Die Bedeutung von Solidarität und Bündnissen im Klassenkampf

Für immer solidarisch

Von »Lesbians and Gays Support the Miners« bis zur Unterstützung von Streikenden bei Amazon: Außerbetriebliche Solidarität hilft nicht nur den Arbeiterinnen und Arbeitern.

»Pride« – so heißt ein Film, der im Herbst 2014 in die deutschen Kinos kam. Er widmete sich einem weitgehend vergessenen Kapitel der Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung, der Solidarität mit dem Streik der britischen Bergarbeiter, der in den Jahren 1984 und 1985 in Groß­britannien und vielen anderen Ländern auch von Menschen unterstützt wurde, die nicht in Großbetrieben arbeiteten, ja nicht einmal Gewerkschaftsmitglieder waren. Im Zentrum des Films: Lesbians and Gays Support the Miners (LGSM), eine Gruppe….

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Im Arbeitskampf wird’s konkret

Von Lesbian und Gays Support the Miners bis zur Unterstützung von Amazon: außerbetriebliche Solidarität hilft nicht nur den Arbeiter_innen

Pride – so heißt ein Film, der im Herbst 2014 in die deutschen Kinos kam. Er widmete sich einem weitgehend vergessenen Kapitel der Geschichte der internationalen Arbeiter_innenbewegung, und zwar der Solidarität mit dem Streik der britischen Bergarbeiter, der in den Jahren 1984 und 1985 in Großbritannien und vielen anderen Ländern auch von Menschen unterstützt wurde, die nicht in Großbetrieben arbeiteten, ja nicht einmal in gewerkschaftlichen Zusammenhängen engagiert waren.
Im Zentrum des Films:

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Ehe für Alle nur glitzernde Hülle?

Streit um eine eigentlich richtige Erkenntnis von Wagenknecht, die aber so formuliert wurde, dass sie Kritik herausfordert

Die Fraktionsvorsitzende der LINKEN steht parteiintern seit Langem in der Kritik. Stichpunkte sind die linke Sammlungsbewegung und die Positionierung zur Forderung nach offenen Grenzen. Nun hat sich auch der Lesben- und Schwulenverband mit der Linkspolitikerin angelegt. In einem Offenen Brief[1] kritisieren sie ihren Gastbeitrag[2] in der konservativen Welt, in dem sie ihren Einsatz für eine Sammlungsbewegung begründet.

Dort geht sie auf den nun nicht besonders neuen Fakt ein, dass sich extrem wirtschaftsliberale Politiker in kulturellen Fragen liberal geben. Die Grünen sind hier Pioniere, aber auch die SPD und die Merkel-Union haben längst erkannt, wie man sich eine gute Presse verschafft, in dem man sich eben kreativ, flexibel und divers gibt, wie die Labels des modernen Kapitalismus heute lauten. Über die Politiker einer großen Koalition von der Merkel-Union bis zu den Grünen schreibt sie:

Sie alle predigen die vermeintliche Unfähigkeit des Nationalstaats, seine Bürger vor Dumpingkonkurrenz und dem Renditedruck internationaler Finanzinvestoren zu schützen. Sie alle vertreten somit einen Wirtschaftsliberalismus, der die Warnungen der Freiburger Schule vor der Konzentration von Wirtschaftsmacht in den Wind geschrieben hat und deren fatale Folgen nicht nur für Innovation und Kundenorientierung, sondern auch für die Demokratie ignoriert.

Und sie alle haben diesem Uralt-Liberalismus, der aus der Zeit vor der Entstehung moderner Sozialstaaten stammt, die glitzernde Hülle linksliberaler Werte übergestreift, um ihm ein Image von Modernität, ja moralischer Integrität zu geben. Weltoffenheit, Antirassismus und Minderheitenschutz sind das Wohlfühl-Label, um rüde Umverteilung von unten nach oben zu kaschieren und ihren Nutznießern ein gutes Gewissen zu bereiten.

Sahra Wagenknecht

Dagegen wenden sich die Verfasser des Briefes des Kritikbriefes:

In Ihrem Beitrag bleiben Sie zwar eher vage, für welche Politik und Ziele diese „neue Sammlungsbewegung“ oder „progressive Stimme“ steht. Allerdings drängt sich aufgrund Ihres Tenors der Eindruck auf, dass diese sich deutlich von Antidiskriminierungspolitiken, Antirassismus oder einer Politik die Menschenrechte verabschieden sollte, diese jedenfalls auf keinen Fall von ihr verteidigt werden wird.

