»Ich habe neun Jahre für die Bundeswehr in Afghanistan gearbeitet. Rettet meine Frau und meine Familie.« Dieser Appell steht auf den Schildern, die zwei in Afghanistan geborene Männer, die schon länger in Deutschland leben, geschrieben haben. Der Adressat ihres Hilferufs sind Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) und sein Ministerium. Deshalb haben sie sich am Donnerstagvormittag mit den …
„Hungerstreik aus Sorge“ weiterlesenSchlagwort: Moabit hilft
Alternatives Projekt gegen Flüchtlinge ausgespielt
RIGAER 94 Geflüchtete unterstützen das Hausprojekt Rigaer Straße 94 mit einer Demonstration
es rund 100 Geflüchtete, die sich gemeinsam mit UnterstützerInnen von der Flüchtlingsunterkunft in der Lichtenberger Bornitzstraße auf dem Weg nach Friedrichshain machten. Mehrere BewohnerInnen monierten in Redebeiträgen die fehlende Privatsp äre in der Unterkunft, was besonders für die Frauen unerträglich sei. Probleme bei der Postzustellung wurden angesprochen – und die Versorgung:
„Seit Langem fordern wir, dass wir selbst entscheiden können, was wir essen wollen. Denn das Essen schmeckt im Lager immer gleich“, sagt Karim, der sich in der Flüchtlingsinitiative Stop Deportation engagiert. „Wir haben vor der Räumung der Kadterschmiede in der Rigaer 94 regelmäßig gekocht und das Essen gegen eine Spende verteilt“, begründete er seine Solidarität mit dem Hausprojekt. Er hält es für zynisch, dass die selbstverwalteten Räume jetzt verschwinden sollen, um angeblich Platz für Flüchtlinge zu schaffen. Bereits in der letzten Woche haben sich Organisationen aus der Flüchtlingssolidarität wie „Moabit hilft“ und „Friedrichshain hilft“ mit den BewohnerInnen der Rigaer Straße solidarisiert und sich dagegen gewandt, ein alternatives Projekt gegen die Flüchtlinge auszuspielen.
Herrmann Wehrle von der Berliner Mietergemeinschaft betonte in seinem Redebeitrag auf der Demonstration, dass für die Wohnungsnot in Berlin nicht die Geflüchteten verantwortlich sind. „Sie ist die Folge einer Politik, die systematisch den sozialen Wohnungsbau zerstört hat.“ Auf der Abschlusskundgebung bedankte sich ein Bewohner der Rigaer Straße 94 für die Solidarität der Geflüchteten. In einer Erklärung auf der linken Internetplattform Indymedia schrieben UnterstützerInnen, es sei eine besonders „dreiste Taktik, die Räumung im Namen der Flüchtlingshilfe durchzuziehen“. Zuletzt wurde versucht, auch im Fall des Wagenplatzes Schwarzer Kanal ein alternatives
Wohnprojekt gegen Geflüchtete auszuspielen. Noch vor einem Jahr sollten die BewohnerInnen unterschreiben, keine Geflüchteten
aufzunehmen, was sie ablehnten. Nun gibt es Pläne, eine Flüchtlingsunterkunft auf dem Areal zu errichten.
Wie kommen interne Polizeidaten auf Neonazi-Homepage?
Berliner Theater um Rigaer Straße 94: Datenleaks und Vorwürfe der Flüchtlingsfeindlichkeit bei linken Gruppierungen
Interne Daten über Bewohner des linken Hausprojekts Rigaer Straße 94 landeten auf einer ultrarechten Homepage. Unter Halle Leaks [1] finden sich die teilweise geschwärzten Angaben von 10 Personen, die bei einer Polizeirazzia im Januar 2016 kontrolliert wurden. Die anonymen Betreiber der rechten Webseite erklären, im Besitz von 73 Datensätzen zu sein und schreiben mit klar rassistischer Diktion: „Die Namen lesen sich wie ein Who is Who aus einem polnischen Telefonbuch.“#
Diese Töne sind bei einer Webseite nicht verwunderlich, deren Betreiber Mitglied des Neonazi-Netzwerks Blood and Honour war. Seit Monaten waren auf Halle Leaks immer wieder Falschbehauptungen und Verleumdungen über Geflüchtete zu finden. Ende Juni war das Portal von Facebook abgeschaltet [2] worden.
