Uni ohne Arbeiterkinder?

Andreas Kemper vertritt studierende »Arbeiterkinder« an der Uni Münster

nd: Sie gehören zu den Initiatoren des deutschlandweit bislang einmaligen Referats »Arbeiterkinder« an der Universität Münster. Der AStA der Uni wollte das Referat nach rund zehn Jahren Existenz jetzt rechtlich und sozial absichern. Ein entsprechender Beschluss des Studentenparlaments wurde von der Unileitung aber gekippt. Wie erklären Sie sich diese Ablehnung?

Dass sich das Rektorat kaum Gedanken über die studierenden Arbeiterkinder macht hat historische Gründe. So gab es bis in die späten 1960er Jahre hinein an der Uni-Klinik Münster Dekane, die in der Nazizeit an Zwangssterilisierungen von Arbeiterkindern beteiligt waren. Der bekannteste Fall ist der Doktorvater von Mengele, Otmar von Verschuer, der bereits als Freikorps-Adjutant nach dem Ersten Weltkrieg an standrechtlichen Erschießungen von aufständischen Arbeitern beteiligt war.

Gibt es auch aktuelle Beispiele für die Ignoranz gegenüber Arbeiterkindern?

A.K.: Ja. Die Uni Münster setzt eine Kann-Bestimmung nicht um, die es Kindern aus der Arbeiterschicht erleichtert, ein Deutschland-Stipendium zu erhalten, dass eingeführt wurde, um genau diese Studierenden zu unterstützen. Ein anderer Fall: Vor zehn Jahren beauftragte das Rektorat das HIS, um eine Erhebung über die Bedürfnisse und Probleme der Studierenden der Uni Münster durchzuführen. Bei der Auswertung wurde allerdings darauf verzichtet, die soziale Herkunft auszuwerten.

Welche Schwerpunkte hat das Referat Arbeiterkinder in seiner Arbeit?

A.K.: Das Referat für finanziell und kulturell benachteiligte Studierende (Fikus), so die offizielle Bezeichnung, soll die Situation von Arbeiterkindern im Bildungssystem und explizit an Hochschulen verbessern. Dies wird in erster Linie als bildungspolitischer Auftrag verstanden. Es findet zwar auch Beratung und direkte Unterstützung statt, aber in erster Linie geht es darum, die Ursachen von Bildungsbarrieren zu ermitteln und zu bekämpfen. Daher haben wir in den letzten zehn Jahren über einhundert Veranstaltungen mit Bildungsforschern und fünf Tagungen mitorganisiert.

Also nicht nur Service sondern auch Politik?

A.K. : Das Referat ist kein Service-Referat. Darin unterscheidet es sich fundamental von Arbeiterkind.de, die explizit unpolitisch sind und nur helfen wollen. Zur Arbeit der Fikus-Referates gehörte die Zusammenarbeit mit Leuten, die gegen das Bibliotheken-Sterben vorgingen, vor allem ging es darum, Stadtteilbibliotheken in ressourcenarmen Stadtteilen zu retten. Wir waren engagiert gegen Studiengebühren und gegen Latein-Voraussetzungen. Und wir sehen unsere Aufgabe darin, Arbeiterkinder im Bildungsbereich zu organisieren und zu vernetzen. Zu dieser Vernetzung gehört, andere Arbeiterkinderzusammenschlüsse zu unterstützen, außerdem arbeiten wir mit entsprechenden Organisation in Wien und den Vereinigten Staaten zusammen. Nicht zuletzt geht es auch um inhaltliche Auseinandersetzungen zu dem Thema. Und uns ist wichtig, dass soziale Herkunft als Diskriminierungsgrund anerkannt wird.

Wie soll es nach der Ablehnung weitergehen?
A.K. Am 16.10. wird auf einer Vollversammlung der studierenden Arbeiterkinder das weitere Vorgehen beschlossen. Das Rektorat musste zudem bereits dem NRW-Bildungsministerium und der Gleichstellungsbeauftragten erläutern, warum die Satzungsänderung abgelehnt wurde.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/801000.uni-ohne-arbeiterkinder.htm

Interview: Peter Nowak

Ohrfeige für neoliberale Bildungspolitik

Die Errichtung von Hochschulräten an den Unis in Nordrhein-Westfalen ist »undemokratisch und intransparent«. So lautete das Statement einer Sprecherin des AStA der Universität Münster. Diese Auffassung wurde Ende Oktober höchstrichterlich bestätigt. Das Oberverwaltungsgericht (OLG) Münster kam zu dem Schluss, dass der Hochschulrat der Uni rechtswidrig ist und neu gewählt werden muss. Damit gab es der Klage eines Studenten statt, der vor Gericht gezogen war, weil das Gremium im Februar 2008 hinter verschlossenen Türen und ohne Beteiligung der Kommilitonen gewählt worden war. Der Anwalt des Klägers, Wilhelm Achelpöhler, sieht sogar Auswirkungen über Münster hinaus. Denn auch an anderen Hochschulen in NRW gab es ein ähnlich intransparentes Wahlprozedere.

Das Urteil ist auch eine Ohrfeige für die Bildungspolitik der abgewählten schwarz-gelben Regierung in NRW. Ihr Kernstück war die Einrichtung von Hochschulräten, in denen nicht die Studierenden, dafür aber führende Wirtschaftsvertreter über die Belange der Hochschulen entscheiden sollen. Das sieht das Hochschulrahmengesetz vor, das die Handschrift des damaligen FDP-Bildungsministers Andreas Pinkwart trägt. Die gegenwärtig amtierende rot-grüne Landesregierung könnte mit dem Rückenwind des OLG Münster nun ihre Wahlversprechen umsetzen und die Hochschulräte wieder abschaffen. Dafür müssten sich aber die Studierenden auch vernehmlicher in der Öffentlichkeit äußern. Schließlich war neben dem Kampf gegen die Studiengebühren auch der Widerstand gegen die Etablierung der Hochschulräte ein wichtiger Anstoß für die Bildungsproteste in NRW in den letzten Jahren. Ohne sie wäre das Urteil von Münster kaum möglich gewesen und ohne sie ist eine demokratische Hochschule, in der die Abschaffung des Hochschulrats nur der erste Schritt wäre, auch heute nicht denkbar.

 http://www.neues-deutschland.de/artikel/183424.ohrfeige-fuer-neoliberale-bildungspolitik.html

Peter Nowak