Denn diese sind doch angeblich „Wohlfühl-Label, um rüde Umverteilung von unten nach oben zu kaschieren und ihren Nutznießern ein gutes Gewissen zu bereiten“. Zusammengefasst behaupten Sie weiter, dass „die glitzernde Hülle linksliberaler Werte“ nur von durch neoliberalen Politiken verursachte Armut und wachsender ökonomischer Ungleichheit ablenken sollen. Damit Ihre These aufgeht, verschweigen Sie, vermutlich bewusst, dass diese gesellschaftlich hart erkämpft werden mussten.

So ein mehr oder weniger von der Politik als Ablenkungsmanöver hingeworfenes Häppchen ist für Sie die „Ehe für Alle“, die Sie in einem Satz mit dem sozialen Aufstieg von wenigen verknüpfen. Zwar schreiben Sie, dass beides sich nicht widerspreche, aber dennoch stellen Sie beide Entwicklungen in einen Zusammenhang und suggerieren, dass das eine mit dem anderen zu tun hätte.

Auch das ist ja eine bewusste Entscheidung von Ihnen. Und dieser Tenor zieht sich durch den gesamten Beitrag.

Das demontiert und dementiert ein Stück sogar die eigene Politik der Linken. Schließlich hat sich die Fraktion Die LINKE über mehrere Wahlperioden im Bundestag nachdrücklich für die Öffnung der Ehe eingesetzt und alle anwesenden Abgeordneten der Linken haben bei der Ehe für alle mit Ja gestimmt.

Offener Brief des LSVD

Seitdem tobt im Umfeld der LINKEN und ihr nahestehenden Medien ein weiterer Streit um die Fraktionsvorsitzende.

Warum missverständliche Formulierungen in Wagenknechts Text?

Nun hat sie sich das auch selber zuzuschreiben. Denn Wagenknecht weist auf einen nun wahrlich nicht originellen Fakt hin, dass in der kapitalistischen Weltordnung eine unter den Füllwörtern wie Diversität und Vielfalt gelabelten Minderheitenpolitik als Standortvorteil im innerkapitalistischen Wettbewerb eine wichtige Rolle spielt. Man muss sich nur die Werbetafeln von transnationalen Konzernen ansehen, die genau diese modernen Kapitalismus repräsentieren. Die Botschaft ist klar: Wir sind bunt, wir sind divers, wir kennen keine Ressentiments, wenn Du nur finanziell liquide bist. Wenn Du aber kein Geld hast, hilft Dir keine Buntheit, keine Diversität. Du bist ausgeschlossen aus der schönen kapitalistischen Warenwelt.

Organisationen wie der LSVD fungieren so längst als Botschafter dieses modernen Kapitalismus und haben die Rolle gerne angenommen. Sie prägen in ihrem ganzen Auftreten das Bild von wohlhabenden, konsumorientierten Menschen. Den Fakt, dass es Schwule und Lesben gibt, die kein Geld haben, kommt da kaum vor. Hier müsste linke Kritik einsetzen, die genau Wagenknecht nicht leistet. Sie erinnert in einem Satz daran, dass sich der Kampf um soziale Rechte und der Kampf für die Rechte von Schwulen und Lesben nicht ausschließen. Das liest sich aber wie eine vage Absicherung.

Warum erwähnt sie als Politikerin der LINKEN nicht, dass bereits die Sozialdemokratie vor mehr als 120 Jahren diesen Kampf führte. Es waren frühe Sozialdemokraten wie August Bebel, die auch parlamentarisch für die Entkriminalisierung von Homosexualität eintraten. Es gab in der Geschichte vor allem des linken Flügels der Arbeiterbewegung immer wieder eine solche Position, die eben den Kampf gegen alle Formen von Unterdrückung und Ausbeutung in den Fokus rückte. Hinter eine solche Position sollte heute niemand von den Linken zurückfallen.

Es gab aber auch in der Arbeiterbewegung immer wieder Versuche, soziale Rechte gegen Rechte von den unterschiedlichen Minderheiten auszuspielen. Gerade eine Strömung der Arbeiterbewegung, die im Zuge der Stabilisierung dem Mythos des männlichen Arbeiterhelden frönte, vertrat auch explizit schwulen- und lesbenfeindliche Positionen. Doch diese patriarchalen Elemente waren selbst in Teilen der Strömungen in der Arbeiterbewegung zu finden, die sich klar gegen die stalinistische Konterrevolution wandten.