In einer Stellungnahme [3] von Bewohnern der Rigaer Straße 94 werden schwere Vorwürfe gegen die Polizei erhoben.
„Die veröffentlichten Screenshots beweisen zum einen, dass die Polizei eine Datenbank angelegt hat, in der alle erfasst werden, die das Haus betreten. Zum anderen zeigt der Leak, dass es personelle Verknüpfungen der Einsatzkräfte mit organisierten Nazis gibt.“
Die Pressestelle der Berliner Polizei bestätigte [4] die Echtheit der veröffentlichten Dokumente:
„Im Ergebnis einer intensiven Prüfung kann bestätigt werden, dass es sich um ein Dokument aus einer Ermittlungsakte handelt, die sich inhaltlich mit einer Auseinandersetzung am 14. Januar 2016 in der Rigaer Straße zwischen mutmaßlich linken und rechten Tatbeteiligten befasst. Am Tattag sollen drei Personen, die augenscheinlich der rechten Szene zuzuordnen waren, von Bewohnern der Rigaer Straße 94 angegriffen worden sein. Vor diesem Hintergrund ist von der Polizei Berlin ein Verfahren wegen gefährlicher Körperverletzung eröffnet worden, in dem sowohl die Personalien der angegriffenen Personen, als auch die einiger Bewohner der Rigaer Straße 94 erfasst worden sind.“
Dabei habe es sich um Beschuldigte, aber auch um potentielle Zeugen gehandelt. Mittlerweile hat die Polizei ein Ermittlungsverfahren wegen Weitergabe der Daten eingeleitet. Zurzeit untersuche die Polizei alle Möglichkeiten, wie es zu dem Datenleak gekommen ist. Polizeipressesprecher Winfried Wenzel betonte, dass neben Polizisten auch Staats- und Rechtsanwälte Einsicht in die Unterlagen gehabt haben.
So hätten Anwälte der Neonazis bei der Staatsanwaltschaft Akteneinsicht genommen. Der innenpolitische Sprecher der Linken im Berliner Abgeordnetenhaus, Hakan Tas, äußerte [5] die Befürchtung, dass sich die Polizei zu schnell darauf festlegen könnte, dass die Daten nur von den Anwälten der Rechten weitergeleitet worden sein können. Er erklärte:
„Es muss eine ergebnisoffene Prüfung geben, bei der auch mögliche Informanten in den Kreisen der Polizei in Erwägung gezogen werden müssen.“
Inzwischen sorgt das Datenleak auch für Zwist zwischen den Parteien. Nachdem die grüne Fraktionsvorsitzende Ramona Popp Berlins Innensenator Henkel aufgefordert [6] hat, zur Datenweitergabe Stellung zu nehmen, kam prompt die Retourkutsche vom Innensenat [7]: „Ich kann nur jedem empfehlen, hieraus keinen Polizeiskandal zu konstruieren, sondern das Ergebnis der Ermittlungen abzuwarten“. erklärte Henkel in einer Pressemeldung.
Wie Geflüchtete und alternative Projekte gegeneinander ausgespielt werden
Die Angelegenheit hat neben den datenrechtlichen Fragen aber noch eine kaum diskutierte Komponente. Auf der Neonazi-Homepage werden die Bewohner der Rigaer 94 als linke Flüchtlingsgegner und besorgte Linke tituliert.
Der Protest der Bewohner und von Stadtteilinitiativen gegen die Teilräumung und Besetzung der Rigaer Straße wird als Protest gegen die Errichtung eines Flüchtlingsheims umgedeutet und die Polizeipräsenz wird zum Schutz eines geplanten Flüchtlingsheims. Damit beteiligen sich die Ultrarechten an einem Spiel, das auch die Senatsparteien spielen.
