Studie der Universität Bochum zur Gewalt der Uniformierten sollte durch Pressearbeit diskreditiert werden

Kritische Polizeiforscher unter Beschuss

Das Einlenken der Hochschule der Polizei Rheinland-Pfalz könnte auch ein Indiz für einen gesellschaftlichen Wandel im Umgang mit der Polizei sein. Spätestens seit der Selbstenttarnung des rechtsterroristischen NSU hat sich auch in Teilen der liberalen Öffentlichkeit in Deutschland eine kritischere Haltung zur Polizei etabliert.

»Seit über 15 Jahren setze ich mich als Führungskraft für die Weiterentwicklung der polizeilichen Bildung, die Förderung der Wissenschaftlichkeit sowie der Freiheit für Forschung und Lehre ein. Einer Selbstimmunisierung der Polizei trete ich daher entschieden entgegen. Dass in den letzten Wochen ein anderer Eindruck entstanden ist, bedauere ich zutiefst.« Mit dieser selbstkritischen Erklärung reagierte der Direktor der Hochschule der Polizei Rheinland-Pfalz (HdP RP), Friedel Durben, auf einen Offenen Brief, in dem zahlreiche Polizeiforscher*innen und Publizist*innen die Behinderung kritischer Polizeiforschung beklagen. Die Unterzeichner*innen monieren, dass die Hochschule der Polizei Rheinland-Pfalz eine ….

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Die größere Gefahr ist ein Hang zum McCarthyismus in der Debatte

Ist Corbyn eine Gefahr für das jüdische Leben?

Mit der Kritik an der regressiven Israelkritik hat Rich Recht. Doch hier wird merkwürdigerweise ausgeblendet, dass in Großbritannien die Nahostdebatte sehr stark durch die Brille des Antikolonialismus gesehen wird. Dabei hat der Soziologe Peter Ullrich bereits vor mehr als 10 Jahren die unterschiedlichen Diskurse zum Nahostkonflikt in Deutschland und Großbritannien in dem Buch "Die Linke, Israel und Palästina" untersucht.

Es läuft nicht schlecht für den britischen Oppositionsführer Jeremy Corbyn. Beim ersten Fernsehduell mit Premierminister Boris Johnson erzielte er einen Achtungserfolg. Zudem gelingt es ihm,….

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Schwachstellen der aktuell gebräuchlichen Definition von Antisemitismus

Unzureichend erfasst

»Insbesondere wenn unter Bezugnahme auf die ›Arbeitsdefinition‹ Eingriffe in Grundrechte wie das der freien Meinungsäußerung oder der Versammlungsfreiheit begründet werden, (...) müssten die juristischen Voraussetzungen eines jeden solchen Eingriffs, nämlich die Grundsätze der Normenklarheit und -bestimmtheit, erfüllt sein«, formuliert das Gutachten eine Kritik, die bereits auch von zahlreichen Gruppen und Einzelpersonen vorgebracht wurde.

Spätestens seit dem Anschlag eines Neonazis auf die Synagoge in Halle steht die Bekämpfung des Antisemitismus wieder im Fokus von Politik und Zivilgesellschaft. Doch was ist Antisemitismus? Diese Frage bleibt weiterhin strittig. Jetzt hat der Politikwissenschaftler Peter Ullrich für die Rosa-Luxemburg-Stiftung ein Gutachten herausgegeben, das sich….

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Befristete Arbeitsverträge an Universitäten

Der Frust mit der Frist

Befristete Jobs sind für junge Wissenschaftler an Universitäten der Normalfall. Doch gegen die prekären Arbeitsbedingungen regt sich Widerstand. Von

»Frist ist Frust« – so lautet das Motto eines Bündnisses aus Gewerkschaften, Hochschul- und Studierendengruppen sowie des »Netzwerks für gute Arbeit in der Wissenschaft«. Mit seiner Kampagne »Entfristungspakt 2019« will das Bündnis die laufenden Verhandlungen über den neuen Hochschulpakt beeinflussen, der am 3. Mai vom Bundesrat verabschiedet werden soll. Zum Kampagnenauftakt hatten die beteiligten Gruppen…

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Muss die Linke die EU verteidigen?

