Glyphosat: Deutsche Retourkutsche für den VW-Skandal?

Warum soll das Prinzip „im Zweifel für die Gesundheit“ nicht auch bei anderen Chemikalien, Medikamenten und auch beim Autoverkehr gelten?

Na also, die SPD kann sogar mal in die Politik eingreifen und deutlich machen, dass sie nicht immer als Merkels Bettvorleger landet. Weil die SPD-Minister allen Druck von Wirtschaftslobbyisten und Koalitionspartner widerstanden haben, musste sich Deutschland bei der Abstimmung in der EU über die erneute Zulassung des Pestizids Glyphosat enthalten. Wahrscheinlich wird es trotzdem nicht vom Markt genommen.

Jetzt muss erst einmal ein Vermittlungsausschuss einen Kompromiss finden. Kommt es nicht dazu, kann die EU-Kommission immer noch in eigener Regie die Zulassung genehmigen. Nur kann die SPD dann im Wahlkampf sagen, es liegt an der EU, wenn das Pestizid weiterhin Verwendung findet. Lob bekommt die SPD für ihre Haltung aus grünennahen Kreisen. So schrieb[1] der für die Landschaft zuständige Taz-Redakteur Jost Maurin:

Dieses Mal haben sie uns nicht verraten, die Sozialdemokraten. Dank ihres Vetos enthielt sich Deutschland am Montag bei der EU-Abstimmung über eine neue Zulassung für das unter Krebsverdacht stehende Pestizid Glyphosat. Da nicht die nötige Mehrheit für den Unkrautvernichter zustande kam, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Erlaubnis Ende Juni ausläuft. Und das ist gut so.

Dabei fällt zunächst auf, dass Maurin gar nicht erwähnt, dass die EU-Kommission eine Erlaubnis für das Pestizid erlassen kann.

Keine eindeutigen wissenschaftlichen Urteile

Für einen wissenschaftlichen Laien ist es nicht einfach, sich ein Urteil darüber zu bilden, wie gesundheitsschädlich das inkriminierte Pestizid nun tatsächlich ist. Es gibt darüber in der Wissenschaft selber auch noch keine abschließenden Urteile[2]. Es kann also nicht ausgeschlossen werden, dass Glyphosat in bestimmten Fällen tatsächlich krebserregend ist.

Der Grundsatz „im Zweifel für die Gesundheit“ ist auch grundsätzlich gut. Doch dann wäre zu fragen, warum wird in der Debatte gleich in mehrerlei Hinsicht mit zweierlei Maß gemessen?

So wurde Glyphosat jahrelang bei der Bekämpfung des Cocaanbaus in Kolumbien eingesetzt[3]. Obwohl viele Dorfbewohner in den mit dem Pestizid besprühten Gebieten jahrelang über Gesundheitsschäden klagten, wurde das Problem lange Zeit ignoriert. Im letzten Jahr wurde die Verwendung von Glyphosat mit Verweis auf die Berichte über die Krebsgefahr auch in Kolumbien untersagt[4].

Müssten nicht diejenigen, die von der Gesundheitsschädlichkeit des Pestizids überzeugt sind, fordern, dass die Menschen, die mit dem Stoff in Verbindung gekommen sind, medizinisch untersucht werden? Schließlich gibt es keinen Grund anzunehmen, dass Glyphosat nur für Europäer krebserregend ist.

Müsste nicht das Autofahren massiv eingeschränkt werden?

Es gibt aber auch die Doppelstandards im Inland. Müssten nicht eine Menge weiterer Pestizide und anderer chemischer Produkte vom Markt genommen werden, wenn bei ihnen die gleichen Maßstäbe angelegt würden, wie es jetzt von den Kritikern bei Glyphosat getan wird? Und noch wichtiger: Wenn das Prinzip „im Zweifel für die Gesundheit“, das die SPD jetzt im Fall von Glyphosat anwenden will, auch für die Beurteilung des Autoverkehres gelten würde, würden die Straßen und Autobahnen wieder zu Zonen des Lebens.