Die selbständige Organisierung von Frauen, Schwulen und Lesben ist auch mit den schlechten Erfahrungen verbunden, die sie mit einer arbeitertümelnden Bewegung gemacht haben, für die Minderheiten nur bürgerliches Getöns waren. Es wäre daher für eine Politikerin der LINKEN angebracht gewesen, darauf hinzuweisen und sich explizit auf jene Teile der Arbeiterbewegung zu beziehen, die einen umfassenden Begriff von Emanzipation vertraten und damit nicht nur den Arbeitermann und die genauso fleißige Arbeiterfrau damit meinten. So hat sich also Wagenknecht einen Teil der Kritik selber zuzuschreiben.

Warum fehlt im LSVD-Brief die Klassenunterdrückung?

Doch auch der Offene Brief des LSVD verdient kritische Fragen. Zunächst fällt auf, dass dort in keinem Wort auch nur eine Kritik an der Politik des sozialen Kahlschlags geschweige denn am Kapitalismus geübt wird. Es wird nur an einer Stelle zutreffend behauptet, dass es Transphobie und Rassismus bereits vor der Einführung von Hartz IV gab. Doch warum wird von den Verfassern des Briefes diese Gelegenheit nicht genutzt, um sich ganz klar von der Agenda 2010 zu distanzieren? Schließlich sind auch viele Schwule und Lesben Menschen, die davon betroffen sind. An einer Stelle wird Wagenknecht im Brief ermahnt:

Zuletzt möchten wir Sie daran erinnern, dass Homophobie, Sexismus und Rassismus wie alle anderen Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit und Abwertung Menschen auseinandertreibt und Solidarität gerade schwächt.

Ist es Zufall, dass bei der Aufzählung der Unterdrückungsformen die Klassenunterdrückung fehlt? Und schwächt diese Ignoranz des LSVD gegenüber dieser kapitalistischen Ausbeutung nicht auch den Kampf um eine emanzipative Gesellschaft? Wie eine solche Solidarität aussehen kann, die alle Formen von Ausbeutung und Unterdrückung einschließt, zeigt die Solidaritätsbewegung von britischen Schwulen und Lesben mit dem Bergarbeiterstreik[3] vor über 30 Jahren, die durch den Film Pride[4] dankenswerterweise wieder bekannter wurde.

Auch Lohnarbeit verdient Respekt

Nun müsste der LSVD nicht weit in die Vergangenheit zurückgehen, um sich auch für Klassenunterdrückung zu interessieren. Er hätte sich nur mit den Mitarbeiterinnen des Bildungswerk des LSVD Berlin solidarisieren können, die Ende letzten Jahres für bessere Arbeitsbedingungen stritten[5]. Ihr Arbeitskampf war auch deshalb erfolglos, weil der gesamte LSVH ihre Anliegen ignorierte.

Das Motto der Beschäftigten lautete: „Auch Lohnarbeit verdient Respekt“[6]. Die Beschäftigten mussten die Erfahrung machen, dass in einem Milieu, in dem so viel über Respekt geredet wird, ihnen als Beschäftigte genau dieser Respekt verweigert wird. Dieser Vorwurf fällt auch auf den LSVD außerhalb Berlins zurück, weil der sich trotz Aufforderung nicht für die Beschäftigten positioniert ist. Daher ist es zweifelhaft, ob ein solcher Verband des schwulen Mittelstands wirklich dazu taugt, über eine emanzipative Gesellschaft zu belehren. Dabei steht der LSVD stellvertretend für eine Mittelschicht, die sich schon längst von den Problemen der Einkommensarmen abgewandt hat.

Linksliberale Werte verhalten sich zum neuen Kapitalismus wie ein Schlüssel zum Schloss

Die Soziologin Cornelia Koppetsch[7] hat kürzlich in einem taz-Interview[8] diese Schicht treffend analysiert und ohne jegliches Ressentiment seziert:

taz am wochenende: Frau Koppetsch, Sie bescheinigen der urbanen Mittelschicht Spießigkeit, Angepasstheit und die Rückkehr zu konservativen Werten. Wer sind diese sogenannten Kosmopoliten, die Sie in Ihren Büchern beschreiben?