Vor der Europawahl wächst der Druck, damit sich die Linke endgültig überflüssig macht

Überraschend war eher die Begründung. Da wird der Labor Party unter Corbyn nicht nur Antisemitismus, sondern auch Rassismus vorgeworfen. Der Vorwurf ist in sich nicht stimmig. Die dezidiert antizionistische Positionierung Corbyns könnte man aus einer gewissen Perspektive in die Nähe des Antisemitismus rücken [2]. Aber was soll dann der Vorwurf des Rassismus?

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Corbyn und der Antisemitismus

Es geht bei dem Streit um unterschiedliche Politikvorstellungen, aber es wäre verkehrt, hier nur ein Kampagne der Gegner des aktuellen Labour-Vorsitzenden zu sehen

Über Monate galt der Vorsitzende der britischen Labourparty als Hoffnungsträger einer sozialdemokratischen Linken, die anders als der schon längst vergessene letzte SPD-Bundestagskandidat mehr als nur heiße Luft produziert. Als linker Sozialdemokrat gegen den Willen des schon längst neoliberal gewendeten Labour Party gewählt und in mehreren Basisvoten bestätigt, dann sogar bei den Wahlen rech erfolgreich, schien Corbyn wie geeignet zum linken Hoffnungsträger.

Nun ist deren Haltbarkeit begrenzt und wenn man bedenkt, wer alles schon als ein solcher Hoffnungsträger firmierte, kann eigentlich nur denen gratulieren, die nicht zu dieser Kategorie gehören. Der griechische Ministerpräsident Tsipras gehört dazu. Seit er als der Pudel der Deutsch-EU die Austeritätspolitik mit linken Phrasen schönredet, will sogar die europäische Linke nicht mehr viel mit ihm zu tun haben. Und dass manche sogar SPD-Schulz kurzzeitig als einen solchen linken Hoffnungsträger anpriesen, zeigt nur, wie beliebig dieser Begriff geworden ist. Nun sollte man aber Corbyn nicht Unrecht zu tun. Im Vergleich zu Schulz kann der britische Sozialdemokrat fast schon als ein gemäßigter Linker mit Grundsätzen gelten.

Corbyn wirft nicht alles zum alten Eisen, was in den 1980er Jahren als links galt

Er ist ein Mann, der nicht alles, was in den 1980er Jahren als links galt, auf den Müllhaufen der Geschichte werfen will. Im Bereich der Wirtschaftspolitik kann er damit punkten, wenn er die Mär von dem Segen der Privatisierung nicht nachbetet und Sozialisierungen nicht für kommunistisches Teufelszeug hält. Schließlich hat die britische Labour-Party kurz nach Ende des 2. Weltkriegs mit einem sozialdemokratischen Sozialisierungsprogramm die Regierung übernommen.

Auch Arbeitskämpfe hält Corbyn nicht für altmodisch und so solidarisiert er sich gelegentlich mit Beschäftigten, die für bessere Arbeitsbedingungen kämpften. Was eigentlich als A und O sozialdemokratischer Politik galt, wird heute als linksaußen verschrien. Nur deshalb hat Corbyn den Ruf, ein unverbesserlicher Linker, ja geradezu ein Revolutionär zu sein. Er zog sich damit den Hass nicht nur der Konservativen, sondern auch der Blairisten zu, jener Strömung in der Labourparty, die die britische Sozialdemokratie auf Thatcher-Kurs gebracht haben. Das bringt ihm Unterstützung bis in Milieus der außerparlamentarischen Linken, die lange Zeit auf Distanz zum offiziellen Politbetrieb gegangen waren.

Jetzt aber hat Corbyn mit seinem Grundsatz, an alten linken Grundsätzen festzuhalten, plötzlich ein Problem. Denn besonders in der britischen Linken gehörte die Solidarität mit dem Kampf der Palästinenser auch zu diesen Essentials. Daher ist es nicht schwer, bei Corbyn, der jahrzehntelang inner- und außerhalb der Labour in der gemäßigten Linken aktiv war, Beweise zu finden, dass er an durchaus fragwürdigen propalästinensischen Aktionen beteiligt war. Dazu zählen Treffen mit Vertretern, die der Hamas und anderen reaktionären islamistischen Organisationen angehören und die nicht nur wegen ihres Hasses auf Israel keine Bezugspunkte für Linke sein dürften. Schließlich steht deren reaktionäres Familien- und Gesellschaftsverständnis gegen jegliche emanzipatorischen Inhalte.

