Unterdrückung, Krieg und Massenmord gibt es auch ohne Faschismus im politikwissenschaftlichen Sinn. Was Anhänger des woken Kapitalismus nicht wahrhaben wollen.

Putins bürgerlicher Racket-Staat und der Unterschied zum Faschismus

Torsten Fuchshuber und Matthias Wörsching zeigen, dass es tatsächlich sinnvoll sein kann, auch über faschistische Tendenzen in der russischen Gesellschaft zu reden, die durch die Kriegssituaton sehr verstärkt werden – wie auch in der Ukraine. Das bedeutet aber auch, weder Russland noch die Ukraine pauschal als faschistisch bezeichnet werden können.

„Das Wort ‚Putin‘ taucht im Stichwortverzeichnis meines Buchs ‚Faschismus. Und wie man ihn stoppt‘ nicht auf. Als ich im Dezember 2019 meinem Verlag die Idee dafür unterbreitete, konzentrierte ich mich auf das Phänomen rechtsextremer Bewegungen in demokratischen Staaten, nicht auf bereits etablierte Diktatoren“, schreibt der britische Sozialdemokrat Paul Mason in einem Beitrag der Wochenzeitung Freitag über sein im Suhrkamp-Verlag auf deutsch erschienenes Buch.Es soll wohl eine Werbung in eigener Sache sein. Auf jeden Fall ruiniert Mason aber jeden wissenschaftlichen Anspruch, weil er einen Faschismusbegriff hat, mit dem immer der gerade aktuelle Feind so deklariert wird. Dazu gehören Trump, Erdogan und natürlich seit dem Ukraine-Krieg auch Russlands Präsident Wladimir Putin, dem Mason vorwirft: …

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Wenn die Eltern im Widerstand waren

Nachfahren von Gegnern und Opfern der NS-Herrschaft wollen auch Verfolgung von Linken in der UdSSR aufarbeiten

Matthias Wörsching engagiert sich seit vielen Jahren gegen die extreme Rechte. Der Berliner Historiker und Politikwissenschaftler ist unter anderem in der Pankower Ortsgruppe der VVN-BdA (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschist*innen) aktiv. Dort leitete er in den letzten Monaten ein besonderes Projekt. In Werkstattgesprächen trafen sich Kinder, Enkel und Urenkel von Widerstandskämpfer*innen gegen den Nationalsozialismus und Verfolgten des Naziregimes.

Am Sonntag trafen sich etwa 60 Nachkommen der Widerstandskämpfer*innen zur Abschlussveranstaltung der Werkstattgespräche im Betsaal des ehemaligen Jüdischen Waisenhauses Berlin-Pankow.

Auch Andrée Fischer-Marum gehörte zu den Teilnehmer*innen. Die Nazis ermordeten ihren Großvater im Jahr 1934. Er war viele Jahre Abgeordneter des Badischen Landtags für die Sozialdemokraten. Die Familie war auf drei Kontinente zerstreut. Andrée Fischer-Marum lebte in der DDR. Nach 1990 wurde der Kontakt wieder enger.

Heute pflegt Fischer-Marum das Grab ihres Großvaters in Karlsruhe. Wichtiger aber sind ihr die Gespräche in den Schulklassen. Dort stößt sie häufig auf Kinder aus migrantischen Familien. Auch für die Familie Marum gehörten Flucht und Migration schon seit Generationen zum Leben dazu. Daher hören die Kinder der Geflüchteten gebannt zu, wenn sie ihre Familiengeschichte erzählt. Auch die Ökonomin Anne Allex, deren Mutter als KPD-Mitglied im Widerstand war, berichtete, wie sich Kinder von Geflüchteten in Berlin für die Geschichte des Widerstands interessieren.

