In Fulda gehen die juristischen Auseinandersetzungen um einen polizeikritischen Artikel in die nächste Runde. Der Anlass des Beitrags gerät dabei in Vergessenheit

Radikale Rechtsmittel

2018 wurde der Flüchtling Matiullah Jabarkhel in Fulda erschossen. Darius Reinhardt betont gegenüber der taz, dass der Anlass des Artikels nicht in Vergessenheit geraten dürfe. „Es waren die Schüsse auf Matiullah Jabar­khel, wegen denen niemand angeklagt und verurteilt wurde.“

Es war nur ein kurzes Aufatmen für die Jour­na­lis­t*in­nen Leila Robel und Darius Reinhardt und den Fuldaer Sozialwissenschaftler Philipp Weidemann. Am 22. August 2022 hatte sie das Fuldaer Landgericht vom Vorwurf der üblen Nachrede freigesprochen. Doch wenige Tage später erhielten ihre An­wäl­t­e*innen die Mitteilung, dass die Fuldaer Staatsanwaltschaft ein bislang unbegründetes Rechtsmittel gegen das Urteil eingelegt hat. Damit könnten die juristischen Auseinandersetzungen um einen polizeikritischen Artikel in die nächste Runde gehen. Zum Hintergrund: Am 13. April 2018 gab ein Polizist …

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»Der Dritte Weg« zog mit Fackeln und Trommeln durch Fulda

Bereits seit den 1970er Jahren bestehen in Osthessen neonazistische Strukturen

Es waren allerdings nur knapp 130 Rechte gekommen, die sich um 15 Uhr auf dem Platz Unterm Heiligen Kreuz, der bis zum Ende des NS-Regimes Adolf-Hitler-Platz hieß, versammelt hatten. Nach mehreren nationalistischen Reden setzte sich der Zug der Rechten mit Trommelwirbel und Fackeln in Bewegung.

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Rechte planen Fackelzug in Fulda

Die Neonazi-Kleinpartei »Der III. Weg« sucht sich Osthessen aus, um alliierte Bombenangriffe zu instrumentalisieren

»Ein Licht für Dresden« lautet das Motto eines für den 16. Februar geplanten Fackelmarsches, zu dem die neonazistische Kleinstpartei Der III. Weg derzeit bundesweit mobilisiert. Der rechte Aufmarsch soll im osthessischen Fulda stattfinden. Bereits am 30. Dezember gaben die Neonazis einen Vorgeschmack…

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Die Polizei schießt, Fulda streitet

In Fulda hat ein Polizist einen Flüchtling erschossen. Die Reaktionen darauf zeigen, wie nahe sich CDU und AfD in der Region mittlerweile stehen.

Nach tödlichen Schüssen der Polizei auf einen Flüchtling in Fulda wird die Stimmung rechtspopulistisch angestachelt

»Solidarität mit unserer Polizei« lautete das Motto einer Kundgebung der AfD im osthessischen Fulda am Montag. Die Unterstützung galt einem Polizisten, der Mitte April vor einer Bäckerei in Fulda zwölf Schüsse auf einen 19jährigen afghanischen Flüchtling abgegeben und ihn mit zwei Kugeln tödlich getroffen hatte.

Der junge Mann war von seiner Flüchtlingsunterkunft zur nahegelegenen Bäckerei gegangen, um Brötchen zu holen. Die Kassiererin weigerte sich, ihn zu bedienen, da die Kasse noch nicht geöffnet war. Der junge Mann fühlte sich offenbar als Flüchtling diskriminiert und begann zu randalieren. Im Laufe der Auseinandersetzung warf er Steine gegen die Fenster der Bäckerei und verletzte einen Lieferfahrer mit einem Stein schwer am Kopf. Nach Darstellung der Polizei attackierte der 19jährige dann einen Beamten einer eintreffenden Streife, entriss ihm den Schlagstock und schlug mit diesem auf den am Boden liegenden Polizisten ein. Die Beamten einer zweiten Streife, zu der der spätere Schütze gehörte, griff er demnach ebenfalls mit dem Schlagstock an. Daraufhin habe der Polizist das Feuer eröffnet, so die Polizei. Neben der Leiche sei ein Schlagstock gefunden worden.

