»Kulturelle Unterschiede gibt es, aber sie spielen im Betrieb keine so große Rolle, wie manche Klischees nahelegen. Die wirklichen Probleme sind andere", sagt Werner Schmidt

»Der Universalismus ist auf den Betrieb beschränkt«

Werner Schmidt ist Arbeits- und Wirtschaftssoziologe. Er forscht am Forschungsinstitut für Arbeit, Technik und Kultur e. V. in Tübingen zum Themenbereich Migration und Arbeitswelt. Im März erschien sein Buch ­»Geflüchtete im Betrieb. Integration und Arbeitsbeziehungen zwischen Ressentiment und Kollegialität« im Transcript-Verlag in gedruckter Form und als frei zugängliche Online-Publikation.


Warum ist die Arbeitswelt in der Migrationsforschung so unterbelichtet?
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Chemnitz und die Männerbünde verschiedener Nationalität

Die Ereignisse auf und nach dem Stadtfest werfen auch für Linke neue Fragen auf

Hunderte Bürger ziehen durch Chemnitz und Menschen, die nicht einem bestimmten Bild von Deutschsein entsprechen, müssen sich verstecken. Diese Bilder sorgten für fast schon rituelle Empörungsrituale in Politik und Medien.

Wieder einmal war es eine Stadt in Sachsen, die im Mittelpunkt rechter Aktivitäten stand, und Chemnitz machte dabei nicht zum ersten Mal Schlagzeilen. Wieder einmal beteiligten sich sogenannte besorgte Bürger gemeinsam mit Personen aus der rechten Szene an den Aufmärschen. Vorausgegangen waren Ereignisse auf dem Chemnitzer Volksfest, in deren Folge ein Mann getötet und zwei weitere schwer verletzt wurden. Schnell wurde das Ereignis ethnisch eingeordnet. Mittlerweile wurde gegen zwei Männer mit Migrationshintergrund Haftbefehl erlassen.

Von Rechten und noch Rechteren

Wenige Wochen vor der sächsischen Landtagswahl ist das natürlich Wasser auf die Mühlen der AfD. Die gab sich auf einer Pressekonferenz moderat und distanzierte sich von einer Twitternachricht ihres Bundestagsabgeordneten Markus Frohmaier, der indirekt dazu aufgerufen hat, die Bürger sollen selber die Masseneinwanderung stoppen, wenn der Staat versage. Die AfD distanzierte sich grundsätzlich von jeder Gewalt, nicht aber von Gruppierungen wie Pro Chemnitz[1], die noch rechts von ihr stehen und zu weiteren Protesten aufrufen.

Nur vor der NPD wird in Aufrufen der AfD klar gewarnt. Das Kalkül ist klar. Beide Parteien sind im sächsischen Landtagswahl Konkurrenten und die NPD hatte über mehrere Legislaturperioden Abgeordnete im Landesparlament. Bei der letzten Landtagswahl, als erstmals die AfD antrat und in den sächsischen Landtag einzog, verfehlte die NPD nur knapp das nötige Quorum. Nun will sie sich an die Spitze der Proteste setzen, um die AfD als zu gemäßigt vorzuführen. Die wiederum muss vermeiden, zu offen mit Neonazis gesehen zu werden. Deshalb die Distanzierung von der Gewalt, nicht aber von den Demonstrationen insgesamt. AfD und Pegida rufen[2] zu einer Demo am Samstag in Chemnitz auf.

Damit wird auch deutlich, in Sachsen gibt es auch AfD-Wähler, die noch weiter nach rechts gehen würden, wenn die AfD in ihren Augen zu lasch auftreten würde. Es sind auch linke und liberale Kundgebungen angemeldet, die sich gegen Hass und Hetze wenden. Bei einem großen Teil des liberalen Bürgertums überwiegt die Sorge davor, dass die ständigen rechten Auftritte die Wirtschaft verschrecken könnten. Sehr deutlich wurde das im Deutschlandfunkinterview[3] des FDP-Bundestagsabgeordneten Frank Müller-Rosentritt[4], der sich explizit als Vertreter einer neuen Generation in Sachsen auf seiner Webseite vorstellt.

Gleich seine erste Antwort ist sehr aufschlussreich:

Zuerst einmal gilt mein Mitgefühl und Beileid den Angehörigen und Freunden des Opfers, und natürlich auch gute Besserung für diejenigen, die jetzt noch im Krankenhaus liegen.

