Journalisten als Unternehmer

Linke Medienakademie diskutierte über neue journalistische Bezahlmodelle

ch dachte mir, wow, es funktioniert wirklich. Die Leute zahlen für Journalismus. « So beschrieb Sebastian Esser Ende März auf einer Veranstaltung der Linken Medienakademie (Lima) in Berlin seine Erfahrungen als Mitbegründer des Projekts Krautreporter. Das ist ein digitales Magazin für Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, das ausschließlich von den Lesern finanziert wird. Essers damit gemachte Erfahrungen dürften von großem Interesse in einer Zeit sein, da die Frage heftig diskutiert wird, wie man die Leser motiviert, für Artikel
im Internet zu bezahlen. Doch Esser warnte auch vor einer Romantisierung des Crowdfunding, wie das Eintreiben von Geldern via Internet auch heißt. Der Krautreporter stellte dabei klar, dass es sich damit nicht um Spenden handelt. »Die Unterstützer erwarten Gegenleistung, und das sind Zeitungsartikel.« Daran schließen sich weitere Fragen an. »Was passiert, wenn den Lesern die inhaltliche Tendenz des Artikels nicht passt? Sorgt nicht allein die Angst, dass finanzielle Unterstützung wegfallen könnte, dafür, dass Journalisten
dann vor allem das schreiben, was den zahlenden Lesern vermeintlich gefällt? Wie unabhängig und wie kritisch kann ein solcher Journalismus sein? Diese Fragen bleiben auch nach der Veranstaltung offen. Zudem betonte Esser, dass Crowdfunding in absehbarer Zeit nicht solche Honorare ermöglichen wird, mit denen Journalistinnen und Journalisten auskommen können. »Bekommen Medienvertreter bei Recherchereisen Spesen für Hotels gezahlt?« lautete eine Frage aus dem Publikum. »Sie müssen wohl eher Couchsurfing bei Freunden machen«, lautete Essers ernüchternde Antwort. »Beim Crowdfunding sind Journalisten gleichzeitig Unternehmer«, beschrieb Stefan Niggemeier die nicht unproblematische Doppelrolle. Er ist Mitbegründer des digitalen Magazins Übermedien, das sich der Medienkritik
widmet und ebenfalls ausschließlich von Lesern finanziert wird. Die Veranstaltung war im besten Sinne aufklärerisch, weil die neuen Bezahlmodelle im Medienbereich nicht unkritisch abgefeiert werden. Sowohl die Gefahren für die sozialen Standards als auch die für kritisches Berichterstatten wurden deutlich.

https://medien-kunst-industrie-bb.verdi.de/aktuelles/nachrichten/++co++622964f6-266a-11e6-9d50-525400ed87ba

aus: s p r a c h roh r 2 | 16

Peter Nowak

Der Eventjournalismus und seine bedrohten Spielplätze

Beim aktuellen Böhmermann-Hype sollte auch ein Journalismus kritisiert werden, dem es in erster Linie um Krawall und weniger um Inhalte geht

Vor 40 Jahren fühlten sich manche kritischen Menschen besonders mutig und verfolgt, wenn sie aus der SPD ausgeschlossen werden sollten. Das war in den 1960er und 1970er Jahren nicht schwer.

Ein Ausschlussverfahren bekam man schon, wenn man sich an den Ostermärschen oder anderen politischen Aktivitäten beteiligte, die dem SPD-Vorstand nicht behagten. Auch die Unterzeichnung des Aufrufs des Komitees für Frieden, Abrüstung und Zusammenarbeit konnte einen SPD-Ausschluss nach sich ziehen. Denn dort waren ja auch Kommunisten vertreten und mit denen durfte das gemeine SPD-Mitglied auf keinen Fall kooperieren, zumindest wenn sie politisch so marginal waren, wie in Westdeutschland.

