Gezerre um die Anwälte im NSU-Prozess

Münchener Untergrund

Die Zahl rechtsextremer Angriffe in München hat stark zugenommen. Dass es sich um eine Serie handeln könnte, wird mittlerweile sogar von der Polizei für möglich gehalten.

Sorgt der NSU-Prozess für Zurückhaltung bei Neonazis? Davon kann zumindest in Bayern keine Rede sein. »Die rechte Szene tritt gerade im Zusammenhang mit dem NSU-Prozess in München immer offener und dreister auf«, sagt der Geschäftsführer des Bayerischen Flüchtlingsrats, Matthias Weinzierl, der Jungle World. Das Gebäude, in dem sich die Räume des Flüchtlingsrats befinden, wurde in den vergangenen Monaten mehrmals angegriffen. Im April verschandelten Unbekannte die Schaufensterscheibe des Büros mit zahlreichen Aufklebern des neonazistischen »Freien Netzes Süd«. Im selben Monat schlug jemand die Scheibe der Geschäftsstelle genau an der Stelle ein, an der ein Plakat für eine Demons­tration anlässlich des kurz darauf beginnenden NSU-Prozesses geworben hatte. Im Mai ritzten Unbekannte in die neu eingesetzte Scheibe die Worte »Anti-Antifa« und »NS-Jetzt«.

Neben dem Bayerischen Flüchtlingsrat wurden in den vergangenen Wochen weitere Einrichtungen, die sich mit den Opfern des NSU-Terrors solidarisiert hatten, zum Ziel rechtsextremer Angriffe. So zerstörten bisher nicht ermittelte Täter Fenster des linken Münchener Wohnprojekts »Ligsalz 8«, ritzten Naziparolen in andere Fenster und bewarfen die Fassade des Gebäudes mit Farbbeuteln. Die vier Fenster des Büros des Kurt-Eisner-Vereins wurden demoliert. Am Eine-Welt-Haus wurden zweimal Vermummte vertrieben, die sich an der Fassade zu schaffen gemacht hatten. Auch die Rechtsanwältin Angelika Lex, die im NSU-Prozess die Witwe des ermordeten Theodoros Boulgarides als Nebenklägerin vertritt, wurde belästigt. Vor dem Eingang ihrer Kanzlei im zweiten Stock eines Münchener Bürohauses wurden Urin und Kot verschmiert. Zudem hat nach Aussage der Anwältin die Zahl der Drohbriefe und -Mails zugenommen, seit Lex auch in der Öffentlichkeit für eine konsequente Aufklärung des NSU-Terrors eintritt.

Die Polizei bestritt zunächst, dass es sich um eine Serie von Anschlägen handeln könnte. Mittlerweile wird gegen drei Münchener Neonazis ermittelt. Sie wurden gestellt, als sie die Parolen »Keine Macht den Kommunisten« und »Anti-Antifa« auf die Straße in unmittelbarer Nähe der Geschäftsstelle der Rosa-Luxemburg-Stiftung schmierten. Alle drei Verdächtigen sind der Poli­­zei als rechtsextrem bekannt, einer entstammt dem Umfeld des »Freien Netzes Süd« und war nach Erkenntnissen der Süddeutschen Zeitung Komplize des Neonazis Martin Wiese, der 2003 einen Sprengstoffanschlag auf das Jüdische Zentrum München verüben wollte.

Die Anwältin Lex hat die Reaktion der Polizei auf die Attacken öffentlich kritisiert. Auch Matthias Weinzierl vom Flüchtlingsrat ist unzufrieden. »Wir informierten die Polizei zum ersten Mal, nachdem unsere Scheibe eingeschlagen worden war. Es kam eine Streife vorbei, und ein Beamter meinte relativ schnell, dass kein unmittelbarer Zusammenhang zu den Naziaufklebern einige Wochen vorher ersichtlich sei. Die Anzeige wurde der Kriminalpolizei übergeben, die sich wiederum eine halbe Woche später mit uns in Verbindung gesetzt hat«, sagt er.