Cornelia Koppetsch: Als Kosmopoliten bezeichne ich die akademisch gebildete, zumeist in urbanen Zentren ansässige Mittelschicht, die sich an Werten wie Toleranz und Weltoffenheit orientiert, politisch interessiert und zivilgesellschaftlich engagiert ist. Angepasst sind sie insofern, als dass sie durch Selbstoptimierung und unternehmerisches Handeln das Projekt des Neoliberalismus verinnerlicht haben, auch wenn sie diesem eigentlich kritisch gegenüberstehen und sich gegen eskalierende Ungleichheiten aussprechen. Doch verhalten sich linksliberale Werte zum neuen Kapitalismus wie ein Schlüssel zum Schloss.

Sie meinen Werte wie Selbstverwirklichung, Kreativität, Toleranz und Diversity?

Ja. Das sind ja genau die Schlagworte, die sich der neue Kapitalismus auf seine Fahnen geschrieben hat. Die linksliberalen Werte sind der Motor der Globalisierung. So haben sich einst alternative Lebensformen in ihren Strukturen überall in der Wirtschaft etabliert.

Claudia Koppetsch

Der LSVD spielt hier die im Kapitalismus notwendige Rolle und auch das ist wichtig zu betonen, es geht dabei nicht um bösen Willen, sondern einen Prozess, der hinter dem Rücken der Beteiligten abläuft. Damit erklärt sich auch, warum eine einstmals linksoppositionelle Schwulen- und Lesbenbewegung, die die bürgerliche Ehe ablehnte, nun feiert, dass die Ehe für Alle eingeführt wurde.

In dem Brief an Wagenknecht wird die Ehe für Alle gar zum Ergebnis langjähriger Kämpfe verklärt. Dabei wird die historische Wahrheit unterschlagen, dass nur eine konservative Minderheit in den 1970er und 1980er Jahre die Ehe für alle forderte. Die Mehrheit der damals Linksoppositionellen erkannte den Zusammenhang von bürgerlicher Ehe und bürgerlicher Gesellschaft und bekämpfte sie.

Im Streit zwischen dem LSVD und Wagenknecht zeigt sich, dass auf beiden Seiten dieses Ziel keine Rolle mehr spielt, ja nicht einmal benannt wird. Es geht dann letztlich nur um darum, dass beide Seiten unterschiedliche Zielgruppen adressieren, aber keiner von beiden überhaupt nur über den Tellerrand des Kapitalismus hinausdenkt.

Peter Nowak
URL dieses Artikels:
http://www.heise.de/-4107161
https://www.heise.de/tp/features/Ehe-fuer-Alle-nur-glitzernde-Huelle-4107161.html

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.lsvd.de/fileadmin/pics/Dokumente/Politik/2018_06_29_Sahra_Wagenknecht.pdf
[2] https://www.welt.de/debatte/kommentare/article178121522/Gastbeitrag-Warum-wir-eine-neue-Sammlungsbewegung-brauchen.html
[3] http://www.lesbiansandgayssupporttheminers.org
[4] https://zeitgeschichte-online.de/film/prid
[5] https://berlin.fau.org/presse/pressemitteilungen/konflikt-im-lesben-und-schwulenverband-kocht-hoch
[6] http://
[7] https://www.ifs.tu-darmstadt.de/?id=3035
[8] http://www.taz.de/!5516398/

„Sehen Sie, wir sollten mehr miteinander reden“

Das Gespräch zwischen Sahra Wagenknecht und Frauke Petry: Missverständnisse überwiegen

In der Weimarer Republik waren sich Kommunisten und Nazis nicht nur verfeindet. Immer wieder kam es zu körperlichen Auseinandersetzungen. Doch es gab eine Praxis, die heute kaum mehr vorstellbar ist. Kommunisten und Nazis stritten in Versammlungen gegeneinander, jede Seite hatte ihre auch schlagkräftigen Mitglieder und Sympathisanten dabei und nach der Schlacht der Argumente gab es dann oft die Saalschlacht.

Das muss man wissen, wenn heute darum gestritten wird, ob die Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, Sahra Wagenknecht, ein Streitgespräch mit der Vorsitzenden der AfD, Frauke Petry,  führen darf. Es war in der letzten Ausgabe der FAS veröffentlicht und ist auf Wagenknechts Homepage[1] dokumentiert.