Die vielen Meldungen mehr oder weniger bekannter linker Publizisten, Gewerkschafter und Aktivisten zogen bald Spott nach sich. Die wollen wohl ein SPD-Ausschlussverfahren ehrenhalber, wurde manch einem nachgesagt, die sich besonders bemühten, beim SPD-Vorstand für Aufmerksamkeit zu sorgen. Wenn heute jemand einen SPD-Ausschluss vermelden wollte, würden viele mit einem Gähnen reagieren. Andere würden den Betreffenden beglückwünschen und ihn fragen, was ihn überhaupt in die Partei getrieben hat. In einer Zeit, wo ein Parteibuch, ein sozialdemokratisches zumal, eher auf Misstrauen stößt, muss man sich heute schon mehr einfallen lassen, um Gegenstand einer Solidaritätskampagne zu wehren.

„Ich habe keine ihrer Sendungen gesehen, aber ich finde Sie gut“

Jan Böhmermann ist da schon auf den richtigen Weg. Als typischer Vertreter des postmodernen Eventjournalismus weiß er sich in Szene zu setzen. Da muss ein mit rassistischen Stereotypen durchsetztes Gedicht herhalten und schon bekommt er Solidaritätsbriefe von Menschen, die seine Arbeit bisher als Gossenjournalismus bezeichnet hätten und selber vor Gericht klagen würden, wenn sie Gegenstand einer solchen Form von Schmähung würden.

Der Aufsichtsratsvorsitzende der Springer AG Matthias Döpfner ist dafür ein gutes Beispiel. Die Welt veröffentlichte seinen Offenen Brief[1], der so beginnt:

Lieber Herr Böhmermann, wir kennen uns nicht, und ich habe leider auch bisher Ihre Sendungen nicht sehen können. Dennoch wende ich mich in einem offenen Brief an Sie, denn es ist aufschlussreich, welche Reaktionen Ihre Satire ausgelöst hat. Ein Kristallisations- und Wendepunkt.

Deutlich könnte man nicht zum Ausdruck bringen, um was es bei dem ganzen Hype um diesen Eventjournalismus geht. Man will politisch auf der richtigen Seite sein, wenn man sich jetzt mit Böhmermann solidarisiert, obwohl man mit ihm und seiner Arbeit bisher nichts zu tun haben wollte und sie auch politisch abgelehnt hat.

Die Raabisierung des Journalismus

Die Gründe für diese Distanz sind vielfältig. Sicher spielen auch politische Gründe eine Rolle. Aber es gibt auch gute Gründe, unabhängig vom Inhalt, Journalismus a la Böhmermann kritisch zu sehen. Er mag, wie bei der Satire um den Stinkefinger des griechischen Ministers Varofakis, manchmal auch kritische Inhalte damit verbinden.

Doch letztlich geht es um einen Event, der mit mehr oder weniger Krawall verbunden ist. Die Inhalte sind austauschbar, mal lacht der Linke, mal die Rechte und immer steht die Person im Mittelpunkt. Schon Stefan Raab stand an der Schnittstelle zwischen Eventmarketing und Journalismus und Böhmermann und andere sind da nur die Fortsetzung.

Allerdings will die Selbstvermarktung auch gekonnt sein und da ist Böhmermann ein Meister. Deswegen war es auch nur noch peinlich, dass selbst ein Didi Hallervorden vom Böhmermann-Hype profitieren und ebenfalls Erdogan beleidigen wollte (Hallervorden: „Erdogan, zeig mich an!“[2]). Am Ende war er selber der Blamierte. Diese Art von Journalismus lebt von Event und Krawall.

Die Kehrseite ist jener Wohlfühljournalismus, der im Zeitalter vom Label Corporate Publishing um sich greift. Journalismus soll gute Nachrichten verbreiten und den Wohlfühlfaktor der Lesenden erhöhen. In manchen Artikeln wird gleich in jeden zweiten Satz das Wort toll eingearbeitet, wenn es auch nur um den Bericht über einen Kongress geht. Die Ausbreitung solcher Journalismusformen, die die Leser nicht mehr mit den Zuständen auf der Welt überfordern wollen, ist die Krise der Medienwirtschaft.

