Hannes Hofbauer/ Stefan Kraft (Hg.): Kriegsfolgen. Wie der Kampf um die Ukraine die Welt verändert. Verlag Promedia, 256 S., br., 23 €.

Autoritäre Populismen

Zu den Autor*innen gehören unter anderem der langjährige Attac-Aktivist Peter Wahl, der Politikwissenschaftler Eberhard Crome, der Bundestagsabgeordnete der Linkspartei Andrej Hunko und der Theologe Eugen Drewermann. Mit Olga Baysha aus Charkiw kommt eine ukrainische Stimme zu Wort, die nicht in den Chor derer einstimmt, die den Kampf um westliche Freiheit kontra russische Tyrannei beschwören. Der in Moskau lebende russische Soziologe Boris Kagarlitsky wiederum kritisiert scharf die innenpolitischen Zustände in Russland. Das System Putin sei nicht reformierbar, ist der bereits in der Sowjetunion inhaftierte linker Kritiker überzeugt

Wer es in Deutschland ablehnt, der Lieferung von immer mehr Waffen in die Ukraine zuzustimmen, wird politisch schnell als Putin-Versteher*in verleumdet. Aus eben diesem Grund hat der österreichische Autor und Verleger Hannes Hofbauer gleich zu Beginn der Vorstellung seines neuen Buches in Berlin mehrmals betont, dass er und seine Mitautor*innen keineswegs das derzeitige Präsidialregime in Moskau und dessen Krieg in der Ukraine verteidigen. In dem von ihm und Stefan Kraft herausgegebenen Buch geht es denn auch nicht primär um Putin, sondern um …

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Kraft, Stefan / Hofbauer, Hannes (Hg.): Kriegsfolgen. Wie der Kampf um die Ukraine die Welt verändert Promedia 2023. 256 Seiten, ISBN: 978-3-85371-511-6.

Kriegsfolgen: Warum so viel von Putin und so wenig vom Kapitalismus die Rede ist

In einem Nebensatz bei Peter Wahl findet man den hilfreichen Hinweis, dass linke Imperialismus-Theoretiker wie Hilferding. Lenin und Luxemburg "den Fokus auf die systematischen Ursachen des Krieges, auf die Expansionsdynamik der kapitalistischen Akkumulation und nicht auf die moralische Verurteilung einzelner Länder" richteten. Ein solches kapitalismuskritisches Denken ist heute nur noch in Schwundstufen vorhanden – das ist auch der Grund, warum in der aktuellen Debatte um den Ukraine-Konflikt so wenig vom Kapitalismus und so viel von Putin die Rede ist.

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Die Friedensbewegung diskutiert in Kassel über Aufrüstung und Ukraine-Krieg

Jede Menge Gesprächsstoff

Das Treffen des Friedensratschlags wird im zentral in der Kasseler Innenstadt gelegenen Philipp-Scheidemann-Haus stattfinden. Die Zahl der Anmeldungen sei groß, so van Ooyen. Das mache deutlich, dass es in der Friedens- und der Antimilitarismusbewegung ein großes Bedürfnis nach einer gemeinsamen Diskussion über die Einschätzung der aktuellen politischen Lage gebe.

Das Stockholmer Friedensforschungsinstitut (SIPRI) hat erst kürzlich über weiter steigende Gewinne der Rüstungsindustrie informiert. Die deutschen Konzerne Rheinmetall, Thyssen-Krupp, Hensoldt und Diehl steigerten ihren Umsatz auf 9,3 Milliarden Dollar. Wo bleibt da die Friedens- und Antimilitarismusbewegung? Diese Frage muss man sich stellen. Es gab in den letzten Monaten zwar dezentrale Aktionen gegen die weitere Aufrüstung. Doch bundesweite Proteste wie sie im Sommer mit der Initiative »Zivile Zeitenwende« initiiert wurden, erreichten nur einen begrenzten Teilnehmer*innenkreis und fanden keine Fortsetzung. Doch die Friedensbewegung ist keineswegs untätig. So wandten sich vor einigen Wochen …

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Während manche NGOs die deutsche EU-Ratspräsidentschaft mit einem Appell zu mehr staatlichem Eingreifen verbinden, erinnern sich manche auch an die linke EU-Kritik

Suche nach einer linken EU-Kritik

Die Beiträge von Rudolf Walther in der Wochenzeitung Freitag und Peter Wahl im Neuen Deutschland zeigen auch das Dilemma der gegenwärtigen linken EU-Debatte auf. Wahl stellt einige richtige Fragen zur linken EU-Politik und landet dann bei dem vagen Begriff der demokratischen Souveränität. Walther kritisiert die Vagheit des Begriffes und kann sich keine Alternative zur realexistierenden EU vorstellen.