Gute Gründe, bestimmte linke Grundsätze in Bezug auf Israel und den Nahen Osten in Frage zu stellen

Es gibt also gute Gründe, dass hier linke Traditionen infrage gestellt und kritisiert werden sollten. Dazu gehört eben die Kritiklosigkeit gegen über einem islamistischen Milieu, die Teile der britischen Linken soweit treibt, dass sie ohne Probleme Bündnisse mit den reaktionären islamistischen Gruppierungen einzugehen bereit sind. Berühmt berüchtigt wurde der ehemalige Labour-Linke George Galloway, den die Opposition gegen die Nato-Kriegspolitik in immer größere Nähe zu reaktionären arabischen Nationalisten wie Saddam Hussein im Irak, Assad in Syrien und später zu diversen islamistischen Gruppierungen gebracht hat. Er war auch kurze Zeit Kandidat des Parteiprojekts Respect, einer Liaison von linken Irakkriegsgegnern mit Islamisten, das schnell scheiterte.

Welche fatalen Folgen eine solche Blindheit gegenüber dem reaktionären, menschenfeindlichen Potential des Islamismus hat, zeigen die jahrelang verschwiegenen Missbrauchsfälle von jungen Frauen in mehreren britischen Städten. Aktuell macht die britische Stadt Telford hier Schlagzeilen (Telford ist das neue Rotherham ). Ähnliche Missbrauchsfälle in großen Stil gab es auch in anderen britischen Städten. In all den Fällen ist bemerkenswert, dass es Hinweise gab, der die Polizei lange Zeit nicht nachgegangen ist.

Die Großbritannien-Korrespondentin der linken Wochenzeitung Jungle World benennt einen wichtigen Aspekt für das behördliche Versagen ein:

Einer der Gründe für die Tatenlosigkeit der Behörden war wohl die Sorge der Polizei, als rassistisch angesehen zu werden, wenn sie gezielt Ermittlungen über eine Gruppe von Männern pakistanischer Herkunft einleitet, oder dass die Berichterstattung zu „Islamophobie“ führen könne.

Doerte Letzmann

Es wäre also selbstkritisch aufzuarbeiten, warum ein Linker die Grundsätze der Gleichheit aller Menschen, besonders die Emanzipation der Frauen, zugunsten eines Schulterschlusses mit regressiven islamistischen Vereinigungen aufgibt. Diese Linke hat ältere historische Erfahrungen vergessen. Vor 100 Jahren förderte die junge Sowjetunion hier vor allem die von der weltweit ersten Frauenministerin Alexandra Kollontai unterstützten Komitees von Frauen, die das Kopftuch abgenommen haben und damit vor allem im Osten des Landes den alten islamistischen Instanzen Paroli boten. Viele von ihnen wurden ermordet oder schwer verletzt. Ähnliche Emanzipationsbewegungen gab es nach 1945 auf dem Balkan und Ende der 1970er Jahre unter einer linken Regierung in Afghanistan. Hier liegen die emanzipatorischen Potentiale einer Linken, die eben nicht den Schulterschluss mit den Islamisten sondern mit ihren Opfern sucht.

Kampf um das außenpolitische Erbe von Blair

Die Frage des Umgangs mit dem Islamismus in der britischen Linken ist untrennbar verbunden mit der in der letzten Zeit virulent gewordenen Debatte der Haltung zu Israel. Doch dabei fällt auf, wie verkürzt die Diskussion wohl in Großbritannien als auch in Deutschland geführt wird. Das zentrale Problem dabei ist, dass die Debatte um den Antisemitismus, die aktuell solche Schlagzeilen macht, nicht mit dem generellen Kampf um den Kurs der Labour-Party in Verbindung gebracht wird.

Die Auseinandersetzung hat auch deshalb derart an Stärke gewonnen, weil sich zeigte, dass Corbyn nicht schnell wieder parteiintern gestürzt würde. Es wurde deutlich, dass er in der Parteibasis Rückhalt hat und dass ein Ministerpräsident Corbyn durchaus nicht so undenkbar ist, wie es noch vor Jahren schien. Deshalb verstärkt sich natürlich der Kampf der Blairisten, die ja nicht nur in der Wirtschafts-, sondern auch in der Außenpolitik Spuren hinterlassen. Bekannt war Blairs massives Engagement für den Irakkrieg, der schlicht auf Lügen, heute würde man sagen: auf Fake-News, beruhte.

