Künstlerische Selbstjustiz gegen Google

Über das Elitebewusstsein von Hipster-Protesten

„You(Tube, Einf.d.A.) censors inside“ und „Demokratie ist in deinem Land nicht verfügbar #Erdogan# Türkei“  lauteten die Parolen[1], die am Dienstag auf die Google-Zentrale in Hamburg projiziert wurden.

Verantwortlich für den Lichtprotest ist das Künstlerkollektiv Pixelhelfer-Foundation[2], das auf seiner Homepage erklärt, man wollte mit den „Idealen der Freimaurer“ die Prinzipien der französischen Revolution verteidigen.

Unsere Selbstjustiz der Kunst bietet alle Möglichkeiten für eine nachhaltige Veränderung innerhalb der Gesellschaft.Pixelhelper

Pixelhelper

Mit der Lichtkunst-Aktion an der Google-Zentrale sollte gegen das zu Google gehörende Online-Video-Portal Youtube protestiert werden, das ein ZDF-Interview in der Türkei gelöscht hat, teilt der Lichtkünstler und Pixelhelper-Aktivist Oliver Bienkowski mit. Es ist nicht das erste Mal, dass die Lichtkünstler gegen Zensur, Menschenrechtsverletzungen und Geschichtsrevisionismus in der Türkei protestieren.

Lichtkunst-Aktion am Eingang zur Google-Zentrale. Bild: Pixelhelfer

Am  31. Mai 2016 machte das Künstlerkollektiv mit einer Aktion am Bundeskanzleramt auf den Umgang der türkischen Politik mit den Genozid an den Armeniern aufmerksam. Auch Zitate des berühmten Böhmermann-Schmähgedichtes, von dem sich der türkische Präsident Erdogan so sehr beleidigt fühlt, dass er noch immer gegen den Moderator klagt, hat Pixelhelper Ende Mai an die türkische Botschaft projiziert, nicht ohne darüber zu informieren, dass die Passagen vom Hamburger Landgericht erlaubt worden seien.

Mit einer ähnlichen Aktion an der Botschaft von Katar in Berlin wurde auf die desaströsen Bedingungen aufmerksam gemacht, mit denen die Stadien und Anlagen für die Fußball-Weltmeisterschaft von einen multinationalen Heer von Lohnabhängigen errichtete werden müssen.

Politisierung der Hipster?

Es handelt sich also um eine durchaus begrüßenswerte Erweiterung der Protestagenda, die hier vorgeführt wird. Sie könnte auch zu einer Politisierung der Hipster beitragen, die eben mit ihren Mitteln und unter ihren Bedingungen politischen Protest versuchen.

Doch, ähnlich wie neuere Kunstprotestaktionen, so z.B. das Zentrum für politische Schönheit[3], kommt auch Pixelhelper mit einem Gestus daher, als hätte man dort den politischen Protest erst erfunden und es hätte davor nichts gegeben.

Unsere Selbstjustiz der Kunst bietet alle Möglichkeiten für eine nachhaltige Veränderung innerhalb der Gesellschaft.Pixelhelper

Pixelhelper

Der selbstgewisse Ton, der anscheinend von keinem Zweifel angerührt wird, erinnert an Äußerungen von Zentralkomitees der unterschiedlichen kommunistischen Gruppen in der Vergangenheit, nur dass heute, wenn von Revolution die Rede ist, die bürgerliche Demokratie als Ziel gemeint ist. Dabei werden politisch äußerst fragwürdige Analogien gezogen. So wurde beim Lichtprotest an der türkischen Botschaft Erdogan mit Hitler-Bart ausgestattet.

„Pixelhelper reagiert auf die Gefängnisstrafe für Can #Dündar und Erdem #Guel in der Türkei. Eine Lichtprojektion von Adolf #Hitler und #Erdogan steht symbolisch für die schlimmen Verbrechen gegen die Menschenrechte die Erdogans Politik ausmachen“, heißt es zur Begründung. Ist den Verantwortlichen bis heute nicht aufgefallen, dass sie damit die Verbrechen des Nationalsozialismus relativieren, der eben nicht nur einige Intellektuelle und Journalisten ins Gefängnis gebracht hat?

Hier zeigen sich auch die politischen Grenzen der neuen Protestgruppen, die viel von Demokratie und Verteidigung des Humanismus reden, mit „Leidenschaft für eine bessere Welt“ eintreten, aber über Kapitalismus und Unterdrückungsverhältnisse nichts wissen wollen.

Bürgerliches Avantgardebewusstsein

Mit dem Zentrum für politische Schönheit teilen auch die Pixelhelper die Überzeugung, dass nur eine kleine Minderheit die Gesellschaft nachhaltig verändern kann. „Zweifeln Sie niemals daran, dass eine kleine Gruppe ernsthafter und engagierter Menschen die Welt verändern kann. Tatsächlich sind sie die einzigen, die dies vermögen“, wird auf der Homepage prominent die US-Ethnologin Margareth Mead[4] zitiert.

Nun ist es evident, dass kleine Gruppen von Menschen, wichtige Impulse für die Veränderung der Gesellschaft geben können. Dass sie aber die einzigen sein sollen, die das können, zeugt von einem bürgerlichen Elitebewusstsein, das gar nicht davon ausgeht, dass alle Menschen selber Geschichte schreiben und Verhältnisse kritisieren sollen – weil sie dazu angeblich nicht in der Lage sind?

Dieses Bewusstsein einer Elite für das Gute wird wiederholt, wenn Spenden mit dem Satz eingeworben werden: „Seien Sie dabei, wenn eine kleine Gruppe von Menschen eine große Veränderung in der Gesellschaft anstößt.“

Kommunistische Parteien hatten mit ihren Avantgardekonzept noch den Anspruch, eine Revolution voranzutreiben. Heute muss das bürgerliche Avantgardekonzept schon dazu herhalten, um die Menschenrechte zu verteidigen. Wenn die Ziele, die sich Pixelhelper setzt, tatsächlich nur noch die Sache einer kleinen Gruppe sind, dürfte es schlecht um die Verwirklichung aussehen.

http://www.heise.de/tp/artikel/49/49681/1.html

Peter Nowak

Anhang

Links

[1]

https://drive.google.com/drive/folders/0B56kcv_8jha2endLVTRMOWViYzg?usp=sharing

[2]

http://pixelhelper.org/de

[3]

http://politicalbeauty.de

[4]

http://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/margaret-mead/