Auf Trippelschritten in den Mainstream

Links

[1]

http://www.die-linke.de/partei/organe/parteitage/europaparteitag-2014/

[2]

http://www.heise.de/tp/artikel/41/41015/

[3]

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=me&dig=2014%2F02%2F17%2Fa0108&cHash=f520c1ae0bea84fa25a6bf5a2ee4c335

[4]

http://www.die-linke.de/fileadmin/download/parteitage/hamburg2014/leitantrag_parteivorstand/131209_leitantrag_parteivorstand_europawahlprogramm_neu.pdf

[5]

http://www.heise.de/tp/blogs/8/155814

[6]

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/linke-beschliesst-auf-parteitag-in-hamburg-programm-fuer-die-europawahl-a-953731.html

[7]

http://www.jungewelt.de/2014/02-17/055.php

[8]

http://www.neues-deutschland.de/artikel/924289.weniger-parolen.html

[9]

http://www.ilja-seifert.de/

[10]

http://www.linksfraktion.de/pressemitteilungen/merkel-muss-handeln

[11]

http://www.deutschlandfunk.de/ermittlungen-gegen-edathy-bilder-von-nackten-jungs-darf.694.de.html?dram:article_id=277382

[12]

http://www.deutschlandfunk.de/sebastian-edathy-verdaechtigungen-geheimnisverrat-und.1784.de.html?dram:article_id=277561

[13]

http://www.abgeordnetenwatch.de/wolfgang_ne_kovi-575-37837.html

Linken-Spitze mit Vertretern sozialer Bewegungen

Mit der Wahl von Katja Kipping und Bernd Riexinger haben die Delegierten des Parteitages der Linken den Kurs der Anpassung an die SPD eine klare Aussage gegeben. Die Partei will sich den unterschiedlichen sozialen Bewegungen öffnen
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Kipping, die der Emanzipatorischen Linken nahe steht, setzt sich besonders für die Aufhebung von Sanktionen für Hartz IV-Empfänger und das bedingungslose Grundeinkommen ein. Der Stuttgarter verdi-Vorsitzende Bernd Riexinger war von vielen Medien bisher überhaupt nicht beachtet worden. Deshalb wird er jetzt mit Bezeichnungen wie Gefolgsmann Lafontaines oder Fundamentalist bedacht.

Dabei gehört Riexinger seit Jahren zu den profiliertesten Linksgewerkschaftern in der Republik. Immer wieder hat er, oft gemeinsam mit Werner Sauerborn in [(http://www.labournet.de/diskussion/gewerkschaft/debatte/wurzeln.pdf Diskussionspapieren] für eine Gewerkschaftspolitik geworben, die sich vom Dogma der Standortsicherung verabschiedet. Auch in der Praxis steht Riexinger seit Jahren in Krisenbündnissen für die Zusammenarbeit von Gewerkschaften, linken Initiativen und sozialen Bewegungen. Riexinger war einer der wenigen Gewerkschafter, der keine Berührungsängste zur außerparlamentarischen Linke hatte.

Absage an die alte SED-Mentalität

Dass sich Riexinger in einer Kampfabstimmung gegen den rechten Flügelmann der Partei Dietmar Bartsch durchgesetzt hatte, war eine Bedingung für eine Fortsetzung als bundesweite Linke. Um Bartsch hätte sich der Flügel in der PDS gescharrt, die mit dem Konzept einer ideologiefreien, stromlinienförmigen ostdeutschen Volkspartei möglichst schnell an Regierungsposten kommen wollte. Schließlich handelte es sich bei dem Personal um SED-Kader im Wartestand, die zunächst wegen der Zähigkeit der Funktionärselite um Honecker und dann dem Ende der DDR nicht mehr zum Zuge kamen. Nach der Fusion mit der WASG zur Linkspartei war diesen ewigen Nachwuchskadern in linkssozialdemokratischen Gewerkschaftern eine lästige Konkurrenz erwachsen. Daraus und nicht nur an ideologischen Fragen rühren die sich zur Feindschaft entwickelten Konflikte, die das Bartsch-Lager mit den Kreisen um Klaus Ernst und Oskar Lafontaine hat. In den letzten Wochen haben sich die Konflikte so weit zugespitzt, dass selbst führende Politiker der Linken vor einer Spaltung warnten. Gregor Gysi sprach denn auch von einem Klima des Hasses in der Partei und sah in einer Trennung dann sogar eine zivilisierte Lösung.

Mit der Wahl von Riexinger und Kipping müsste diese Gefahr eigentlich gebannt sein. Denn Kipping kommt zwar aus dem Osten, hat aber weder etwas für Ostalgie übrig noch für die Strippenzieher-Qualitäten eines Dietmar Bartsch. Mit Riexinger kommt nun ein Gewerkschafter zum Zuge, der anders als Klaus Ernst Politik nicht nur aus der Perspektive des IG-Metall-Büros betrachtet. Doch ob damit die Krise der Linken beendet wird, liegt in erster Linie an der Reaktion derjenigen Parteirechten, die sich hinter dem Kandidaten Bartsch versammelt haben.

