Richtige Rede am falschen Ort

Verfolgte des Naziregimes wollten am Holocaustgedenktag nicht in die Stasi-Gedenkstätte Lindenstraße 54

Das Gedenken an Opfer des Faschismus darf nicht dort stattfinden, wo auch an Kriegsverbrecher erinnert wird, meinte in Potsdam das Bündnis »Vergessen ist die Erlaubnis zur Wiederholung«.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/922838.richtige-rede-am-falschen-ort.html

»Vor fast 70 Jahren befreiten russische Soldaten die Überlebenden von Ausschwitz aus ihrer qualvollen Hölle. Es waren nicht mehr viele, die sie retten konnten. Zu lange hatte der von Hitlers willfährigen Helfern angefachte, die Welt grausam überziehende Krieg gedauert, bis die letzte Schlacht für das NS-Regime verloren, der letzte Blutstropfen der Soldaten vergossen und das letzte unschuldige Opfer in den Konzentrationslagern qualvoll gestorben war.«

Auf der Gedenkveranstaltung zur Befreiung des Vernichtungslagers fand Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) am 27. Januar damit die richtigen Worte. Es war denn auch nicht diese Rede, die die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes VVN-BdA und das antifaschistische Bündnis »Vergessen ist die Erlaubnis zur Wiederholung« dazu veranlasste, diesem Gedenken fern zu bleiben. Streitpunkt war der Veranstaltungsort, die Gedenkstätte Lindenstraße. In dem ehemaligen Gerichtsgebäude befindet sich die Plastik »Das Opfer«, geschaffen von dem Künstler Wieland Förster.

Die Stadt Potsdam habe sich über die Kritik der Verbände der Naziopfer hinweggesetzt und am Holocaustgedenktag eine Veranstaltung an einem Ort abgehalten, an dem auch Kriegsverbrechern gedacht werde, begründet das Bündnis »Vergessen ist die Erlaubnis zur Wiederholung« ihr Fernbleiben. Auch Lutz Boede von der Potsdamer VVN-BdA kritisiert die Ortswahl. »Wie kommt man auf die Idee, diesen Gedenktag ausgerechnet in der Lindenstraße 54 zu begehen«, fragte er in einer Stellungnahme, die vor dem Eingang der Veranstaltung verteilt wurde. Gegenüber »nd« bekräftigt Boede diese Kritik. Der Gedenkort Lindenstraße werde von den Verfolgten des Naziregimes abgelehnt, weil auch Nazifunktionäre, die nach 1945 in der Lindenstraße inhaftiert waren, dort unter die Kategorie der Opfer fallen. Boede verweist auf Forschungsergebnisse über die Personen, die dort nach dem Zweiten Weltkrieg verurteilt wurden. »Darunter waren zum Beispiel Mitglieder der persönlichen SS-Leibstandarte Hitlers, Funktionäre der SA, des Sicherheitsdienstes (SD), des Bundes Deutscher Mädel (BDM) und der politischen Polizei. Ihnen wurde vorgeworfen, verantwortlich für die Deportation von Zwangsarbeitern aus den von der Wehrmacht besetzten Gebieten ins Reichsgebiet zu sein, Häftlinge im Konzentrationslager misshandelt zu haben oder Menschen wegen des Hörens von Feindsendern bei der Gestapo denunziert zu haben.« Einen gemeinsamen Gedenkort für Opfer und Verantwortliche des Naziregimes könne es nicht geben, zitiert Boede den Gründer der Bundesvereinigung der Opfer der NS-Justiz Ludwig Baumann.

»Wir respektieren die Auffassung der VVN-BdA, teilen sie aber nicht. In der Gedenkstätte Lindenstraße wird den Opfern politischer Gewalt gedacht. An einem Tag wie dem 27. Januar 2014 gedenken wir ausschließlich den Opfern des Nationalsozialismus«, erklärt Stefan Schulz. Für den Pressesprecher der Stadtverwaltung ist die Gedenkstätte Lindenstraße ein authentischer Ort, der in der Zeit des Faschismus als Untersuchungsgefängnis für politische Häftlinge genutzt wurde und nach dem Krieg durch den russischen Geheimdienst KGB und später durch das DDR-Ministerium für Staatssicherheit in gleicher Funktion übernommen wurde. »Das erklärt, dass in der zeitgeschichtlichen Betrachtung des Ortes viele unterschiedliche Opfergruppen verschiedenartige Ansätze verfolgen«, sagt Schulz.

