine Grundlage mehr für ein sogenanntes rot-rot-grünes Bündnis, also die Koalition mit Linkspartei, SPD und Grünen, gibt.

Privatsphäre für Höcke oder auch für die Roma-Flüchtlinge?

Diese Tatsache zu benennen, ist für die Linkspartei sicher schmerzlich, weil sie ja erst im letzten Jahr ihren ersten Ministerpräsidenten Ramelow als Pilotprojekt ausgerufen hat. Wie die Grünen ihren Winfried Kretschmann zum politischen Rollenmodell aufbauen, wollten auch die Linken mit Bodo Ramelow ihren Kurs Richtung Mitte fortsetzen.

Dass Ramelow erst vor wenigen Tagen persönlich[5] eine geplante Demonstration[6] von Thüringer Antifaschisten vor dem Haus des AFD-Rechtsaußen Björn Höcke in die Nähe von Naziaktionen rückte[7], macht nur einmal mehr deutlich, dass Linken an der Regierung immer eine besondere Vorleistung an Anpassung abverlangt wird.

Wenn Ramelow sich um die Privatsphäre von Höcke mehr sorgt, als um die der Roma, die jahrelang in Thüringen lebten und abgeschoben[8] wurden, zeigt bei aller antirassistischen Rhetorik, dass auch der erste Ministerpräsident der Linkspartei die Rechte von Menschen, die in Deutschland leben, unterschiedlich gewichtet. Die durchaus diskutable Kritik, Proteste auch an die Privatadresse von Funktionsträgern aus Wirtschaft und Politik zu tragen, hätte nur dann Glaubwürdigkeit, wenn man den Menschen ohne deutschen Pass diese Privatsphäre auch ausdrücklich und explizit zubilligt. An solchen Fragen wird sich aber erweisen, ob die Bildung eines Lagers der Solidarität, das Kipping und Riexinger einfordern, mehr als ein Lippenbekenntnis ist.

Ein anderer zentraler Punkt ist der Umgang mit Grünen und SPD. Dazu werden in dem Papier Fakten benannt, die seit Jahren bekannt sind:

SPD und Grüne sind von sozialer Gerechtigkeit derzeit weiter entfernt als je zuvor, es gibt kein linkes Lager der Parteien mehr. Mehr noch: SPD und Grünen haben sich offenbar mit ihrer Rolle als Mehrheitsbeschaffer in einer „marktkonformen Demokratie“ (Merkel) abgefunden.Kipping/Riexinger

Kipping/Riexinger

Nur müsste dann die Frage kommen, hatte Rico Gebhardt in Sachsen und Wulff Gallert in Sachsen-Anhalt diese Rolle von SPD und Grünen vergessen, als sie unbedingt mit diesen Parteien die neue Regierung bilden wollten? Und wer sagt eigentlich dem Berliner Landesverband der Linkspartei, dass es kein linkes Lager gibt? Die will bei entsprechenden Mehrheitsverhältnissen nach den Wahlen in Berlin gerne wieder mitregieren, obwohl sie sich gerade erst von den Blessuren zu erholen beginnt, die sich die Partei beim Mitverwalten der kapitalistischen Krise in Berlin geholt hat. In der Erklärung aber, darüber darf das Gerede von einer Revolution nicht hinwegtäuschen, werden neue Regierungsbündnisse mit SPD und Grünen explizit nicht ausgeschlossen.

Von Sanders, Corbyn und Podemos lernen und Tsipras schon vergessen?

Dieser Kurs wird im letzten Abschnitt noch bekräftigt, wenn nun empfohlen wird, von Sanders und Corbyn zu lernen, die beide regieren wollen.

Podemos in Spanien hat zumindest zunächst eine totale Kapitulation abgelehnt, den die spanischen Sozialdemokraten ihr als Preis für eine Tolerierung abverlangen wollten. Nun muss sich zunächst zeigen, ob sie bei den Neuwahlen in Spanien gestärkt werden und so gegenüber den Sozialdemokraten legitimieren können. Werden diese doch wieder stärker oder gehen gar die spanischen Konservativen erfolgreich aus den Wahlen hervor, könnte der Druck auf Podemos wachsen, ihre Prinzipien über Bord zu werfen.

