Energetische Sanierung zunehmend in der Kritik

Eine empirische Kurzstudie des Berliner Mietervereins bestätigt Sorgen von Mietern

Wacht auf Verdammte dieser Erde“, lautete die Parole einer Protestaktion von Mieterinitiativen und der Politsatiregruppe Büro für Ungewöhnliche Maßnahmen[1] vor einigen Monaten. Damals wurde in einer größeren Öffentlichkeit wahrgenommen, dass immer mehr Mieter in der „energetischen Sanierung“ in erster Linie ein Instrument der Hauseigentümer sehen, die Miete zu erhöhen und Mieter zu vertreiben. Nun haben sie die Bestätigung durch eine Studie[2] des Berliner Mietervereins[3] erhalten.

Anhand von knapp 200 Modernisierungsankündigungen hat der Berliner Mieterverein in den Zeiträumen 2012 bis 2013 und 2015 bis 2016 die aufgewendeten Baukosten nach Art der Maßnahme sowie die Mietentwicklung nach der Modernisierung untersucht. Der durchschnittliche Mietenanstieg um 2,44 €/qm bzw. 186,37 € absolut im Monat bedeutet – gemessen an der durchschnittlichen ortsüblichen Vergleichsmiete im Mietspiegel 2015 – einen Anstieg von fast 42 %.

Die Nettokaltmiete steigt im Schnitt nach den Ergebnissen der Kurzstudie von 4,73 €/qm im Monat auf 7,14 €/qm im Monat. „Die Modernisierung ist aus dem Ruder gelaufen“, kritisiert der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins Reiner Wild.

Energetische Sanierung gut für die Eigentümer – nicht für die Umwelt

Die Studie bestätigt, was viele Mieter nicht nur in Berlin[4] seit Jahren beklagen. Die energetische Sanierung ist das Einfallstor für Mieterhöhungen und für die „Schleifung des Mietrechts“. Doch die Studie gibt den Kritikern noch in einem weiteren Punkt Recht.

In den untersuchten Fällen haben sich trotz energetischer Maßnahmen im Jahr nach der Modernisierung die Heizkosten nicht verringert. Die Vermieter verlangen weiterhin die alten Vorauszahlungen, offenkundig weil sie der vermuteten Energieeinsparung und damit auch der Heizkostenersparnis nicht trauen. Nur bei einer sehr kleinen Fallzahl konnte anhand von Heizkostenabrechnungen vor und nach der Modernisierung die tatsächliche Reduktion des Energieverbrauchs ermittelt werden.

Für Kurt Jotter vom Büro für Ungewöhnliche Maßnahmen sind die Befunde der Studie nicht überraschend. Er hat seit Jahren seine oft satirische Kritik an der energetischen Sanierung geäußert, die durchaus nicht immer auf Zustimmung stieß. Schließlich wird eine Maßnahme, die vorgeblich im Namen der Umwelt geschieht, gerne von Umweltverbänden und den Grünen verteidigt – auch wenn sie letztlich der Umwelt gar nicht nützt. So wirbt der BUND noch immer mit dem Slogan „Je besser die Dämmung, desto besser der Klimaschutz“[5].


Die Mieter sollen die Energiewende bezahlen

„!ch habe ja diesen ganzen neoliberalen Irrsinn mit der energetischen Sanierung schon bei seiner Entstehung miterlebt – als ich zwischenzeitlich für die Energiewende und Solar in Brandenburg Freiflächen akquiriert habe“, begründet Jotter gegenüber Telepolis seine besondere Sensibilität diesem Thema gegenüber. Das Duo Merkel/Rösler habe Agrarflächen für Solar gesperrt, die Förderungen radikal gekürzt und schließlich fast die gesamte Solarindustrie zerschlagen[6], moniert Jotter, der damals erarbeitete Provisionen in beträchtlicher Höhe verloren hat.

„Die ‚Volksenergie‘ Solar war den vier herrschenden Energie-Konzernen ein Dorn im Auge – ebenso wie ihrem neoliberalen Regierungs-Duo“, ist Jotter heute überzeugt und sieht einen Zusammenhang zu den nun in der Kritik stehenden energetischen Sanierung: „Als die Verdrängung von Solar aus dem Erneuerbaren Energie-Mix offensichtlich war, fragten Journalisten sichtlich erregt auf der Bundespressekonferenz Merkel und Rösler: Wie bitte sollt denn nun ohne Solar die Energiewende noch gelingen? Die beiden wie aus der Pistole geschossen: Das kompensieren wir mit energetischer Sanierung und dämmen in ganz Deutschland die Wände. Die Gesetze wurden dann so umgestaltet, dass dies letztlich nicht die Hausbesitzer traf, sondern nur die Mieter, die – durch diese Zwangsgesetzgebung völlig entrechtet – ganz allein die Zeche zahlen müssen. Es wurde auch noch ausgebaut zum Vielfach-Renditebringer und zur Melkkuh für die internationalen Investoren.“

Dabei sind die Mieter nach einer Kasseler Untersuchung deutschlandweit nur zu 7% an dem Co2-Ausstoß beteiligt! Wann kommen solche „Zwangsgesetze“ für die restlichen 93 % der Umweltverschmutzer? Das fragen sich auch immer mehr Mieter und auch bei Gericht gibt es erste Erfolge.