Geflüchtete und alternative Projekte werden gegeneinander ausgespielt. Dagegen haben Flüchtlingsinitiativen wie „Moabit hilft“ in einer Erklärung [8] ihre Solidarität mit dem Hausprojekt betont:
„Friedrichshain hilft e.V.i.G. und Moabit hilft e.V. verbindet eine sehr enge Beziehung zur Rigaer Straße 94, da die Bewohner als Erste kostenlosen Wohnraum für Friedrichshain hilft e.V.i.G. als Spendenkammer zur Verfügung gestellt und besonders schutzbedürftigen Flüchtenden mittelfristig Unterkunft gewährt haben. Die Aktion der Berliner Polizei in Zusammenarbeit mit der Hausverwaltung erscheint uns zynisch, da die Rigaer Straße bis dato von Flüchtenden als Begegnungs- und Rückzugsort rege in Anspruch genommen wurde.“
Am heutigen Montag werden auch Geflüchtete mit einer Demonstration das Hausprojekt unterstützen [9]. Auch die Bezirksgruppe Friedrichshain der Berliner Mietergemeinschaft [10] hat sich bereits dagegen gewandt, dass Geflüchtete und alternative Projekte gegeneinander ausgespielt werden.
Das geschieht allerdings nicht nur im Fall der Rigaer Straße 94. Bereits im letzten Jahr sollte das seit 25 Jahren bestehende Berliner Wohn- und Kulturprojekt Wagenburg Schwarzer Kanal e.V. [11] einen Vertrag unterschreiben, in dem eine Klausel die Aufnahme von Geflüchteten verbietet. Die Bewohner stellten klar [12], dass sie eine solche Klausel ablehnen und nicht unterschreiben werden.
Für das Gelände in der Kiefholzstraße in Neukölln, auf dem sich die Wagenburg seit 2010 befindet, verhandeln der Verein Schwarzer Kanal e.V. mit der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben [13] über neue Verträge. War zunächst die Höhe der Mietforderungen strittig, könnte nun die kritisierte Klausel eine Einigung erschweren. So sei „der Vertrag unverzüglich zu beenden […] wenn der Verein ‚Wagenburg Schwarzer Kanal e.V.‘ auf der Mietfläche Flüchtlingen Obdach gewährt”, der Stein des Anstoßes.
“Diese Klausel ist weder mit unserer Vereinssatzung noch mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz vereinbar”, begründete ein Vereinsmitglied die Ablehnung. Der Hintergrund für die Klausel war die Angst, dass sich ähnlich wie am Oranienplatz der Widerstand der Geflüchteten auch in andere Stadtteile ausbereitet.
Nachdem sich die Bewohner geweigert haben, eine solche Klausel zu unterschreiben, sollen nun auf dem Gelände Flüchtlingsunterkünfte entstehen. Dafür wurden die Bewohner des Projekts von konservativen Medien [14] in die Nähe von Flüchtlingsgegnern gerückt.
Wenn nun von Ultrarechten über eine angebliche Flüchtlingsfeindlichkeit der Projekte lamentieren, springen sie auf die Kampagne der Politik auf. Dabei wird unterstellt, wer sich für die Interessen der Geflüchteten einsetzt, sei verpflichtet, sie persönlich aufzunehmen. Abgesehen davon, dass das vielen Menschen gar nicht möglich ist, handelt es sich um eine „reaktionäre Forderung“. Die Aufnahme von Geflüchteten ist kein Gunsterweis, kein Gnadenakt, sondern eine gesellschaftliche Aufgabe, an der sich alle Einwohner beteiligen müssten.
Peter Nowak 04.07.2016
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Strafanzeige gegen Czaja und Allert
Nazisprüche, Prügel, Hunger, Kälte – seit Monaten herrschen an der zentralen Anlaufstelle für Flüchtlinge in Berlin untragbare Zustände. Nun wurden die Verantwortlichen angezeigt. Auch Betroffene wehren sich.
Die Zustände, die die Grünen-Politikerin Claudia Roth bei einem Besuch des Berliner Landesamtes für Gesundheit und Soziales (Lageso) vor anderthalb Wochen vorfand, waren schockierend. Es seien »Hunderte, vielleicht auch Tausende Menschen, die sich ohne jede Information durch Behördenmitarbeiter verzweifelt und nun auch unter widrigsten Witterungsbedingungen auf dem Gelände bewegen und umherirren, auf der Suche nach einer Möglichkeit, Gehör für ihr Anliegen zu finden«, schilderte die Bundestagsvizepräsidentin die Lage vor der im Ortsteil Moabit gelegenen zentralen Registrierungsstelle für Geflüchtete. »Frauen, Männer und (Klein-)Kinder, Schwangere, Verletzte, Alte, Kranke und Behinderte, die völlig entkräftet und verzweifelt ihre Papiere den Mitarbeitern der Security zeigen, in der Hoffnung, Einlass in das Behördengebäude zu erlangen«, so beschrieb Roth die Situation. Menschen harrten stunden- oder gar tagelang in Warteschlangen aus, zum Teil in Schlamm, Regen und Sturm, oder dicht gedrängt in abgesperrten Bereichen in Zelten oder in den Behördengebäuden, berichtete die frühere Parteivorsitzende. Oftmals gebe es für die Wartenden am Ende nur barsche Worte oder ein rüdes Anschreien durch die Sicherheitskräfte, verbunden mit dem Hinweis, dass sie es am nächsten Tag wieder versuchen müssen.