Dazu gehört auch der Berliner Landeschef Klaus Lederer und der Parteivorsitzende von Mecklenburg Vorpommern, Steffen Bockhahn, die einfach den Kandidaten unterstützen, der für eine stromlinienförmige Partei mit Regierungsoptionen eintritt. Riexinger und Kipping dürften hierfür die Gewähr nicht bieten. So ist nicht unwahrscheinlich, dass manche Bartsch-Anhänger noch den Absprung zur SPD wagen, vor allem wenn ihnen Abgeordnetenmandate zugesichert werden.

Die Medien würden daraus ebenso eine Fortsetzung der Krise der Linkspartei herbeisprechen, wie über jede andere kritische Äußerung aus dem Bartsch-Lager. Da mit dem Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn auch ein Exponent des Realoflügels auf einen zentralen Posten gewählt wurde, könnte es allerdings auch zu einer Auflösung der starren Fronten kommen. Auch als stellvertretende Vorsitzende wurden neben der Parteilinken Sahra Wagenknecht Vertreter der Realos gewählt. In Medien wird das Ergebnis des Parteitags eher negativ aufgenommen.

Schon seit Monaten war dort Bartsch zum Hoffnungsträger der Linken hochgeschrieben worden, während Lafontaine zum Fast-Diktator heruntergeschrieben wurde. Warum soviel Nachsicht gegenüber einem SED-Apparatschick und so viel Wut über einen Ex-SPD-Vorsitzenden, der sich im Grunde auch in seiner neuen Partei nicht groß verändert hat?

Ein Radikaler ist Lafontaine bis heute nicht; seine gelegentlichen Ausflüge in den Populismus zeigen, dass er sich auch auf das Geschäft des Machterhalts versteht und eine Regierungsbeteiligung seiner Partei wäre an ihm bestimmt nicht gescheitert. Es ist eher die Existenz einer Partei, die dem neoliberalen Einheitsdenken widerspricht, die in großen Teilen der Medien solche Abwehrreflexe hervorrufen. Ein Bartsch oder Lederer taugen dann als Bespiele dafür, dass auch dort Vernunft einkehrt, d.h. dass sich die Partei auch dem Mainstream anpasst. Auf dem Parteitag ist die Mehrheit diesem Kurs nicht gefolgt.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152124
Peter Nowak

Linkspartei nominierte Klarsfeld einstimmig zur Präsidentschaftskandidatin


Die beiden anderen Kandidaten, die ins Spiel gebracht wurden, hatten verzichtet

Die Linkspartei hat am Montag Beate Klarsfeld zur Präsidentschaftskandidatin nominiert. Damit ist ihr eigentlich ein politischer Coup gelungen. Denn Klarsfeld ist dadurch bekannt geworden, dass sie 1968 den damaligen CDU-Bundeskanzler Georg Kiesinger wegen dessen NS-Vergangenheit öffentlich geohrfeigt hat.

Während linke und liberale Kreise Klarsfeld für ihr Engagement lobten, wurde sie in konservativen Kreisen zur Buhfrau. Zumal sie auch in den folgenden Jahrzehnten mit ihrer Arbeit dafür sorgte, dass berüchtigte NS-Täter, die unbehelligt in Deutschland lebten, gerichtlich belangt werden konnten. In Deutschland wurde dieses Engagement zur privaten Angelegenheit von Klarsfeld erklärt, wo sie auch mit dem Begriff Nazijägerin belegt wurde. Bei diesen Formulierungen schwingen auch offen Ressentiments gegen eine Frau mit, für die die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit keine Angelegenheit von Sonntagsreden ist. In Frankreich hingegen genießt Klarsfeld quer durch alle politischen Lager Ansehen und wurde mit zahlreichen Ehrungen bedacht.

Bis in die jüngste Vergangenheit engagierte sich Klarsfeld gegen den Rassismus in Deutschland und beispielsweise für die Ehrung von jüdischen Kindern, die mit der deutschen Bahn in die Vernichtungslager transportiert wurden.

Streit um die Israelsolidarität

Mit ihrer Nominierung hat die Linkspartei gerade noch einmal eine Zerreißprobe vermieden. Denn am vergangenen Freitag war es gar nicht mehr so sicher, ob Klarsfeld, die von der Parteivorsitzenden Gesine Lötzsch ins Gespräch gebracht worden war und sich zur Kandidatur bereit erklärt hatte, in der Partei akzeptiert wird. Dass antizionistische Flaggschiff junge Welt bezeichnete die Kandidatin als eine Fehlbesetzung, weil sich Klarsfeld für das Existenzrecht Israel ausgesprochen und auch den Aufruf Stop the Bomb unterzeichnet hat, in dem die europäischen Staaten zur Kappung der Wirtschaftsbeziehungen mit dem iranischen Mullah-Regime aufgefordert werden. Damit könne, so hoffen die Organisatoren aus allen politischen Lagern, eine atomare Bewaffnung des Irans ohne kriegerisches Eingreifen verhindert werden.