Pankower Urteil ermutigt Mieter

Sie stützen sich dabei auf eine Gerichtsentscheid, das als Pankower Urteil[7] bei kritischen Mieterinitiativen Beachtung gefunden hat. Anfang 2015 sprach eine Amtsrichterin in Deutschland einer Mietpartei erstmals gleiches Recht zu, wie es auch für Hauseigentümer gilt: das Recht auf Wirtschaftlichkeit bei energetischen Modernisierungsmaßnahmen[8].

Die Beklagten haben […] nicht die Dämmung der Fassade zu dulden … Erst nach ca. zwanzig Jahren würde erstmals die Umlage niedriger sein als die eingesparte Heizenergie. Da kann von einer modernisierenden Instandsetzung aber nicht mehr die Rede sein […].

Pankower Urteil
Nach Auffassung des Gerichts können die Beklagten die Unwirtschaftlichkeit der Maßnahme „bereits im hiesigen Duldungsverfahren einwenden“, so der Tenor des Pankower Urteils. .

Abschaffung des § 559 gefordert

In der Kritik von Mieterorganisationen steht der mit dem Mietrechtsänderungsgesetz 2013 eingeführten Modernisierungs-Paragraph § 559 BGB[9], der die Mieterhöhungen bei energetischen Sanierungen und die Einschränkung der Mieterrechte legitimiert. Mieteraktivisten fordern die Abschaffung dieses Paragraphen und haben im Internet eine Petition[10] dazu gestartet.

Sie verweisen darauf, dass der Paragraph gegen Urteile des Bundesverfassungsgerichts verstößt, wonach Vermieter und Gesetzgeber keine „Regelungen“ treffen dürfen, die das Bestandsinteresse des Mieters gänzlich missachten oder unverhältnismäßig beschränken.

Es wäre wünschenswert, wenn das Thema einen solchen gesellschaftlichen Stellenwert bekäme, dass sich auch die Parteien im Bundestagswahlkampf dazu positionieren müssten. Schließlich sind ja Mieter ein stark umworbenes Klientel. Beim Paragraphen § 559 BGB müssten die Parteien nun zeigen, was die schöne Rhetorik wert ist.

https://www.heise.de/tp/features/Energetische-Sanierung-zunehmend-in-der-Kritik-3798624.html

Peter Nowak

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Links in diesem Artikel:
[1] http://www.bizim-kiez.de/blog/initiativenthemen/buero-fuer-ungewoehnliche-massnahmen/
[2] http://www.berliner-mieterverein.de/downloads/pm-1725-modernisierung-bmv-kurzstudie.pdf
[3] http://www.berliner-mieterverein.de/presse/pressearchiv/pm1725.htm
[4] http://www.taz.de/!t5424124/
[5] https://www.bund-naturschutz.de/oekologisch-leben/energie-sparen/energetische-sanierung.html
[6] http://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/zerschlagung-solar-millennium-verkauft-flagsol-anteile/6850544.html
[7] https://pankowermieterprotest.jimdo.com/2017/03/28/pankower-urteil-es-geht-weiter
[8] https://pankowermieterprotest.jimdo.com/2015/02/23/urteil-des-amtsgerichts-pankow-wei%C3%9Fensee-fassadend%C3%A4mmung-ist-unwirtschaftlich/
[9] https://www.gesetze-im-internet.de/bgb/__559.html
[10] https://www.change.org/p/bundestag-abschaffung-der-bgb-vorschriften-%C3%BCber-mieterh%C3%B6hungen-nach-modernisierungen-2c1505f0-9859-43cc-9ab8-e5ef3c363e10#share

MieteraktivistInnen fordern Dämmmatorium in Berlin


In einem Offenen Brief fordern der Pankower Mieterprotest und das Büro für Ungewöhnliche Maßnahmen zum Widerstand gegen energetische Sanierung, die nur die Mieten in die Höhe treibt