Die Bewertung ist denkbar unterschiedlich und hängt wohl vor allem davon ab, wie man Wagenknechts Versuche beurteilt, die AfD-Wähler, die mal die Linke oder die PDS gewählt haben, wieder auf ihre Seite zu ziehen. Das kann man für eine kluge Politik oder eine Anbiederung an die Rechten halten. Die Reaktionen könnten gegensätzlicher nicht sein.

Die Süddeutsche Zeitung holt die Totalitarismuskeule hervor

Für die Süddeutsche Zeitung ist das Gespräch ein Anlass, wieder einmal die Totalitarismuskeule aus der Schublade zu holen[2]:

Ein Doppelinterview mit Rechtspopulistin Petry und Linken-Fraktionschefin Wagenknecht zeigt, wie sehr sich linker und rechter Rand angenähert haben. Die Gemeinsamkeiten sind groß – und gefährlich.Constanze von Bullion

Constanze von Bullion

Dabei zieht die Journalistin den ganz großen Bogen über angebliche Schnittmengen zwischen Kommunisten und Nazis in der Weimarer Zeit bis zum angeblichen „ultralinken Labour-Chef“ Corbyn, der wegen seiner EU-Skepsis mit für den Brexit verantwortlich sein soll. Die Autorin schreibt, dass Petry und Wagenknecht  wie ein altes Ehepaar in dem Streitgespräch aufgetreten seien.

Man mäkelt zwar aneinander herum, aber im Kern, na ja, man kann miteinander leben.

Da müsste die SZ eigentlich zufrieden sein, denn dass Politiker unterschiedlicher Parteien miteinander leben können sollen, gehört ja wohl zum Einmaleins bürgerlicher Politik. Auch die Taz-Wirtschaftsredakteurin Ulrike Hermann schreibt von Konsensgesprächen[3] zwischen Wagenknecht und Petry.

Die „Junge Welt“, die Wagenknecht politisch lange sehr nahe stand und die sie heute noch weitgehend unterstützt, rechtfertigt das Streitgespräch mit dem Argument: „Wahlkampf heißt auch, sich ins Gespräch zu bringen“[4] und sieht die Linksparteipolitikerin gar als Aufklärerin.

Dort gibt es keine Fraternisiererei; Wagenknecht entlarvt Petry als aalglatte Opportunistin. Gegen das beständige Einfordern sozialer Antworten kann die AfD-Frau nur die Unkenntnis ihres eigenen Parteiprogrammes setzen. Und da von Hetze gegen noch Ärmere auf Dauer auch niemand satt wird, muss die Rechte gelegentlich linken Positionen beipflichten. So ’seltsam nah beieinander‘, wie Frau Bullion das zusammenleimt, war es nicht.Junge Welt[5]

Wenn man das Interview liest, findet man genügend Stellen, wo Wagenknecht klar den Dissens zu Petry nicht nur in der Sozial- , sondern auch in der Wirtschaftspolitik benennt. So heißt es schon ziemlich am Anfang des Streitgesprächs:

Es gibt keine Überschneidungen, Frau Petry. Sie hätten im Gegensatz zu mir jeder Verschärfung des Asylrechts zugestimmt. Laut Programm will die AfD, dass Deutschland sich in der Einwanderungspolitik an Kanada und an den Vereinigten Staaten von Amerika orientiert. Sie wollen also gezielt Hochqualifizierte aus ärmeren Ländern abwerben. Das ist das genaue Gegenteil von Hilfe. Dass Sie den Menschen in ihren Herkunftsländern helfen wollen, habe ich bislang auch nicht als AfD-Position wahrgenommen. Ebenso wenig, dass Sie die Bedingungen in den Flüchtlingslagern verbessern wollen. Stattdessen lese ich, dass Ihr Parteifreund Alexander Gauland die „menschliche Überflutung“ bei uns eindämmen will. Solche Worte finde ich menschenverachtend.Sahra Wagenknecht

Sahra Wagenknecht

Allerdings verweist Wagenknecht die Forderung nach offenen Grenzen, die im Parteiprogramm der Linkspartei steht, in eine ferne Zukunft, hält sie also für nicht aktuell. Damit stellt sie sich in Widerspruch zu vielen Menschen, denen auch klar ist, dass die Forderung nicht hier und heute umgesetzt werden wird. Für sie ist diese Forderung aber Richtschnur für ihre Unterstützung und Solidarität mit Migranten.