Da die alten Bezahlmodelle nicht mehr funktionieren, werden neue Formen erprobt. Vom Stiftungs- und Spendenjournalismus über Mitglieder-bzw. Leserfinanzierung bis hin zum Internetbezahlmodellen reichen die Modelle. Wie kritisch ein solcher Journalismus noch ist, war auch Thema auf der Linken Medienakademie[3] Anfang April in Berlin.

Tatsächlich zeigt sich aber, dass Wohlfühl- und Eventjournalismus ein Ergebnis dieses Umbruchs in der Medienlandschaft sind. Damit werden bestimmte Leserinteressen befriedigt. Gemeinsam ist ihnen, dass es nicht um kritische Reflexion mit der Welt geht, sondern um die eigene kleine Welt der jeweiligen Zielgruppen der Medien. Da platze dann auf einmal die Realität in der Welt rein und daraus wurde dann der Böhmermann-Hype.

Die Debatte gehört in die Gesellschaft, nicht ins Feuilleton

Von den Verfassern einer Solidaritätserklärung an Böhmermann, die gestern in der Zeit veröffentlicht[4] und von zahlreichen Künstlern unterzeichnet wurde, ist anzunehmen, dass zumindest einige schon mal seine Sendung gesehen haben.

Zunächst ist die Überschrift „Liebe Regierung, jetzt mal ruhig bleiben“ sympathisch. Tatsächlich wäre es ein gutes Ergebnis des Böhmermann-Hypes, wenn die Sonderregelungen abgeschafft werden, die Staatchefs einen besonderen Schutz vor Beleidigungen bieten sollen und das in der Vergangenheit oft getan haben.

Allerdings muss das dann für alle gelten, auch für Joachim Gauck. Dass die sich beleidigt Fühlenden dann immer noch als Privatpersonen Anzeige erstatten können, was Erdogan auch schon gemacht hat, ist ihnen unbenommen und gehört auch zu ihren Recht. Daher ist es irreführend, wenn es in dem Aufruf heißt, die Debatte gehöre nicht in den Gerichtssaal. Zudem ist es verwunderlich, dass sie ins Feuilleton verbannt und damit entpolitisiert werden soll. Schließlich ist in vielen Feuilletons zu lesen, was in den Innenpolitik- und Wirtschaftsteilen der Zeitungen nie veröffentlicht würde.

Mit der Forderung, die Debatte soll wieder ins Feuilleton gesperrt werden, bekennt man sich dazu, nicht gesellschaftlich wirken zu wollen. Wir machen nur Kunst und keine Politik, lasst uns gefälligst diese Spielwiese, ist die Aussage. Dagegen müsste die Forderung stehen, dass die Debatte in die Gesellschaft gehört und dass es dabei nicht nur um Kritik in Richtung der türkischen Regierung gehen muss. Es sollte auch über die Funktion eines krawalligen Eventjournalismus à la Böhmermann diskutiert werden, der sich, wenn es Ernst wird, auf seinen Spielplatz Feuilleton zurückziehen will. Diese Gelegenheit haben kritische Journalisten in der Türkei und Kurdistan und vielen anderen Ländern in der Regel nicht. Sie werden verhaftet, angeklagt und verschwinden über Jahre in Gefängnissen. Die meisten derjenigen, die jetzt mit Offenen Briefen an Böhmermann wieder eine Gelegenheit finden, ihren Namen in der Öffentlichkeit zu lesen, findet man in der Regel nicht, wenn es um Solidarität für die wirklich vom türkischen Regime Verfolgen geht

Liebe Böhmermann-Freunde, jetzt mal ruhig bleiben

Beim ganzen Hype um Böhmermann wird das gerne vergessen. Dabei könnte doch die Causa Böhmermann sogar als Experiment gesehen werden, wie Erdogan sich um die vielzitieren westlichen Werte bemüht. Schließlich ist nicht bekannt, dass er zu einer Fatwah gegen ihn aufgerufen hat, sondern er beschreitet den Rechtsweg und unterscheidet sich damit nicht von vielen anderen, die in ähnlicher Situation ebenso reagieren würden.