Hier kommen eben die Mechanismen einer Orientierung auf Wahlen zum Tragen, denen nur monolithische Parteien wie die Kommunistische Partei Griechenlands trotzen können. Die ist allerdings trotzdem nicht in der Lage, eine zeitgemäße linke Programmatik zu entwickeln und hat auch keine Strategie für einen außerparlamentarischen Kampf über Parteigrenzen hinweg. Podemos zumindest hat sich mit ihren Zugehen auf die alte Linke, der sie bei den letzten Wahlen noch die kalte Schulter gezeigt hat, als in bündnispolitischen Fragen flexibel erwiesen. Auffällig ist, dass Syriza und deren Vorsitzender nicht explizit als Vorbild die Linkspartei erwähnt wurden.

Schließlich waren er und seine Partei nach den Wahlen vom Januar 2015 für einige Monate der große Held. Hier greift eine Kritik des Publizisten Linkspartei-Politikers Dominik Heilig[9], der in einer Kolumne im Neuen Deutschland moniert[10];

Es ist ein wiederkehrendes Schauspiel, das die Linke in Europa von einer Euphorie zur nächsten Niederlage treibt. Mit großer Aufmerksamkeit werden emanzipatorische und progressive Phänomene wie die Indignados, Nuit debout oder die Regierungsübernahmen in Athen und Lissabon zur Kenntnis genommen und sogleich zu Vorbildern erklärt. „Man müsste“, „man sollte“, „so funktioniert es“, hallt es dann in vielen Papieren und auf Parteitagen. Selten aber gelingt die Übersetzungsleistung auf die eigenen gesellschaftlichen Problemstellungen.Dominik Heilig

Dominik Heilig

Wie organisiert man sich mit den Prekären?

Die zentrale Frage aber beantwortet auch er nicht. Wie kann sich eine Linkspartie mit Menschen organisieren, die in prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen die AFD wählen? Schließlich ist nicht nur die Klassenlage und ihre soziale Situation entscheidend, sondern auch die Frage, wie die Menschen sich diese Lage erklären. Wer nun die AfD wählt, muss nicht zwangsläufig Rassist sein, aber doch zumindest Erklärungsansätze für akzeptabel halten, die auf Ausgrenzung und Hierarchisierung beruhen.

Wie aber passt das zu einer Linkspartei, die ihren Anspruch Ernst nimmt, soziale und politische Rechte nicht an Hautfarbe, Pass und Herkunft festzumachen? Das ist im Kern auch der Auseinandersetzung mit Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine, wenn man sie vom innerparteilichen Flügelstreit löst. Der drückt sich schon darin aus, dass Wagenknechts Äußerungen zur Obergrenze für Geflüchtete von Realpolitikern der Linkspartei heftig kritisiert werden, die sich nicht äußern, wenn in Thüringen Roma abgeschoben werden. Diese innerparteiliche Gemengelage hat der Publizist Raul Zelik im Neuen Deutschland so beschrieben[11]:

Parteilinke, die bisher v.a. für ihren Widerstand gegen falsche Kompromisse bekannt waren, pochen auf Realpolitik. Offene Grenzen seien unrealistisch, so sagen sie, wenn man nicht gleichzeitig den Kollaps des Sozialstaats in Kauf nehmen wolle. Ohne Umverteilung auf Kosten der Reichen werde die Zuwanderung nämlich die öffentlichen Haushalte überlasten und die Lebensverhältnisse der Unterschicht noch weiter verschlechtern. … Parteilinke, die bisher v.a. für ihren Widerstand gegen falsche Kompromisse bekannt waren, pochen auf Realpolitik. Offene Grenzen seien unrealistisch, so sagen sie, wenn man nicht gleichzeitig den Kollaps des Sozialstaats in Kauf nehmen wolle. Ohne Umverteilung auf Kosten der Reichen werde die Zuwanderung nämlich die öffentlichen Haushalte überlasten und die Lebensverhältnisse der Unterschicht noch weiter verschlechtern.Raul Zelik

Raul Zelik

Zuwanderung auch eine Klassenfrage

Zelik geht dann sowohl auf die Argumente derer ein, dass die Zuwanderung für unterschiedliche Menschen unterschiedliche Auswirkungen hat.