Chemnitz ist eine sehr prosperierende Stadt mit unglaublich viel Industrie. Hier geht es wirklich voran. Wir haben wieder Zuzug mit ganz viel weltoffenen Bürgern. Ein echter „Hidden Champion“ in Deutschland. Und ich würde sagen, von einer neuen Eskalation kann man an der Stelle nicht ausgehen. Die Bürger sind natürlich verunsichert. Viele Bürger haben Wut. Auch die Berichterstattung jetzt wird, glaube ich, der Sachlage überhaupt nicht gerecht, denn ich habe viele Augenzeugen, die dabei gewesen sind, die berichten, dass es nicht nur der rechte Mob war, wie viele berichten, sondern auch spontan ganz viele Bürger, die sich auf der Straße versammelt haben, um einfach ein Zeichen dafür zu setzen, dass sich irgendetwas ändern muss. Wobei ich ganz klar sagen muss: Hetzjagd gegen ausländisch aussehende Bürger oder ganz schlimme rassistische Dinge, das lehne ich auch total ab und das widert mich total an, und ich bin froh, dass es heute in Chemnitz auch eine Gegendemonstration dazu gibt.

Frank Müller-Rosentritt

Da wird ein Interview aus Anlass der Gewalt auf einem Chemnitzer Straßenfest und anschließender rechter Aufmärsche erst einmal zu einer Eloge auf den Wirtschaftsstandort Sachsen gehalten

Wie reagiert darauf die Linke?

Für die Linke ist natürlich weitgehend klar, dass sie gegen die Rechten agiert. Dabei ist auffallend, dass auch explizit nichtlinke Medien wie der Focus Begrifflichkeiten wie „rechter Mob“[5], aus dem Vokabular der Antifabewegung übernommen haben. So wird die Linke oft nicht mehr unterscheidbar von denen, die aus Wirtschaftsgründen Einwanderung wollen.

Auch hier redet der FDP-Mann Klartext:

Aber ich glaube, um die Integrationsbereitschaft der 95 Prozent von Ausländern, die wir ganz dringend brauchen – die Industrie schreit nach Arbeitskräften, die Industrie schreit nach Menschen, die wir wirklich ganz, ganz dringend brauchen -, um die Integration dieser Bürger nicht zu gefährden, brauchen wir eine klare Durchsetzungskraft unserer Justiz und der Polizei für die Prozent der ausländischen Bürger, die sich eben nicht an Gesetze halten. Das gilt für Deutsche genauso wie für Ausländer.

Frank Müller-Rosentritt

Eine Linke sollte doch zweierlei thematisieren. Ja, es ist sinnvoll, wenn die Migranten, die überwiegend auf der Suche nach Arbeit nach Deutschland gekommen sind, auch Jobs bekommen und nicht wegen des Arbeitsverbots zum Nichtstun gezwungen sind. Dann folgen Langeweile und das Agieren in den gleichkulturellen Männercliquen, die dann auf Stadtfesten etc. mit ihren „biodeutschen“ Männerbünden aneinandergeraten und sich auch beim Sexismus und der Belästigung von sexuellen Minderheiten nicht von ihnen unterscheiden.

Die Linke sollte nicht einfach fordern, dass Migranten in Lohnarbeit kommen, sondern dass sie nicht weniger bezahlt bekommen als „Biodeutsche“, also auch keine Konkurrenten beim Lohndumping werden. Und sie sollte die Erkenntnis weiter verbreiten, dass man als Lohnabhängiger nur durch gewerkschaftliche Selbstorganisation Erfolge erzielt. So würden sich die unterschiedlichen Nationalitäten gemeinsam beim Kampf um bessere Arbeits- und Lebensbedingungen kennen- und akzeptieren lernen und nicht als Männergruppen beim Stadtfest oder anderen Events. Gemeinsame Interesse schaffen gemeinsame Solidarität, wie die gewerkschaftliche Gruppe „Mach meinen Kumpel nicht an“[6] zeigte.

Zudem sollte die Linke gegen die staatliche Zuweisung von Migranten aktiv werden. Wer von ihnen würde schon nach Chemnitz gehen, wenn sie nicht von den Ausländerbehörden dazu gezwungen werden? Wenn dann noch das Verbot dazu kommt, hier zu arbeiten, dann wird auch zum Entstehen jener Männerbündelei mit all ihren regressviven Begleiterscheinungen beigetragen, die weder in ihrer „biodeutscher“ noch in einer anderen ethnischen Zusammensetzung zu verteidigen sind.