Ein Teil derer, die jetzt angeblich wegen der regressiven Israelkritik gegen Corbyn und sein Umfeld mobil machen, gehört zu den Blair-Anhängern. Dazu zählt David Garrard, der nun Schlagzeilen damit machte, dass er als Labour-Spender die Partei wegen des Antiisraelismus verlassen habe. Dabei wurde ausgespart, dass Garrard eben die Labour-Party unter Blair unterstützte und nicht nur in der Nahostfrage mit dem Kurs unter Corbyn im Widerspruch liegt.

Es wird so oft getan, als stünden in dem Konflikt alle jüdischen Labour-Mitglieder gegen den Kurs von Corbyn und seinen Anhängern. In Wirklichkeit gibt es auch unter den jüdischen Labour-Mitgliedern Gegner und Befürworter des Kurses von Corbyn. Das ist eigentlich ganz selbstverständlich, weil es auch unter den jüdischen Mitgliedern unterschiedliche Auffassungen zu Fragen der Wirtschafts- und auch der Außenpolitik gibt. Es gibt dort vehemente Kritiker der Politik der gegenwärtigen israelischen Rechtsregierung. Manche kritisieren sie von einem linkszionistischen Standpunkt aus, es gibt auch Post- und Antizionisten unter den jüdischen Labour-Mitgliedern.

Zu den jüdischen Kritikern der israelischen Regierung gehört auch das Jewish Labour Movement, das Corbyn kürzlich besuchte. Bei manchen seiner Kritiker ist das ein weiterer Beweis für seine Anti-Israelhaltung. Das zeigt den instrumentellen Charakter der Debatte auf beiden Seiten. Für manche geht es dabei um eine Auseinandersetzung mit regressiver Kapitalismuskritik, dem Appeachment mit Islamisten und die regressive Israel-Kritik. Für andere geht es um eine Parteinahme für die gegenwärtige israelische Politik und die Nato-Politik. Es wäre für eine Debatte schon viel gewonnen, wenn die unterschiedlichen Beweggründe für die Kritik an Corbyn benannt würden.

Ein theoretischer Tiefpunkt ist dabei eine in der Taz zitierte Erklärung des britischen Soziologen David Hirsh:

Für Hirsh steht Labour unter Corbyn im Trend von Donald Trump, dem Front National, Ukip, Erdoğan und der AfD. Diese populistische Politik trägt xenophobe Züge. Zentral für alles Böse sei Israel. Corbyn sei davon nicht weit entfernt. Hirsh erwähnt dessen Besuche in Gaza bei Hamas-Funktionären, den Einsatz für den iranischen Auslandssender Press TV und die Verbindungen mit Holocaustleugnern, die sich hinter der palästinensischen Sache verstecken. „Er will gegen den Antisemitismus vorgehen, aber er versteht Israel als globalen Pariastaat – das ist nichts anderes als institutioneller Rassismus.

taz

In dieser von Hirsh zusammenformulierten Achse des Bösen fehlen nur noch Putin, Chavez und der nordkoreanische Herrscher. Nur verbreitet Hirsh mit dieser Zusammenstellung offensichtlich Fake News. Um das zu erkennen, braucht man kein Soziologe zu sein. Es ist durchaus nicht unwahrscheinlich, dass Trump Antisemit ist, aber er ist keineswegs antiisraelisch. Ganz im Gegenteil ist die israelische Rechte von Trump ganz begeistert, spätestens, seit er Jerusalem als israelische Hauptstadt anerkannt hat. Auch der Front National und die AfD gehören zu den falschen Freunden Israels, die ihren Antisemitismus mit ihrer Parteiname für Israel als Bollwerk gegen den Islamismus tarnen wollen.

Dass man proisraelisch und trotzdem antisemitisch sein kann, wäre eine wichtige Diskussion. Die aber führt Hirsch nicht, er erwähnt gar nicht, dass Trump als großer Freund Israels agiert. Nur so kann er eine Linie zu Corbyn ziehen, der ja gerade im Verdacht steht, dass seine Israelkritik Elemente des Antisemitismus enthält.

