Holm hätte alle enttäuscht

Andrej Holms Rückkehr in die außerparlamentarische Bewegung ist zu begrüßen.

»Nuriye, Holm, Kalle – wir bleiben alle«, unter diesem Motto fand am 28. Januar eine Demonstration von Studierenden und stadtpolitischen Gruppen in Berlin statt. Es ging um Kalle und Nuriye, zwei Menschen, die sich gegen Zwangsräumungen gewehrt haben. Vor allem aber ging es den Demonstrierenden darum, Solidarität mit Andrej Holm zu zeigen, dem linken Stadtforscher, der nach fünf Wochen als Staatssekretär für Wohnen und Stadtentwicklung zurücktreten musste und anschließen auch noch seine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Berliner Humboldt-Univer­sität verlor. Diese Entscheidung der Hochschule hat dazu geführt, dass zum ersten Mal seit Jahren wieder einmal ein Universitätsgebäude besetzt wurde. Die Studierenden knüpften Kontakte zu stadt- und mietenpolitischen Gruppen. Dieses neue Bündnis organisierte dann die erste größere Demonstration der außerparlamentarischen Linken nach dem Regierungsantritt der Berliner Koalition. Welche Perspektive hat dieser neue Aktivismus? Es ist unklar, ob die Institutsbesetzung in den Semesterferien aufrecht erhalten werden kann. Ob Holm seine Stelle zurückerhält, entscheiden die Arbeitsgerichte. Sein kurzes Gastspiel als Staatssekretär ist aber endgültig beendet.

Ist das eine Niederlage oder vielleicht sogar ein Erfolg für die außerparlamentarische Bewegung? Diese Debatte müssen die mieten- und stadtteilpo­litischen Gruppen jetzt führen. Denn nicht nur für die Linkspartei sind nach dem kurzen Gastspiel des bewegungsnahen Forschers Holm in der Stadtpolitik viele Fragen offen, worauf Alexander Nabert in seinem Disko-Beitrag (Jungle World 4/2017) hingewiesen hat. Auch die sehr heterogene außerparlamentarische Linke sollte sich fragen, ob in Berlin einen Monat lang »ihr« Staatssekretär mit am Regierungstisch saß. Die Ernennung Holms im vergangenen Dezember kam für die meisten außerparlamentarischen Initiativen überraschend. Eigentlich hätte es der basisdemokratische Anspruch nahe­gelegt, dass Holm nach seiner Ernennung schnell seine Pläne und Vorhaben als Staatssekretär vor den Aktivisten zur Diskussion stellt. Doch zu einer solchen Versammlung kam es erst ein Monat später, nach Holms Entlassung, im Stadtteil Wedding unter dem Titel »Zurück in die Bewegung« statt. Hier erhielt Holm noch einmal kräftigen Zuspruch von seinen Unterstützerinnen und Unterstützern. Zu einer inhaltlichen Diskussion über die Frage, ob ein Staatssekretär, der sozialen Bewegungen nahe steht, überhaupt etwas verändern kann und ob es nicht für die oppositionelle Bewegung ein Glücksfall ist, dass er den Beweis gar nicht erst antreten musste, kam es jedoch nicht. Schon nach einer Stunde war das Treffen zu Ende, weil manche der Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine Veranstaltung im Gorki-Theater, bei der der Freitag-Herausgeber Jakob Augstein den Regierenden Bürgermeister Michael Müller interviewte, in kritischer Absicht besuchen wollten. Der Veranstaltungsort war weiträumig abgesperrt. An dem kalten Winterabend skandierten etwa 300 Linke einen etwas modifizierten Demoklassiker: »Wer hat Holm verraten? Sozialdemokraten! Wer war dabei? Die Linkspartei!«

Da bleiben wohl einige Fragen offen. Wären die beiden kritisierten Parteien akzeptabel gewesen, wenn Holm hätte im Amt bleiben können? Und wann hätte Holm mit der Kritik einer Bewegung rechnen müssen, die er angesichts der hohen Erwartungen, die in ihm gesetzt wurden, zwangsläufig ­hätte enttäuschen müssen? Das liegt nicht daran, dass er seine Ideale ver­raten hätte, um etwa »auf die andere Seite« zu wechseln, wie eine beliebte, unterkomplexe linksradikale Politikerschelte suggeriert.