Für die Putzkraft oder den ungelernten Arbeiter auf dem Bau erhöht Zuwanderung den Druck auf das Lohnniveau – weswegen man in diesen Tagen auch so manche türkische Migrantin über die Einwanderung stöhnen hören kann. Für den urbanen Akademiker, der trotz seiner Projekt-Prekarität eigentlich ganz gut über die Runden kommt (falls der Hedonismus nicht zu teuer wird), stellt Migration hingegen sicher, dass die frisch zubereitete Kokos-Tofu-Suppe im Schnellrestaurant auch in Zukunft für fünf Euro zu haben ist. Im Segment der Medienkreativen wird die Konkurrenz durch ZuwandererInnen erst einmal überschaubar bleiben.Raul Zelik

Raul Zelik

Zudem warnt er auch vor manchen linken Romantisierungen, die in den Migranten das neue revolutionäre Subjekt erkennen wollen. Aber gerade daraus zieht Zelik nicht die Schlussfolgerung, dass nun auch Linke für Abgrenzung und Obergrenzen eintreten müssen.

Trotzdem bleibt richtig, dass die Vielen, die als „Schwarm“ der Migration ein besseres Leben suchen, Proletariat im Marxschen Sinne sind. Ihre Situation ist zu flüchtig und unsicher, als dass ein handlungsfähiges politisches Subjekt aus ihnen werden könnte, aber das ändert nichts dran, dass diese Vielen ein grundlegendes soziales Recht einfordern: die Teilhabe am längst global produzierten gesellschaftlichen Reichtum. Die einzige mögliche Antwort von links kann hier lauten: „Wir alle haben ein Recht auf ein gutes Leben und das können wir nur gemeinsam und organisiert erkämpfen.“Raul Zelik

Raul Zelik

Daraus zieht er aber auch sehr konkrete und praktische Schlussfolgerungen. Es gehe darum, sich mit den Migranten zu organisieren und mit ihnen für gleiche soziale und politische Rechte zu kämpfen. Das kann in einen Mietenbündnis ebenso passieren wie in Erwerbslosengruppen oder in einer Gewerkschaft. Am Ende bringt er ein sehr anschauliches Beispiel von einem Ortsverband der Linken: „Ein Ortsverband in einer kleinen, rechts dominierten Stadt wie Suhl (Thüringen) zum Beispiel: Die meisten hier sind ältere Frauen. Mit großen Zweifeln an sich selbst und ihrer Arbeit organisieren sie Erwerbslosenfrühstück, Ämterbegleitung, Flüchtlingssolidarität, Anti-Pegida-Proteste.“ Was Zelik hier andeutet, könnte die Leerstellen in den Parteierklärungen und Dokumenten füllen. Dort wird immer betont, die Partei müsse die Menschen im Alltag erreichen, müsse ihnen zeigen, dass die AfD keine Alternative ist. Das geht aber nur in konkreten Alltagskämpfen gegen Vertreibung und Zwangsräumung, gegen Dumpinglöhne, gegen Sanktionen in Jobcentern. In diesen Auseinandersetzungen agieren Betroffene unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem Alter, ihrer Religion. Dort könnte auch ein AfD-Wähler erkennen, dass es solidarische Alternativen gibt, mit den Zumutungen des kapitalistischen Alltags umzugehen.

http://www.heise.de/tp/artikel/48/48122/2.html

Peter Nowak

Anhang

Links

[1]

http://www.jungewelt.de/loginFailed.php?ref=/2011/01-03/001.php

[2]

http://www.heise.de/tp/artikel/33/33986/

[3]

http://www.die-linke.de/nc/die-linke/nachrichten/detail/zurueck/nachrichten/artikel/revolution-fuer-soziale-gerechtigkeit-und-demokratie/

[4]

http://www.rico-gebhardt.de/

[5]

http://www.youtube.com/watch?v=ZEUPBjBVlJY

[6]

http://straighttohellbornhagen.wordpress.com/aufruf/

[7]

http://www.mdr.de/thueringen/ramelow-beschimpft-antifa-100.html

[8]

http://breakdeportation.blogsport.de/2016/01/17/pressemitteilung-von-roma-thueringen-zu-der-sammelabschiebung-vom-16-12-2015/

[9]

http://dominic.linkeblogs.de/

[10]

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1010099.man-muesste-reicht-nicht.html

[11] https://www.neues

Kein Fall für die Kiezmiliz

Nicht nur der Überfall auf den Schriftsteller Raul Zelik im Görlitzer Park in Berlin stellt Linke vor die Frage, wie mit Straßengewalt und No-Go-Areas umzugehen ist.