Sie hatte vor einigen Wochen eine Ausstellung über Berliner Firmen, die von jüdischer Zwangsarbeit profitierten, in einen Ausstellungsraum im Wedding aufgebaut, in dem sich migrantische Jugendliche zum Unterricht trafen. »Sie schauten sich die Ausstellungstafeln erschrocken an und fragten, ob ihnen in Deutschland auch Zwangsarbeit drohen könnte«, berichte Allex.

Sabine Reichwein, die Tochter des von den Nazis 1944 hingerichteten Reformpädagogen Alfred Reichwein, beschrieb, wie sie in ihrer Jugend das Gefühl hatte, ihr Vater habe sie wegen seines politischen Engagements verlassen. Später studierte sie Pädagogik. Nun sieht sie in ihrem Vater ein Vorbild.

Die Medienwissenschaftlerin Inge Münz-Koenen ging auf ein auch unter den Widerstandskämpfer*innen gegen den Faschismus besonders schmerzliches Kapitel ein. Es ging um Tausende von Linken aus Deutschland, die in der Sowjetunion Schutz gesucht hatten und Opfer des Großen Terrors seit 1937 geworden waren. In der DDR war das Thema Tabu und auch in der VVN-BdA wurde ihnen vorgeworfen, Antikommunismus zu fördern, berichtete Münz-Koenen. Doch sie und ihre Mitstreiter*innen ließen sich nicht beirren. Jetzt planen sie eine Aufarbeitung der Verfolgungen von vor allem jüdischen Kommunist*innen in den frühen 1950er Jahren in verschiedenen osteuropäischen Staaten.

In der zweiten Gesprächsrunde wurden weitere auch unter NS-Verfolgten strittige Themen angesprochen. Sonja Kosche berichtete über die Kontinuität der Verfolgung und Diskriminierung von Sinti und Roma. Der Jurist Kamil Majchrzak berichtete über die besonderen Probleme als Enkel eines Auschwitz-Birkenau-Häftlings. Der Musiker Andrej Hermlin hielt ein leidenschaftliches Plädoyer gegen jeden Antisemitismus.

Die Veranstaltung war der Abschluss der Werkstattgespräche der Nachkommen der Widerstandskämpfer. Doch für Wörsching und den Projektkoordinator Marco Pompe ist die Arbeit noch lange nicht zu Ende. Im Dezember soll eine Broschüre mit den Berichten der Nachkommen erscheinen. Vielleicht findet das Projekt eines Gesprächskreises der Nachfahren der Widerstandskämpfer*innen in anderen Regionen Deutschlands Nachahmer*innen. Angesichts von AfD-Politiker*innen, die eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad fordern, wäre das dringend notwendig.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1106539.antifaschismus-wenn-die-eltern-im-widerstand-waren.html

Peter Nowak

Wie demokratisch waren die Wahlen in der Ukraine?

Während man sich bei der Einschätzung über die Wahlen in der Ostukraine ziemlich einig in der Ablehnung ist, reagierten Politiker und Medien auf die Wahlen in der übrigen Ukraine viel zu unkritisch

Wer in der vergangenen Woche die Illusionen hegte, dass die vorläufige Einigung zwischen der Ukraine und Russland im Gasstreit zu einer allgemeinen Entspannung zwischen beiden Ländern beitragen könnte, sieht sich nun schnell enttäuscht. Nachdem die Machthaber in der Ostukraine ihre Ankündigung wahr gemacht haben und eigene Wahlen abhielten [1], sind zwischen Russland und der Ukraine wieder kriegerische Töne angesagt.

Der ukrainische Außenminister tönt nun, dass sich das Land die Ostukraine zurückholen [2] werde. Wie das bewerkstelligt werden soll, lässt er allerdings offen. Die Ankündigung aus Kiew, Strafverfahren gegen die Verantwortlichen der Wahlen im Osten des Landes einzuleiten [3], sind hingegen realistischer und erinnern an den tiefsten kalten Krieg zwischen BRD und DDR. Auch damals wurden in Westdeutschland Menschen verurteilt, die beschuldigt wurden, das System im Osten zu unterstützen und sei es nur durch ein Interview.

