Gegen Verdrängung, Verarmung und Ausverkauf

DEMO Mehrere Initiativen rufen dazu auf, gegen Gentrifizierung auf die Straße zu gehen

Wenige Tage vor der Berlinwahl signalisieren viele Parteien auf ihren Plakaten, dass sie die Sorgen der MieterInnen verstehenund Menschen mit geringen Einkommen vor Vertreibung schützen wollen. Für Kurt Jotter ist das unglaubwürdig. Der Gründer der Politkunstgruppe „Büro für ungewöhnliche Maßnahmen“ gehört zu den OrganisatorInnen einer Demonstration, die unter dem Motto „Gemeinsam gegen Verdrängung, Verarmung und Ausverkauf der Stadt“ am kommenden Samstag um 14 Uhr am Platz der Luftbrücke beginnen soll. Vorbereitet wird diese Demo  nicht nur vom „Büro für  ungewöhnliche Maßnahmen“, sondern auch von zahlreichen Initiativen, die sich in der letzten Zeit gegen hohe Mieten in unterschiedlichen Berliner Stadtteilen gegründet haben. Die MieterInneninitiative „Kotti und Co.“ aus Kreuzberg ist ebenso vertreten wie das Bündnis „Hände weg vom Wedding“. Zum Auftakt der Demo wollen Initiativen mit einer „Tour der Entmietung“ auf Häuser hinweisen, aus denen MieterInnen vertrieben werden. Sie soll um 11 Uhr vor der Grunewaldstraße 87 beginnen, nach Neukölln und Kreuzberg ziehen und dann mit einem „Wall of Shame“-Block an der Demonstration teilnehmen.
Diese „Mauer der Schande“ soll aus großen Tafeln bestehen, auf denen Gebäude zu sehen sind, die entmietet werden. Embleme von Parteien sind auf der Demonstration nicht erwünscht, betont Jotter. Dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller wirft der Aktivist vor, die WählerInnen zu täuschen, indem er behauptet, die MieterInnen von Sozialwohnungen seien gesichert. Müller sei bisher nicht bereit, den Paragraf 5 des Berliner Wohnraumgesetzes zu ändern, moniert Jotter. Dieser gibt NeueigentümerInnen von ehemals Sozialem Wohnungsbau die gesetzliche Handhabe, nicht mehr an das Kostenmietrecht des Sozialen Wohnungsbaus gebunden zu sein. Massive Mieterhöhungen sind die Folge.

aus Taz vom 6.9.2016
Peter Nowak

Die Mietbremsrebellen

Das Kölner Institut der Deutschen Wirtschaft wiegelt ab: Es gebe keine Probleme auf dem Wohnungsmarkt, die Mietsteigerungen seien nicht zu hoch. Die Mieterbewegung teilt den Optimismus nicht.

»Deutsche können sich größere Wohnungen leisten«, titelte die FAZ in der vergangenen Woche. Die Konkurrenz von der Süddeutschen Zeitung lieferte einen Artikel mit beinahe gleicher Überschrift und fast identischen Passagen. Das ist nicht verwunderlich: Die Zeitungen schrieben fast wörtlich die Einleitung einer Pressemeldung ab, in der das Kölner Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) die frohe Botschaft verkündete, dass es in Deutschland doch keine Mietprobleme gebe. Demnach seien die Mieten seit 2010 um 10,2 Prozent gestiegen, die durchschnittlichen Einkommen aber um 11,5 Prozent.

»Trotz steigender Mieten gibt es in der Breite keinen allgemeinen Mangel an bezahlbarem Wohnraum«, folgert der IW-Immobilienexperte Ralph Henger. Er machte auch gleich deutlich, welchen Zweck die Meldung über den in Deutschland angeblich so entspannten Wohnungsmarkt hat: »Die Politik sollte daher nicht mit flächendeckenden Programmen eingreifen, sondern gezielt handeln. Dazu gehört zum Beispiel, die soziale Wohnraumförderung nur an bestimmten Standorten einzusetzen und dafür zu sorgen, dass die infrastrukturelle Versorgung der ländlichen Räume verbessert wird.«

Zu den verpönten flächendeckenden Programmen gehört beispielsweise die sogenannte Mietpreisbremse, die die Immobilienwirtschaft sowie ihr nahestehende Wirtschaftsinstitute und Medien vehement ablehnen. Dabei wurde die Regelung bereits im Gesetzgebungsverfahren so abgeschwächt, dass sie die Renditen der Hauseigentümer kaum tangiert. Diese sind bisher nicht dazu verpflichtet, die Vormiete anzugeben, weshalb die Höhe der Mietsteigerung bei Neuvermietungen nach wie vor häufig undurchschaubar bleibt. Zudem befürchten viele Mieter, keine Wohnung zu finden, wenn sie auf ihrem Recht bestehen, über die Mieterhöhung informiert zu werden. Dass die Immobilienwirtschaft trotzdem so vehement gegen die Mietpreisbremse vorgeht, liegt also nicht an Renditeeinbußen.