Dabei machen schon seit Monaten Freiwilligengruppen wie der Berliner Flüchtlingsrat immer wieder auf die unhaltbaren Zustände aufmerksam. Christiane Beckmann, eine Sprecherin der Initiative »Moabit hilft«, sagte: »Wenn wir nicht wären, hätte es hier schon Tote gegeben.« Geändert hat sich freilich wenig. Lediglich der Sicherheitsdienst wird nun ausgetauscht, nachdem ein Wachmann im Nazijargon gegen Geflüchtete gehetzt hatte. Schon in den Vorwochen hatte es immer wieder Meldungen über Beschimpfungen und auch Schläge durch Wachleute gegeben.
Für die tagtägliche Demütigung und Erniedrigung der Geflüchteten, die Roth anprangerte, sind aber vor allem Berliner Politiker verantwortlich. Ob die vom Senat angekündigte Einrichtung eines eigenständigen Flüchtlingsamtes die Situation verbessern wird, ist unklar. Nach Auskunft des Berliner Sozialsenators Mario Czaja (CDU) sollen Aufgaben wie Registrierung, Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen aus dem Lageso herausgelöst und der neuen Behörde übertragen werden. »Mit diesem neuen Amt stellen wir uns den enormen Herausforderungen und den damit gewachsenen Aufgaben, die der anhaltend hohe Zugang von Flüchtlingen mit sich bringt«, sagte Czaja. Doch zunächst wird eine Arbeitsgruppe eingerichtet, denn konkrete Pläne für die neue Behörde gibt es noch nicht. Ihr Aufbau dürfte Monate dauern.
Czaja steht unter Druck, denn der Regierende Bürgermeister Berlins, Michael Müller (SPD), hat seinem Sozialsenator wiederholt Passivität vorgeworfen und ihm indirekt den Rücktritt nahegelegt. Am Montag reichten mehr als 40 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte Strafanzeige wegen Körperverletzung und Nötigung im Amt gegen Czaja und Franz Allert, den Präsidenten des Lageso, sowie weitere Verantwortliche ein, wie der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) mitteilte. »Sozialsenator Czaja nimmt schwere Verletzungen und Erkrankungen von Geflüchteten bewusst in Kauf«, sagte RAV-Vorstandsmitglied Ulrich von Klinggräff. Es sei unvorstellbar, so der Rechtsanwalt, »was geschehen würde, wenn es das einzigartige Engagement der Initiative ›Moabit hilft‹ nicht gäbe«.
Und auch Geflüchtete selbst beginnen, sich gegen die Zustände am Lageso zu wehren. So haben kürzlich 56 Flüchtlinge, die dort seit Wochen auf ihre Aufnahme warten, vor Gericht Eilanträge eingereicht, um ihre sofortige Erfassung und Versorgung zu erwirken. Andere Betroffene wehren sich gegen die Verweigerung von Leistungen und wollen durchsetzen, dass sie als Härtefälle anerkannt werden. Anfang November organisierten afghanische Flüchtlinge Protestkundgebungen.
http://jungle-world.com/artikel/2015/50/53145.html
Peter Nowak
Hilfe zur Selbsthilfe
Flüchtlingsinitiativen diskutierten über Asylpolitik und Integration
Initiativen befürchten, das Flüchtlinge nur Jobs im Niedriglohnsektor bekommen. Das wollen sie verhindern.
Nach den Anschlägen von Paris sind die Probleme der Geflüchteten in den Medien in den Hintergrund getreten. Oft wird sogar den Menschen, die vor islamistischem Terror fliehen, eine Mitverantwortung für die Attacken gegeben. Weitere Verschärfungen der Asylgesetzgebung sind in Vorbereitung. Darüber diskutierte das linke »Hate«-Magazin mit Gruppen, die sich seit Monaten in der Flüchtlingshilfe engagieren.