Augenzeugen geben hingegen an, dass der junge Mann sich bereits beruhigt und von der Bäckerei entfernt hatte, als die Schüsse fielen. Er sei erschossen worden, als er vor der Polizei weglief.
Unter dem Motto »Gerechtigkeit für Matiullah!« demonstrierten Mitbewohner des Getöteten später in der Fuldaer Innenstadt. Dass sie bei den Protesten eine afghanische Flagge bei sich trugen, wurde ihnen von CDU-Politikern als besonderer Akt der Illoyalität gegenüber Deutschland angekreidet.

Es sei den eingesetzten Beamten in solch einem Fall nicht immer möglich, nur Arme oder Beine zu treffen, zitiert die Welt den Sprecher des hessischen Landeskriminalamts (LKA). »Die Beamten lernen, so lange zu zielen, bis die Gefahr gebannt ist.« Die Frage, welche Gefahr der Mann zum Zeitpunkt der Schüsse darstellte, stellte öffentlich nur Abdulkerim Demir vom Fuldaer Ausländerrat. »Die afghanische Gemeinschaft in Fulda und ich fordern Konsequenzen nach den tödlichen Schüssen«, sagte er.

»Wenn dieser Fall nicht aufgeklärt wird, dann wird die Polizei das nächste Mal den nächsten Mann erschießen«, so Demir. Seitdem ist er ­einer Kampagne ausgesetzt, an der sich auch Fuldas Oberbürgermeister Heiko Wingenfeld (CDU) beteiligte.

Dieser sprach von einer Vorverurteilung der Polizei und forderte Demir auf, sich von seinen Äußerungen zu distan­zieren.
Bei so viel Parteinahme für die Polizei und derartiger Abwehr eines Kritikers musste sich die AfD offenbar bemühen, noch eigene Akzente zu setzen. »Merkels Zuwanderungspolitik endet tödlich – auch in Fulda«, schrieb sie in einer Pressemitteilung. Den Polizisten sei »für ihre Entschlossenheit zu danken. Diese Entschlossenheit sollte als Signal dafür verstanden werden, dass bei uns nicht jeder machen kann, was er will.« Mit der Kundgebung Anfang dieser Woche setzte die AfD ihre Hetzkampagne fort.

Zu den Rednern gehörte Martin Hohmann, der vor knapp 15 Jahren bundesweit bekannt und in der rechten Szene populär wurde. Der damalige Bundestagsabgeordnete der CDU hatte sich in einer Rede am 3. Oktober 2003 zustimmend auf antisemitische Verschwörungstheorien bezogen, die Juden für die Oktoberrevolution verantwortlich machen. So zitierte er aus dem von Johannes Rogalla von Bieberstein herausgegebenen Buch »Der jüdische Bolschewismus« und der von Henry Ford herausgegebenen Schrift »Der internationale Jude«, die seit ihrer Veröffent­lichung in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ein Standardwerk für Antisemiten in aller Welt ist. Auf Druck der CDU-Spitze wurde Hohmann schließlich aus Fraktion und Partei ausgeschlossen. 2016 urteilte das Landgericht Dresden, dass man ihn wegen der Rede als Antisemiten bezeichnen darf.

Als Kandidat der AfD hat Hohmann im Herbst 2017 den Weg zurück in den Bundestag geschafft. Dass er weiterhin zu seiner inkriminierten Rede steht, machte er in einem Wahlkampfflyer deutlich. Darin warf er der CDU-Spitze vor, sie habe ihn zum Sündenbock ­gemacht. »Lieber bleibe ich bei der Wahrheit als bei der CDU« – Hohmann ließ diesen Satz aus seiner damaligen Einlassung vor dem Bundesparteigericht der CDU auf dem Wahlkampfflyer fett markieren. So kann er sich vor seinen Anhängern als Mann inszenieren, der nichts bereut.