Schnell wurde kolportiert, dass der immer noch einflussreiche Oskar Lafontaine mit dem linkssozialdemokratischen Kölner Politologen Christoph Butterwegge, der sich als Kritiker der neoliberalen Wirtschaftspolitik und vor allem der Hartz-IV-Gesetze einen Namen gemacht hatte, einen weiteren Kandidaten für die symbolische Präsidentschaftskandidatur ins Gespräch brachte. Als der am Sonntag aber erklärte, er stehe für innerlinke Machtspiele nicht bereit, und seine Bereitschaft zur Kandidatur zurückzog, war der Weg für Klarsfeld frei. Denn die Bundestagsabgeordnete der Linken Luc Joachimsen, die bei der letzten Präsidentenwahl für ihre Partei kandidiert hatte, machte schon vor Tagen deutlich, dass sie eigentlich eher für einen Boykott der Wahlen eingetreten ist.

Zwischenzeitlich hatten Teile der Linkspartei mit der Kandidatur des von der Piratenpartei ins Gespräch gebrachten Kabarettisten Georg Schramm geliebäugelt, der allerdings bald auf eine Kandidatur verzichtete. Auch gegen ihn waren Vorwürfe laut geworden, dass seine Reden nicht von antisemitischen Konnotationen frei gewesen seien.

Mit Beate Klarsfeld hat die Linke nun eine Kandidatin, der diese Vorwürfe niemand machen kann. Es muss sich zeigen, ob sie von allen Wahlmännern und -frauen der Linkspartei und vielleicht, wie sie hofft, auch noch von einigen Delegierten aus anderen politischen Spektren gewählt wird.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151514
Peter Nowak

Linke ringt um Existenzrecht

Mehr als die Israelfrage dürfte die Frage für die Partei wichtig sein, ob sie vom Rand oder aus der Mitte der Gesellschaft Politik machen soll

 Das Vorstandsduo der Linken, Klaus Ernst und Gesine Lötzsch, stellten am 11. Juli in Berlin die Leitanträge ihres Parteivorstands vor. Es soll am nächsten Parteitag Ende Oktober in Erfurt beschlossen werden. Das öffentliche Interesse an einem noch nicht einmal beschlossenen Programm rührt vor allem aus der Debatte in und um die Linke in den letzten Monaten. Galt sie noch vor einem Jahr als Gewinnerin der Krise, so wird sie mittlerweile schon wieder herunter geschrieben. Selbst von einer Spaltung in eine Ost- und eine Westpartei ist gelegentlich wieder die Rede.

Die Erklärung von Lötzsch dazu klang etwas hilflos: Eine Spaltung wäre „dumm“ und würde die Partei schwächen, hört sich nicht gerade nach einem kraftvollen Dementi an. Wenn in mehreren Artikeln nach der Pressekonferenz darauf hingewiesen wird, dass der Vorstand Gerüchte über eine Spaltung zurückweist, wird das Dilemma schon deutlich, in dem sich die Partei befindet. Denn wenn die Mitteilung, dass eine Spaltung nicht beabsichtig ist, an solch prominenter Stelle zu finden ist, kann es um die Partei nicht gut stehen. Wenn Ernst auf der Pressekonferenz erklärt, die Partei wolle den Menschen Mut machen, so darf nicht vergessen werden, dass die Parteivorsitzenden nach dem Streit der vergangenen Monate erst einmal ihren Mitgliedern und ihrer eigenen Basis wieder Mut machen wollen.

Kompromisse oder Grundsätze?

Wie hältst Du es mit Israel, lautete eine der Fragen, an der sich innerhalb der Linken einige Mitglieder und Strömungen besonders heftig verzankten. In dem neuen Programm soll ein Passus eingefügt werden, dass die Partei das Existenzrecht Israels verteidigt. Gleichzeitig soll die Legitimität einer politischen Kritik an Israel ebenfalls bekräftigt werden. Es ist anzunehmen, dass dieser Passus noch einige Debatten in und außerhalb der Partei hervorrufen wird. Bei der Abstimmung über das Programm unter der Mitgliedschaft dürfte allerdings eine Mehrheit für den Vorschlag sicher sein. Denn mag die große Mehrheit der Mitglieder der Linkspartei intuitiv die Palästinenser unterstützen, steht das bei ihnen nicht im Vordergrund, so die Beobachtung des Leipziger Soziologen Peter Ullrich.