Die zivilgesellschaftliche Initiative »Moabit hilft!« gehörte zu den ersten Gruppen, die sich um die Neuankömmlinge kümmerte. Sie organisierte die Erstversorgung vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) in der Turmstraße. »Während wir hier diskutieren, stehen mindestens 150 Geflüchtete vor dem LAGeSo an, um am nächsten Morgen möglichst die Registrierung nicht zu verpassen«, berichtete Christine Beckmann von »Moabit hilft!«. Sie habe immer wieder die Verzweiflung erlebt, wenn sie nach stundenlangem Warten mit einem Stempel weggeschickt wurden, der ihnen bescheinigte, dass ihr Fall wieder nicht bearbeitet werden konnte. Beckmann spricht von massenhaften Verletzungen der Grundrechte der Geflüchteten.
Für Joshua Schulz von der antirassistischen Kampagne »Deutschland demobilisieren«, die von der Naturfreundejugend initiiert wurde, sind die geschilderten Zustände nicht nur Folge von behördlichem Versagen und Überforderung. Er sieht darin auch das Ziel, Flüchtlinge abzuschrecken. Seine Initiative hat in den letzten Monaten in verschiedenen Teilen Deutschlands gegen rassistische Mobilisierung interveniert. Seine Kampagne betont, dass bei den Bildern über die deutsche Willkommenskultur diese Mobilisierung nicht vergessen werden darf. Bei der Fülle der rassistischen Aktivitäten sei es allerdings nicht möglich, auf alle Aktionen zu reagieren, betont Schultz.
Peter Schaber vom linken lowerclass-Magazin regte dagegen eine stärkere Organisierung der Geflüchteten an. Als Beispiel nannte er die kurzzeitige Besetzung eines leerstehenden Gebäudes der Technischen Universität (TU) Berlin, dass als soziales Zentrum mit Schwerpunkt Flüchtlingsselbstorganisierung dienen sollte. Es wurde allerdings nach wenigen Stunden geräumt. Er verwies auch auf eine Aktion von afghanischen Geflüchteten, die vor dem LAGeSo gegen ihre Behandlung protestiert hatten. Schabers Perspektive ging über die Hilfsaktionen am LAGeSo hinaus. »Viele der Geflüchteten werden im Niedriglohnsektor landen, und die Lobbyorganisationen der Wirtschaft bereiten sich schon darauf vor. Hier müssten unsere Aktionen ansetzen, damit wir uns gemeinsam gegen solche Niedriglöhne und die Verschlechterung der Arbeitsverhältnisse wehren«.
Enttäuschend war dann, dass die Anfragen aus dem Publikum über die Mitwirkung von Gewerkschaften in der Diskussion kaum aufgegriffen wurden. Dabei hatte die Aufnahme von Geflüchteten bei der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di in Hamburg auch gewerkschaftsintern für heftige Debatten gesorgt. Immerhin gibt es Initiativen, eine Mitgliedschaft von Geflüchteten in Gewerkschaften zu erleichtern.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/992363.hilfe-zur-selbsthilfe.html
Peter Nowak
Deutsche Willkommenskultur, doch mehr als ein Spätsommermärchen 2015?
Die Refugee-Welcome-Bewegung diskutierte in Berlin über grundlegende Ansätze nach bisherigen Erfahrungen
Nach den Anschlägen von Paris und der nachfolgenden Terrorangst von Brüssel bis Hannover sind die Probleme der Geflüchteten in den Medien in den Hintergrund getreten. Pegida und andere Rechtspopulisten trumpfen mit der Geste „Wir haben es schon immer gewusst“ auf. Oft wird sogar den Menschen, die teilweise ebenfalls vor islamistischen Terror fliehen, eine Mitverantwortung für die Anschläge gegeben. Eine weitere Verschärfung der Asylgesetzgebung ist in Vorbereitung.
Doch wie reagieren die Teile der Bevölkerung, die noch vor wenigen Wochen an Bahnhöfen deutscher Städte standen und die Geflüchteten nicht nur willkommen hießen, sondern auch tatkräftig spendeten und für die Erstversorgung sorgten? Dieser Frage widmete sich kürzlich in Berlin auf Einladung des Hate-Magazins [1] eine Diskussionsveranstaltung [2]. Die drei Podiumsgäste aus der Refugee-Welcome-Bewegung setzen durchaus unterschiedliche Akzente.