Die Pestalozzistraße 4 in Berlin-Pankow ist ein eher unscheinbares Wohnhaus. Dass dort am Donnerstag zu einem Pressegespräch eingeladen wurde, liegt an einer Gerichtsentscheidung, die als Pankower Urteil bekannt wurde. Geklagt hatte die Familie Hahn, die in dem Haus wohnt, gegen die Gesobau, weil sie eine energetische Sanierung nicht dulden wollte. Im Urteil wurde festgeschrieben, dass die betroffene Familie ohne energetische Sanierung bei der Betriebskostenabrechnung aktuell genau die gleichen Verbrauchswerte hatte, wie eine Familie in einer von der Größe und der Bauweise gleichen Wohnung, die bereits energetisch saniert worden war. Dabei hatte die Gesobau energetische Einsparungen von 73 % angekündigt. „So etwas kann man sonst überall mit Fug und Recht als Betrug bezeichnen – nicht aber hier im Umgang mit den MieterInnen. Beachtlich, dass eine neoliberale Bundesregierung so etwas legalisieren und bis in die heutige Zeit als staatliche Zwangsmaßnahme für bestimmte Technologien durchsetzen kann“, kritisierte der Mieteraktivist Kurt Jotter vom Büro für ungewöhnliche Maßnahmen beim Pressegespräch die politischen Vorgaben, die aus der energetischen Sanierung ein profitables Gesetz für die Dämm-Lobby gemacht haben.

Modellprojekt Pestalozzistraße 4?

Zahlen müssen die MieterInnen. Die Pankower Familie Hahn ist dazu weiterhin nicht bereit. Sie fordert die Gesobau auf, das Haus in der Pestalozzistraße 4 in Pankow als „Versuchsobjekt“ zu betrachten, um die Wirtschaftlichkeit der energetischen Maßnahmen über einen Zeitraum von mindestens fünf Jahren zu überprüfen. Das Haus biete sich dafür an, da es über baugleiche Teile verfügt, von denen ein Teil bereits energetisch saniert ist und der andere Teil unsaniert ist. Es soll festgestellt werden, ob die Maßnahmen der energetischen Modernisierung tatsächlich wirtschaftlich und im Ergebnis klimarelevant sind. Dabei soll auch die bisher oft vernachlässigte sogenannte graue Energie in die Prüfung einbezogen werden, die für die Förderung und den Transport von Erdöl, die Herstellung von Wärmeverbundsystemen aus Styropor etc. benötigt wird.

Von der Berliner Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen Katrin Lompscher fordern die im Pankower Mieterprotest“ zusammengeschlossenen Betroffenen und das Büro für Ungewöhnliche Maßnahmen in einem Offenen Brief, ein Moratorium für energetische Sanierung instädtischen Wohnungsbaugesellschaften. Das soll gelten, bis die Ergebnisse der Effektivitätsprüfung bekannt sind. „Ein Kasseler Institut hat errechnet, dass die energetische Sanierung von Mietwohnungen in ganz Deutschland nur 7% der Gesamt-Emissionen ausmachen und dafür nun nach und nach alle MieterInnen blechen sollen“, heißt es in dem Brief, der sich ausdrücklich an alle „MitstreitreiterInnen für MieterInnenrechte“ und nicht nur die Politik richtet. „Wir rufen alle städtisch Verdämmten auf, ihre Betriebskosten-Abrechnungen genau zu lesen, zu prüfen und zu melden“, lautet der Appell an die Berliner MieterInnen. Interessierte können unter EnergEthik(at)web.de Kontakt zu den InitiatorInnen des Aufrufs nehmen.

aus: MieterEcho online
https://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/daemmmoratorium.html

Peter Nowak

Dämm-Moratorium des Senats gefordert

Mieteraktivisten fordern Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (LINKE) in einem Offenen Brief auf, ein Moratorium für einen Teil der energetischen Sanierung zu beschließen. Die Präsentation des Offenen Briefs fand im Vorderhaus der Pestalozzistraße 4 statt. Dort hatten Mieter gegen das landeseigene Wohnungsunternehmen Gesobau eine Gerichtsentscheidung erstritten, die als »Pankower Urteil« für Aufmerksamkeit sorgte. Das Gericht stellte fest, dass die betroffene Familie Hahn ohne energetische Sanierung bei den Betriebskosten die gleichen Verbrauchswerte wie Mieter sanierter Wohnungen hatten. Mieteraktivist Kurt Jotter forderte den Senat auf, die Effektivität und mögliche gesundheitsschädliche Wirkungen der energetischen Sanierung zu prüfen, bevor damit weiterhin ein Vorwand für Mieterhöhungen geschaffen werde.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1057358.daemm-moratorium-des-senats-gefordert.html

Peter Nowak