„EU-Ratspräsidentschaft für besseren Schutz der europäischen Urwälder nutzen“, lautet eine aktuelle Forderung der Umweltschutzorganisation Robin Wood. Die NGO hat anschaulich beschrieben, wie eine Protestaktion für mehr Staatseingriffe aussieht: ….

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Kippt Italien die europäische Austeritätspolitik?

Ein von unten organisiertes, europäisches Referendum könnte eine Chance für die Linke sein

Muss die Linke jetzt die Hoffnung in eine ultrarechte italienische Regierung setzen? Diese Frage stellt sich, nachdem die italienische Regierung aus der ultrarechten Lega Nord und der Fünf-Sterne-Bewegung zumindest vorerst im EU-Haushaltsstreit nicht sofort einknickt. Die EU-Kommission hatte den Haushaltsentwurf Italiens zurückgewiesen, weil die Neuverschuldung für die EU zu hoch ist.

Die italienische Regierung hat einerseits erklärt, den Entwurf noch einmal durchrechnen, aber nichts Grundsätzliches ändern zu wollen. Nun sind da schon Zweifel angebracht. Schließlich kann ja beim erneuten Durchrechnen mit Haushaltstricks auch der Schuldensatz noch verkleinert werden. Zumal war es nicht die Lega Nord, sondern ihr Koalitionspartner mit seiner Investitions- und Sozialpolitik, der die EU-Kommission verärgerte.

Doch die Lega Nord beteiligt sich am „Krieg gegen die EU“, solange die Auseinandersetzung in großen Teilen der italienischen Bevölkerung populär ist. Sollte sich das ändern, dürfte der Streit die Koalition belasten. Da muss gleich mit dem Missverständnis aufgeräumt werden, dass eine Gegnerschaft zur Austeritätspolitik per se links ist.

Unterschiedliche Vertreter eines nationalen Kapitalismus sind auch dagegen, dass eine von niemandem gewählte Brüsseler Kommission sich anmaßt, über den Haushalt sämtlicher EU-Länder zu bestimmen. Dann gibt es keynsianistische Kritiker der Austeritätspolitik, die in einer begrenzten Verschuldung die Möglichkeit sehen, die Wirtschaft anzukurbeln.

Weiter gibt es verschiedene linke Gruppen, die das aktuelle EU-Projekt ablehnen, weil es eben ein kapitalistisches Projekt ist und in den EU-Erklärungen daraus auch kein Geheimnis gemacht wird. Die vier Grundfreiheiten der EU – freier Fluss von Gütern, Dienstleistungen und Arbeitskräften und freier Kapitalverkehr – machen das ganz klar deutlich. Es geht eben nicht um die freie Fluktuation aller Menschen, was manche linke Verteidiger der EU wohl gerne so missverstehen.

Deshalb geht auch die Verwunderung darüber fehl, dass die kapitalfreundliche italienische Regierung gegen EU-Vorgabe interveniert. Es geht hier darum, dass eine Regierung den nationalen Kapitalismus ankurbeln will und dabei in den Konflikt mit EU-Vorgaben kommt.

Segelt die Linke europapolitisch im Windschatten der Linksliberalen?

Bei der Auseinandersetzung um die Austeritätspolitik steckt die Linke in einem Dilemma. Als die griechische Syriza-Regierung gegen diese Politik Sturm lief, hätte ein Erfolg der europäischen Linken Auftrieb gegeben. Ihre wesentlich von Deutschland betriebene Niederlage schuf erst die Grundlagen für die Erstarkung der Rechtskräfte in ganz Europa.

Doch, da nun die italienische Regierung die EU-Austeritätspolitik insgesamt infrage stellt, fragen sich natürlich verschiedene Reformlinke wie Peter Wahl [1] von Attac [2], wie sie sich hier positionieren sollen [3].

