»Mit der anderen Hand wird zugeschlagen«

Osaren Igbinoba (D.I.)  ist Mitglied des Koordinationsbüros der Flüchtlingsorganisation The Voice Refugee Forum in Jena. The Voice wurde 1994 gegründet und kämpft seitdem u. a. für die Abschaffung der Residenzpflicht.

ND: Einige Bundesländer wie Brandenburg und Berlin haben kürzlich Lockerungen der Residenzpflicht beschlossen. Begrüßen Sie das?

Igbinoba: Es ist schön, dass nach 16 Jahren Kampf von Flüchtlingsorganisationen wie The Voice gegen die Residenzplicht  eine Generation von jungen Politikern herangewachsen ist, die nun eine schüchterne parlamentarische Initiative angestoßen haben und sie endlich diesem Thema im Landtag Platz schaffen. Es bleibt die Fragen, wieso gerade jetzt und wieso nicht schon früher und warum  geht man den Weg nicht jetzt schon zu Ende und schafft die Residenzpflicht völlig ab.
  
  Warum   kritisieren Sie in einer Presseerklärung einige linke Aktivisten wegen deren positiven Stellungnahme zur Lockerung der Residenzpflicht?

 D.I.:   Dieses Gesetz ist kein Grund zu feiern, weil es die generelle  die Residenzpflicht nicht aufhebt. Es dient auch  dazu,  den Flüchtlingen erneut zu bestätigen, dass sie immer nach wie vor unterdrückt werden. Mit einer Hand wird etwas gegeben, und die andere Hand wird dazu benutzt, zuzuschlagen. Das ist der Gegenstand unserer Kritik an die Politik.

 Wie wollen Sie  in Zukunft gegen die Residenzpflicht kämpfen?
D.I.: Wir hatten im Juni 2010 in Jena ein internationales Festival organisiert, das darauf fokussiert war, die Isolation der Flüchtlinge in den Heimen zum Thema zu machen.  Wir bereiten jetzt ein „Karawane International Tribunal für die Rechte der Migrantinnen und Flüchtlinge vor, das  die Residenzpflicht untersuchen wird. Und wir werden unseren täglichen Kampf gegen die Unterdrückung der Flüchtlinge dokumentieren, künstlerisch durch Ausstellungen und Medienprojekte stärker präsent sein und das Problem weiter in das Bewusstsein der Öffentlichkeit bringen. Denn die prekäre rechtliche Lage der Flüchtlinge, kann nur deswegen
aufrechterhalten werden, weil von Seiten der Politik der Mantel des Schweigens darüber ausgebreitet wird und das Problem vor der eigenen Bevölkerung versteckt wird.

  Wird es von Ihrer Seite auch weiterhin eine Zusammenarbeit mit den von Ihnen kritisierten deutschen Linken geben? 

     D.I.: Wir sind weiterhin offen für Zusammenarbeit und Austausch mit denjenigen, die sich vorgenommen haben, die Stellen auszubessern, wo unser System immer noch versagt. Wir erwarten von unseren Mitstreitern, dass sie eine klarere Position einnehmen bezüglich der Unterdrückung der Flüchtlinge in dem Land,das diese eigentlich von Unterdrückung befreien sollte.

 Halten Sie in dieser Frage eine Politik der kleinen Schritte auch in Zukunft nicht für denkbar?
D.I.: Menschenrechte sind nicht nur nicht verhandelbar, sie können auch nicht verkauft werden. Aber heute erleben wir, wie sie auf zynische und menschenverachtende Weise zum Kauf angeboten werden, wenn deren Ausübung durch Menschen ohne finanzielles Einkommen, durch die Verwaltung mit Gebühren belegt wird. Es geht um  Gebühren für die Stellung eines Antrags auf Verlassen des Landkreises.   Das ist nur ein weiteres Beispiel dafür, wie das Geld, das von staatlicher Seite für die Betreuung der Flüchtlinge bereitgestellt wird, am Ende dafür benutzt wird, um eine Kollektivbestrafung an ihnen vorzunehmen. Und zur Änderung dieses
Missstandes wird eine Politik der kleinen Schritte vorgeschlagen. Sie fragen mich ernsthaft, ob ich das für den richtigen Weg halte?

https://www.neues-deutschland.de/artikel/177774.mit-der-anderen-hand-wird-zugeschlagen.html
Interview: .Peter Nowak