Die Rechte gehört zur EU wie die Nazis zu Deutschland

Die Rechte gehört zur EU seit deren Gründung

Die Gegenüberstellung liberales gegen illiberales Europa ist propagandistisch und nützt den Parteien des Status quo - Ein Kommentar

In den letzten Wochen brachten zwei Wahlen in den EU-Staaten Spanien und Finnland rechten Parteien Erfolge. In Spanien kam erstmals die neue Rechtspartei Vox in das Parlament. EU-Gremien wie auch viele Medien sprachen davon, dass seit dem Ende der Franco-Ära erstmals ultrarechte Parlamentarier in das spanische Parlament einziehen. Doch die mediale Darstellung, dass mit Vox erstmals in der Nachfranco-Ära Ultrarechte im spanischen Parlament vertreten sind, ist falsch. Richtig ist vielmehr,…

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Es soll deutsch regiert werden

Wahl in Frankreich: Linke sollen sich für Macron entscheiden?

Formal findet die Stichwahl in Frankreich erst am 7. Mai statt. Doch für die internationalen Beobachter ist die Wahl gelaufen und schon machen sich mache Gedanken, ob Macron die Grausamkeiten gegen die Lohnabhängigen durchsetzen kann, die Deutschland hinter sich hat.

„Der So-gut-wie-Präsident“, lautet die Überschrift im Journal Internationale Politik und Gesellschaft[1] neben einen Konterfei von Emmanuel Macron, der nicht zufällig wie eine jugendliche Ausgabe von Sarkozy aussieht.

Bei der IPG wird nicht mehr diskutiert, ob Macron gegen Le Pen die zweite Runde gewinnt, sondern ob ihm, dem Newcomer ohne Parteibündnis bei den Parlamentswahlen, eine eigene Mehrheit im Parlament gelingt. Die Politikberater machen sich Gedanken, was passiert, wenn Macron ohne diese regieren muss:

Wenn ihm also die eigene parlamentarische Mehrheit fehlen sollte, bestehen drei Optionen. Erstens könnte sich eine der größeren Fraktionen auf eine Koalition mit Macron einlassen. Das wäre ein Novum in der französischen Politik, seit Charles de Gaulle die V. Republik schuf. Zweitens und eher vorstellbar wäre die Stützung seiner Politik ohne formalisierte Koalitionsvereinbarung oder drittens die als Ausnahmefall bereits praktizierte Cohabitation, bei der der Präsident mit einem von der Opposition unterstützten Ministerpräsidenten regiert
IPG-Journal[2]

Der Mythos von den unversöhnlichen Parteien in Frankreich

Nun wird sehr viel Wind um die angebliche französische Eigenart gemacht, dass es keine Kompromisse zwischen den französischen Parteien gebe. Gleich in mehreren Wahlkommentatoren durfte die inhaltsleere Metapher von der Französischen Revolution[3] nicht fehlen, die Macron angeblich schaffen könnte.

Dass auch die konservative Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) diese Wortwahl[4] bemüht, muss nicht verwundern. Was hier als „Französische Revolution“ ausgegeben wird, ist nämlich exakt das Gegenteil. Die Französische Revolution stand für den Aufstand des 3. Standes, den Aufbruch einer bürgerlichen Gesellschaft und war das Gegenteil zum kleingeistig-reaktionären Preußentum, das sich bald in Deutschland breit machte.

Immer dann, wenn selbstbewusste Bürger als Citoyen auf die Straße gehen, wurde die Französische Revolution wieder aufgerufen. Sie stand dafür, keine Angst vor den Autoritäten zu haben weder in der Fabrik, am Arbeitsamt noch in der Gesellschaft. Was aber Macron nach der Hoffnung der KAS, der Bild-Zeitung und anderen leisten soll, ist die Demontage dieses Images der Französischen Revolution.

Er soll endlich die Reformen im Interesse der deutsch-europäischen Wirtschaft in Angriff nehmen, an denen sich seine Vorgänger, zuletzt Hollande, verhoben hatten. Wenn nun so stark betont wird, dass Macron keiner der alten Parteienfamilien entstammt, dann wird die Hoffnung geäußert, dass für ihn im Zweifel die wirtschaftsliberalen Denkfabriken mehr Gewicht haben als für einen Präsidenten, der sich gelegentlich seinen Rückhalt bei den Parteien holen muss.