Auch nach dem Holocaustgedenktag wird die Debatte in Potsdam weitergehen. Im März 2014 soll eine neue Gedenkkonzeption in die Stadtverordnetenversammlung eingebracht werden. Schulz weist auf eine einjährige Vorbereitung bei der Erarbeitung dieser Konzeption. 40 Initiativen, Verbände und Interessengruppen seien einbezogen gewesen. Die VVN-BdA hatte ihre Teilnahme abgesagt. Gemeinsam ein Konzept erarbeiten mit Organisation wie dem Bund der Vertriebenen, der von hochrangigen Nazifunktionären mit gegründet worden sei, dies sei für die VVN-BdA unvorstellbar.

So wie die Potsdamer Lindenstraße 54 ist auch die Gedenkstätte Sachsenhausen ein schwieriger Ort. Hier befand sich erst ein faschistisches Konzentrationslager und anschließend ein sowjetisches Speziallager, in dem dann auch viele Nazis gesessen haben. In Sachsenhausen wird die Vermengung beider Zeitabschnitte konsequent vermieden. Innerhalb der historischen Lagermauer wird ausschließlich über das KZ informiert und an seine Opfer erinnert. Außerhalb befindet sich ein Museum zum sowjetischen Speziallager.

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Peter Nowak

Potsdam hat ein großes Nazi-Problem

In der Landeshauptstadt schüchtern Rechtsextremisten verstärkt alternative Jugendliche ein
Sprühereien mit rassistischen und antisemitischen Parolen, Bedrohung alternativer und linker Jugendlicher. Die Aktivitäten der rechtsextremen Szene im Potsdamer Stadtteil Waldstadt nehmen seit sechs Monaten stark zu. Das berichten Jugendliche wie Sebastian Fischer, der seinen wirklichen Namen aus Vorsicht nicht in einer Zeitung lesen möchte.

 Um ihren antifaschistischen Widerstand sichtbar auf die Straße zu tragen, protestierten Jugendliche wie Fischer erst am vergangenen Freitagnachmittag erneut vor dem lokalen Einkaufzentrum im Stadtteil Waldstadt. 30 Jugendliche waren gekommen. Dabei zeigten sie Transparente und verteilten Flugblätter gegen die zunehmenden Übergriffe der Rechtsextremisten und die sich ausbreitende Angststimmung. »Wir lassen uns nicht einschüchtern«, sagt Fischer.

Die Neonazis, von denen die Einschüchterungen ausgehen, verwenden das Kürzel »P.A.C.«. »Diese Buchstabenkombination wurde erstmals im September 2010 zusammen mit Naziparolen an das Wohnhaus eines linken Jugendlichen gesprüht und seitdem immer wieder verwendet«, erläutert Fischer. So seien vor einigen Wochen neben »P.A.C.«-Kürzeln auch Namen von jungen Antifaschisten mit dem englischen Zusatz »watching you« (»Wir beobachten dich«) aufgetaucht. Neben gegen die Antifa gerichteten Schmierereien sind in der letzten Zeit aber auch einige antisemitischen Gehalts aufgetaucht. Die Antifaschisten um Sebastian Fischer rätseln derweil, was sich hinter dem Kürzel »P.A.C.« verbirgt. Doch die rechte Ausrichtung der Sprühereien liege auf der Hand, meint Sebastian Fischer.

Die Jugendlichen nehmen unterdessen die Drohungen ernst, denn in den vergangenen Monaten blieb es nicht nur bei Farbschmierereien: Zuletzt hetzten mutmaßlich Neonazis in der Nacht zum Sonnabend im Potsdamer Hauptbahnhof einen Hund auf einen antifaschistischen Jugendlichen. Gewalttätige Übergriffe gab es auch am 22. Mai, als Besucher eines Festivals auf dem Nachhauseweg von einer Gruppe von acht Rechten angepöbelt und geschlagen wurden. Glücklicherweise konnten die rechten Angreifer aus dem Bus gedrängt werden. In derselben Nacht wurden in der Waldstadt zudem drei Jugendliche von mutmaßlich neonazistischen Vermummten mit Eisenstangen gejagt. Die Serie der Übergriffe setzte sich fort: Am 17. Juni wurde dann ein Jugendlicher von einer vierköpfigen Gruppe beschimpft und getreten.

Am gleichen Tag hatte sich eine Gruppe der neonazistischen Freien Kräfte Potsdam (FKP) mit weißen Masken und einem Transparent mit dem Schriftzug »Demokraten bringen uns den Volkstod« vor dem Waldstadt-Center versammelt. Nach Angaben von Potsdamer Antifaschisten ist die FKP, die sich schwerpunktmäßig auf das Viertel konzentriert, zurzeit die aktivste Neonazigruppe in der Stadt. Möglicherweise kommen die Angriffe aus diesem Umfeld.

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Peter Nowak