Der britische Blick auf den Nahostkonflikt

Nun wäre es aber ebenso falsch, wie es viele Corbyn-Unterstützer machen, in der Antisemitismus-Diskussion rund um Labour nur eine Kampagne der Rechten zu sehen. Die britische Linke muss sich, wie die Linke weltweit insgesamt, mit der Frage auseinandersetzen, wann sich eine Kritik von konkreten Maßnahmen der israelischen Regierung zu einer regressiven Israel-Kritik entwickelt, die durchaus Elemente des Antisemitismus in sich trägt. Wo wird scheinbare antirassistische Toleranz zum Appeachment mit reaktionären islamistischen Gemeinschaften?

Zudem könnte man sich mit dem linken Nahost-Diskurs in Großbritannien befassen. Schließlich hat schon 2007 der Soziologe und Bewegungsforscher Peter Ullrich die Unterschiede des Nahostdiskurses in Großbritannien und Deutschland gut herausgearbeitet. Dort kam er zu dem Schluss, dass in Großbritannien die Nahostdiskussion im Kontext der kolonialen Vergangenheit des Landes geführt wird. Das führt dazu, dass Linke, die sich gegen die koloniale Vergangenheit wenden, oft auch vehemente Israelkritiker sind.

Dabei wird aber ausgeblendet, dass zeitweise die britische Politik sehr propalästinensisch agierte und während des NS verhindern wollte, dass jüdische Flüchtlinge nach Palästina gelangen. Deshalb hat auch die jüdische Nationalbewegung zeitweilig einen bewaffneten Kampf gegen die britische Kolonialverwaltung in Palästina geführt. So sprengte die jüdische Untergrundarmee Irgun 1946 das Jerusalemer Hotel in die Luft, in dem die Briten ihr Hauptquartier errichtet hatten. Hier müsste eine Debatte mit und in der britischen Linken über regressive Israelkritik und Antisemitismus ansetzen, der es nicht vor allem darum geht, eine mögliche Labourregierung auf Blairkurs zu halten.

Peter Nowak

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Links in diesem Artikel:
[1] http://www.georgegalloway.com/
[2] http://www.therespectparty.net/
[3] http://www.wsws.org/de/articles/2007/11/resp-n23.html
[4] https://www.heise.de/tp/features/Telford-ist-das-neue-Rotherham-3998563.html
[5] https://jungle.world/artikel/2018/13/normalisierter-missbrauch
[6] http://www.independent.co.uk/news/uk/politics/blair-told-police-donors-were-being-honoured-for-services-to-labour-these-documents-say-different-428845.html
[7] http://www.jlm.org.uk/
[8] http://www.taz.de/!5494458/
[9] https://www.gold.ac.uk/sociology/staff/hirsh/
[10] http://www.tu-berlin.de/fakultaet_i/zentrum_fuer_antisemitismusforschung/
menue/ueber_uns/mitarbeiter/ullrich_dr_dr_peter/
[11] http://www.tu-berlin.de/fakultaet_i/zentrum_fuer_antisemitismusforschung/menue/
ueber_uns/mitarbeiter/ullrich_dr_dr_peter/
[12] http://www.nefesch.net/2014/01/chronologie-60-jahre-israel

Kommt neue linke Hoffnung aus Großbritannien und den USA?

Die deutsche Brille ist getrübt

Peter Ullrich untersuchte akribisch den angeblichen Antisemitismus unter Linken

Wann bekommt Kritik an Israel eine antisemitische Schlagseite? Ist der Aufruf zum Boykott von Waren aus Israel seitens eines Landes gestattet, in dem vor 80 Jahren mit dem Boykott jüdischer Geschäfte die systematische Ausgrenzung von Juden begonnen hatte, die im industriellen Judenmord mündete? Warum fanden Aktivisten der Solidarität mit Palästina, darunter Bundestagabgeordnete der LINKEN, nichts dabei, auf der Gaza-Flotte mit erklärten Islamisten zu kooperieren?