Holm hätte die Bewegung enttäuschen müssen, schlicht weil ein Staatssekretär die Zwänge der kapitalistischen Verwertung nicht hätte außer Kraft setzen können. Das war ihm bewusst, wie ein Interview zeigt, das Holm kurz nach seiner Ernennung der Zeit gegeben hat und mit dem er vermutlich auch der skeptischen liberalen Mittelschicht signalisieren wollte, dass er nicht vorhatte, sozialistische Experimente in Berlin zu betreiben. Als konkrete Pläne nannte Holm dort die Ausweitung des Milieuschutzge­bietes, der Zweckentfremdungsverbote und des Vorverkaufsrechts der Bezirke. »Das freilich hört sich ganz anders an als das, was seine Fans von ihm erwarten. Nicht revolutionär, sondern realpolitisch geerdet«, kommentiert der Taz-Redakteur Uwe Rada Holms Pläne. Doch wenn er daraus folgert, es habe keine Kampagne der konservativen Medien und der Immobilienindustrie gegeben – »warum soll man einen stürzen, der nur Milieuschutzgebiete ausweisen will?« –, übersieht Rada, dass heute schon eine moderate Reformpolitik von Seiten des Kapitals als linksradikal angegriffen wird.

Da kann Holm im Interview noch so sehr betonen, dass das Eigentum nicht infrage gestellt wird, wofür auch viele staatliche Instanzen sorgen. Wenn er dafür gesorgt hätte, dass sich die Immobilienwirtschaft an die eigenen Gesetze hält, wäre das mit Gewinnein­bußen verbunden gewesen. Daher wollte man niemanden auf diesem Posten, der im Zweifel den Interessen der ­Mieter und Erwerbslosen näher steht als denen der Immobilienwirtschaft.

Der Publizist Götz Aly hat das in ­seinen Kommentaren in der Berliner Zeitung deutlich zum Ausdruck gebracht. Holms kurze Stasi-Tätigkeit sieht er als lässliche Jugendsünde. Viel gravierender sei, dass auch der Wissenschaftler Holm nicht das Loblied auf den real existierenden Kapitalismus sang: »Als 36jähriger begeisterte sich der nunmehr auf die Berliner Verfassung vereidigte Staats­sekretär Holm für die Ablehnung der Strukturen der repräsentativen Demokratie – sei es in Form von Parlamenten oder Parteien«, schreibt Aly. Stattdessen habe er für eine rätedemokratische »parallele Machtausübung und -kontrolle im Sinne antizipativer und protagonistischer Demokratie« geworben. »›Protagonisten‹ sind für den Autor Hartz-IV-Empfänger, also Menschen, die an den Rändern der Gesellschaft leben, denen ›Entscheidungsmacht‹ und der ›Hebel in die Hand gegeben‹ werden sollen, um ihre Interessen mit den Techniken der außerparlamentarischen Doppelherrschaft gegen ›alte Bürokratien‹, überkommene Gesetze und Eigentumstitel durchzusetzen.« Ali malt das Bild einer revolutionären Herrschaft an die Wand. In anderen Kommentaren wirft Aly Holm vor, antifaschistische Aktionen und Hausbesetzer unterstützt zu haben.

Was der vom Mitglied der Roten Hilfe zum Marktradikalen gewandelte Götz Aly anprangert, wäre das Arbeitsprogramm einer außerparlamentarischen Linken. Ihr müsste es darum gehen, durch rätedemokratische Strukturen Erwerbslosen, prekär Beschäftigten, Geflüchteten den »Hebel in die Hand« zu geben, also Instrumente, um sich gegen die alltäglichen kapitalistischen Zumutungen zu wehren und ihre Lebenssituation zu verbessern.

Spätestens jetzt, da es nicht mehr gilt, einen Staatssekretär zu verteidigen, sollte diese Organisation von unten im Mittelpunkt der außerparlamentarischen Arbeit stehen. Dabei könnte Holm der Bewegung mit wissenschaftlichem Rat zur Seite stehen. Das könnte auch dazu führen, dass die unterschiedlichen Fraktionen der außerparlamentarischen Linken bei allen poli­tischen Differenzen, die auch an der Causa Holm deutlich geworden sind, kooperieren. Schließlich gibt es auch Stadtteilinitiativen wie »Karla Pappel« aus Treptow, die Holms Rückkehr in die außerparlamentarische Bewegung begrüßen und seinen kurzen Abstecher in die Realpolitik für einen großen Fehler gehalten haben. Und dann gibt es die erklärten Gegner des Staates aus dem Umfeld der Rigaer Straße 94, die die Causa Holm nicht einmal kommentieren. Doch ihr Konzept eines rebellisches Kiezes, der sich gegen Staat und Polizei wehren soll, lässt außer acht, dass der Stadtteil schon immer von kapitalistischer, patriarchaler und rassistischer Unterdrückung geprägt ist und dass ein Kampf um mehr Lohn in einem Spätkauf oder eine verhinderte Zwangsräumung mehr emanzipatorisches Potential haben kann als die ewigen Scharmützel mit der Polizei.

http://jungle-world.com/artikel/2017/06/55710.html

Peter Nowak

Ausnahmezustand und Austerität


Bei der »Blockupy«-Demonstration in Frankfurt wurden die Grundrechte von Tausenden Demonstranten missachtet.