Wagenknecht hat in dem Streitgespräch auch an mehreren Stellen die wirtschaftsliberale Grundorientierung der AfD deutlich benannt, sich dabei aber selber in Widersprüche verstrickt, wenn sie sich später einen wirtschaftsliberalen Vordenker beruft:

Das Hauptargument gegen die Konzerne können Sie bei Walter Eucken nachlesen, einem der Väter der Sozialen Marktwirtschaft: Es ist deren wirtschaftliche Macht.Sahra Wagenknecht

Sahra Wagenknecht

Das ist aber kein Versehen. Schließlich hat sich Wagenknecht schon länger auf Ludwig Erhard berufen und versucht damit, liberale und konservative Wähler für ihre Wirtschafskritik zu gewinnen. Dass sie damit aber den Anspruch einer grundsätzlichen Kritik an Staat und Kapital aufgibt, nimmt sie in Kauf.

Es geht schließlich um Wählerstimmen. Im Streitgespräch hat Petry die angeblichen Gemeinsamkeiten mit der Linken in ihrer EU-Kritik oder im Freihandel in den Mittelpunkt gerückt, um die Wähler, die von der Linken zur AfD gewechselt sind, zu halten bzw. weitere zu gewinnen. Daher auch Petrys Avancen an Wagenknecht zur Fortsetzung des Gesprächs.

Wir sollten mehr miteinander reden.

Das ist im Grunde eine Aufforderung, die an die Wähler der Linkspartei gerichtet ist. Dass Petry damit linken Positionen beipflichtet, wie die junge Welt mutmaßt, ist eine Taktik, die mittlerweile alle erfolgreichen Rechtsparteien in Europa verfolgen. Pionier war dabei der Front National, der manchmal eine sozialistisch klingende Rhetorik anwendet, um seine Stellung als neue Wahlpartei der französischen Arbeiter zu halten.

Nur hat ein solches soziales Bekenntnis von Rechts nichts mit dem Sozialismus der emanzipatorischen Teile der Arbeiterbewegung zu tun. Was hinter den nationalen Phrasen von Rechts steckt, ist ein nationalstaatlicher Protektionismus, der einer kleinen Gruppe besondere Vorrechte und Privilegien bringen soll. Es ist also eine zutiefst anti-egalitäre und ausgrenzende Sozialstaatsvorstellung, die hinter der rechten Sozialstaatsrhetorik steckt.

Universelle Werte statt nationalstaatliche Sozialstaatsvorstellungen

Daher greift es in der Tat zu kurz, wenn Wagenknecht Petry nur vorhält, sei würden die sozialen Phrasen gar nicht ernst nehmen. Die Position von Wagenknecht zeigt das Dilemma derer auf, die immer noch den keynsianistischen Wohlfahrtsstaat wieder beleben wollen. Das aber ist in der heutigen Phase des Kapitalismus nicht mehr möglich.

Wer es trotzdem versucht, landet schnell bei protektionistischen Vorstellungen, wie sie bei den skandinavischen Rechtsparteien besonders virulent sind. Ihre Utopie ist ein soziales Volksheim ohne die Zugewanderten. Dagegen gilt es Gleichheit, Solidarität und ein schönes Leben für alle Menschen stark zu machen, was Wagenknecht bei aller Kritik am Rassismus der AfD nicht getan hat.

Jenseits der Themenkomplexe Soziales und Flüchtlingspolitik bleiben wichtige Topics in dem Streitgespräch unerwähnt, die sich um Minderheitenrechte  drehen. In der Programmatik sind da Linke und AfD denkbar weit entfernt. Doch an der Basis der Linken ist die Trennung oft nicht so scharf. Nicht nur am Beispiel des Streitgesprächs zwischen Wagenknecht und Petry wird über die Gefahr diskutiert, Minderheitenrechte gegen Arbeiterinteressen zu stellen.

Das wird dem slowenischen Soziologen rgeworfen, der in einem Newsweek-Beitrag[6] den Hillary-Konsens angriff, mit dem sich angeblich gesellschaftliche Minderheiten gegen die Reste der alten US-Arbeiterklasse positionieren würden.