Die Aufregung der letzten Tage ist also schwer zu verstehen. Man könnte daher einen Satz aus dem in der Zeit abgedruckten Brief der Böhmermann-Freunde auch auf sie selbst und ihr Umfeld münzen: „Jetzt mal ruhig bleiben.“ Vor allem sollte auch mal reflektiert werden, welche politischen Kräfte den Böhmermann-Hype nutzen, um ihre politischen Zwecke voranzutreiben. Dazu gehören all jene, für die Türkei sowieso in Europa nichts zu suchen hat und die wieder nach einen Prinz Eugen rufen, der „die Türken“ vertreibt.

Wenn der rechtsliberale belgische Politiker Guy Vorhofstadt mit dem Satz zitiert[5] wird: „Wir haben Sultan Erdogan schon den Schlüssel zu Europas Toren gegeben, nun laufen wir Gefahr, ihn auch unsere Redaktionen und Medien kontrollieren zu lassen“, dann verwendet er Kernelemente dieses rechtspopulistischen Diskurses.

Tatsächlich haben die europäischen Instanzen die Türkei bekniet, dass sie ihnen die Migranten fernhält. Wenn der Torwächter dann aber noch Rechte beansprucht, die nur der Herrschaft gebühren, dann greifen manche wieder zu einer Rhetorik, als stünden die Türken vor Wien.

Anhang

Links

[0]

https://de.wikipedia.org/wiki/Testbild#/media/File:SW_Testbild_auf_Philips_TD1410U.jpg

[1]

http://www.welt.de/debatte/kommentare/article154171281/Solidaritaet-mit-Jan-Boehmermann.html

[2]

http://www.heise.de/tp/artikel/47/47919/

[3]

http://www.linkemedienakademie.de/highlights/31-donnerstag/wie-kritisch-ist-unabhaengiger-journalismus-wie-unabhaengig-ist-kritischer-journalismus/

[4]

http://www.zeit.de/kultur/film/2016-04/jan-boehmermann-satire-solidaritaet-prominente-offener-brief

[5]

http://deredactie.be/cm/vrtnieuws.deutsch/EU/1.2595324

[6]

http://www.heise.de/tp/ebook/ebook_27.html

Wenn Konzerne zu Protestberatern werden

Eine Tagung in Berlin beschäftigte sich mit der Tatsache, dass auf der „Wiese der Zivilgesellschaft“ auch wirtschaftsfinanzierte und beeinflusste Akteure grasen

Wer den Beginn Astroturf [1] hört, denkt an Esoterik. Doch tatsächlich ist der Begriff mittlerweile in das Vokabular von Aktivisten von sozialen Bewegungen und Nichtregierungsorganisationen eingegangen. Damit wird die nicht überraschende Tatsache beschrieben, dass Konzerne und konzernnahe Institute eifrig auf den Feldern der Zivilgesellschaft mitmischen, sich dort also als Akteure aufspielen, wie es im NGO-Sprech heißt.

Sie unterstützen dabei natürlich Positionen, die den Interessen des entsprechenden Konzerns nützen. Nicht immer sind solche konzernbeeinflussten Initiativen so leicht zu erkennen wie beim Verein Bürger für Technik [2], deren Mitglieder in Leserbriefen an verschiedene Zeitungen regelmäßig Stimmung gegen die Energiewende machen [3].