Ein Zeichen wollten die »Blockupy«-Aktivisten mit ihren Aktionstagen am Wochenende setzen. Man wollte zeigen, dass sich auch in Deutschland, dem Kernland der in vielen europäischen Ländern bekämpften Austeritätspolitik, Protest gegen diese regt. Am Ende ging aber ein anderes Zeichen von der deutschen Wirtschaftsmetropole Frankfurt aus. In der Stadt wurde von Politik und Polizei ein Ausnahmezustand inszeniert, bei dem gerichtliche Urteile, die die vom »Blockupy«-Bündnis angemeldete Demoroute bestätigt hatten, ebenso ignoriert wurden wie die Grundrechte von Tausenden Demonstranten.

Die Demonstration war knapp einen Kilometer gelaufen, als der antikapitalistische Block, in dem vor allem Unterstützer der Interventionistischen Linken und des Bündnisses »Ums Ganze« versammelt waren, eingekesselt und durch den Einsatz von Pfefferspray und Knüppeln vom Rest der Demonstration isoliert wurde. Stundenlang wurden die Betroffenen nicht vom Platz gelassen und anschließend oft mit rabiater Polizeigewalt zur Personalienkontrolle abgeführt. Die monatelang vorbereitete Demonstration wurde von der Polizei unterbunden. Die Begründung von Polizei und hessischer Landesregierung, in dem eingekesselten Block hätten sich potentiell gewaltbereite Demonstranten befunden, die Sonnenbrillen trugen und einige zu lang geratene Transparente mit sich führten, überzeugte nicht einmal die konservative FAZ, die im vorigen Jahr noch die Repressalien der Polizei gegen die »Blockupy«-Tage begrüßt hatte.

Schon zwei Tage zuvor hatte die Polizei die Menschenrechte von zahlreichen Flüchtlingen missachtet. Als die Polizei Busse mit anreisenden »Blockupy«-Unterstützer kontrollierte, wurden ihnen Repressalien angedroht, sollten sie sich an der Demonstration beteiligen. Denn sie hatten damit die ihnen aufgezwungene Residenzpflicht missachtet, die ihre Bewegungsfreiheit erheblich einschränkt und gegen die sie auch in Frankfurt protestieren wollten. Zahlreiche Flüchtlinge entschieden sich angesichts der Drohungen zur Rückreise nach Berlin. Damit wurde die Schwäche der Demonstranten deutlich, die diese rassistische Spaltung nicht verhindern konnten.

Dass es dagegen keine Spaltung in sogenannte gewaltfreie und autonome Demonstranten gegeben hat, ist ein Erfolg, der bei einem so heterogenen Bündnis, das von Gewerkschaftsgruppen bis zum »Ums Ganze«-Bündnis reicht, nicht selbstverständlich ist. Damit wurde die Grundlage dafür geschaffen, dass das Bündnis auch im kommenden Jahr zur Eröffnung der neuen Zentrale der Europäischen Zentralbank europaweit gegen die Austeritätspolitik und den Ausnahmezustand mobilisiert.

Schließlich gehört die Politik des Ausnahmezustands ebenso zur europäischen Norm wie die Austeritätspolitik. Vor allem in der europäischen Peripherie ist ihre Durchsetzung mit einem Abbau von bürgerlichen Rechten verbunden. So wurden in Griechenland in den vergangenen Monaten gleich dreimal Streiks verboten und in Spanien sitzen Gewerkschafter im Gefängnis, die sich als Streikposten an Protesten beteiligt hatten. Eine europäische Antwort darauf im Kernland der Austeritätspolitik im kommenden Jahr wäre tatsächlich ein Zeichen.

http://jungle-world.com/artikel/2013/23/47828.html

Peter Nowak

„Wer mit einem Messer Polizisten angreift, muss damit rechnen, erschossen zu werden“

Am 24. August wurde eine als geistig verwirrt klassifizierte Frau von einem Polizisten tödlich verletzt

Die 53jährige Frau sollte in eine psychiatrische Klinik eingewiesen werden und hat nach einer Pressemeldung von Polizei und Bundesstaatsanwaltschaft Berlin () die Beamten mit dem Messer attackiert.

