Von den Septemberstreiks vor 53 Jahren bis zu den ostdeutschen Betriebskämpfen gibt es aktuell genügend historische Anknüpfungspunkte. Doch die Linke bleibt passiv. Wie den Rechten das Feld überlassen wird.

Soziale Proteste: Die Linke als Diskurspolizei?

Wie bei den Septemberstreiks vor 53 Jahren müsste der Druck von der Basis der Beschäftigten ausgehen. Dazu ist es natürlich wichtig, diese historischen Erfahrungen überhaupt zu kennen. Und nicht nur sie. Marek Winter erinnert in einem Artikel in der Wochenzeitung Jungle World an vergessene betriebliche Kämpfe, die kaum 30 Jahre her sind: die Kämpfe der Belegschaften gegen die Zerschlagung der DDR-Industrie durch die Treuhand. Wenn jetzt Habeck und Co. in Schwedt die Deindustrialisierung Ostdeutschlands fortsetzen wollen, könnte es dann auch Proteste führen, die an diese Betriebskämpfe vor über 30 Jahren anschließen.

Aktuell ist die Zeit der Gesundbeter, die die Lage trotz hoher Inflation und eines bevorstehenden Winters mit zu erwartender Energiearmut bisher unbekannten Ausmaßes schönreden. Befürchtet wird von den ideologischen Staatsapparaten, dass ein Teil der Bevölkerung dieses Zweckoptimismus nicht teilt und womöglich auf die Straße geht, um eine andere Politik zu fordern.In liberalen Medien kommen Psychologen zu Wort, die erklären, wie man die Krise meistern und aushalten kann. Diesen Zweckoptimismus bedienen auch Politik und Medien. „5:1 für die Zuversicht“, titelte die linksliberale taz und vermeldet, dass außer der AfD alle im Berliner Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien davon ausgehen, die Krise in der Hauptstadt sei gemeistert. Eigentlich müsste es als großes Warnsignal verstanden werden, wenn es keine linken Parteien gibt, die angesichts der drohenden massiven Inflation und Energieknappheit mit noch unklaren Folgewirkungen den Widerstand der Bevölkerung gegen diese Politik und ihre Profiteure unterstützen. Denn eine solche Kraft wäre auch ein großer Beitrag gegen rechts. Wenn aber eine ganz Große Koalition – außer der AfD – im Berliner Abgeordnetenhaus auf Zweckoptimismus setzt, ist das ein …

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Wie geht es mit der Enteignung von Deutsche Wohnen und Co. in Berlin weiter? Eine Konferenz am Wochenende zeigte das Dilemma einer eigentlich sehr erfolgreichen Initiative

Wohnungsmarkt: Wenn die Mehrheit andere Spielregeln will

Das hat dann dazu geführt, dass auch dort Unterstützung für das Volksbegehren zu finden war. Die Eigentümerphalanx erkennt auch den wunden Punkt der Initiative, den der Aktivist Kalle Kunkel offen benannte. Die Initiative hat aktuell nicht die Kraft, 40.000 Menschen auf die Straße zu bekommen, die einfordern, dass die Forderungen des gewonnenen Volksbegehrens zeitnah umgesetzt werden.

Wir haben viele Pläne, aber wie wir konkret weitermachen, wissen wir auch noch nicht so genau. Wir hoffen, dass wir auf der Konferenz dazu Anregungen mitnehmen“, so ehrlich formulierte Nina Scholz von der Berliner Initiative Deutsche Wohnen und Co. enteignen auf der Auftaktveranstaltung von deren Enteignungskonferenz am Freitagabend in der Technischen Universität Berlin die Erwartungen, die sicher nicht nur sie mit der lange vorbereiteten Veranstaltung verknüpfte. Die Problemlage ist klar beschrieben …

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Über die kämpferischen Strategien der Rider*innen bei Gorillas.

STREIK ALS ARBEITSKAMPF

Wenn Gorillas damit wirbt, dass es bei ihnen keine 10 Minuten dauert, bis eine Lieferung ausgeliefert wird, kontern die Rider*innen, dass ihre Organisierung mindestens genauso schnell geht. Ihr Kampf stellt das Geschäftsmodell von Gorillas in Frage, das auf der Ausbeutung billiger und flexibler Arbeitskräfte beruht.

“Die Gorilla-Riders motzen die deutsche Streikkultur auf“, schrieb die Journalistin und soziale Aktivistin Nina Scholz kürzlich in einem Kommentar in der Wochenzeitung Freitag. Sie erinnerte mit Recht daran, dass sich die Beschäftigten des Lieferdienstes Gorillas nicht nur …

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Konferenz der Linkspartei stellte Fragen nach den eigenen Ansprüchen im digitalen Zeitalter

Digitaler oder alter Kapitalismus?