Ein eifriger Leserbriefschreiber ist auch der Mitbegründer des Vereins Ludwig Lindner. Nach Angaben des lobbykritischen Nachschlagewerk Lobbypedia [4] war Linder bis 2004 Sprecher von „Nutzen der Kerntechnik“ bei der Kerntechnischen Gesellschaft [5].

Oft ist die Einflussnahme der Industrie nicht so einfach zu erkennen. Dabei ist das Tätigkeitsfeld sehr groß. Sie kümmern sich um die Wikipedia-Seiten bestimmter Konzerne ebenso wie um die Organisierung von Pro-Kohle oder Pro-AKW-Demonstrationen, bei denen die Mitarbeiter der Firmen und ihre Angehörigen eine große Rolle spielen.

Am gestrigen Samstag widmete sich im Rahmen der Linken Medienakademie [6] eine Tagung unter dem mehrdeutigen Titel „Konzernprotest“ [7] dem Phänomen des Kunstrasens, wie Astroturfing übersetzt heißt. Schon der Begriff ist voraussetzungsvoll.

Dahinter steht das Bild eines blühenden wildwachenden Rasens, der die soziale Bewegung und Zivilgesellschaft darstellen soll. Kunstrasen wird es nach dieser Vorstellung dann, wenn Konzerne und Wirtschaftslobbyisten diese Wiese ebenfalls abgrasen. Im Publikum, das überwiegend aus Aktivisten und NGO-Vertretern aus dem Umweltbereich bestand, wurde diesen einfachen Blick allerdings auch widersprochen.

Keine Marionetten der Wirtschaft

So warnte ein Teilnehmer davor, die Aktivisten dieser wirtschaftsnahen NGOs nur als Marionetten der Konzerne zusehen. Viele teilen die Überzeugungen der Wirtschaft und sehen in deren Unterstützung eine willkommene Hilfe. In den Arbeitsgruppen wurde deutlich, dass die Situation im Detail noch komplizierter sein kann.

Wenn Konzerne gemeinsam mit DGB-Gewerkschaften zur Großdemonstration für den Erhalt der Kohleindustrie nach Berlin aufrufen, spielt natürlich der Angst vor Arbeitsplatzverlusten für die Beschäftigten ebenso eine Rolle wie ein Standortnationalismus, der die Interessen der Konzerne unhinterfragt verinnerlicht.

Die Vorstellung, dass ein Beschäftigter von EON, Vattenfall und RWE nicht mit dem Konzern identisch ist sondern nur seine Arbeitskraft dort verkauft, ist vielen von ihnen fremd. Wenn nun Vattenfall in der Lausitz ganze Dörfer abbaggert und in der strukturschwachen Region als Sponsor von Schulen, Kindergärten und Bibliotheken auftritt, so wird deutlich, dass eine wirtschaftsliberale Politik, die sich im Zeitalter der Schuldenbremse selbst aus dem Erhalt einer minimalen sozialen Infrastruktur zurück zieht, die Konzerne geradezu einlädt, als Sponsoren aufzutreten und sich damit Einfluss und Macht in der Region zu sichern.

Denn, wenn die Konzernpläne nicht genug gewürdigt werden, drohen nicht nur Arbeitsplatzverluste, sondern auch die Schließung von Schulen und Bibliotheken. So wird schnell deutlich, dass das Problem weniger daran besteht, dass auch die Wirtschaft ihre Interessen im Rahmen der Zivilgesellschaft durchsetzen will.

Kritisiert werden müssten politische Verhältnisse, die es den Konzernen so leicht machen, diese Interessen umzusetzen, weil sie Macht und Einfluss haben. Unterschiedliche Teilnehmer sprachen auch das Wirtschaftssystem an. Ein Aktivist warb für die Stärkung der Umweltgewerkschaft [8], mit der eine verstärkte Kooperation zwischen Gewerkschaften und Umweltbewegung angestrebt wird.