Noch immer hat Hohmann viele Anhänger an der Basis der Fuldaer CDU. Schließlich stehen viele von ihnen in der Tradition des rechten Stahlhelmflügels des langjährigen Fuldaer Oberbürgermeisters und Bundestagsabgeordneten Alfred Dregger, der der politische Ziehvater Hohmanns war.

https://jungle.world/artikel/2018/19/die-polizei-schiesst-fulda-streitet

Peter Nowak

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Gegendarstellung

Veröffentlicht am 04.06.2018, 13:55 Uhr

In dem Artikel unter der Überschrift „Die Polizei schießt, Fulda streitet“ des Autors Peter Nowak vom 9. Mai 2018 auf der Internetseite „jungleworld“ heißt es:

„2016 urteilte das Landgericht Dresden, dass man ihn wegen der Rede als Antisemiten bezeichnen darf.“

Hierzu stelle ich fest:
Zu keinem Zeitpunkt hat das Landgericht Dresden geurteilt, dass man mich wegen meiner Rede vom 3. Oktober 2003 als Antisemiten bezeichnen darf.

Neuhof, den 23. Mai 2018
Martin Hohmann

Kann der Einzug der AfD in den Bundestag verhindert werden?

Viel interessanter ist die Frage, wie die Ideen, die heute die AfD propagiert und die von Thilo Sarrazin populär gemacht wurden, gesellschaftlich isoliert werden können

„Die einzige Partei, die gegen die Islamisierung Deutschlands aufbegehrt, ist die AfD.“- Eine Frau las diesen Satz vor und ihr Gegenüber musste schnell eine Antwort darauf finden. „Was heißt eigentlich Islamisierung“, fragte sie. Solche Szenen wurden am Samstagnachmittag mehrere Stunden gespielt. Es ging darum, rechtspopulistischen Statements schnell und überzeugend entgegenzutreten.

„Eine Gegenfrage ist da oft ein gutes Mittel“, meinte Herbert. Er leitete die Arbeitsgruppe, die Stammtischkämpferinnen und -kämpfer ausbilden soll. Das war ein zentraler Programmpunkt bei der Berliner Regionalkonferenz[1] der Initiative „Aufstehen gegen Rassismus – Keine AfD im Bundestag“[2], die sich am Samstagnachmittag in der ver.di-Bundesverwaltung getroffen hat. Das Ziel war die Erarbeitung eines Aktionsplanes für den Bundestagswahlkampf. Die ca. 80 Anwesenden setzten sich das Ziel, den Einzug der AfD in den Bundestag zu verhindern.

Dieses Ziel wurde ausgegeben, aber selbst von den meisten Stammtischkämpfern als kaum realistisch bezeichnet. Schließlich sahen manche die AfD bereits in Konkurrenz mit Union und SPD. Dazu kamen Wahlergebnisse in manchen ostdeutschen Bundesländern, die solche Prognosen als weniger spinnert erscheinen lassen, als das Projekt 18 der FDP unter Möllemann und Westerwelle. Und man darf nicht vergessen, dass nicht nur der Rechtsaußenflügel um Höcke die AfD schon in der Position einer führenden Regierungspartei sieht. Auch die parteiinterne Kontrahentin Petry wurde Ende Januar auf einem Treffen der europäischen Rechtsaußenparteien schon als künftige Kanzlerin Deutschlands begrüßt.

Bei so viel Größenwahn ist die Fallhöhe natürlich groß. Und wenn dann die Umfrageprognosen wieder unter10 Prozent sinken, wird gleich vom Niedergang der AfD geredet. Der wurde freilich schon länger prognostiziert. Der Streit zwischen dem wirtschaftsnationalen Flügel um Lucke und Henkel und ihren rechteren Kontrahenten war von den Unkenrufen über ein Ende der AfD[3] begleitet.