Zur Streitfrage könnte eher werden, wie es die Linke mit der Unterstützung einer von SPD und Grünen getragenen Regierung hält und wie viele Kompromisse sie dafür einzugehen bereit ist. Der Realo-Flügel sieht dabei den Berliner Landesverband als Vorbild, obwohl der im Bündnis mit der SPD einen Großteil seiner Grundsätze vertagen musste. Für Landesverbände der Linken vor allem in den westdeutschen Bundesländern ist der Berliner Landesverband hingegen zum Beispiel geworden, wie eine Linke nicht Politik machen sollte. Für manche Politiker der früheren PDS, wie den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch, geht es bei dem Streit darum, ob die Partei vom Rande her die Gesellschaft kritisieren oder in der Mitte der Gesellschaft wirken will. Bartsch lässt keinen Zweifel, dass für ihn nur letztere Option in Frage kommt. Diese Diskussion dürfte mehr als der Streit um Israel die Partei in Zukunft prägen. Wie gut sie die Auseinandersetzung übersteht, wird sich spätestens beim Parteitag in Erfurt zeigen und davon hängt auch die politische Existenzberechtigung der Partei ab.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/150131

Peter Nowak

Die Debatte ist nicht neu

Peter Ullrich über die Antisemitismus-Diskussion in der LINKEN
Der Soziologe Peter Ullrich arbeitet an der Abteilung für medizinische Psychologie und medizinische Soziologie der Leipziger Universität und ist Verfasser des im Dietz-Verlag erschienenen Buches »Die Linke, Israel und Palästina«.

ND: Sie haben über den Antisemitismus in der Linken geforscht. Kommt die aktuelle Debatte in der Linkspartei für Sie überraschend?
Ullrich: Nein, diese Debatte ist ja nicht neu. Sie wiederholt sich in bestimmten Zyklen: bei gedenkpolitischen Anlässen oder Ereignissen im Nahen Osten. Neu ist allerdings die Verknüpfung der Debatte mit der Frage der politischen Legitimität der Linkspartei und ihrer Regierungsfähigkeit, wie sie in der aus wissenschaftlicher Sicht höchst kritikwürdigen Studie des Gießener Politikwissenschaftlers Samuel Salzborn und des Leipziger Historikers Sebastian Voigt angestrengt wird.

Was ist ihre Hauptkritik an dieser Studie?
Einzelne Negativbeispiele werden unzulässig generalisiert, was nur durch Auslassung wichtiger Kontextinformationen gelingt. Zudem sind zentrale historische Prämissen falsch. So wird der Eindruck erweckt, mit der LINKEN würde erstmals in der Nachkriegszeit eine Partei mit antisemitischen Positionen regierungsfähig werden. Damit werden die zahlreichen Politiker mit NSDAP-Vergangenheit sowie antisemitische Ausfälle von Politikern aller Parteien in der Nachkriegszeit relativiert und der Antisemitismus einseitig in der LINKEN verortet.

Warum konnte die Diskussion dann jetzt in der Partei eine solche Bedeutung bekommen?
Die Linkspartei hat sich die Debatte nicht ausgesucht. Die Berichterstattung der letzten Wochen war geprägt durch teilweise perfide Unterstellungen. Zudem ist die Diskussion eng mit den innerparteilichen Strömungskonflikten verknüpft. So müssen die regierungswilligen Reformer viel stärker unter Beweis stellen, dass sie auch in dieser Frage staatstragend sind als die Vertreter des linken Flügels.

Aber Sie bestreiten ja nicht, dass es dort Antisemitismus gibt?
Antisemitische Positionen unter Linken sind meist die Folge einer Überidentifikation mit den Palästinensern im Nahost-Konflikt. Bei manchen Linken ist sie mit einer völligen Ignoranz gegenüber den Interessen der israelischen Seite in dem Konflikt verbunden.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Die Forderung nach einem binationalen Staat im Nahen Ost ist von einer menschenrechts-universalistischen Perspektive nicht zu beanstanden. Problematisch wird es aber, wenn die reale Problematik antisemitischer Gruppierungen wie der Hamas ebenso ausgeblendet wird wie der Wunsch vieler Juden nach den Erfahrungen der Shoah, in einem eigenen Staat zu leben.

Wurde die Debatte über den linken Antisemitismus nicht eher in Kreisen der außerparlamentarischen Linken als der Partei die LINKE geführt?
Ja, denn der inhaltliche Kern der Partei ist nicht der Nahost-Konflikt. Es geht ja eher um Fragen sozialer Gerechtigkeit oder die Anerkennung von DDR-Biografien. Die große Mehrheit der Mitglieder unterstützt intuitiv die Palästinenser, aber das Thema steht bei ihnen nicht im Vordergrund. Eine bedingungslose Identifikation mit einer Seite im Nahost-Konflikt wurde eher von kleineren, aber sehr ideologisierten Gruppen praktiziert.

Ist es nicht positiv zu werten, dass jetzt über Antisemitismus in der LINKEN diskutiert wird?
Diese Hoffnung hatte ich auch. Eine solche Debatte müsste die Sensibilität dafür stärken, wo propalästinensische Positionen an antisemitischen Einstellungen anschlussfähig sind. Da wirkt der Beschluss der Bundestagsfraktion allerdings kontraproduktiv, weil er die alten Frontstellungen zementiert. Das zeigen sämtliche Reaktionen. Hier wird versucht, mit administrativen Mitteln eine notwendige Debatte zu ersetzen.