Klare Wahlentscheidung für eine Europäisierung?

In den meisten Medien wurden die Wahlen in der Ostukraine zumindest als umstritten, oft aber auch als illegal bewertet. Tatsächlich dürfte es nicht besonders schwer sein, auch Nachweise dafür zu finden, dass diese Wahlen selbst nach bürgerlich-demokratischen Standpunkten in vielerlei Hinsicht zu beanstanden sind. Die Frage ist allerdings, ob sie sich in dieser Hinsicht so groß von den Parlamentswahlen in der übrigen Ukraine unterscheiden.

Wenn man den Mainstream der hiesigen Medien und die Erklärungen einer ganz großen Koalition von Politikern zum Maßstab nimmt, verbietet sich schon die Frage. Denn unisono wurde erklärt, mit diesen Wahlen habe die Ukraine den Weg nach Europa gewählt und all jene Lügen gestraft, die immer Nationalisten oder gar Faschisten in Kiew am Werk sehen. Erst am Wochenende erklärte [4] der Grüne Ex-Außenminister Josef Fischer:

„In einer sehr klaren Wahlentscheidung hat die Ukraine einen Präsidenten gewählt, der allseits, auch von Moskau, anerkannt wird. Dann jüngst die Parlamentswahlen. Diese sind besonders bemerkenswert, weil in einer Zeit gewählt wurde, in der Teile des Landes besetzt sind, Krieg herrscht, andere Teile annektiert wurden. Die Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung hat ganz klar gezeigt, dass sie eben die Ostverschiebung der Ukraine nicht will. Das ist jetzt eine große Chance. Man darf nur die Fehler, die nach der Orangen Revolution gemacht wurden, nicht wiederholen. Eine europäische Perspektive für die Ukraine wird es nur geben können, wenn es einen echten Bruch mit der postsowjetischen Realität in dem Lande gibt. Das heißt an erster Stelle: Bekämpfung der Korruption und eine innere Europäisierung.“

Damit liegt Fischer ganz auf der Linie der Ukraineberichterstattung der grünennahen Taz, die das Scheitern der extremen Rechten und den Sieg des europafreundlichen Flügels in den Mittelpunkt stellte [5]. Nach einer genaueren Analyse der Wahlen in der Ukraine stellte sich aber schnell heraus, dass die Rechtsaußenparteien sicher nicht besonders gut abgeschnitten haben, UItrarechte und Nationalisten allerdings auf den Listen proeuropäischer Parteien kandidierten und ins Parlament kamen.

„Vom Schützengraben ins Parlament“ hieß die Überschrift eines Artikels [6], der die Jubelberichterstattung über das Scheitern der Ultrarechten in der Ukraine korrigierte. Über die neue Partei Selbsthilfe [7], die ins ukrainische Parlament eingezogen ist und als liberale, proeuropäische Partei in vielen deutschen Medien hochgelobt wurde, heißt es nun:

„Ein Blick auf die Wahlliste und das Wahlprogramm für die jüngsten Parlamentswahlen zeigt, dass keine Partei so von Militär und Militarismus durchdrungen ist wie die Selbsthilfe. Direkt hinter der Spitzenkandidatin, der Aktivistin der Nichtregierungsorganisation „Neubelebung der Reformpakete“, Anna Golko, findet sich Semjon Sementschenko, Kommandeur des Bataillons Donbass.“

Ultrarechte Paramilitärs, die im Donbass an Plünderungen und anderen Menschenrechtsverletzungen beteiligt waren, sind so auf dem Ticket liberaler, proeuropäischer Parteien in das Kiewer Parlament eingezogen und haben diesen Parteien bereits zuvor ihren politischen Stempel aufgedrückt. Es ist dann auch nicht besonders verwunderlich, dass die Rechtsaußenparteien bei diesen Wahlen schlecht abgeschnitten haben, wenn die nationalistischen Inhalte sich über die proeuropäischen Parteien der sogenannten Mitte verwirklichen lassen.

