Demonstranten in Rostock fordern grundlegende Änderungen in Asyl- und Migrationspolitik

Nicht nur erinnern

Imam-Jonas Dogesch bezeichnete die Demo samt Abschlusskundgebung vor dem Sonnenblumenhaus, das damals vom rechten Mob in Brand gesetzt worden war, als großen Erfolg. Im Gespräch mit »nd« merkte er aber kritisch an, dass sich nur wenige Bewohner*innen aus Rostock-Lichtenhagen an der Demonstration beteiligt hätten. Die meisten Fenster seien geschlossen gewesen: »Die Menschen standen hinter den Gardinen und haben sich nicht mit den Demonstrant*innen solidarisiert. Damals haben sie geklatscht, heute wollen sie mit den Ereignissen zum 30. Jahrestag nichts mehr zu tun haben.«

Tausende Menschen haben am Samstag im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen mit einer Demonstration an die tagelangen Angriffe auf Asylsuchende und vietnamesische Vertragsarbeiter im August 1992 und weitere rassistische Anschläge von den 1990er Jahren bis in die Gegenwart erinnert. Die Polizei sprach von 3600 Teilnehmenden der Demo unter dem Motto »Erinnern heißt verändern«, die Organisator*innen von bis zu 5000. Ein Bündnis aus regionalen Vereinen und Initiativen hatte bundesweit zu der Kundgebung mobilisiert. Auf Transparenten und selbstgemachten Plakaten waren Parolen wie »Solidarität statt Ausgrenzung« und »Alle zusammen gegen den Rassismus« zu lesen. Polizei und Sicherheitsorgane wurden in Sprechchören unter anderem wegen ihres Umgangs mit den Verbrechen des rechtsterroristischen NSU kritisiert. Die Täter konnten über Jahre ungestört mindestens neun Migranten ermorden, während die Polizei Familienangehörige verdächtigte. Außerdem verlangten Demonstrant*innen, die von den Pogromen betroffenen Sinti und Roma materiell zu entschädigen und ihnen ein Rückkehrrecht einzuräumen. Die meisten von ihnen wurden damals zuerst aus der Stadt gebracht und später abgeschoben. »Es geht uns nicht darum, immer zum …

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Angeklagte in TKP-Prozess freigelassen

129b-Haftbefehl gegen vier Beschuldigte aufgehoben

Für Susanne Kaiser war der 19. Februar ein Freudentag. Schließlich konnte die Nürnberger Ärztin ihre Freundin und Kollegin Dilay Banu Büyükavci wieder in die Arme schließen. Büyükavci war Ende April 2015 von einer schwer bewaffneten Anti-Terror-Einheit festgenommen worden, als sie sich nach ihrer Arbeit an einer Nürnberger Klinik mit Kolleg_innen getroffen hatte. Seitdem saß die 46-Jährige im Hochsicherheitstrakt München-Stadelheim in Untersuchungshaft. 

Mit Büyükavci sind neun weitere türkische Linke verhaftet worden, darunter der Lebensgefährte der Ärztin. Sie alle werden beschuldigt, die 1972 gegründete Kommunistische Partei der Türkei/Marxistisch Leninistisch (TKP/ML) unterstützt zu haben. Diese kämpft in der Türkei auch mit Waffengewalt gegen das türkische Militär. 

Laut eigener Aussage haben die Angeklagten nie eine Waffe in der Hand gehabt. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen dagegen die Organisierung von Solidaritätskonzerten und das Sammeln von Spenden für eine terroristische Organisation vor. Nur ist die inkriminierte TKP/ML in Deutschland nicht verboten. Grundlage der Anklage ist der Paragraf 129b, nach dem legale Tätigkeiten kriminalisiert werden können, wenn damit eine als terroristisch klassifizierte Organisation unterstützt worden sein soll. Das Bundesjustizministerium muss in jeden einzelnen 129b-Fall die Verfolgungsermächtigung geben.

Die Haftbefehle gegen Büyükavci und ihre drei Mitangeklagten wurden jüngst außer Vollzug gesetzt. Sie konnten unter Auflagen das Gefängnis verlassen. Büyükavcis Anwälte Yunus Ziyal und Peer Stolle werten die Freilassung als Erfolg. 

Banu Büyükavci kann in der Nürnberger Klinik, an der sie vor ihrer Verhaftung angestellt war, nun weiterarbeiten. Einige ihrer Kolleg_innen hatten sie die ganze Zeit unterstützt. Dazu gehörte Susanne Kaiser. Mit einem kleinen Kreis weiterer Kolleginnen hatte sie sich für die Freilassung Büyükavcis eingesetzt. Sie schrieben unter anderem an verschiedene Landes- und Bundespolitiker. Die meisten Adressat_innen reagierten nicht einmal. Lediglich der Bund der Steuerzahler antworte mit einem Brief. Ihn hatten sie angeschrieben, um auf die Kosten des Münchner Mammutprozesses hinzuweisen. Der geht auch nach der bedingten Freilassung der vier Angeklagten in München weiter. Seit einem Jahr wird im Münchner Strafjustizzentrum verhandelt. 

Erst vor Kurzen begann in Hamburg der Prozess gegen den türkischen Linken Musa Asoglu. Anfang Februar forderten auf einen Kongress in Hamburg Anwält_innen und Solidaritätsgruppen seine Freilassung. Als »Auftragsarbeit für Erdogan« bezeichnen auch die Anwälte Stolle und Ziyal das Münchner TKP-ML-Verfahren. Dieses sei nur durch eine Kooperation der deutschen und türkischen Justiz möglich.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1080133.angeklagte-in-tkp-prozess-freigelassen.html

Peter Nowak

Wenn auf privatisierten Plätzen die Grundrechte nicht mehr gelten