Die Gesundheitsschädlichkeit von erhöhten Feinstaubwerten ist, anders als beim Glyphosat, eindeutig erwiesen[5]. Wiederholt hat die EU-Kommission die deutsche Politik gerügt[6], weil sie zu wenig zur Verminderung des Feinstaubs unternimmt.

Da stellt sich doch die Frage, warum beschäftigt Glyphosat seit Wochen die deutsche Politik und die SPD bleibt sogar standhaft bei ihrem Nein? Warum aber gibt es von keiner Partei einen ähnlichen Widerstand gegen den gesundheitlich viel gefährlicheren Feinstaub? Geht es bei der großen Aversion gegen Glyphosat in Deutschland also nicht um andere Gründe als die Angst vor den Gesundheitsschäden?  Ist Glyphosat deshalb so unbeliebt, weil es kein Produkt „Made in Germany“ ist, sondern von Monsanto produziert wird, das meistens in kritischer Absicht mit dem Adjektiv berüchtigter Gentech-Konzern[7] belegt wird?

Nun gibt es sicher viele Gründe für Kritik an Monsanto. Warum wird dann aber der Bayer-Konzern in den Medien nicht ebenfalls immer mit dem Adjektiv „berüchtigt“ belegt? Die Diskussionen um die geplante Übernahme von Bayer durch Monsanto in Deutschland machten deutlich, dass mehrheitlich nicht über die Fusion von zwei kritikwürdigen Konzernen geredet wurde, deren Produkte unter gesellschaftlicher Kontrolle auf ihre Gesundheitsschädlichkeit und Nützlichkeit untersucht werden müssen.

Die Übernahme-Diskussion wurde häufig so dargestellt, als würde das „berüchtigte Monsanto“ das deutsche Traditionsunternehmen Bayer übernehmen wollen. Es blieb Initiativen wie der Coordination gegen Bayer-Gefahren[8] überlassen, auch an die spezifischen deutschen Traditionen des Bayer-Konzerns zu erinnern, die bei Überlebenden des NS-Regimes noch sehr lebendig sind[9].

So wird  man den Verdacht nicht los, dass die Glyphosat-Debatte eine deutsche Retourkutsche auf den VW-Skandal in den USA ist. Schließlich haben die US-Behörden damit all jene blamiert, die die USA immer als Wüste in Sachen Umweltschutz brandmarken wollen. Als nun VW als großer Umweltsünder mit krimineller Energie bloßgestellt wurde, spielten bei den US-Behörden sicherlich ebenso Standortinteressen eine Rolle wie jetzt bei der Aversion gegen Glyphosat in Deutschland.

So wurde wohl in beiden Fällen aus fragwürdigen Gründen Entscheidungen getroffen, die an sich begrüßenswert sind. Denn die Welt wäre sicher in ökologischer und gesundheitlicher Hinsicht ohne Glyphosat und manipulierten VWs eine bessere.

http://www.heise.de/tp/artikel/48/48459/1.html

Anhang

Links

[1]

http://www.finanznachrichten.de/nachrichten-2016-06/37605354-taz-taz-kommentar-von-jost-maurin-zu-glyphosat-abstimmung-spd-ist-ausnahmsweise-standhaft-007.htm

[2]

http://www.bfr.bund.de/cm/343/bfr-zuarbeit-im-eu-genehmigungsverfahren-von-glyphosat-abgeschlossen.pdf

[3]

http://www.aljazeera.com/news/americas/2013/10/colombia-chemical-spraying-furor-continues-201310291027411132.html

[4]

http://www.bbc.com/news/world-latin-america-32677411

[5]

http://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2015-09/luftverschmutzung-feinstaub-tote-weltweit

[6]

http://www.euractiv.de/section/energie-und-umwelt/news/eu-kommission-rugt-deutschland-wegen-zu-hoher-feinstaub-belastung/