Schon im Mai 2015 schien für die Süddeutsche Zeitung die AfD ein erledigter Fall[4]. Mit Luckes Niederlage und Austritt schien sich diese Prognose dann zu bestätigen. Doch die Lucke-Neugründung ist in der Versenkung verschwunden und die AfD hat überlebt.

Wenn jetzt vor allem die Höcke-Freunde in der AfD die Partei wieder im Niedergang sehen[5], weil ihr Idol ausgeschlossen werden soll, ist das genauso parteipolitische Rhetorik wie es die Warnungen von Henkel und Lucke waren, als sie merkten, dass sie die Partei nicht im Griff haben. Die Warnung vor dem Untergang hat schon ihren Zweck innerparteilich erfüllt. Die Landespolitiker der unterschiedlichen Couleur haben sich darauf verständigt, die Frage der Parteizugehörigkeit Höckes den Schiedsgerichten zu überlassen, die bisher kaum Ausschlüsse wegen zu großer Nähe zu den Schmuddelrechten bestätigt haben. Daher kann Höcke in dieser Sache ganz gelassen sein, zumal ihm von der Dresdner Justiz bescheinigt wurde, dass seine Rede strafrechtlich nicht relevant ist.

Bei der Kandidatenaufstellung zu den Bundestagswahlen konnten sich AfD-intern Personen durchsetzen, die hinter ihm stehen. Höcke hat also den Tabubruch erfolgreich vollzogen. Jetzt kann in der AfD ganz selbstverständlich ein Ende des Schuldkults gefordert werden und man bekommt parteiintern viel Zustimmung. Nur mahnen manche an, dass man ein solch wichtiges Thema nicht in einer Diktion vortragen sollte, die an einen NSDAP-Parteitag erinnert.

Dass er sich in der Tonlage etwas vergriffen hat, räumte Höcke auch schon ein. In der Sache hat er sich nicht distanziert und auch seine innerparteilichen Gegner werden nun in angemessen getragenen Ton den Schuldkult geißeln und Höcke insgeheim dankbar sein, dass er das Thema für die AfD aufgeschlossen hat.

Dass zudem auf dem Ticket der AfD ein Mann wieder in den Bundestag einziehen könnte, der vor mehr als einen Jahrzehnt wegen einer antisemitischen Rede aus der Union ausgeschlossen wurde, wird flügelübergreifend nicht kritisiert. Dabei bestand der Antisemitismus in der Rede[6] des Fuldaer Unionsabgeordnete Martin Hohmann[7] nicht in der Behauptung, dass auch die Juden ein Tätervolk seien, was er durch eine doppelte Verneinung relativierte, sondern indem er sich aus den Fundus des historischen Antisemitismus eines Henry Ford bediente, der die Juden für die Französische Revolution genau o verantwortlich macht wie für die Oktoberrevolution.

Die Rechtsaußen-Parole Gerechtigkeit für Martin Hohmann wird nun wohl von der AfD umgesetzt.[8] Das könnte ihm wieder zu einem Bundestagsmandat verhelfen.

Voraussetzung ist natürlich, dass die AfD in den Bundestag einzieht. Doch das ist bei aller Niedergangsrhetorik noch immer sehr wahrscheinlich. Denn der Niedergang bezieht sich auf die Höhenflüge einer AfD auf Augenhöhe mit Union und SPD. Wenn sie dann nur noch um die 10 Prozent erreicht, werden schon viele sagen, es hätte schlimmer kommen können.