Die zivilgesellschaftliche Initiative „Moabit hilft!“ [3] gehörte zu den ersten Gruppen, die rund um die Uhr die Erstversorgung und Betreuung der ankommenden Flüchtlinge vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales [4] organisierten. Christine Beckmann, eine der Mitbegründerinnen der Initiative berichtete, dass zeitgleich zu der Diskussion mindestens 150 Geflüchtete am Lageso anstanden, um am nächsten Tag einen Termin für ihre Registrierung zu bekommen.
Sie habe oft erlebt, wie verzweifelt Flüchtlinge waren, wenn sie nach stundenlangen Anstehen, mit einem Stempel weggeschickt wurden, der ihnen bescheinigt, dass ihr Fall noch nicht bearbeitet werden konnte und sie erneut zum stundenlangen teilweise, sogar nächtlichen Anstehen verurteilte. Beckmann spricht von massenhaften Verletzungen der Grundrechte der Geflüchteten und einer Dreiklassenkultur vor dem Lageso. Die unterschiedlichen Flüchtlingsgruppen werden auch unterschiedlich behandelt, was zu Unmut und teilweise Streit auch unter den Geflüchteten führt.
„Es gibt Deutschland nicht ohne Rassismus“
Während Beckmann betonte, dass die Flüchtlingshilfe keine explizit linke Angelegenheit ist und sie deshalb in diesem Zusammenhang auch innerlinke Debatten wenig interessieren, ging es Joshua Schulz genau darum. Er vertrat auf der Diskussion die von der Berliner Naturfreundejugend [5] initiierte antirassistische Kampagne „Deutschland demobilisieren“. Ihr Ziel ist es, innerhalb der außerparlamentarischen Linken einen Gegenpol zur einem Refugee-Welcome-Patriotismus zu schaffen, der im Spätsommer propagiert wurde und später in Merkel-Welcome-Bekundungen mündete.
So wie Anfang September manche den Wunsch verspürten, stolz auf Deutschland zu sein, so bekundeten sie einige Wochen später, mit der gleichen Geste den Tabubruchs, dass sie auf einmal Merkel gut finden. Für nicht wenige war die Flüchtlingskrise nur das Vehikel, um doch noch im politischen Mainstream anzukommen. Dagegen setzt die Kampagne „Deutschland demobilisieren“ [6] die Erkenntnis, dass der Rassismus zu Deutschland auch in den Tagen der Willkommenskultur gehörte.
Die Initiative hat in den letzten Monaten in verschiedenen Teilen Deutschlands gegen eine rassistische Mobilisierung von Neonazis, aber auch der rechten Zivilgesellschaft interveniert. Bei der Fülle der rassistischen Aktivitäten sei es allerdings nicht möglich, auf alle Aktionen zu reagieren, betont Schulz. Für seine Initiative sei es wichtig, bei den Bildern über die deutsche Willkommenskultur die rassistische Mobilisierung nicht zu vergessen.
Diese Aufmärsche einfach zu ignorieren, sei politisch fatal, betont Schulz und verwies auf eine rechte Initiative, die in den Chemnitzer Stadtteil Einsiedel wochenlang ein Gebäude blockierten [7], die als Flüchtlingsunterkunft vorgesehen war. Die örtlichen Antifagruppen hätten nicht zu Gegenaktionen aufgerufen, um die Rechten nicht aufzuwerten. Doch sie zogen sich nicht zurück, sondern sehen sich in ihrer Aktion bestätigt und haben die Blockaden sogar noch ausgeweitet, berichtet Schutz.
Peter Schaber vom linken lowerclass-Magazin [8] hingegen riet dazu, nicht auf jede Aktion gegen Geflüchtete zu reagieren. Er regte dagegen eine stärkere Organisierung mit Geflüchteten an. Dabei führte er als Beispiel die kurzzeitige Besetzung eines leerstehenden Gebäudes der Technischen Universität Berlin Anfang September an, das als soziales Zentrum mit Schwerpunkt Flüchtlingsselbstorganisierung dienen sollte, aber bereits nach wenigen Stunden geräumt wurde [9] .
