„Nur Befehle geben“

Die Initiative Multitude e. V. hat fast ein Jahr lang Deutschkurse für die Bewohner der Flüchtlingsunterkunft im Berliner Stadtteil Grünau angeboten. Die Firma PeWoBe, die das Heim betreibt, hat dem Verein jedoch mittlerweile untersagt, die Kurse weiterzuführen. Ein Heimbewohner, der anonym bleiben will, hat mit der Jungle World gesprochen.

Small Talk von Peter Nowak

Sie haben den von Multitude angebotene Deutschkurs besucht. Was bedeutete er für Sie?

Ich konnte mich mit niemandem unterhalten und habe deshalb mein Zimmer nie verlassen, um mir beispielsweise die Stadt anzuschauen. Daher bin ich mir wie im Gefängnis vorgekommen. Als Multitude den Deutschkurs angeboten hat, war das für mich ein großes Geschenk. Als die Initiative den Kurs nicht mehr anbieten konnte, hatte ich ein sehr schlechtes Gefühl.

Wurden die Gründe für die Einstellung des Kurses mitgeteilt?

Ich habe später erfahren, dass Multitude den Kurs nicht mehr anbieten durfte, weil sich die Initiative für die Belange der Bewohner eingesetzt und Kritik an manchen Zuständen im Heim geübt hat. Von der Heimleitung hat mich niemand darüber informiert. Das war auch nicht zu erwarten. Die ist sehr autoritär.

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Ich habe mich mit einigen Mitarbeitern des Wachdienstes unterhalten und sie trotz der Sprachprobleme auch verstanden. Als die Heimleitung davon über die angebrachten Kameras erfahren hat, wurde es verboten. Der Wachdienst soll sich nicht mit den Bewohnern freundschaftlich unterhalten, sondern nur Befehle geben.

Sie beklagen auch eine mangelnde Privatsphäre in dem Heim.

Die Heimleitung hat einen Schlüssel zu allen Türen und kann die Zimmer jederzeit betreten, egal ob die Bewohner anwesend sind oder nicht. Oft werden sie aufgefordert, ihr Zimmer aufzuräumen. Bei mir öffnete ein Mitarbeiter der Heimleitung den Kühlschrank und forderte mich auf, ihn zu putzen.

Können Sie das Internet im Heim nutzen?

Nein, dabei gab es eine Initiative, W-Lan im Heim einzurichten. Doch die Heimleitung hat erklärt, das sei aus technischen Gründen nicht möglich. Dabei wäre eine Internetnutzung für uns eine große Erleichterung.

Gibt es Proteste unter den Bewohnern?

Die Sprachprobleme und der ständige Wechsel der Bewohner erschweren das. Viele meiner Mitbewohner, mit denen ich mich gut verstanden habe, wurden mittlerweile abgeschoben oder in ein anderes Heim verlegt.

http://jungle-world.com/artikel/2013/47/48863.html

Interview: Peter Nowak

Deutsch lernen schwer gemacht

Eine Initiative, die Deutschkurse anbietet, darf das in der Notunterkunft in Grünau nicht mehr tun

Fast ein Jahr lang hat der Verein Multitude einen regelmäßigen Deutschkurs für die BewohnerInnen der Flüchtlingsnotunterkunft in Grünau organisiert. Damit ist es vorbei: Vor einigen Wochen untersagte die Heimleitung dem Verein diese ehrenamtliche Tätigkeit.

„Wir haben uns zum Ziel gesetzt, die gesellschaftliche Teilhabe von Geflüchteten und MigrantInnen zu ermöglichen und zu unterstützen“, beschreibt Petra Meinert die Motivation der Initiative, die vor mehr als elf Jahren von Studierenden gegründet wurde. In verschiedenen Berliner Heimen organisieren die Mitglieder Deutschkurse, die bei den Geflüchteten gut aufgenommen wurden.

Auch die Betreiber der Notunterkunft in Grünau, die private Firma PeWoBe, sei anfangs kooperativ gewesen, so Meinert. Der Heimleiter habe sogar angeboten, zusätzliche Tische und Stühle zu besorgen. Die freundschaftliche Atmosphäre habe sich aber geändert, als Multitude Kritik übte. „Bei einem Treffen des Runden Tisches Grünau haben wir Missstände im Heim angesprochen, die wir bei Gesprächen mit den Geflüchteten erfahren haben“, erklärt Meinert gegenüber der taz. So gebe es für die 142 BewohnerInnen nur sechs Duschen, und der einzige Gemeinschaftsraum sei nicht nutzbar gewesen, weil er als Schlafraum umfunktioniert wurde wurde. Das Spielzimmer sei oft verschlossen gewesen, die Küche nachts nicht zugänglich.

Ein Heimbewohner, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, bekräftigt die Kritik gegenüber der taz. Er fühle sich überwacht und kontrolliert. Mit einigen Männern vom Wachpersonal habe er sich gut verstanden und öfter unterhalten. „Das hat die Heimleitung mitbekommen und verboten.“ Die Sprachprobleme würden die Isolation verstärken, weshalb er den Deutschkurs von Multitude als Geschenk empfunden habe. Bis heute könne er nicht verstehen, warum das untersagt worden sei.

Die PeWoBe wollte auf Anfrage keine Stellung zu den Vorwürfen nehmen. In einem der taz vorliegenden Schreiben des Heimleiters Michael Grunewald heißt es über Multitude: „Die Gruppe wurde durch Heimleitung und Sozialdienst aufgefordert, sich nicht ohne Absprache in die Sozialarbeit des Wohnheims einzumischen. Leider haben sich einzelne nicht daran gehalten.“ Ein Hausverbot sei aber nicht ausgesprochen worden, Besuche blieben weiterhin möglich.

Die von Multitude genannten Kritikpunkte werden von Grunewald teilweise bestätigt. „Die Aufenthaltsdauer der Asylsuchenden bei uns verlängert sich, weil es nicht genug alternativen Wohnraum gibt. Aufgrund der Anordnung des Landesamtes für Gesundheit und Soziales mussten wir eine Notbelegung durchführen“.

Dass die Kinder das Spielzimmer nur betreten können, wenn eine Betreuerin anwesend ist, hält Grunewald aus pädagogischen Gründen für erforderlich. Die Küche werde nachts im Interesse der Nachtruhe geschlossen. Viele der Geflüchteten würden diese Maßnahmen aber eher als Bevormundung empfinden, erklärt Meinert.

http://www.taz.de/Notunterkunft-fuer-Fluechtlinge-in-Berlin/!127875/

Peter Nowak