[7]

http://www.zentrum-der-gesundheit.de/monsanto-glyphosat-krebserregend-ia.html

[8]

http://www.cbgnetwork.org/

[9]

http://www.berliner-zeitung.de/eva-mozes-kor-war-im-vernichtungslager-testperson-des-ss-arztes-josef-mengele—jetzt-verklagt-sie-die-deutsche-bayer-ag-was-hat-bayer-mit-auschwitz-zu-tun–16342110

http://www.heise.de/tp/artikel/48/48459/1.html

Peter Nowak

Widerstand gegen Lex Monsanto

In den USA protestieren Umweltorganisationen gegen einen Zusatz im Haushaltsgesetz, der den Saatgutkonzern Monsanto vor Gerichtsverfahren schützen soll

Seit Jahren ist der Saatgutkonzern Monsanto bei Umweltschützern und Landwirten in der Kritik. Unter anderem wegen des Anbaus und Vertriebs von genmanipulierten Saatgut beschäftigen sich auch Gerichte verschiedener Länder immer wieder mit dem Konzern. Jetzt hat der US-Senat versteckt im Haushaltsgesetz den Zusatz 735 verfasst, der Monsanto vor lästigen juristischen Verfahren schützen soll. Kritiker sprechen daher von der Lex Monsanto. US-Präsident Obama hat das Gesetz am 26. März bereits unterzeichnet.

Der Zusatz sieht vor, dass Gerichte den Vertrieb und Anbau von genmanipulierten Saatgut auch dann nicht mehr verhindern können, wenn Zweifel an der Umwelt- und Gesundheitsverträglichkeit besteht. Voraussetzung ist, dass das Landwirtschaftsministerium den Anbau genehmigt hat. Kritiker sehen in der erfolgreichen Klausel das Werk einer guten Lobbyarbeit. So wird dem US-Senator aus dem Bundesstaat Missouri Roy Blunt eine wesentliche Rolle bei dem Gesetzeszusatz zugeschrieben. In Missouri hat Monsanto seinen Hauptsitz und Blunt wird als einer von elf Kongress-Abgeordneten genannt, die von Monsanto mit hohen finanziellen Zuwendungen bedacht werden. So soll Blunt erst kürzlich persönlich eine Spende in fünfstelliger Höhe erhalten haben.

Pyrrhussieg für Monsanto?

Doch noch ist nicht klar, ob sich für den Konzern die Investitionen in die Politiker wirklich auszahlen. Gerade an dem Prozedere, möglichst versteckt im Haushaltszusatz eine Schutzklausel einzubauen, regt sich Widerstand in den USA. Zu den Initiatoren gehört die einflussreiche Organisation Food Democracy Now, die einen Aufruf gegen die Lex Monsanto gestartet hat. Für David Murphy von Food Democracy Now fördert das Gesetz die „Aushöhlung des Rechts auf juristische Prüfung“ und stellt einen klaren Verstoß gegen die Gewaltenteilung“ da.

Es gab bereits erste Demonstrationen gegen das Gesetz vor dem Weißen Haus. Der schnelle Widerstand hat bereits zu Reaktionen von Politikern geführt. So rechtfertigte die demokratische Vorsitzende des Haushaltsausschusses im US-Senat Barbara Mikulski ihre Zustimmung zu der umstrittenen Klausel mit ihren Willen, das Haushaltsgesetz durchzubringen und so die Funktionsfähigkeit der Regierung sicherzustellen. Sie sei gegen das Gesetz, setze sich für Nahrungsmittelsicherheit ein und wolle dafür eintreten, dass die Lex Monsanto nicht auch in die Folgegesetze übernommen wird.

Dass ist auch das erklärte Ziel der zahlreichen Monsanto-Kritikern. Tatsächlich stehen ihre Chancen nicht so schlecht. Dass von der Zustimmung oder Ablehnung zum monsantofreundlichen Zusatz die Funktionsfähigkeit der US-Regierung abhängen soll, dürfte den Kreis der Kritiker des Konzern noch beträchtlich erhöht haben. Auch die Stiftung Ethecon gehört dazu. Deren Gründer und Vorstandsmitglied Axel Schnurra Köhler sieht in der Lex Monsanto ein Beispiel für die Aushöhung der Demokratie zugunsten privater Profite.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154039
Peter Nowak