Sehen Sie noch einen Ausweg?
Notwendig wäre eine Positionierung gegen jede Form von Antisemitismus und genauso deutlich gegen die israelische Besatzung. Ausgewogenere Akteure wie die Rosa-Luxemburg-Stiftung könnten bei der Formulierung einer solchen nichtidentitären Politik eine wichtige Rolle spielen.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/200175.die-debatte-ist-nicht-neu.html

 

 Interview: Peter Nowak

Linke im Krieg

Die Zustimmung einiger Europaabgeordneter der Linken zur Libyen-Resolution im EU-Parlament führt zum innerlinken Streit:
„Wir lehnen jede militärische Intervention ab“, heißt es auf der Homepage des Abgeordneten des Europäischen Parlaments Lothar Bisky.

„Wir halten die in der Kompromiss-Resolution des Europäischen Parlaments enthaltene Forderung nach Einrichtung einer Flugverbotszone für falsch, auch wenn sie Forderungen aus Teilen der libyschen Opposition und von Staaten der Arabischen Liga und der Afrikanischen Union aufgreift.“

Weil Bisky mit anderen Kollegen aus der gemeinsamen Fraktion der europäischen Linken der Gesamtresolution zustimmte und lediglich in einer gesonderten Abstimmung über den Punkt 10, der eine Flugverbotszone in Libyen vorsieht, mit Nein votierte, wird er jetzt heftig kritisiert. Ein Kommentator der jungen Welt, die sich gerne als das antiimperialistische Gewissen der Linken aufspielt, sieht Bisky nach der Abstimmung bereits auf Interventionskurs.

Der Mehrheitsflügel innerhalb der Europäischen Linksfraktion reichte einen eigenen Antrag ein, in dem es unter Punkt 7 heißt, dass „jede ausländische Militärintervention zur Lösung der Krise in Libyen“ abgelehnt wird.

Flugverbotszone als kriegerische Maßnahme

Die linke Europaabgeordnete Sabine Lösing bringt in ihrer Erklärung das Dilemma zum Ausdruck, in dem sich die linken Parlamentarier befinden.

„Angesichts der Übergriffe auf Demonstranten, der Toten, der Diktatur, der Person Al-Gaddafi, ist der Wunsch nachvollziehbar die Opposition zu unterstützen und eventuell auch zu intervenieren. Wenn aber McCain Präsident Obama zu Militäraktionen auffordert oder konservative EU-Politiker für zukünftige Unruhegebiete, die Ausarbeitung eines Stand-by Planes im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik einfordern, dann müssen progressive Menschen aufhorchen!“

Ähnlich argumentiert die linke EU-Abgeordnete Sabine Wils nach der Abstimmung:

„Ich habe die Resolution abgelehnt. Selbst wenn es zu begrüßen ist, dass ein blutiger Diktator in Libyen, der Menschenrechte mit Füßen getreten hat (und dafür von den selben, die jetzt die Intervention fordern mit Handelsverträgen und Waffenexporten unterstützt wurde) gestürzt wird, rechtfertigt das nicht die Vorbereitung eines Krieges.“

Tatsächlich lautet das Argument der Gegner einer Flugverbotszone, die ja offiziell Menschenleben retten soll, dass diese nur mit kriegerischen Maßnahmen durchzusetzen sei. Auch der den Grünen nahestehende Publizist Micha Brumlik schreibt in der Taz:

„Realpolitisch, mit Blick auf absehbare Folgen und nicht kalkulierbare Nebenfolgen, verbietet sich jede militärische Einmischung.“

Ob die Bewaffnung der Opposition gegen Gadaffi, die er zumindest in Erwägung zielt, nicht zu noch mehr Blutvergießen führt, wäre zu fragen. Die Diskussionen zeigen, dass ein wirksames Mittel gegen Gadaffi auch unter Linken noch gesucht wird.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/149411
 
Peter Nowak

Die Linke – Motor eines Politikwechsels?

In einem Strategiepapier wird vorgestellt, wie die Partei koalitions- und regierunsfähig gemacht werden könnte

Bis zur Bundestagswahl sind noch drei Jahre Zeit und doch bereiten sich die Parteien schon darauf vor. Die Linkspartei hat jetzt ein Strategiepapier vorgelegt, in dem sie ihre Pläne für die nächsten Jahre skizziert. Dabei macht die Partei schon im Titel deutlich, dass sie zu einem Motor für den Politikwechsel werden will. In dem Papier wird dieses Vorhaben dann konkretisiert. Es gehe um die Schaffung anderer gesellschaftlicher und parlamentarischer Mehrheiten. Diese sind aber ohne SPD und Grüne nicht denkbar. Deshalb wird im Strategiepapier offen formuliert, was bisher bei der Linkspartei ein Reizthema ist.

„Auf dieser Grundlage kann die Linke offensiv für die Abwahl von Schwarz-Gelb auch durch ein rot-rot-grünes Regierungsbündnis kämpfen“, heißt es in dem Papier. In ihm wird aber auch das Dilemma angesprochen, dass SPD und Grüne sicherlich auch einen Regierungs-, nicht aber einen Politikwechsel im Sinne der Linken anstreben. Die Partei könnte sich dann schnell in die Rolle einer bloßen Mehrheitsbeschafferin für eine Politik wiederfinden, die an der Basis mehrheitlich gar nicht mitgetragen wird. Damit aber würde sie bald Mitglieder und Wählerstimmen verlieren. Verweigert sie sich aber einer solchen Funktion und wagt es eigene Forderungen zu stellen, könnte sie schnell als Verhinderung einer rot-grünen Reformpolitik gebrandmarkt werden.