URL dieses Artikels:
http://www.heise.de/-4146758
https://www.heise.de/tp/features/Chemnitz-und-die-Maennerbuende-verschiedener-Nationalitaet-4146758.html

Peter Nowak

Links in diesem Artikel:
[1] https://pro-chemnitz.de/
[2] https://www.facebook.com/AfD.Chemnitz/posts/2323000551050741?__xts__%5B0%5D=68.ARC4Dkr2IfhoQs14FmZMnh-Dx_62g8R4hmPQdrKIazrvRD62APnqx4pD3On56A-O5Uq0c_bF03L4qY4Iz7rQuCiuNeHebMdxwi8nrn1SdWAJOfM_gepC__R_ZEfKuQPEnXkNcpA&__tn__=-R
[3] https://www.deutschlandfunk.de/saechsischer-fdp-politiker-zu-chemnitz
-besondere.694.de.html?dram:article_id=426547
[4] https://fmueller-rosentritt.abgeordnete.fdpbt.de/
[5] https://www.focus.de/politik/deutschland/nach-tod-eines-35-jaehrigen-rechter-mob-organisierte-sich-ueber-soziale-medien-chemnitz-krawalle-im-protokoll_id_9480817.html
[6] https://www.gelbehand.de/home/

Vielfalt leben, nicht nur drüber reden

Der ver.di-Referent Romin Khan über mangelnden Einfluss migrantischer Mitglieder und Mittel gegen rechts

Romin Khan ist Referent für Migrationspolitik beim Bundesvorstand der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und Mitglied im Vorstand des gewerkschaftlichen Vereins »Mach’ meinen Kumpel nicht an! – für Gleichbehandlung, gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus e.V.« Das Gespräch führte Peter Nowak.

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Nie wieder rechtes Morden!

Peter Nowak fordert von ver.di mehr antirassistisches Engagement

„Wieso wurden die NSU-Morde erst diskutiert, als die Täter und nicht als die Opfer starben?« Das ist eine von zahlreichen Fragen, die in der ersten Etage der ver.di-Bundesverwaltung in Berlin auf verschiedenen Tafeln zu lesen sind. Sie sind Teil der Ausstellung »Im Kontext NSU – Welche Fragen stellen Sie?« von Beate Maria Wörz. Sie hat Menschen aus unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen zum NSU-Komplex befragt.p>

Fragen dazu hatten auch die rund 50 TeilnehmerInnen einer Veranstaltung am 8. Mai unter dem Motto »… dass der NSU nie wieder möglich ist«. Kurz eingeführt in das Thema wurde vom Referenten für Migration im Vorstand der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft, Romin Khan. Er erklärte dabei, dass es auch die Aufgabe der Gewerkschaften sei, die Perspektive der Opfer des rechten Terrors stärker in die Öffentlichkeit zu rücken. Das sei umso notwendiger, als der NSU-Prozess die Erwartungen und Hoffnungen vieler Angehöriger der Opfer enttäuscht habe, wie Rechtsanwältin Antonia von der Behrens auf der Veranstaltung erläuterte. Sie vertritt Angehörige von NSU-Opfern als Nebenkläger. Die anfängliche Hoffnung, dass der Prozess die Aufklärung der vielen offenen Fragen rund um den NSU-Komplex voranbringen könnte, seien enttäuscht worden. Heute würden die Opfer den Prozess nur noch selten besuchen. In den meisten Medien wurde mehr über die Frisur von Beate Zschäpe als über die Wünsche und Gefühle der Opfer diskutiert. »Der große gesellschaftliche Aufschrei nach der Enttarnung des NSU ist ausgeblieben, und da schließe ich ausdrücklich meine Gewerkschaft mit ein«, sagte Monika Roloff vom AK Antirassismus bei ver.di Hamburg. Der habe sich vergeblich für die Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses zum NSU auch in Hamburg eingesetzt, wo am 27. Juni 2001 Süleyman Taşköprü vom NSU erschossen wurde. Es fehle jedoch der gesellschaftliche Druck, auch der von ver.di.p>

Mit Verweis auf die Satzung erkärte Roloff das Engagement für die NSU-Opfer zu einer Kernaufgabe der Gewerkschaft. Schließlich sei dort von Solidarität und gleichen Rechten für alle Menschen die Rede.p>

Der Passus hat natürlich keineswegs verhindern können, dass auch Gewerkschaftsmitglieder rechte Parteien und deren Gedankengut unterstützen. Gerade aus diesem Grund sollte das antirassistische Engagement von ver.di noch mehr in der Öffentlichkeit präsent sein, auch und vor allem in den Betrieben. »Mach meinen Kumpel nicht an«, lautete das eingängige Motto einer gewerkschaftlichen Kampagne in den 1980er Jahren. Sie sorgte damals für rege Diskussionen in Betrieben, Schulen und Jugendklubs. Daran sollten die Gewerkschaften bei ihrer antirassistischen Arbeit heute wieder anknüpfen.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1050707.nie-wieder-rechtes-morden.html

Peter Nowak