Manche werden sich vielleicht noch an die Wahlen im Jahr 1969 erinnert, als sich die NPD nach erfolgreichen Landtagswahlkämpfen Hoffnung auf einen Einzug in den Bundestag machte und knapp scheiterte. Danach setzten Flügelkämpfe ein, die die NPD schließlich marginalisierte. Nach spektakulären Wahlerfolgen in einigen ostdeutschen Landtagen machte sie sich in den 1990er Jahren Hoffnung auf einen Neustart, fusionierte mit ihren ewigen Konkurrenten von der Deutschen Volksunion und konnte damit ihren Niedergang doch nicht aufhalten.

Seitdem sind alle Rechtsaußengründungen ähnlich ausgegangen, ob die von Anfang an realpolitisch auftretende Schill-Partei, ob die Prodeutschlandbewegung oder verschiedene Parteigründungsversuche im wirtschaftsnationalen Bereich wie der Bund Freier Bürger. Sie alle verschwanden schnell wieder von der politischen Bühne. Am längsten überwinterten noch die Republikaner im Landtag von Baden-Württemberg, aber auch sie sind heute Geschichte.

Die AfD will nun das Erbe all dieser gescheiterten rechten Organisationsversuche antreten, was zu Konflikten führen muss. Dabei geht es weniger um einen generellen ideologischen Streit, es geht meistens um persönliche Konflikte, die oft noch aus den Vorgängerorganisationen mitgeschleppt werden. Doch ein wesentlicher Grund für den Niedergang der NPD nach 1969 bestand darin, dass die Union in der Opposition den Wiederstand gegen die mit der Entspannungspolitik gegenüber den Warschauer Vertragsstaaten verbundene Anerkennung der Nachkriegsgrenzen in den Mittelpunkt stellte und der NPD damit die Themen klaute.

Schließlich war die rechte Mär vom Emigranten Brandt, der zumal noch unter Aliasnamen vor 1945 gegen Deutschland agierte und das als Bundeskanzler fortsetzte, bis in Unionskreise mehrheitsfähig. „Brandt an die Wand“ skandierten damals Alt- und Neonazis, viele waren in bürgerlichen Parteien untergekommen. Manche hoffen nun, dass die Union in der Opposition auch wieder die rechte Flanke abdeckt und so die AfD marginalisierten könnte.

Wenn man die Töne von Seehofer und Co. bei den Aschermittwochsreden[9] hörte, könnte man sich tatsächlich wieder in den 1980er Jahren wähnen, als F. J. Strauß die Parole „Freiheit statt Sozialismus“ ausgab. Man kann schon ahnen, mit welcher Rhetorik eine von der Linkspartei unterstützte Bundesregierung bekämpft würde.

Eine Kostprobe gab es bereits in Thüringen nach der Wahl von Bodo Ramelow zum ersten Ministerpräsidenten. Neonazis, die AfD, Teile der Union und sogenannte Bürgerrechtler versammelten sich dort zum nationalen Aufmarsch[10]. Damit hat man die AfD nicht etwa marginalisiert, sondern bestätigt. Genau dieser Effekt könnte auch mit einer Union eintreten, die sich in der Opposition wieder mehr ihren Rechten widmet. Sie könnte sich mit der AfD einen Überbietungswettbewerb in dieser Hinsicht liefern.

In der Flüchtlingspolitik aber auch in den scharfen Tönen gegen die Türkei sowie in der Law-and-Order-Politik besonders in Bayern werden heute schon Töne laut, für die die AfD das Copyright beanspruchen kann. In den letzten beiden Jahren wurden Flüchtlingsrechte massiv eingeschränkt. Daher sollten Menschen, die gegen den Rechtsruck in der Gesellschaft antreten, nicht in erster Linie das Wahlergebnis für die AfD zum Gradmesser machen. Es ist nämlich gar nicht ausgemacht, dass ein knappes Scheitern der AfD bei den Bundestagswahlen ihrem Anliegen, dem Kampf gegen Rechts, wirklich nützt. Schließlich würden dann die bürgerlichen Parteien wieder einmal aufatmen, Deutschland als ein großartiges Modell feiern, in dem Rechtspopulismus keine Chancen habe.