»Friss und stirb trotzdem« lautet der Titel des 1997 erschienenen Debütromans des Berliner Schriftstellers Raul Zelik. Im Mittelpunkt der Handlung steht eine Gruppe Berliner Antifaschisten, die nach einer aus dem Ruder gelaufenen Aktion mit Mordanklagen, Verfolgung und politischer Emigration konfrontiert wird. Das reale Vorbild für die Geschichte war die Antifa Gençlik, eine von Migranten organisierte Gruppe, die zerschlagen wurde, nachdem Gerhard Kaindl, ein Kader der extrem rechten Deutschen Liga für Volk und Heimat, bei einem Angriff in Kreuzberg getötet worden war. Sein Tod war eine Zäsur für den aktivistischen Flügel der Antifa-Bewegung, dem es hauptsächlich darum gegangen war, Neonazis mit direkten Angriffen Grenzen aufzuzeigen. Mit der literarischen Verarbeitung des Stoffes hatte Zelik die Diskussion über die politischen Konsequenzen in der außerparlamentarischen Linken gefördert.

Mehr als 15 Jahre später hat Zelik mit einem Text abermals eine Debatte angeregt. Im Dezember veröffentlichte er einen Artikel mit dem Titel »Meine innere Sicherheit« im Tagesspiegel. Wieder geht es um einen Überfall in Kreuzberg, doch dieses Mal hat er keine politischen Hintergründe. Und vor allem: Zelik selbst ist das Opfer der Gewalt. Er beschreibt in dem Text, wie er Ende September im Görlitzer Park überfallen wurde: Nachts radelte er von Kreuzberg nach Neukölln und wählte dabei die Abkürzung durch den Park, wo er dann angegriffen und ausgeraubt wurde. Der materielle Verlust hielt sich in Grenzen. Ein altes Mobiltelefon und 30 Euro erbeuteten die Räuber, das Portemonnaie mit Ausweisen und Karten ließen sie auf einer Parkbank zurück.

Doch die körperlichen und psychischen Folgen wiegen für Zelik ohnehin schwerer. Er schildert den Überfall sehr eindringlich. »In diesem Moment trifft mich ohne jede Vorankündigung von links ein Schlag ins Gesicht. Ich spüre den Unterkiefer krachen, das Gefühl, als hätte man mir einen Zahn ausgeschlagen. Der Sturz verläuft einigermaßen kontrolliert, dann beginnen die Männer auf mich einzutreten. Es fühlt sich an, als wären sie zu siebt oder acht, vielleicht sind es aber auch nur fünf. Der Angriff kommt so unvermittelt, dass ich im ersten Moment denke, die Männer wollten mich umbringen. Ich erinnere mich an Fälle, bei denen Menschen einfach aus Lust an der Gewalt totgetreten wurden.«

Nachdem der Schriftsteller an die Öffentlichkeit gegangen war, outeten sich auch andere Linke als Opfer von Überfällen. Darunter ist auch ein Mitglied der Mieterbewegung, das anonym bleiben will. Auch ihm blieb die große Brutalität des Überfalls in Erinnerung. Als ihn im Görlitzer Park einige Unbekannte umringt hätten, habe er ihnen eine Zigarette angeboten, um die Lage zu entspannen. Doch sie hätten sofort mit großer Wucht zugeschlagen. Der Mann hat den Eindruck, den Tätern sei es eher um die Schläge als um die Beute gegangen. Wie Zelik musste auch er nach dem Überfall stationär im Krankenhaus behandelt werden.