Sollten sie bei der Umsetzung scheitern, stehen schließlich rechtsaußen noch immer genügend Politiker in Reserve. Dazu gehört auch der ultrarechte Nationalist Dmitrij Jarosch, der von Interpol zur Fahndung ausgeschrieben [8] ist. Der führende Politiker des Rechten Sektors kam als Direktkandidat ins Parlament.

Wenig las man in den deutschsprachigen Medien darüber, dass vor allem den Kommandeuren, die auf den verschiedenen Listen kandierten, Einschüchterung der Wähler, ja sogar offener Wahlbetrug vorgeworfen wurde. Dass mehrere ukrainische NGOs bereits im Vorfeld der Parlamentswahlen von einem Rückfall in alte Zeiten in Bezug auf die Wählerbeeinflussung und Bestechung sprachen [9] und diese Vorwürfe nach dem Wahlen untermauerten, wurde hierzulande gerne übersehen.

Weder auf Seiten Russlands noch Kiews

Nach den Wahlen in der West- und Ostukraine wiederholt sich das Schauspiel, das wir seit Monaten kennen. Während die prorussichen Kräfte gerne auf die Nationalisten und Faschisten im Umfeld der Kiewer Regierung zeigen, werden die russischen Rechtsaußenkräfte verschwiegen, die bei den Separatisten im Osten mitwirken.

Umgekehrt wird von den Freunden des Umsturzes in Kiew gern jeder Hinweis auf ultrarechte Kräfte in der Regierung und beim Militär als Parteinahme für Putin verurteilt, wie es bereits vor einigen Monaten in einer Erklärung [10] von grünennahen Wissenschaftlern formuliert und auch von der Grünen Politikern Rebecca Harms wiederholt [11] wurde.

Positionen, die auch im Ukrainekonflikt die Politik sowohl Kiews als auch der Separatisten kritisieren, haben es schwer, gehört zu werden. „Der Platz antifaschistisch und antimilitaristisch denkender Menschen ist nicht an der Seite ukrainischer oder russischer Nationalisten. Unser Platz ist bei den linken und antifaschistisch denkenden Menschen in der Ukraine und Russland, so sehr diese auch momentan an den Rand gedrängt werden“, schrieb [12] der Sozialwissenschaftler Matthias Wörsching all denen ins Stammbuch, die klare Feinbilder statt kritische Analyse der Verhältnisse bevorzugen.

http://www.heise.de/tp/news/Wie-demokratisch-waren-die-Wahlen-in-der-Ukraine-2441721.html

Peter Nowak 

Links:

[1]

http://www.heise.de/tp/artikel/43/43227/1.html

[2]

http://www.focus.de/politik/ausland/ukraine-krise-rebellenfuehrer-zum-sieger-der-ostukraine-wahl-erklaert_id_4243120.html

[3]

http://www.shortnews.de/id/1117929/ukraine-streit-eskaliert

[4]

http://www.taz.de/!148732/

[5]

https://www.taz.de/Parlamentswahl-in-der-Ukraine/!148460/

[6]

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=au&dig=2014%2F10%2F29%2Fa0054&cHash=1641f054f2d820ada117cc32934f9cde

[7]

http://www.kyivpost.com/content/politics/new-faces-in-parliament-possible-with-samopomich-party-369116

[8]

http://de.ria.ru/society/20140725/269111600.html

[9]

http://www.tagesspiegel.de/politik/ukraine-bestechung-und-manipulation-vor-der-wahl/10795176.html

[10]

http://www.boell.de/de/2014/02/20/euromaidan-freiheitliche-massenbewegung-zivilen-ungehorsams

[11]

http://www.boell.de/de/2014/03/07/russland-die-ukraine-und-wir

[12]

http://faschismustheorie.de/wp-content/uploads/2013/01/Woersching_Den-Bruderstaat-gibt-es-nicht_Antifa-Sept.Okt_.-2014.pdf