Gewerkschafter fehlten auf der Tagung

Tatsächlich wurde als Manko der Tagung das Fehlen vor allem von Gewerkschaften genannt. Dabei geht es nicht um die Vorstände, sondern um engagierte kritische Gewerkschafter, die sich oft auch gegen die Vorstände ihrer eigenen Verbände durchsetzen müssen. Es gibt zwischen dem Astroturfing und der Unterstützung von Konzernen bei der Etablierung wirtschaftsfreundlicher Pseudogewerkschaften durchaus Parallelen.

Lange Zeit gab es in vielen großen Betrieben sogenannte „gelbe Gewerkschaften“, die mit dem Management und Teilen der Angestellten sowie wenigen Arbeitern vor allem in Betrieben eingerichtet wurden, wo kämpferische DGB-Gewerkschafter aktiv waren. In dem Buch „Der Fall BMW – Macht und Recht im Betrieb“ [9], das kürzlich im Verlag Die Buchmacherei [10] erschienen ist, wurde an einen langandauernden Arbeitskonflikt vor 30 Jahren erinnert, bei der diese Konzernstrategie eine wichtige Rolle spielte.

Es wäre sicher sinnvoll gewesen, zu der Tagung einige der aktiven Kollegen einzuladen, die jahrelang gegen die Etablierung konzerngesteuerter Gewerkschaften in ihren Betrieben nicht ohne Erfolg kämpften, wenn es darum gegangen wäre, den Kontakt zu Gewerkschaftern auszubauen. Aber das war sicher nicht das Hauptziel aller Teilnehmer.

So wurde von einigen auf die Beiträge der „Taz zum Wandel“ [11] am 5. September 2015 hingewiesen, in der gewerkschaftliche Kämpfe nur am Rande vorkamen. Stattdessen dominierte dort der Wunsch nach einem sanften Kapitalismus, garniert mit anthroposophischen Konzepten und Esoterik. Sicher haben diese Akteure weniger Einfluss und Macht als große Wirtschaftskonzerne. Doch auch eine Beeinflussung von NGOs durch sie wäre sicher kein Fortschritt.

Öfter mal eine Mitmachfalle umgehen

Viele Tagungsteilnehmer wehrten sich gegen den Eindruck einer allmächtigen Industrie, die nun auch noch die sozialen Netzwerke und die NGO-Szene kapert. Michael Wilk, der lange in der Bewegung gegen die Startbahn-West aktiv ist, beschreibt [12], wie Mediationen und andere Gesprächsangebote zu Instrumenten werden, die Ausbaupläne der Flughafenbetreiber widerstandsloser durchsetzen können.

Solche Erfahrungen mussten auch die Kritiker von Stuttgart 21 machen. Wilk rät selbstbewusst seinen Mitstreitern aus NGO und sozialen Initiativen, öfter mal nein zu sagen, und solche Mediationsangebote abzulehnen, wenn deutlich wird, dass nur die Wirtschaft davon profitiert.

Besonders großen Anklag fand ein Workshop des Berliner PENG-Kollektivs [13], auf dem Beispiele ihrer Kommunikationsguerilla gegen große Konzerne vorgestellt wurden. So endete ein von der Firma Shell gesponserter Science Slam, auf dem junge Wissenschaftler umweltfreundliche Produkte vorstellen sollten, im Chaos [14].

Bei der Vorführung explodierte scheinbar der Motor und verspritzte literweise Öl. „Mit dem Spruch, hier können sie den Stecker ziehen, in der Arktis nicht“, outeten sich die vermeintlichen Wissenschaftler als Umweltaktivisten. Die Aktion sorgte wie alle weiteren Kommunikationsguerilla-Aktion des Peng-Kollektivs für eine große Medienöffentlichkeit [15].

Shell-Kampagne vor 30 Jahren und heute

Allerdings machten die Aktivisten auch klar, dass eine zeitaufwendige Vorarbeit für diese Aktionen nötig gewesen sei. Die Tagungs-Teilnehmer waren begeistert. „Hier wird nicht darüber geklagt, wie schlimm die Konzerne sind. Hier drehen wir den Spieß um und stellen sie in der Öffentlichkeit bloß“, sagte ein Aktivist des Peng-Kollektivs unter großen Applaus.