Die Internationale Liga für Menschenrechte befasst sich in einer Mitteilung kritisch mit dem Umgang von Staatsanwaltschaft und Polizei mit dem tödlichen Vorfall. So kritisiert die Organisation eine Stellungnahme des Sprechers der Berliner Staatsanwaltschaft Martin Steltner: „Wir prüfen im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens, ob der Beamte aus Gründen der Notwehr oder Nothilfe gehandelt hat“, erklärte er. Auch ein Statement des Landesvorsitzenden der Berliner Polizeigewerkschaft Bodo Pfalzgraf wird von den Menschenrechtlern moniert. „Wer mit einem Messer Polizisten angreift, muss damit rechnen, erschossen zu werden. Allein die Tatsache, dass es eine geistig verwirrte Person war, rechtfertigt nicht, dass sich der Polizist hätte erstechen lassen müssen“, so der Polizeigewerkschafter. Letzteres ist unstrittig. Doch hatte die Polizei keine Möglichkeit, eine laut Presseberichten 1,60m große und maximal 40kg schwere, also als zierlich zu bezeichnende Frau anders als durch einen tödlichen Schuss abzuwehren, zumal auch noch eine Einsatzhundertmannschaft angerückt war? Diese Frage stellt sich in diesen Tagen nicht nur die Liga für Menschenrechte.

Wird die Polizei falsch ausgebildet?

Eine Initiative, die vor dem Wohn- und Sterbeort der Frau eine Gedenkkundgebung organisierte, hat sich mit dem Tathergang beschäftigt und stellt die Notwendigkeit des Schusswaffengebrauchs in Frage Sie beruft sich dabei auf den Kriminologen Thomas Feltes von der Ruhr-Uni Bochum. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes hat der Polizeibeamte eine Pflicht zum Ausweichen, wenn der Angeklagte offensichtlich im schuldausschließenden Zustand handelt, so Feltes. Er kritisiert, dass die Polizeiausbildung in Deutschland zu wenig berücksichtige, dass die Beamten es immer häufiger mit Drogenkranken, psychisch kranken oder dementen Menschen zu tun haben.

Er hätte noch hinzufügen können, dass auch der polizeiliche Umgang mit Menschen in Stresssituationen einer besonderen Ausbildung bedürfte. So wurde in einem Jobcenter der Stadt Frankfurt/Main die 39-jährige Erwerbslose Christy Schwundeck von einer Polizistin erschossen. Weil Schwundeck vergeblich die Auszahlung eines Geldbetrags ihrer schon bewilligten Hartz IV-Leistungen einforderte und sich nicht abwimmeln lassen wollte, riefen Jobcenterverantwortliche die Polizei. Danach eskalierte die Situation und die Frau verletzte mit einem Messer einen Polizisten, bevor der tödliche Schuss fiel. Eine Verurteilung der Polizistin ist nicht zu erwarten. Der Fall im Märkischen Viertel erinnert auch an den Tod des Musikstudenten Tennesee Eisenberg, der im April 2009 in Regensburg von der Polizei erschossen wurde. Auch in seinen Fall fühlten sich die Polizisten von dem Mann bedroht. Die Ermittlungen gegen den Schützen wurden eingestellt.

Der Tod im Märkischen Viertel wirft auch die Frage nach den gesellschaftlichen Umgang mit als geistig verwirrt klassifizierten Personen auf. Auf einer internationalen Fachkonferenz psychiatriekritischer Gruppen wird darüber am Wochenende in Berlin beraten.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/150400

Peter Nowak

Anzeige gegen Polizei in Wuppertal nach Naziaufmarsch

Wuppertal. Der Polizeieinsatz beim Neonaziaufmarsch am 29. Januar in Wuppertal wird ein juristisches Nachspiel haben. Das Wuppertaler »Bündnis gegen Nazis« hat nach der Auswertung von Ton- und Bildmaterial einen Strafantrag wegen Strafvereitelung im Amt gegen die Polizei gestellt. Sie sei bei zahlreichen von den Neonazis verübten Straftaten nicht eingeschritten, lautet der Vorwurf.

»Aufrufe zu Straftaten, Gewalt- und Morddrohungen gegen demokratisch gesinnte Bürgerinnen und Bürger sowie antisemitische Hetze wurden sowohl über den Demolautsprecher als auch durch Sprechchöre der Nazis verbreitet«, heißt es in einer Pressemitteilung des Antifabündnis. Statt den Aufmarsch zu beenden, habe die Polizei alles getan, um antifaschistischen Protest zu unterbinden. Mehrere Gegendemonstranten seien durch Reizgas und Schlagstockeinsatz verletzt worden. »Menschenverachtende Straftaten von Nazis dürfen nicht unter dem Vorwand billigend in Kauf genommen werden, die Versammlungsfreiheit schützen zu wollen«, betonen die Nazigegner.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/191079.bewegungsmelder.html

Peter Nowak