Im nächsten Absatz würde man sich dann über die Sorge und Nöte der Bürger auslassen, die man ernst nehmen müsse, damit nicht eine neue Rechtspartei stark würde. Und so könnte man ohne die AfD im Bundestag umso unbefangener rechte Politik umsetzen, weil man ja kein Problem mit den Rechten habe. Eine AfD-Fraktion hingegen könnte die Union sogar darin hindern, so offen rechte Vorstellungen zu übernehmen, müsste sie sich doch immer vorwerfen lassen, mit der AfD zu paktieren.

Genau das wäre auch das Ziel, wenn sich die AfD als politischer Faktor etablieren würde. In Thüringen nahm schließlich die Union bereits Kontakte mit der AfD auf, um Ramelow als Ministerpräsident zu verhindern. Für Menschen, denen es ernst ist mit dem Kampf gegen Rechts, müsste nicht allein die AfD, sondern die deutsche Gesellschaft insgesamt in den Fokus der Kritik richten. Ob die AfD nun an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern wird oder nicht, ob sie sich wie auch immer selber zerlegt, ist sicher nicht unwichtig. Doch viel interessanter ist die Frage, wie die Ideen die heute die AfD propagiert und die vor mehr als 5 Jahren von Thilo Sarrazin populär gemacht wurden, gesellschaftlich isoliert werden können.


https://www.heise.de/tp/features/Kann-der-Einzug-der-AfD-in-den-Bundestag-verhindert-werden-3642558.html

Peter  Nowak

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http://www.heise.de/-3642558

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.aufstehen-gegen-rassismus.de/lokal/berlin/
[2] http://www.aufstehen-gegen-rassismus.de/
[3] http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/alternative-fuer-deutschland-henkel-warnt-vor-untergang-der-afd/11679482-2.html
[4] http://www.sueddeutsche.de/politik/interne-querelen-bei-der-afd-auf-die-erfolgsgeschichte-folgt-der-niedergang-1.2484437
[5] https://ef-magazin.de/2017/02/16/10553-parteiausschlussbeschluss-gegen-bjoern-hoecke-die-afd-im-niedergang
[6] http://www.heise.de/tp/features/Der-Wortlaut-der-Rede-von-MdB-Martin-Hohmann-zum-Nationalfeiertag-3431873.html
[7] http://www.martinhohmann.de/hohmann_aktuell.html
[8] http://www.tagesspiegel.de/politik/kandidatur-fuer-bundestag-afd-martin-hohmann-wurde-unrecht-angetan/14805422.html
[9] http://www.csu.de/aschermittwoch-2017/
[10] http://www.thueringer-allgemeine.de/web/zgt/politik/detail/-/specific/Ramelow-geh-heim-Tausende-demonstrierten-in-Erfurt-gegen-Rot-Rot-Gruen-754985118

Ein Kurier von ganz weit rechts

Der hessische CDU-Politiker Hans-Jürgen Irmer ist bekannt für seine rechtsextremen Ansichten. Dennoch wurde er erneut zum bildungspolitischen Sprecher der CDU-Fraktion im Landtag ernannt. Dagegen protestieren nun Gewerkschaften und Schüler.

„Ein Mensch kann dauerhaft in zwei Welten leben. (…) Entweder man ist Deutscher oder Türke.« »Es reicht – gegen Zwangsarbeiterentschädigung.« »Es wird Zeit, dass wir das Büßergewand, in das wir 50 Jahre gezwängt waren, ausziehen.« »Herr Bubis sollte sich (…) einmal sachkundig machen, wie in Israel die Frage der Staatsbürgerschaft geregelt ist.«

Ihrer Diktion nach könnten diese Zitate in der extrem rechten Wochenzeitung Junge Freiheit oder auch in der neonazistischen Deutschen Nationalzeitung veröffentlicht worden sein. Doch es handelt sich um eine kleine Auswahl einschlägiger Zitate aus dem Wetzlar Kurier, einem regionalen Anzeigenblatt aus Hessen. Sie erschienen im Zeitraum zwischen 1998 und 1999. Man ist sich treu geblieben: In der aktuellen Ausgabe befürworten Schreiber und Herausgeber des Blatts ein »Europa der Vaterländer« und sorgen sich wegen des vermeintlichen »Asylmissbrauchs und der Einwanderung in die Sozialsysteme«.