Das sind nur drei von vielen Fragen, denen sich Linke stellen müssen. Die Debatten darüber führten in der Vergangenheit zu Spaltungen und gelegentlich sogar zu Schlägereien. Die Zeit der schlimmsten Eskalationen scheint vorbei, konstatiert der Soziologe und Kulturwissenschaftler Peter Ullrich. Statt moralischer Empörung bietet er Argumente. Sachkundig und sachlich befasst er sich mit der nach wie vor aktuellen Problematik.

Im Vorwort würdigt der Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik, dass Ullrich den Wahn »radikaler Identifikation und geborgter Identitäten« – sei es bezüglich des Staates Israels wie auch der Palästinenser – zugunsten eines »politischen Realitätsprinzips« beende. In der Tat gelingt dem Buchautor, sämtliche Stolperfallen zu vermeiden, die dieser Konflikt bietet. Weder leugnet oder bagatellisiert Ullrich Antisemitismus auch in linken Zusammenhängen noch zieht er daraus den Schluss, dass es heute eine rotbraune Querfront gäbe.

Das Buch ist Ergebnis einer fast 15-jährigen Beschäftigung mit dem Thema. Der Autor hat sich tief in die Materie gekniet und die diversen Quellen studiert. Ullrich analysiert auch antimuslimische Elemente respektive Tendenzen in der mit Israel bedingungslos solidarischen Strömung innerhalb der Linken. Auch hier vermeidet er jegliche Verallgemeinerung und stellt klar, dass muslimfeindliche oder antiarabische Töne nur bei einem kleinen Teil der Israel pauschal verteidigenden Szene zu hören sind.

Ullrich erinnert aber auch daran, dass in einigen israelsolidarischen Publikationen die erste Intifada der Palästinenser Ende der 1980er Jahre »als hochaggressives, antisemitisches Werk« qualifiziert wurde. Dabei sei ignoriert worden, dass die Intifada sich gegen die israelische Besatzung und nicht gegen die Juden als solche wandte und sie gerade auch maßgeblich von palästinensischen Frauen getragen worden ist, während islamistische Einflüsse damals gering waren. Der Autor kritisiert zu recht, dass die Geschichte des Nahostkonflikts ausschließlich durch die deutsche Brille gesehen werde. Diese sei getrübt, erfasse nicht die wahren Ursachen des Konflikts, verfälsche das Urteil und werde nicht sämtlichen Bewohnern der Region gerecht. Und Brumlik erinnert im Vorwort daran, dass selbst in Israel bis in die 1960er keinesfalls alle Shoah-Überlebenden gleichermaßen geehrt und respektiert wurden, ja teilweise sogar – wie der renommierte Historiker Tom Segev nachgewiesen hat – verhöhnt worden sind.

Ein spezielles Kapitel bilanziert den Umgang der DDR mit Jüdinnen und Juden. Nach antizionistisch verbrämtem, von Moskau initiiertem Antisemitismus Anfang der 1950er, der mit Stalins Tod ein Ende fand, seien anders als in anderen sozialistischen Ländern Osteuropas die jüdischen Gemeinden in der DDR keinen Restriktionen ausgesetzt gewesen. Im letzten Kapitel, das sich der Linkspartei widmet, wirft Ullrich einer Studie der Politikwissenschaftler Samuel Salzborn und Sebastian Voigt aus dem Jahr 2011 methodische Mängel vor. Von der Linkspartei wiederum fordert er, sie solle Forschungen unterstützen, die qualitative und quantitative Aussagen über eventuellen Antisemitismus in ihrer Mitgliedschaft ermöglichen.

Peter Ullrich:

Deutsche, Linke und der Nahostkonflikt. Politik im Antisemitismus- und Erinnerungsdiskurs.
Wallstein. 207 S., geb.,
19,90 €

www.neues-deutschland.de/artikel/915831.die-deutsche-brille-ist-getruebt.html

Peter Nowak

Die Debatte ist nicht neu

Peter Ullrich über die Antisemitismus-Diskussion in der LINKEN
Der Soziologe Peter Ullrich arbeitet an der Abteilung für medizinische Psychologie und medizinische Soziologie der Leipziger Universität und ist Verfasser des im Dietz-Verlag erschienenen Buches »Die Linke, Israel und Palästina«.