In Göttingen hat die Besetzung eines ehemaligen DGB-Hauses [10] mit ähnlicher Zielsetzung sogar die Chance, mehr Zeit zu bekommen [11] für die Umsetzung ihrer Vorstellung einer Flüchtlingsselbstverwaltung. Hier zeigten sich auch die größten Differenzen am Podium. Das wurde auf die kritische Nachfrage einer Frau aus dem Publikum deutlich, warum keine Geflüchteten am Podium saßen.
Während Beckmann doch eher in einen paternalistischen Ton abglitt, als sie Geflüchteten in erster Linie als traumatisierte vor Angst zitternde Menschen darstellte, denen eine solche Diskussion nicht zuzumuten sei, erklärte Peter Schaber, die syrischen Geflüchteten aus seinem politischen Umfeld hätten es vorgezogen, bei dem Plenum eines ehemals besetzen Hauses aufzutreten, das zeitgleich mit der Podiumsdiskussion stattfand.
Schaber erinnere auch an Protestaktionen [12] afghanischer Geflüchteter vor dem Lageso gegen das dortige Prozedere. Einige von ihnen haben sich am 19.11. am Berliner Refugee- Schul- und Unistreik [13] aktiv beteiligt. Leider wurde kein Bezug auf das mehrere Monate bestehende antirassistische Zentrum [14] an der TU-Berlin vor fast 15 Jahren genommen, das auch durch eine Besetzung von Flüchtlingen und solidarischen Unterstützern entstanden ist. Auch damals wurden die Geflüchteten als gesellschaftlich handelte Subjekte wahrgenommen.
Wenn aus Refugees Kolleginnen und Kollegen werden
Peter Schaber hat auch einige Impulse für die Frage gegeben, wie eine Perspektive der Refugee-Welcome-Bewegung aussehen könnte.
Dabei betonte Schaber, dass eine solche Organisierung noch am Lageso beginnen müsste, wo die Menschen noch zusammen sind. In ihren dann wahrscheinlich prekären Arbeitsverhältnissen wären sie vereinzelt und es wäre schwieriger, sie zu erreichen Leider wurde diese Anregung nicht vertieft.
Enttäuschend war, dass die Anfragen aus dem Publikum nicht aufgegriffen wurden, welche Rolle dabei die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di spielen könnte. Die Moderation Nina Schulz vom Hate-Magazin bekundete, sie habe sich mit der Gewerkschaft nicht befasst und die sei ihr auch nicht besonders sympathisch. „Ist die noch klassenkämpferisch“, fragte sie eher rhetorisch und damit war das Thema bereits abgehakt. Natürlich stimmt es, das der verdi-Vorstand nicht klassenkämpferisch ist, aber galt das nicht auch für die meisten der am Podium vertretenen Gruppen und für einen Großteil der außerparlamentarischen Linken?
Dabei wäre über das Thema Gewerkschaften und Papierlose sicher mehr zu sagen gewesen. Die Diskussion darum wurde von dem Netzwerk respect [15] schon vor mehr 10 Jahren geführt [16]. In den letzten Jahren hat die Aufnahme von Geflüchteten bei der Dienstleistungsgewerkschaft [17] ver.di in Hamburg auch gewerkschaftsintern für heftige Diskussionen gesorgt. Es gab an der Gewerkschaftsbasis zahlreiche Initiativen, die sich für eine erleichterte Mitgliedschaft von Geflüchteten in den DGB-Gewerkschaften aussprachen.
Auch außerhalb des DGB gibt es mit der Freien Arbeiter Union [18] und ihrer in einigen Städten sehr aktiven Foreigners-Sektion [19] Ansprechpartner. Zudem haben sich in einigen Städten mittlerweile Gruppen der Industrial Workers of the World [20], die ebenfalls Lohnabhängige ohne Passkontrolle aufnehmen. Ansprechpartner für eine gewerkschaftliche Organisierung von Migranten gäbe es also durchaus Dass das Thema bei der Diskussion so schnell abgehakt wurde, liegt denn wohl auch an der Gewerkschaftsferne außerparlamentarischer Linker.
http://www.heise.de/tp/news/Deutsche-Willkommenskultur-doch-mehr-als-ein-Spaetsommermaerchen-2015-3010437.html
Peter Nowak
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