Die Journalistin Nina Scholz lehnte den Begriff genauso ab wie auch den Terminus »digitaler Kapitalismus«. Es sei vielmehr der alte Kapitalismus, der schon immer auf Ausbeutung und Arbeitskampf beruhe, betonte Scholz. Sie kritisierte, dass auch die Linkspartei einen feuilletonistischen Katastrophendiskurs bediene und bei der Digitalisierung wie das Kaninchen auf die Schlange starre. Nicht die Gig-Ökonomie, sondern die Gig-Ökonomisierung der Arbeitsverhältnisse sei gewachsen

Vor knapp 10 Jahren gab es noch zwei gegensätzliche Szenarien für die digitale Gesellschaft. Manche Linke sahen einen Freifahrtschein in den Kommunismus, eher Konservative darüber klagten, dass ganze Branchen wie die Musikindustrie durch das Internet ruiniert würden. Nichts davon ist eingetreten, konstatierte Sabine Nuss. Sie beschäftigt sich seit Jahren wissenschaftlich mit dem digitalen Kapitalismus und gehört zu den Herausgeber*innen des Sammelbandes »Marx und die Roboter«. Am Samstag moderierte sie den Abschluss der von der Linkspartei ….

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Arbeitskampf per App

Das Symbol der aufgehenden Sonne stand Anfang der achtziger Jahre für den Kampf um die 35-Stundenwoche. Die Kampagne für Arbeitszeitverkürzung wurde über die DGB-Gewerkschaften hinaus auch von Jugendverbänden, Künstlern und Gruppen der außer­parlamentarischen Linken jener Zeit unterstützt. Das Symbol erinnert an eine Zeit, als Reformen noch eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Lohnabhängigen bedeuteten und es die weit verbreitete Überzeugung gab, dass der technische Fortschritt dazu beitragen könne.

Dieser Tage ist von Reformen hingegen nicht viel zu erwarten. So vage und unbestimmt die Begriffe aus dem Bereich »Arbeit 4.0« sind, so verbreitet ist auch die Überzeugung, dass intelligente Maschinen eine große Zahl der derzeitigen Arbeitsplätze überflüssig machen

werden und dass immer mehr Menschen deshalb immer öfter immer schlechter bezahlte Jobs annehmen müssen, um zu überleben. Nun hat das von Andrea Nahles (SPD) geleitete ­Bundesministerium für Arbeit und Soziales ein »Weißbuch Arbeiten 4.0« vorgelegt, das erste Ergebnisse einer Diskussion mit DGB-Gewerkschaftern, den Industrie- und Sozialverbänden und Wissenschaftlern zusammenfasst. »Wie können wir das Leitbild der ›guten Arbeit‹ auch im digitalen und gesellschaftlichen Wandel erhalten und sogar stärken?« lautet eine zentrale Frage. Mit dem Schlagwort »Arbeitsschutz 4.0« sollen die oft mit gewerkschaftlichen Kämpfen durchgesetzten Schutzbestimmungen für die Lohnabhängigen nicht nur »an den digitalen, sondern auch an den zunehmend spürbaren demographischen Wandel« angepasst werden. Die Kapitalvertreter haben schon lange die Gelegenheit erkannt, mit Verweis auf die Unwägbarkeiten der »Industrie 4.0« ihre Vorstellungen einer von sozialen Regulierungen befreiten Arbeitswelt zu propagieren. So warnte die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA) in einem Papier, dass jede denkbare Regulierung »eine erfolgreiche Digitalisierung erschweren« könne. Daher müssten bestehende Regulierungen bei den Mitbestimmungs-, Arbeits- und Sozialrechten auf den Prüfstand gestellt werden. In Nahles’ »Weißbuch« wird nun versucht, Kompromisse für die divergierenden Interessen von Kapital und Arbeit zu finden. So werden ­Experimente zur Lockerung der Arbeitszeitregelungen ins Gespräch gebracht, die die Arbeitgeberseite gerne nutzen wird. Dabei kann sie auf die berechtigte Aversion gegen fordistische Managementmethoden zurückgreifen.

»Stechuhr und Kernarbeitszeit haben in vielen Jobs längst ausgedient, die ­Erwerbstätigen möchten zunehmend flexibel und selbstbestimmt arbeiten«, wird der Hauptgeschäftsführer von Bitkom, Bernhard Rohleder, in einer Pressemitteilung mit der Überschrift »Arbeit 4.0: Flexibel, selbstbestimmt, effizient« zitiert. Dort wird die im Weißbuch in Aussicht gestellte Flexibilisierung der Arbeitsgesetze begrüßt. Abweichungen von geltenden Regelungen des Arbeitszeitgesetzes seien allerdings noch an zu enge Voraus­setzungen gebunden. Nach den Vorstellungen von Bitkom soll die Digitalwirtschaft »grundsätzlich von den ­Einschränkungen bei Arbeitnehmer­überlassung und Werkverträgen aus­genommen werden« (siehe Interview S. 5). Ähnliche Forderungen kommen auch von den Interessenvertretern anderer Branchen, die von der Digitalisierung betroffen sind. Die Verunsicherung vieler Beschäftigter über die Zukunft ihrer Arbeitsplätze kommt den Kapitalinteressen ebenso entgegen wie eine Kritik an diesen Entwicklungen, die noch immer den Eindruck erweckt, als sei in der Ära der fordistischen Arbeitsverhältnisse alles besser gewesen.