Auf die Frage, ob die Linke das Geschäft der Rechten betreibt, wenn sie den Kampf der italienischen Regierung gegen das Spardiktat aus Brüssel unterstützt, verweist Wahl auf die Defizite einer Linken, die europolitisch oft im Wind segelt. Die Kritik ist größtenteils berechtigt. So wird in Deutschland die kleine linke Pro-Brexit-Fraktion [4] in Großbritannien meist ignoriert [5].

Mit dem Verweis auf nicht näher definierte europäische Werte wird gerechtfertigt, dass EU-Gerichte ein vom polnischen Parlament mit großer Mehrheit beschlossene Justizreform mal eben außer Kraft setzen. Mal abgesehen davon, dass die Herabsetzung des Rentenalters bei allen Berufsgruppen, auch bei Richtern, aus gewerkschaftlicher Sicht überfällig ist, geht es hier vor allem darum, dass EU-freundliche Richter protegiert werden.

In anderen EU-Ländern ist die EU-Justiz längst nicht so streng mit einer Justiz, die klar im Dienst der Politik steht. Oder erinnert sich niemand mehr, an den Umgang der spanischen Justiz, mit den Protagonisten der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung? Obwohl deren Entscheidungen so deutlich im Interesse der spanischen Regierungspolitik lagen, sah die EU-Justiz hier keine Verletzung europäischer Werte.

Das festzustellen, heißt weder im Fall von Spanien/Katalonien noch im Fall von Polen sich inhaltlich auf einer Seite zu positionieren. Es gilt nur festzustellen, dass die scheinbar neutrale Berufung auf europäische Werte schon eine Positionierung darstellt. Wenn nun manche Linke im Streit zwischen italienischer Regierung und EU Partei für Letztere ergreifen, sorgen sie dafür, dass sich die Rechte als einzige Kämpfer gegen die Austerität gerieren kann.

Nicht nur Italien im Visier

Dabei gilt es festzuhalten, dass die EU-Kommission auch an Frankreich, Slowenien, Belgien, Spanien und Portugal blaue Briefe geschickt hat, weil die alle gegen die Sparrichtlinien verstoßen würden. Nur machen die anderen Regierungen nicht ein solche großes Brimborium darum. Die italienische Regierung nutzt den Konflikt innenpolitisch.

Dabei zeigt sich an den insgesamt sechs blauen Briefen aus Brüssel, wie absurd die Austeritätspolitik geworden ist. So wird Portugal von vielen Ökonomen bescheinigt, dass das Nichteinhalten des Austeritätsdiktats zu seinem Wirtschaftswachstum beigetragen haben.

In Griechenland kann man dagegen sehen, wie die Austeritätspolitik zur Verelendung der Menschen kombiniert mit einem Niedergang der Wirtschaft geführt hat. Für eine europäische Linke wäre es an der Zeit, diese Fakten in den Mittelpunkt zu stellen und zu einer transnationalen Kampagne zu mobilisieren, die sich erklärtermaßen nicht an die Parteien richtet.

Warum ein Referendum über die EU-Austeritätspolitik an der Zeit wäre

Es wäre angebracht, parallel zu den EU-Wahlen im nächsten Jahr ein Referendum in den EU-Ländern zu organisieren, das alle Menschen, die in diesen Ländern leben, danach befragt, ob sie für eine Fortsetzung oder ob sie für ein Ende der Austeritätspolitik eintreten. Es sollen ganz bewusst alle in den EU-Ländern lebende Menschen befragt werden, weil sie alle von dieser Politik betroffen sind und Migranten oft besonders stark.

Das Referendum könnte von vielfältigen Aktionen und Demonstrationen begleitet werden. Wichtig wäre, dass es zeitgleich in allen EU-Ländern läuft. Ein solches Referendum wäre ein Zeichen, dass es das viel zitierte „andere Europa“ gibt.

Sollte die Linke zu einem solchen Schritt nicht in der Lage sein und es vorziehen, lieber weiter darüber nachzudenken, ob sie jetzt den Rechten zuarbeitet, wenn sie weiter gegen die Austerität der EU-Organe auftritt, gibt sie den Kampf schon verloren, bevor sie ihn überhaupt begonnen hat.

Peter Nowak
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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.weed-online.org/about/personen/wahl.html
[2] https://www.attac.de/startseite/
[3] https://www.presseportal.de/pm/59019/4095643
[4] https://www.thefullbrexit.com/
[5] https://www.heise.de/tp/features/Die-Linke-war-in-der-Brexit-Debatte-nicht-praesent-3255724.html