Die aktuelle Diskussion in Nordrhein-Westfalen zeigt, was auf die Partei im Bund zukommen würde, wenn sie durch das Wahlergebnis zwischen SPD-Grünen und schwarz-gelben Block zum Zünglein an der Waage würde. Selbst bei Themen, wo es zwischen SPD, Grünen und Linken eigentlich eine gemeinsame Basis geben müsste, wenn es nach dem Wahlprogramm geht, hakt es bei der Umsetzung. Wie bei einen Pokerspiel geht es schließlich darum, wer mehr Angst vor Neuwahlen hat. Schnell wird auf diese Weise aus einer Debatte über politische Inhalte ein Gezerre über Umfragewerte.

Die Linke spricht in dem Strategiepapier die Problematik an, für die Ablösung der gegenwärtigen Regierungskoalition auf Parteien angewiesen zu sein, die wesentliche Ziele der Linken nicht teilen. Deshalb schlägt sie vor, nicht auf eine Änderung der Politik von SPD und Grünen zu warten, ihre eigenen Vorschläge in der Öffentlichkeit zu popularisieren und damit die anderen Parteien unter Druck zu setzen. Damit würde die Partei zum Motor für einen Politikwechsel.

Soziale Themen im Mittelpunkt

An erster Stelle sehen die Verfasser des Papiers die Sozialpolitik. Gerechte Steuern, höhere Hartz IV-Regelsätze, die Einführung eines Mindestlohns, einer solidarischen Gesundheitsversorgung und einer Rente, die vor Armut schützt, lauten hier die Forderungen hinter den Bindestrichen. An zweiter Stelle wird die Formulierung einer Friedenspolitik, die zivile Konfliktlösungsmethoden mit nichtmilitärischen Mitteln stärken soll, gefordert. An letzter Stelle sieht sich die Linke auch als Interessenvertreterin des Ostens, wo die PDS als mitgliederstärkste der beiden Gründungsparteien ihre Basis hatte.

Dass dieser Punkt in dem Papier an letzter Stelle steht, macht deutlich, dass die Linke eines zumindest geschafft hat: Den der PDS anhaftende Ruf, ein Traditionsverein der Wendeverlierer aus dem Osten zu sein, hat sie weitgehend verloren. Das zeigten auch die Reaktionen auf die Vorlage des Strategiepapiers. Selbst die schärfsten Kritiker bedienen diese Art der Kritik kaum noch.

Wie hältst Du es mit dem Regieren?

Dort wird vielmehr beobachtet, ob und wie die Linke es schafft, für ein Bündnis mit SPD und Grünen zu kämpfen und die aktuelle Politik der beiden Parteien zu kritisieren. Diese Frage wird vor allem dann interessant, wenn die Formelkompromisse, wie sie auch in dem Strategiepapier in großer Zahl vorkommen, in konkrete Politik umgesetzt werden sollden.

So heißt es in dem Papier, dass die Bundeswehr in eine Friedensarmee umgewandelt werden soll. Sarah Wagenknecht, die Kritikerin einer zu starken Anpassung der Linken, versteht unter dieser vagen Formulierung die Forderung nach radikaler Abrüstung, ja sogar nach Abschaffung der Bundeswehr. Wie wird sie reagieren, wenn ein Bündnis aus SPD und Grünen die Zustimmung der Linken für eine aus Spargründen schrumpfende Bundeswehr verlangt? Je mehr sich die Linke auf eine solche Logik einlässt, desto größer wird auch die Distanz zu den außerparlamentarischen Bewegungen, die nach den Vorstellungen der Autoren des Strategiepapiers Druck auf die anderen Parteien ausüben sollen.

In Berlin zeigte die Diskussion um die Wasserprivatisierung, dass die dort mitregierende Linke durch die Initiative zu einem Volksbegehren und die Veröffentlichung der Verträge zur Wasserprivatisierung selber unter Druck geraten ist. Im benachbarten Brandenburg drohen Bürgerinitiativen der aus SPD und Linken bestehenden Landesregierung wegen der geplanten Einlagerung von CO2-Abfall mit einem brandenburgischen Stuttgart 21. Je mehr sich die Linke selber in Regierungs- oder Tolerierungspositionen begibt, desto größer wird die Anzahl solcher und ähnlicher Initiativen.

Zwischen einer Lafontaine- und einer Mosaiklinken?

Dieses nun wahrlich nicht neue Problem wird von zahlreichen Projekten, die ein politisches Klima für ein wie auch immer geartetes Bündnis zwischen SPD, Grünen und Linken schaffen wollen, eifrig diskutiert. Besonders das Innenpolitikressort der Wochenzeitung Freitag widmet sich den auch Crossover genannten Anliegen. Der Innenpolitikredakteur des Freitag Tom Strohschneider ist auch für eine der zentralen Internetprojekte zu dieser Thematik verantwortlich.