So ist es paradox, dass die Vertreter der Industrie Stechuhren als abschreckendes Beispiel des Fordismus anführen. Schließlich gehörten diese seit ­jeher zu den besonders verhassten Methoden der Kontrolle der Beschäftigten. Wer die Stechuhr eine Minute zu spät passierte, hatte mit Lohnabzug zu rechnen, kam die Verspätung öfter vor, drohten Abmahnungen bis zur Kündigung. In der flexiblen Welt der 2Arbeit 4.0« haben sich die Kontrollmethoden der Arbeitskraft nicht etwa ­gelockert, sondern eher verschärft. Heutzutage ist es technisch möglich, die letzten Nischen, die in der fordistischen Fabrikgesellschaft noch nicht erfasst werden konnten, zu überwachen. So können Gespräche der Beschäftigten von Callcentern ständig mitgehört werden. Dauern die Pausen zwischen den Gesprächen zu lange, wird abgemahnt.

Zu den ersten Leidtragenden der Flexibilisierung gehören Mitarbeiter der boomenden Branche von Lieferdiensten wie Deliveroo und Foodora. Dahinter stehen Start-up-Unternehmen, die gerne mit dem Image der Unabhängigkeit und Flexibilität der Beschäftigten werben. Auf einer Veranstaltung des Bildungsvereins »Helle Panke« Anfang Dezember in Berlin stellte die Journalistin Nina Scholz, die sich mit den Arbeitsbedingungen bei Lieferdiensten beschäftigt, dieses Image in Frage. »Unabhängig sind die Beschäftigten lediglich von sozialen Regelungen. Die Arbeit verschwindet nicht, wie häufig behauptet, sie wird nur immer schlechter bezahlt.« Auch Hendrik Lehmann, der für Tagesspiegel Digital Present zu den Lieferdiensten recherchiert hat, machte deutlich, dass die Unabhängigkeit schon bei der Wahl der Bekleidung der Beschäftigten endet. So sollen Arbeitnehmer in Berlin bis zu 150 Euro für eine Weste mit dem Emblem ihrer Firma aus eigener Tasche bezahlen. Fahrern, die sich weigerten, Geld zu zahlen, um mit dem Namen eines Unternehmens zu werben, bei dem sie gar nicht angestellt sind, sei mit der Sperrung ihrer App gedroht worden, was den Verlust des Arbeitsplatzes nach sich zöge. Kontrolliert werden die Beschäftigten der Lieferdienste auf ihrer Fahrt ständig. Wenn sie sich nicht an die vorgegebene Route halten, gibt es Nachfragen und im ­Wiederholungsfall Sanktionen.

Auf der Veranstaltung, auf der viele Beschäftigte von Lieferdiensten anwesend waren, wurde schließlich die Frage nach der »Gewerkschaft 4.0« gestellt. Damit ist eine Interessenvertretung gemeint, in der sich die Beschäftigten ­organisieren können, ohne erst den Weg durch die DGB-Bürokratie gehen zu müssen. Die Frage richtete sich an Detlef Conrad, Sekretär von Verdi, der auf die Arbeitskämpfe im Einzelhandel und bei der Post verwies, bei denen seine Gewerkschaft mit Flashmobs und Apps experimentiert habe. Ob Verdi damit bereits die Anforderungen ­einer 2Gewerkschaft 4.0« erfüllt, ist fraglich. Ohnehin ist in Deutschland nur jeder siebte Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisiert. Im europäischen Vergleich liegt Deutschland mit einem Organisationsgrad von 15 Prozent nur im hinteren Mittelfeld. Und gerade bei der Organisierung prekär Beschäftigter mangelt es den etablierten Gewerkschaften an tragfähigen Konzepten.

In Großbritannien und Italien gab es hingegen bereits Arbeitskämpfe von Beschäftigten bei Lieferdiensten. Dabei wurde deutlich, dass diese Beschäftigten sehr wohl Durchsetzungsmacht besitzen, weil sie das Firmenimage beschädigen und das Versprechen von schneller Lieferung konterkarieren können. Gewerkschaftliche Selbstorganisation wäre auch in anderen Branchen nötig, um der Flexiblisierung der Arbeitswelt im Sinne des Kapitals Grenzen zu setzen. »Wer gute Arbeit für alle erreichen will, muss auch bereit sein, reale Konflikte auszutragen. Nicht nur in Wahlkampfreden und ­Parlamenten, sondern in Betrieben, vor Gerichten und auf der Straße«, erinnert der Publizist Wolfgang Michal an einen Grundsatz der Arbeiterbewegung aus einer Zeit, als noch unter dem Logo der aufgehenden Sonne für Arbeitszeitverkürzung gekämpft wurde. Dieser Kampf wäre heute, da Maschinen und Roboter angeblich die Menschen ersetzen, aktueller denn je.

http://jungle-world.com/artikel/2016/50/55391.html

Peter Nowak