So wurde das Bedürfnis vieler Teilnehmer befriedigt, endlich selber Themen zu setzen und nicht immer auf die Konzerne zu reagieren. Dabei muss man sich doch tatsächlich fragen, ob der Aufwand für die Aktion bei Shell die reale Wirkung lohnt. Schließlich kommt für viele Zeitungsleser nur rüber, hier wäre ein Motor explodiert und die Wissenschaftler waren gar nicht echt.

Wird hier wirklich für größere Teile der Bevölkerung Aufklärung über das Agieren des Konzern betrieben oder ist die Aktion so voraussetzungsvoll, dass nur Menschen, die sich beispielsweise mit Green-Washing-Strategien von Konzernen befasst haben, die Motivation verstehen, eine Veranstaltung zu chaotisieren, mit dem ein Konzern vorgeblich Forschung prämiert, die umweltfreundliche Produkte produzieren soll?

Schließlich könnte sich auch die Frage stellen, ob die außerparlamentarische Kampagne „Shell to Hell“, mit der in den 80er und 90er Jahren mit unterschiedlichen Aktionen gegen die Politik von Shell vor allem in Ländern des globalen Südens agiert [16] wurde, durchaus auch Erfolge zeigte und auch von Menschen praktiziert werden konnte, die eben nicht gleich Wissenschaftler und eingebettete Journalisten auftreiben können.

So wirft die Präsentation des Peng-Kollektivs und die große Zustimmung des Tagungspublikums auch Fragen hinsichtlich der Perspektive von außerparlamentarischen Protesten auf. Wenn der Aufwand so groß wird, braucht der auch Sponsoren und Förderer und ist daher auf solidarische Strukturen angewiesen.

Allerdings zeigte das Peng-Kollektiv mit einer gefakten Vattenfall-Erklärung [17] und noch mehr mit ihrer jüngsten sehr erfolgreichen Aktion Fluchthelfer.in [18], dass es auch Möglichkeiten gibt für Einzelpersonen oder keine Gruppen, sich an Aktionen zu beteiligen.

http://www.heise.de/tp/news/Wenn-Konzerne-zu-Protestberatern-werden-2826954.html

Peter Nowak

Links:

[1]

https://lobbypedia.de/wiki/Astroturfing

[2]

http://www.buerger-fuer-technik.de/

[3]

http://www.zeit.de/2008/17/Atomlobby

[4]

https://lobbypedia.de/wiki/B%C3%BCrger_f%C3%BCr_Technik

[5]

http://www.ktg.org/ktg/0

[6]

http://www.linkemedienakademie.de/

[7]

http://www.konzernprotest.de/

[8]

http://www.umweltgewerkschaft.org/index.php/de/

[9]

http://www.labournet.de/wp-content/uploads/2014/10/bmw_buch.pdf

[10]

http://diebuchmacherei.de/

[11]

http://www.taz.de/!160910/

[12]

http://umweltfairaendern.de/2014/03/lesen-wie-protestbewegungen-manipuliert-werden-ueber-mediationen-runde-tische-eine-bucherveroeffentlichung/

[13]

https://www.pen.gg/

[14]

http://www.peng-collective.net/press/slamshell_PR_deutsch.pdf

[15]

http://www.spiegel.de/wirtschaft/aktionen-gegen-konzerne-shell-als-opfer-beim-science-slam-a-965151.html

[16]

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-9198944.html

[17]

https://www.youtube.com/watch?v=Zp4Hx3ZTZ98

[18]

http://www.fluchthelfer.in/
—————————————————————————————————

Der Artikel wurde auf Indymedia diskutiert:

https://linksunten.indymedia.org/de/node/154346