Mit dem Institut für solidarische Moderne wurde das Crossover-Projekt in Richtung Grüne und SPD ausgeweitet. Mit den in der theoretischen Tradition von Antonio Negri stehenden Philosophen Thomas Seibert gehört auch ein Mitglied der außerparlamentarischen Interventionistischen Linken zu dessen Mitbegründern. Seibert entwirft in seinem vieldiskutierten Text das Bild einer Mosaiklinken mit einer Arbeitsteilung zwischen außerparlamentarischen Bewegungen und Reformlinken an der Regierung. Er fordert von der Linkspartei mehr Bereitschaft zum Mitregieren.
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 So hätte sich hierzulande die Partei Die Linke endlich ernsthaft dem Format einer Partei neuen Typs anzumessen, zu dem sie sich doch regelmäßig bekennt – und das gerade in der mittelfristig realpolitischen Perspektive auf eine rot-rot-grüne Besetzung der Staatlichkeit. Das wird die Bewegungen unter Zugzwang setzen, nicht nur ihre Spontaneität, sondern auch ihre Autonomie zu stärken – eine Aufgabe, in der besonders das Vermögen ihrer radikalen Ränder gefordert ist, die dazu nötige Reibung zu erzeugen.
Thomas Seibert

Ähnliche Debatten werden auch auf internationaler Ebene in Teilen der ehemaligen globalisierungskritischen Bewegung geführt. Welchen Einfluss sie haben, wenn die Linke tatsächlich, in welcher Form auch immer, in eine Bundesregierung eingebunden ist, bleibt offen. In Berlin und Brandenburg, wo die Linken mitregieren, scheinen diese Debatten zumindest weder die Partei noch die außerparlamentarischen Bewegungen zu interessieren.

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33610/1.html

Peter Nowak

Haushaltsprobleme der Linken

Einem Teil der Parteibasis ist das erst vor wenigen Wochen auf dem Rostocker Parteitag gewählte Führungspersonal zu teuer
Eigentlich ist die Linke gerade mit der Kritik an den Sparplänen der Bundesregierung beschäftigt. Da kommen ihr nun Finanz- und Haushaltsprobleme in eigener Sache in die Quere: Einem Teil der Parteibasis ist das erst vor wenigen Wochen auf dem Rostocker Parteitag gewählte Führungspersonal schlicht zu teuer. Auf der ersten Sitzung des neugewählten Parteivorstands wurde auch über die finanzielle Vergütung gesprochen.

Obwohl noch keine genauen Zahlen bekannt wurden, machten an der Basis Vermutungen die Runde, dass auch Bundestagsabgeordnete ihre Vorstandstätigkeit in der Partei zusätzlich vergüten können. Die schnell empörten Genossen schrieben Briefe an den Vorstand.

„Glaubt ihr wirklich, dass Bundestagsabgeordnete 4000 Euro zusätzlich im Monat zum Leben brauchen“, zitierte das parteinahe Neue Deutschland aus einem Brief des Kreisvorstandes Havelland. Nach Informationen des Spiegel protestierten auch andere Basisorganisationen gegen die „Selbstbedienungsmentalität“. Die Linkenbasis moniert auch eine mangelhafte innerparteiliche Transparenz bei der Finanzierungsfrage.

Eine als „Hilfreiche Erläuterung“ überschriebene Pressemitteilung des Pressesprechers der Bundestagsfraktion der Linken, Hanno Harnisch, konnte den Streit nicht beenden. Harnisch schrieb, dass es keine Neuregelung der Vorstandsbezüge, sondern nur einen Beschluss für die neue Wahlperiode gäbe. Fortgesetzt werde eine Regelung, die auch für Lothar Bisky und Oskar Lafontaine gegolten habe. Die Linksfraktion sei für diese Frage gar nicht zuständig und der Inhalt der Meldung treffe nicht zu, konterte das Neue Deutschland.

Während drei der sieben Parlamentarier, die auch im Vorstand der Linken sind, mittlerweile auf eine zusätzliche Entlohnung verzichtet haben, soll ein Vorstandsmitglied bereits seine Forderungen angemeldet haben. Ende März war Klaus Ernst aus dem neuen Führungsduo der Linken wegen unklarer Abrechnungen seiner Flüge in die Kritik geraten. Der Spiegel berichtet, er soll auch Flüge beim Bundestag abgerechnet haben, wo er nicht als Bundestagsabgeordneter sondern als IG-Metall-Funktionär unterwegs gewesen sein soll. Ernst bestreitet die Vorwürfe.