Sie gestehen allen Minderheitenforderungen höchste Legitimität zu, sie unterstützen den Kampf um Frauen- und Homosexuellenrechte – aber um den Preis eines ungehinderten Funktionierens des Kapitalismus.Slavoj Žižek

Slavoj Žižek

Ihm wirft die Publizistin Isolde Charim vor, einem linken Konservatismus zu huldigen[7]. Damit übernimmt sie eine Klassifizierung des französischen Soziologen Dider Eribon, der mit seinen Bestseller Rückkehr nach Reims[8] auch in Deutschland bekannt wurde.

Das Buch setzt sich mit der Frage auseinander, warum das Band zwischen den Lohnabhängigen und der politischen Linken, das in Frankreich bis in die 1970er Jahre gehalten hat, gerissen ist und viele Arbeiter jetzt rechts wählen. Eribon formuliert zwei einfache Forderungen[9], um dieses Band wieder zu knüpfen.

Als Erstes muss die Linke aufhören, soziale Forderungen wie ordentliche Gehälter, gute Wohnungen, anständige Arbeitsbedingungen, Pensionen, Sozialversicherung und ein anständiges Gesundheitssystem zu ignorieren. Wir müssen gegen die Zerstörung des Wohlfahrtsstaates in Europa kämpfen. Also müssen wir soziale Bewegungen unterstützen und Teil davon sein.Dider Eribon

Dider Eribon

Zudem betont er, dass eine Linke für die Minderheitenrechte eintreten muss:

Na ja, ich denke, die Linke muss lernen, dass der Kampf gegen neoliberale Politik die individuellen Rechte von allen Menschen stärken muss. Das sind kollektive und internationale Rechte, kollektiv und international erkämpft. LGBT-Rechte sind ein wichtiger und legitimer Teil des Kampfes, eine bessere Welt aufzubauen.Dider Eribon

Dider Eribon

Es geht also nicht darum, die Rechte der Arbeiter gegen die LGBT-Rechte auszuspielen, wie es bei Žižek anklingt, sondern ein politisches Projekt zu entwerfen, das sie einschließt.

Gemeinsam streiken, statt mit Karl Popper die offene Gesellschaft hoch leben zu lassen

Das muss sich aber nicht immer um realpolitische Forderungen drehen, wie die Frage, ob Clinton als kleineres Übel gegen Trump oder die EU gegen den Nationalstaat unterstützt werden sollen.  In den 1970er und 1980er Jahren unterstützten Schwule und Lesben aus London den britischen Bergarbeiterstreik, woran im letzten Jahr der Film Pride[10] erinnerte.

Das hatte eine Vorgeschichte. Zuvor beteiligten sich Bergarbeitergewerkschafter als Streikposten für einen Streik indischer Frauen in London beim [11].  Damals wurde nicht so abstrakt über Arbeiter- versus Minderheitenrechte diskutiert und es trafen sich keine Parteienvertreter zum Streitgespräch. Es kamen soziale Bewegungen miteinander in Kontakt und schrieben Geschichte.

Heute wird hingegen die gegen jede Veränderung abgeschottete offene Gesellschaft des Karl Popper als Antidot gegen die AfD aufgeboten[12], und man wundert sich, dass dabei nur die mitmachen, die in der Gesellschaft so privilegiert sind, dass sie diese so erhalten wollen, wie sie ist.

Anhang

http://www.heise.de/tp/artikel/49/49627/2.html

Links

[1]

http://www.sahra-wagenknecht.de/de/article/2432.streitgespr%C3%A4ch-zwischen-sahra-wagenknecht-und-frauke-petry.html

[2]

http://www.sueddeutsche.de/politik/populismus-die-heimliche-klammer-zwischen-ganz-rechts-und-ganz-links-1.3188307

[3]

http://www.taz.de/!5340887/

[4]

https://www.jungewelt.de/2016/10-05/040.php

[5]

https://www.jungewelt.de/2016/10-05/040.php

[6]

http://europe.newsweek.com/slavoj-zizek-hillary-clinton-donald-trump-us-presidential-election-bernie-489993?

[7]

http://www.taz.de/Kolumne-Knapp-ueberm-Boulevard/!5339428/

[8]

http://www.suhrkamp.de/buecher/rueckkehr_nach_reims-didier_eribon_7252.html

[9]

http://www.taz.de/!5340042/

[10]

http://www.wildbunch-germany.de/movie/pride

[11]

https://socialistworker.co.uk/art/43226/Here+to+stay,+here+to+fight+-+how+the+Grunwick+strike+changed+everything

[12]

http://www.taz.de/!5339061