Mittlerweile haben sich die von den Angriffen betroffenen Organisationen mit einem Aufruf unter dem Titel »Gemeint sind wir alle« an die Öffentlichkeit gewandt. Die neonazistischen Attacken werten sie als Einschüchterungsversuche und als »Angriffe auf eine offene Gesellschaft«. In dem Aufruf wird darauf hingewiesen, dass im Schatten des NSU-Prozesses auch bundesweit die Naziangriffe weitergehen. So wurde das Gebäude der Islamischen Gemeinde in Düren kürzlich mit den Worten beschmiert: »NSU lebt weiter und ihr werdet die nächsten Opfer sein!« Weinzierl ist mit der Resonanz des Aufrufs zufrieden. Es habe sich eine eigene Kampagne entwickelt, die von zahlreichen Münchener Geschäften, Clubs, Lokalen, sozialen Einrichtungen und Einzelpersonen unterstützt werde.
http://jungle-world.com/artikel/2013/24/47880.html
Peter Nowak

Politisch brandgefährlich

Abgeordnete und Gewerkschafter fordern Ende der Diffamierung antirassistischer Gruppen
Das Extremismuskonzept, dem die Verfassungsschutzbehörden bei der Auswahl ihrer Beobachtungsobjekte folgen, ist Teil eines größeren politischen Problems. Im Vorfeld des Prozesses um die Morde der NSU-Terrorzelle wird dies von links thematisiert.

„Informationen über Extremisten jeder Art“ verspricht der bayerische Verfassungsschutzbericht 2012, der vom bayerischen Innenminister Herrmann (CSU) vorgestellt wurde. Ein eigenes Kapitel ist auch wieder der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) gewidmet, die als „bundesweit größte linksextremistisch beeinflusste Organisation im Bereich des Antifaschismus“ vorgestellt wird. Aber auch zahlreiche lokale antifaschistische Initiativen werden im VS-Bericht aufgeführt. Dass diese engagierte Antifagruppen noch immer überwacht und im VS-Bericht erwähnt wird, sorgt zunehmend vor Kritik. Einen Tag vor der Bekanntgabe des aktuellen VS-Berichts sind Politiker der Linken, Grünen und der SPD sowie Gewerkschafter mit einen Aufruf für ein Ende der Diffamierung antifaschistischer und antirassistischer Aktivitäten durch den VS an die Öffentlichkeit gegangen. Zu den Unterzeichnern des Aufrufs gehören die Bundestagsabgeordnete der Linken Eva Bulling-Schröder, der bayerische Jusovorsitzende Philipp Dees, die innenpolitische Sprecherin der Grünen im bayerischen Landtag Susanne Tausendfreund und der bayerische SPD-Landtagsabgeordnete Florian Ritter. Auch die Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle (a.i.d.a), die in den letzten Jahren erheblich dazu beigetragen hat, dass die Praxis des bayerischen Verfassungsschutzes bundesweit in die Kritik geriet, hat den Aufruf unterzeichnet. Sie hat gerichtlich durchgesetzt, dass sie nicht mehr als linksextremistisch beeinflusst bezeichnet werden darf. Entsprechende Stellen im VS-Bericht 2009 – 2011 mussten nachträglich geschwärzt werden.
Die Kritik an der Diffamierung antifaschistischer Aktivitäten hat nach Ansicht von Florian Ritter schon Spuren im aktuellen VS-Bericht erlassen. Dort werde mittlerweile zwischen den demokratischen „guten“ und den „bösen“ linken Antifaschismus unterschieden. „Lange Jahre wurde der Antifaschismus ohne jegliche Anführungsstriche als Problem des Linksextremismus bezeichnet“, so der SPD-Politiker im Gespräch mit dem ND.
Der Aufruf richtet sich aber auch gegen das Extremismuskonzept, das in Bundesländern mit konservativen Innenministern weiterhin die Leitlinie ist. Die in der Erklärung vertretene Einschätzung, das Extremismuskonzept sei „unwissenschaftlich und politisch brandgefährlich“ bekräftigt Ritter im Gespräch mit dem ND. „Der Extremismusansatz ist in meiner Partei eine Minderheitenposition“. Der Aufruf sei bewusst wenige Tage vor dem Beginn des NSU-Prozess veröffentlicht worden. Ein Teil der Blindheit, der deutschen Sicherheitsbehörden, gegenüber der rechten Gewalt könne auf den Extremismusansatz zurück geführt werden. In dem Aufruf wird daran erinnert, dass viele der im VS-Bericht aufführten Initiativen seit Jahren für die Rechte von Flüchtlingen und Migranten eintreten, sich für eine antifaschistische Erinnerungspolitik einsetzen und mit ihren Recherchen erst die extreme Rechte öffentlich problematisiert hätten. Auch an der Großdemonstration im Vorfeld des NSU-Prozesses, die am 17. April in München stattfindet, beteiligen sich viele der unterzeichnenden Gruppen. Auch die Demo dürfte wieder Beobachtungsobjekt des VS werden.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/818634.politisch-brandgefaehrlich.html
Peter Nowak