Weder Wulff noch Gauck

Während diese internen Haushaltsprobleme Teil der Entwicklung der Linken zu einer ordentlichen Parlamentspartei sind, kann sie sich über die Auswahl der Bundespräsidentenkandidaten freuen. Weil weder Wulff noch Gauck von der Parteibasis akzeptiert werden, bleibt der Partei die Diskussion über eine mögliche Unterstützung eines SPD- oder Grünen-Kandidaten erspart.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/147767

Peter Nowak

Erinnerung an einen linken Aufbruch

Ein Sammelband vermittelt einen Überblick über Lateinamerikas Bewegungen in den 60ern

Den Spuren des linken Aufbruchs in Lateinamerika in den 60er Jahren ist der lesenswerte Sammelband »Kontinent der Befreiung?« gewidmet.

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Alljährlich erinnern Aktivisten in Mexiko an das Massaker von 1968 und ihre Drahtzieher (Präsident Díaz/Innenminister Echeverría).
Foto: AFP

Noch immer ist unklar, wie viele Menschen ums Leben kamen, als Polizei und Militär am 2. Oktober 1968 in der Hauptstadt von Mexiko die Studentenproteste blutig niederschlugen. Diese Ereignisse haben im magischen Jahr 1968 in Europa kaum Reaktionen hervorgerufen. Für viele lateinamerikanische Linke hingegen ist das Massaker noch immer ein Trauma. »Auf Schläge und Gefängnis waren wir vorbereitet. Doch auf den Tod waren wir nicht vorbereitet«, sagt die damalige Aktivistin Elisa Ramirez im Gespräch mit der Lateinamerikaspezialistin Anne Huffschmid. Die arbeitet am Berliner Lateinamerikainstitut in einer Projektgruppe, die sich den Spuren des linken Aufbruchs in Zentral- und Lateinamerika widmet.

Mit dem jüngst im Verlag Assoziation A erschienenen Buch, das Huffschmid mit einer studentischen Projektgruppe erarbeitet hat, wird diese Arbeit jetzt auch über den universitären Rahmen hinaus bekannt.

Die Themenpalette, die in dem Buch behandelt wird, ist sehr breit. Der kolumbianische Guerillapriester Camilo Torres hat ebenso seinen Platz wie der in Europa kaum bekannte radikale argentinische Gewerkschaftsaktivist Agostin José Tosco und die brasilianische Feministin Leila Diniz. Neben der politischen Entwicklung in Lateinamerika spielt auch Kultur eine große Rolle. An den Internationalen Kulturkongress in Havanna, an dem im Januar 1968 Intellektuelle aus aller Welt teilnahmen und für eine Revolutionierung der Verhältnisse eintraten, wird erinnert. Es wäre interessant zu erfahren, wie der westdeutsche Kongressteilnehmer Hans Magnus Enzensberger heute darüber denkt.

Das in Europa kaum bekannte argentinische Kunstprojekt »Tucumán brennt« hat in Lateinamerika einen großen Anteil bei der Herausbildung einer gesellschaftsverändernden Kunst gehabt. Im Rahmen dieses Projektes haben Ende 1968 Künstler und Gewerkschafter gemeinsam mit den Bewohnern der argentinischen Armutsregion Tucumán die Gründe für Verelendung der Menschen erforscht und künstlerisch aufgearbeitet.

Die Zeitspanne der in dem Buch vorgestellten Themen reicht von Anfang der 60er bis Anfang der 70er Jahre. Dabei ist die kubanische Revolution ein zentraler Bezugspunkt für die unterschiedlichen Bewegungen auf dem amerikanischen Kontinent. In vielen Ländern forderten nicht nur Studenten, sondern auch aktive Arbeiter und Mitglieder linker Parteien einen offensiveren Oppositionskurs. Der Tod Che Guevaras trägt nicht zur Niederlage, sondern eher zur Radikalisierung der Bewegung bei. Erst gewaltsame Eingriffe, wie 1968 in Mexiko oder Militärputsche in den 70er Jahren in vielen lateinamerikanischen Ländern, sorgen für ein oft blutiges Ende des linken Aufbruchs. Nicht nur in Argentinien wird davon gesprochen, dass eine ganze Generation linker Aktivisten zum Verstummen gebracht wurde. Das Buch entreißt ihre Hoffnungen und Kämpfe dem Vergessen. Zugleich wird auch an die Vorgeschichte der hiesigen 68er Bewegung erinnert. Mehrere lateinamerikanische Gesprächspartner betonen, dass der Pariser Mai 68 für sie keine große Rolle gespielt hat. »In Frankreich begann alles, weil die Jungs mit den Mädchen schlafen wollten. In Brasilien gab es einen seit 1964 dauernden Kampf gegen die Militärdiktatur«, betont Vladimir Palmeira aus Brasilien die Differenzen. Umgekehrt hat der Kampf und Tod Che Guevaras für die Entwicklung der europäischen 68er schon eine Bedeutung gehabt.

Durch zum Thema passende Fotos und die Unterteilung in überschaubare Kapitel ist das Buch sehr lesefreundlich gestaltet.

Anne Huffschmid/Markus Rauchecker (Hrsg.), »Kontinent der Befreiung? Auf Spurensuche nach 1968 in Lateinamerika«, Assoziation A, 256 Seiten, 16 Euro.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/163251.erinnerung-an-einen-linken-aufbruch.htmlPeter Nowak