Der kurze Ausflug in die Politik

Über Andrej Holms und die außerparlamentarische Linke

In der Regel interessiert der Posten eines Staatssekretärs die außerparlamentarische Linke nicht besonders. Doch das kurze Gastspiel des kritischen Stadtsoziologen Andrej Holm als Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Wohnen in Berlin war eine Ausnahme. Der parteilose Wissenschaftler wurde am 13.12. 2016 von der der Linkspartei angehörigen Senatorin ernannt und trat einen Monat später zurück. Der offizielle Grund waren ungenaue Angabe zu seiner kurzzeitigen MfS-Tätigkeit als 18jähriger bei seiner Bewerbung an der Humboldtuni, die Holm zu Last gelegt wurde. Doch die UnterstützerInnen aus diversen außerparlamentarischen Gruppen verwiesen darauf, dass Holm bereits 2007 mit Opfern der Stasi aus der DDR-Opposition über seine kurzzeitige MfS-Tätigkeit gesprochen hat. Tatsächlich gaben auch konservative Holm-KritikerInnen offen zu, dass er wegen seiner MfS-Tätigkeit hätte nicht zurücktreten müssen, wenn er sich später als überzeugter Anhänger des Kapitalismus und der Marktwirtschaft geworden wäre. Holm hatte sich als Kritiker der kapitalistischen Wohnungs- und Stadtpolitik einen Namen gemacht. In den knapp vier Wochen im Amt musste er sich vom ersten Tag an gehen eine Kampagne wehren, die von großen Teilen der Berliner Medien, der Oppositionsparteien aber auch Teilen der SPD getragen werden. Ein Mann, der den HausbesetzerInnen und MieterInneninitiativen nähersteht als den InvestorInnen sei in einem solchen Amt fehl am Platz, lautete die zentrale Kritik. Der vom Linksradikalen zum Marktradikalen gewandelte Götz Aly erklärte seine MfS-Tätigkeit zur verzeihlichen Jugendsünde, hat sich extra die wissenschaftliche Arbeit von Holm vorgenommen und zog n der Berliner Zeitung dieses Fazit:
»Als 36jähriger begeisterte sich der nunmehr auf die Berliner Verfassung vereidigte Staats­sekretär Holm für die Ablehnung der Strukturen der repräsentativen Demokratie – sei es in Form von Parlamenten oder Parteien«, schreibt Aly. Stattdessen habe er für eine rätedemokratische »parallele Machtausübung und -kontrolle im Sinne antizipativer und protagonistischer Demokratie« geworben. »›Protagonisten‹ sind für den Autor Hartz-IV-Empfänger, also Menschen, die an den Rändern der Gesellschaft leben, denen ›Entscheidungsmacht‹ und der ›Hebel in die Hand gegeben‹ werden sollen, um ihre Interessen mit den Techniken der außerparlamentarischen Doppelherrschaft gegen ›alte Bürokratien‹, überkommene Gesetze und Eigentumstitel durchzusetzen.«
Priorität hat der außerparlamentarische Kampf

Damit hat Aly das Minimalprogramm einer außerparlamentarischen Bewegung skizziert, die subkulturelle Wohlfühlblasen und verlängerte Wohnzimmern in Hausprojekte aller Art nicht mit Gesellschaftskritik verwechseln. Dass Menschen, die in der Gesellschaft an Rand gedrückt werden, dabei unterstützt werden, wie sie zumindest in Teilen sich selber ermächtigen und gegen die Zumutungen des Kapitalismus wehen, sollte eine Aufgabe der außerparlamentarischen Linken sein. Die Aktionspalette ist groß. Dass können gemeinsame Besuche in Jobcenter oder Wohnungsämter sein, wenn die Menschen mit Geldkürzungen oder gar –sperren sanktioniert werden oder aus ihre Wohnung geräumt werden sollen. Dafür braucht man keine Parlaments- und Staatssekretärsposten. Die Selbstermächtigung der von der Politik an den Rand gedrängten kann nur das Ergebnis von sozialen Kämpfen sein, die die Betroffenen außerhalb der staatlichen Institutionen und Parteien führen müssen. Gerade in der letzten Zeit wurde in Berlin in mehreren Teilbereichskämpfen deutlich, dass ein solcher Kampf erfolgreich sein kann. Das jüngste Beispiel ist das Zurückweichen des dänischen Investors Taekker, der den Verkauf des Hauses Lausitzer Straße 10 in Berlin-Kreuzberg t vorerst aussetzt, weil sich die in dem Haus befindlichen Projekte Widerstand gegen ihre drohende Verdrängung ankündigten. Das Beispiel macht deutlich, dass Erfolge auch gegen InvestorInnen möglich sind, wenn sie entschlossenen Widerstand auf der Straße fürchten. Ein Staatssekretär Holm hätte wahrscheinlich kaum eine Handhabe gegen die Pläne des Taekker-Konzerns gefunden, die nicht juristisch wieder kassiert worden wäre. Die BewohnerInnen und ihre UnterstützerInnen hatten die allein mit ihrer Ankündigung von Widerstand Erfolg.

Die außerparlamentarische Linke und die PolitikerInnen –

Allerdings setzten die BewohnerInnen neben den außerparlamentarischen Protest auch auf Kontakt zu ParlamentarInnen der Grünen und der Linkspartei. Darüber wird vor allem bei der außerparlamentarischen Linken wenig gesprochen. Das aber ist politisch fatal, wie sich auch am Fall Holm zeigt. Seine Ernennung durch eine Senatorin der Linken kam für die meisten Initiativen überraschend. Lediglich ein kleiner Kreis war vor der Ernennung informiert. Bereits vor oder unmittelbar nach der Ernennung von Holm hätte eine große Vollversammlung der Initiativen darüber diskutieren müssen, ob Holm in diesen Amt einen Beitrag dazu leisten kann, Verbesserungen für die von den Zumutungen des Kapitalismus, von Sanktionen und Zwangsräumung bedrohten Menschen durchzusetzen. Dazu hätten ganz konkrete Forderungen wie ein Zwangsräumungsmoratorium, ein Stop von Strom- und Gassperren, diskutiert werden müssen. Durch eine außerparlamentarische Kampagne hätten diese Forderungen bekannt machen und Betroffene für ihre Umsetzung mobilisiert werden können. Damit wäre die außerparlamentarische Linke auch deutlich gemacht, dass es nicht um das Vertrauen in die Politik sondern um die Durchsetzung von Forderungen geht, die konkrete Verbesserungen für viele Menschen zur Folge hätten. Doch eine solche Mobilisierung der außerparlamentarischen Bewegung fand nicht statt. In seiner kurze Zeit Amtszeit verfasste man Solidaritätserklärungen unter dem Motto „Holm bleibt“. Das erste Treffen von Andrej Holm und den Berliner Initiativen fand kurz nach seiner Entlassung statt. Auch danach gab es keine öffentliche Diskussion um das Verhältnis zwischen Bewegung und Politik. Genau eine solche Debatte aber braucht die außerparlamentarische Linke in Berlin dringend. Dabei sollten auch AktivistInnen einbezogen, die wie die Stadtteilinitiative Karla Pappel Holm für seinen kurzen Ausflug in den Senat kritisieren, seine Rückkehr in die außerparlamentarische Bewegung aber ausdrücklich begrüßt haben.

aus:

graswurzelrevolution
417 märz 2017

http://www.graswurzel.net/417/

Peter Nowak