ND: Sie haben über den Antisemitismus in der Linken geforscht. Kommt die aktuelle Debatte in der Linkspartei für Sie überraschend?
Ullrich: Nein, diese Debatte ist ja nicht neu. Sie wiederholt sich in bestimmten Zyklen: bei gedenkpolitischen Anlässen oder Ereignissen im Nahen Osten. Neu ist allerdings die Verknüpfung der Debatte mit der Frage der politischen Legitimität der Linkspartei und ihrer Regierungsfähigkeit, wie sie in der aus wissenschaftlicher Sicht höchst kritikwürdigen Studie des Gießener Politikwissenschaftlers Samuel Salzborn und des Leipziger Historikers Sebastian Voigt angestrengt wird.

Was ist ihre Hauptkritik an dieser Studie?
Einzelne Negativbeispiele werden unzulässig generalisiert, was nur durch Auslassung wichtiger Kontextinformationen gelingt. Zudem sind zentrale historische Prämissen falsch. So wird der Eindruck erweckt, mit der LINKEN würde erstmals in der Nachkriegszeit eine Partei mit antisemitischen Positionen regierungsfähig werden. Damit werden die zahlreichen Politiker mit NSDAP-Vergangenheit sowie antisemitische Ausfälle von Politikern aller Parteien in der Nachkriegszeit relativiert und der Antisemitismus einseitig in der LINKEN verortet.

Warum konnte die Diskussion dann jetzt in der Partei eine solche Bedeutung bekommen?
Die Linkspartei hat sich die Debatte nicht ausgesucht. Die Berichterstattung der letzten Wochen war geprägt durch teilweise perfide Unterstellungen. Zudem ist die Diskussion eng mit den innerparteilichen Strömungskonflikten verknüpft. So müssen die regierungswilligen Reformer viel stärker unter Beweis stellen, dass sie auch in dieser Frage staatstragend sind als die Vertreter des linken Flügels.

Aber Sie bestreiten ja nicht, dass es dort Antisemitismus gibt?
Antisemitische Positionen unter Linken sind meist die Folge einer Überidentifikation mit den Palästinensern im Nahost-Konflikt. Bei manchen Linken ist sie mit einer völligen Ignoranz gegenüber den Interessen der israelischen Seite in dem Konflikt verbunden.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Die Forderung nach einem binationalen Staat im Nahen Ost ist von einer menschenrechts-universalistischen Perspektive nicht zu beanstanden. Problematisch wird es aber, wenn die reale Problematik antisemitischer Gruppierungen wie der Hamas ebenso ausgeblendet wird wie der Wunsch vieler Juden nach den Erfahrungen der Shoah, in einem eigenen Staat zu leben.

Wurde die Debatte über den linken Antisemitismus nicht eher in Kreisen der außerparlamentarischen Linken als der Partei die LINKE geführt?
Ja, denn der inhaltliche Kern der Partei ist nicht der Nahost-Konflikt. Es geht ja eher um Fragen sozialer Gerechtigkeit oder die Anerkennung von DDR-Biografien. Die große Mehrheit der Mitglieder unterstützt intuitiv die Palästinenser, aber das Thema steht bei ihnen nicht im Vordergrund. Eine bedingungslose Identifikation mit einer Seite im Nahost-Konflikt wurde eher von kleineren, aber sehr ideologisierten Gruppen praktiziert.

Ist es nicht positiv zu werten, dass jetzt über Antisemitismus in der LINKEN diskutiert wird?
Diese Hoffnung hatte ich auch. Eine solche Debatte müsste die Sensibilität dafür stärken, wo propalästinensische Positionen an antisemitischen Einstellungen anschlussfähig sind. Da wirkt der Beschluss der Bundestagsfraktion allerdings kontraproduktiv, weil er die alten Frontstellungen zementiert. Das zeigen sämtliche Reaktionen. Hier wird versucht, mit administrativen Mitteln eine notwendige Debatte zu ersetzen.

Sehen Sie noch einen Ausweg?
Notwendig wäre eine Positionierung gegen jede Form von Antisemitismus und genauso deutlich gegen die israelische Besatzung. Ausgewogenere Akteure wie die Rosa-Luxemburg-Stiftung könnten bei der Formulierung einer solchen nichtidentitären Politik eine wichtige Rolle spielen.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/200175.die-debatte-ist-nicht-neu.html

 

 Interview: Peter Nowak