Der Wetzlar Kurier wird von dem langjährigen hessischen CDU-Landtagsabgeordneten Hans-Jürgen Irmer herausgegeben. Die rechtskonserva­tiven bis extrem rechten Ansichten, die in seinem Blatt vertreten werden und mit denen er sich auch gern selbst darin zitieren lässt, sind in der hessischen Union keinesfalls eine Gefahr für die Karriere. Erst vor wenigen Wochen wurde Irmer wieder zum bildungspolitischen Sprecher der CDU-Fraktion gewählt. Den Posten hatte er bereits in der vorangegangenen Legislaturperiode inne. Nach scharfer Kritik an seinen politischen Ansichten war er jedoch zurückgetreten.

Obwohl der CDU-Politiker sich von keiner seiner Äußerungen distanziert hat, wurde er nun wieder auf den Posten gewählt. Der grüne Koalitionspartner der CDU schweigt zu der Personalie. Dabei war Irmer in den vorigen Legislaturperioden noch von SPD, Linkspartei und Grünen kritisiert worden. So sorgte Irmer 2004 für einen bundesweiten Skandal, als er den damaligen Fraktionsvorsitzenden der hessischen Grünen, Tarek al-Wazir, im Landtag mit seinem vollen Namen Tarek Mohamed al-Wazir nannte, wie es damals auch im Wetzlar Kurier üblich war, um nahezulegen, dass al-Wazir Muslim sei und in Deutschland eigentlich nichts verloren habe.

Mittlerweile ist al-Wazir Minister einer schwarz-grünen Koalition in Hessen und schweigt zur Irmers Äußerungen. Die Grüne Jugend Hessens bleibt hingegen bei ihrer Kritik. »Irmer fällt seit Jahren durch rechtspopulistische Aussagen negativ auf und betreibt mit dem Wetzlar Kurier eine populistische Zeitung. Zuletzt hatte die rechte Junge Freiheit im Wetzlar Kurier inseriert. Eine solche Person hat nichts mit der von Schwarz-Grün angekündigten ›Willkommenskultur‹ zu tun; sie darf keine so relevanten Ämter innehaben«, schreibt sie in einer Pressemitteilung. Ob sie allerdings aus ihrer Kritik die Konsequenzen zieht und Irmer zukünftig als Gesprächspartner ablehnen wird, erschließt sich aus der Erklärung nicht.

Da war der hessische Landesverband der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) konsequenter. Er lehnt Irmer als Gesprächspartner ab und fordert die Union auf, eine andere Person für das Amt zu benennen. »Abgeordneter Irmer vertritt seit Jahren immer wieder rechtsextremes Gedankengut. Die GEW hat deshalb bereits im Jahr 2010 die CDU-Fraktion des Hessischen Landtags aufgefordert, ihr einen anderen Gesprächspartner für den Bildungsbereich zu benennen. Als dies nicht geschah, haben wir damals die Gespräche mit ihm eingestellt«, äußerte kürzlich der hessische GEW-Vorsitzende Jochen Nagel.

