Umsonst durch die Stadt

Sozialer Ausgleich und Umweltschutz dank Freifahrt im Nahverkehr
Viele Großstädte ersticken buchstäblich im Verkehr. Eine stärkere Nutzung von Bus, Tram, U- und S-Bahn könnte da Wunder wirken. Doch die sind so manchem zu teuer. In Paris, Berlin und anderswo wollen linke und Umweltgruppen deshalb die kostenlose Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel durchsetzen.
Jeder kennt das, kaum sitzt man in der Bahn, heißt es von mehreren Türen her: Die Fahrausweise bitte! Das Bündnis »Berlin fährt frei«, in dem das Berliner Sozialforum, die Gruppe »Für eine linke Strömung« (FELS) und Klimaaktivisten mitarbeiten, will dem ein Ende machen. In der vergangenen Woche hat das Bündnis seine Kampagne vorgestellt. Das Argument der leeren Kassen lassen die Freifahrtaktivisten nicht gelten. Natürlich fahren Bus und Bahn nicht umsonst, doch zur Finanzierung des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) könne man die faktische Subventionierung des PKW-Verkehrs verringern. Auf der Homepage www.berlin-faehrt-frei.de wird vorgerechnet, dass das Land Berlin seit 1991 umgerechnet rund drei Milliarden Euro für Straßenbau, Straßenunterhaltung und Straßenbeleuchtung ausgegeben, aber nur umgerechnet 1,9 Milliarden Euro an Kraftfahrzeugsteuer eingenommen hat.

 Die Förderung von Bussen und Bahnen und die Zurückdrängung des Autoverkehrs ist auch umweltpolitisch von großer Bedeutung, betont die Sozialwissenschaftlerin Sigrid Graumann vom Berliner Sozialforum. Sie sieht in der Verknüpfung von umwelt- und sozialpolitischen Forderungen die besondere Qualität von »Berlin fährt frei«. »Mobilität ist ein soziales Recht, das allen einkommensunabhängig zustehen muss. Berlin kann zudem seinen versprochenen Beitrag zum Klimaschutz nur leisten, wenn viele Autofahrer auf den ÖPNV umsteigen«, meint Graumann. Tatsächlich zeigten Studien aus Städten mit praktiziertem Nulltarif im Nahverkehr, wie dem belgischen Hasselt und dem brandenburgischen Templin, dass dort die Zahl der Pkw-Nutzer zurückgeht.

Die Beteiligung von Aktivisten aus der Klimabewegung im Bündnis »Berlin fährt frei« ist auch eine Folge von Diskussionen, die schon vor dem Klimagipfel im Dezember 2010 in Kopenhagen begonnen hatten und danach intensiver geführt wurden. »Wir müssen die Mobilisierung zu Großevents mit den Alltagskämpfen verbinden«, formuliert ein Klimaaktivist den Diskussionsstand. Ein Redner führt noch einen besonderen Grund an, warum er das Engagement von Klimaaktivisten für einen unentgeltlichen Nahverkehr für wichtig hält. »Oft seien Forderungen der Klimabewegung mit Einschränkung und Verzicht für Menschen mit niedrigen Einkommen verbunden«, meint er mit Bezug auf die Debatte um die Billigflüge. Durch die Nulltarifkampagne werde deutlich, dass sich klimapolitische und soziale Forderungen verbinden ließen. Zu den möglichen Bündnispartnern für die Nulltarifkampagne, zu denen Kontakt aufgenommen werden soll, könnte auch die LINKE gehören. Schließlich fordert sie in ihrem aktuellen Programmentwurf einen unentgeltlichen Öffentlichen Nahverkehr.

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Peter Nowak