Die Parteien wollen mit der Mietpreisbremse gegenüber einer erstarkenden Bewegung von renitenten Mietern vor allem in größeren Städten den Eindruck erwecken, auf die Lage am Wohnungsmarkt entschlossen einzuwirken. Engagierte Mieter bezeichnen die Mietpreisbremse hingegen als Placebo, das beruhigen soll, aber nicht wirklich etwas verändert.

An den Plakaten für die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus im September wird deutlich, welch große Relevanz das Mietenthema zumindest bei SPD, Linkspartei und Grünen hat. Vereinnahmen lässt sich die Mieterbewegung in der Stadt jedoch nicht. Sie versteht sich als außerparlamentarisch und lehnt daher jegliche Parteiverbindungen ab. Auch auf ihrer für den 10. September geplanten Demonstration, die unter dem Motto »Gemeinsam gegen Verdrängung, Verarmung und den Ausverkauf der Stadt« stattfinden soll, wird es keine Politikerreden geben.

Im Demonstrationsaufruf wird detailliert aufgeführt, welche Bevölkerungsteile zurzeit größere Summen ihres Einkommens für die Miete verwenden müssen: Menschen mit niedrigen Einkommen, Behinderte, Migranten, Alleinerziehende, Studierende, viele Gewerbetreibende, Senioren und sogar Personen, die sich selbst noch zur Mittelschicht zählen. Die akribische Aufzählung dieser Betroffenengruppen ergibt in diesem Fall durchaus Sinn. Damit wird deutlich, wer trotz der von vielen Medien unkritisch abgeschriebenen IW-Propaganda zu denjenigen gehört, die Wohnungsprobleme haben.

Diese Menschen kommen auch in den Werbeclips der CG-Group nicht vor, in denen die Immobilienfirma skizziert, wie sie Berliner Stadtteile mit ihren Bauprojekten für das Kapital attraktiv macht. Zurzeit will sie ausgerechnet in der wegen ihrer linken Haus­projekte bekannt gewordenen Rigaer Straße in Berlin-Friedrichshain das »Carré Sama-Riga« errichten und stößt damit in der Nachbarschaft auf Widerstand. Im firmeneigenen CG-Magazin wird die Mietpreisbremse als »ein ebenso überflüssiges wie rechtlich bedenkliches Instrument staatlicher Regulierung« bezeichnet.

Der Soziologe und Regisseur des Films »Mietrebellen«, Matthias Coers, bestätigt im Gespräch mit der Jungle World, dass ärmere Menschen in den vergangenen Jahren mehr von ihrem knappen Geld für die Miete aufbringen mussten – wenn sie überhaupt eine Wohnung fanden. Für die von der Berliner Mietergemeinschaft herausgegebene Publikation Mieterecho machte Coers kürzlich eine Fotoreportage über Wohnungssuchende in Berlin. »Dabei konnte ich erfahren, dass sich mehr als 150 Menschen um eine Dreiraumwohnung bewarben und selbst eine gutverdienende Frau aus der Mittelschicht über ein halbes Jahr suchen musste, um dann eine Parterrewohnung zu finden«, sagt er.

Es ist der in den vergangenen Jahren größer werdenden Mieterbewegung zu verdanken, dass fehlende bezahlbare Wohnungen nicht mehr als individuelles, sondern als gesellschaftliches Problem betrachtet werden. Gegen diese Erkenntnis richtet sich das IW mit seinem dreiseitigen Papier, das von manchen Medien unkritisch sogar zur Studie geadelt wurde. »Offenkundig hat sich keine der Redaktionen die Mühe gemacht, beim IW anzurufen und nach dessen Datengrundlage zu fragen. Die rückt das Institut nicht raus«, schrieb der Taz-Kommentator Martin Reeh. Angesichts einer derart frohen Botschaft, wie das IW sie verbreitet, benötigen manche Zeitungen anscheinend keine Quellen mehr.

http://jungle-world.com/artikel/2016/34/54719.html

von Peter Nowak