Damit unterstützt die GEW auch eine Initiative der Interessenvertretung der hessischen Schüler. »Der Landesschülerrat verurteilt die rechtspopulistischen Aussagen des Landtagsabgeordneten Hans-Jürgen Irmer und stellt jegliche Korrespondenz mit dem aktuellen bildungspolitischen Sprecher der CDU-Fraktion im hessischen Landtag ein. Weiterhin fordern wir die CDU-Fraktion des hessischen Landtages auf, uns einen neuen Gesprächspartner zu benennen«, heißt es in einer kürzlich veröffentlichten Pressemitteilung der Schülervertretung. »Der Landesschülerrat will mit dem einstimmigen Beschluss dieses Antrages ein klares Zeichen gegen die Wahl von Herrn Irmer zum bildungspolitischen Sprecher der CDU-Frak­tion setzen. Es geht nicht darum, bestimmte Themen in der gesellschaftlichen Debatte zu verbieten. Allerdings ist es ein großer Unterschied, ob man Ängste der Bevölkerung aufgreift und diskutiert, oder ob man sie missbraucht«, sagt der hessische Landesschulsprecher, Armin Alizadeh. Er weist darauf hin, dass Irmer auch auf bildungspolitischem Gebiet mit diskriminierenden Äußerungen aufgefallen sei. So habe der Politiker noch 2010 im Wetzlar Kurier die Prügelstrafe an Schulen verharmlost. 2012 musste er als bildungspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion zurücktreten, weil er die Einführung des Islamunterrichts an hessischen Schulen ablehnte. Damit hatte er sich auch gegen die offiziellen Beschlüsse seiner eigenen Partei gewandt.

Allerdings will die Schülervertretung trotz der Kritik an Irmer weiterhin mit der CDU-Fraktion im Gespräch bleiben und fordert deshalb einen anderen Gesprächspartner. Die Partei hat bislang nicht darauf reagiert. Auf die Forderung der GEW, Irmer durch einen anderen CDU-Politiker zu ersetzen, reagierten führende hessische CDU-Politiker mit Ablehnung. Man lasse sich keine Vorschriften bei der Personalpolitik machen, sagte der Sprecher der hessischen CDU-Fraktion, Christoph Weirich.

Dass die CDU-Fraktion Irmer in Kenntnis seiner politischen Ansichten wieder zum bildungspolitischen Sprecher gewählt hat, macht deutlich, dass der in der hessischen CDU seit den Zeiten des Landesvorsitzenden Alfred Dregger starke rechtskonservative Stahlhelmflügel zwar an Einfluss verloren hat, aber immer noch Macht besitzt. Die hessische CDU ist beispielsweise weiterhin die politische Heimat der Vertriebenenpolitikerin Erika Steinbach, während der Publizist und ehemalige Vizepräsident des Zentralrats der Juden, Michel Friedman, dem hessischen Landesverband der CDU bereits 2008 den Rücken gekehrt hat und in den saarländischen Landesverband eingetreten ist. So wird verständlich, wie ein Politiker wie Irmer in dieser Partei weiter Karriere machen kann.

Bereits 2004 bezeichnete Spiegel Online ihn als »Roland Kochs zweiten Fall Hohmann«. Damals war Irmer mit der Äußerung aufgefallen, den damaligen EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen (SPD) müsse man wegen Hochverrats an Deutschland anzeigen. Auch für den wegen antisemitischer Äußerungen aus der CDU ausgeschlossenen Fuldaer Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann hatte Irmer Partei ergriffen. Gemeinsam mit dem CDU-Landtagsabgeordneten Clemens Reif kritisierte Irmer die damalige CDU-Vorsitzende Angela Merkel, weil sie Hohmanns Parteiausschluss vorangetrieben hatte. Es sei Zeit, dass die Deutschen unverkrampft an ihre eigene Geschichte herangingen, befanden beide Abgeordnete. Die Unterstützung beruhte auf Gegenseitigkeit. Man wolle Irmer »mit Hilfe der Faschismuskeule und unterstellter Ausländerfeindlichkeit fertigmachen«. Dabei habe er nur »dem Volk aufs Maul geschaut«, sagte Hohmann 2004 Spiegel Online

http://jungle-world.com/artikel/2014/09/49404.html

Peter Nowak