Das hatte in beiden Fällen etwas zur Folge, das viele außerparlamentarische Linke in der Regel scheuen: Die Polizei wurde eingeschaltet, Anzeigen wurden erstattet. Nachdem Zeliks Artikel erschienen war, gab die Berliner Polizei an, im Zeitraum zwischen dem 20. September und dem 17. November seien zehn Überfälle im Görlitzer Park zur Anzeige gebracht worden. Zwei Tatverdächtige, die an dem Überfall auf Zelik beteiligt gewesen sein sollen, sitzen mittlerweile in Untersuchungshaft.

Doch damit ist für Zelik die persönliche »innere Sicherheit« nicht wiederhergestellt. Erst nach knapp vier Wochen habe er den Park das erste Mal wieder betreten können, schreibt er. Mit dem Versuch, eine Auseinandersetzung über die politischen Konsequenzen des Überfalls zu führen, spricht Zelik ein Thema an, das für die außerparlamentarische Linke äußerst heikel ist. Offizielle Stellungnahmen von linken Gruppen zu den Überfällen gibt es nicht. Wenn sich Linke dazu äußern, betonen sie überwiegend, dass sie nur für sich sprechen und anonym bleiben wollten. Schließlich wird der Begriff Sicherheit stets mit Law-and-Order-Politik in Verbindung gebracht, weshalb außerparlamentarische Linke eher dazu neigen, zur Störung der »inneren Sicherheit« aufzurufen. Ein Thema, das in der Regel in der linken Debatte ausgeblendet wird, wird nun wegen Zeliks Artikel diskutiert: die ganz persönliche »innere Sicherheit«.

Das von der Linken häufig und gern proklamierte »Recht auf Stadt« wird schließlich auch dann verletzt, wenn bestimmte Orte zu No-Go-Areas werden, weil sich Angriffe und Überfälle häufen. Vor allem Menschen mit wenig Geld, die sich kein Taxi leisten können, meiden dann spätestens nach Einbruch der Dunkelheit manche Gegenden. Im Fall des Görlitzer Parks haben auch Linke in den vergangenen Monaten individuelle Konsequenzen gezogen. Sie nehmen Umwege in Kauf, um den Park zu umgehen, zumindest wenn sie nicht in einer größeren Gruppe unterwegs sind.

Ein Kreuzberger Linker, der anonym bleiben will, hält es für einen großen Fehler, dass die linke Szene in einer Gegend, in der sie noch einen gewissen gesellschaftlichen Einfluss besitzt, nicht versucht, die Überfälle zu einem öffentlichen Thema im Stadtteil zu machen. So könne man schließlich Boulevardzeitungen und konserva­tiven Politikern mit ihren Law-and-Order-Parolen die Deutungshoheit nehmen. »Warum wurden nicht Stadtteilversammlungen initiiert, in denen man gemeinsam mit den Anwohnern bespricht, wie man auf die Überfallserie reagiert?« fragt er sich. »Beispielsweise mit einem Lichterfest, bei dem die angstbesetzten Zonen erleuchtet werden.« Solche Aktionen seien in Kreuzberg noch vor einigen Jahren von feministischen Gruppen in Gegenden organisiert worden, in denen Frauen von Männern belästigt wurden. Zugleich betont er: »Eine emanzipatorische Reaktion auf die Überfälle kann nicht in der Bildung einer autonomen Kiezmiliz bestehen, in der viele starke Männer und vielleicht auch einige Frauen Polizeiaufgaben übernehmen.«

Das Konzept der Kiezmiliz ist im Bereich der Antifa bereits mit dem gewaltsamen Tod des rechts­ex­tremen Funktionärs Kaindl an seine Grenzen gestoßen. Damals hat Zelik die Diskussion über die Folgen in der Linken mit seinem Buch angeregt. Mit seinem Artikel hat er nun gezeigt, dass eine linke Debatte über Überfälle und Straßenkriminalität ohne rassistische Zuschreibungen möglich ist. Allerdings bleibt noch zu beweisen, dass sich eine linke Umgangsweise mit der Straßenkriminalität finden lässt, die sich nicht darin erschöpft, von einer autonomen Kiezmiliz zu träumen, die die Polizei ersetzen kann.

http://jungle-world.com/artikel/2014/02/49108.html

Peter Nowak