Dabei ist es ein Mythos, dass die Parteien in Frankreich eine gegenüber Kapitalinteressen unversöhnlichere Rolle spielten als in Deutschland. Auch in Frankreich hat Hollande nach der Wahl die Politik fortgesetzt, die Sarkozy und die Konservativen propagierten. Alle Versprechungen von Hollande, er wolle die EU auch gegenüber Merkel sozialer machen, waren Makulatur.

Er machte gar nicht den Versuch, sich mit Ländern der europäischen Peripherie gegen die deutsche Austeritätspolitik zu wehren. Zudem gab es bereits in den vergangenen Jahren ganz offiziell eine Politik der Cohabitation, also der Zusammenarbeit zwischen den Parteien. Was vielmehr von Macron erwartet wird, ist dass er eben ohne Parteiinteressen ganz im Interesse der Wirtschaftsliberalen durchregieren wird und vor allem auch den Widerstand auf der Straße und in den Betrieben von den Basisgewerkschaften ignoriert oder sogar repressiv bekämpft.

Cohn-Bendit und Interessen der deutschen EU

Ein früher Unterstützer von Macron war der langjährige Grüne Daniel Cohn-Bendit[5], dem noch immer die Aura der Rebellion von 1968 anhaftet. Doch auch da war eben viel Mythos im Spiel. Cohn-Bendit gehörte sehr schnell zu den Neuen Linken, die ihren gegen den Stalinismus berechtigten Linksradikalismus in eine Liebe zum Westen umwandelte.

Der Westen wurde bald die EU. Und seit mehr als zwei Jahrzehnten kann Cohn-Bendit als Propagandist der deutsch-imperialistischen Interessen im grünen Gewand immer auf ein aufmerksames Publikum zählen. Das war auch am Dienstagabend in der Berliner Schaubühne so, als Cohn-Bendit mit mehreren deutschfranzösischen Journalistinnen über die Frankreich-Wahl und die Folgen diskutierte[6].

Obwohl die auch für den Tagespiegel arbeitende Publizistin Pascale Hugues sowie die Journalistinnen Hélène Kohl und Elise Graton nur in Nuancen von Cohn-Bendit abwichen, hätten sie doch einige interessante Details beisteuern können. Doch die Diskussion drehte sich hauptsächlich um Cohn-Bendit. Der aber machte in einer emotional gehaltenen Rede deutlich, warum er niemals den Kandidaten der Linken Jean-Luc Mélenchon unterstützen würde.

Inhaltlich ist das ja gar nicht so einfach zu begründen. Schließlich hatte der Linke ein ökologisches Programm und setzte sich für einen Ausstieg aus der Atomkraft ein. Doch für Cohn-Bendit stand er außenpolitisch auf der falschen Seite, d.h. nicht auf der Seite von Deutsch-Europa. So sei er im Konflikt zwischen China und Tibet nicht auf Seiten der tibetanischen Opposition gewesen wie Cohn-Bendit.

Dass diese im Wesentlichen aus Vertretern der klerikalen Gelbmützensekte bestand, die es mit den Menschenrechten nicht so genau nahm[7], erwähnte Cohn-Bendit nicht. Aber dass Mélenchon im Kosovo-Konflikt auch die serbische Seite nicht von vornherein als illegal empfand und dass er auch im Ukraine-Konflikt den Bösen nicht nur in Putin sah, regte Cohn-Bendit derart auf, dass er erklärte, einen, der sich so positioniere, würde Dany le Rouge nur über seine Leiche unterstützen.

Unabhängig davon, wie man die einzelnen Konflikte beurteilt, ist auffällig, dass Cohn-Bendit kein Problem mit einem Bündnis mit ukrainischen Rechten bis zu syrischen Islamisten hat. Wichtiger noch, er unterstützt von Serbien über Tibet bis zur Ukraine überall die Kräfte, die schon vor 1945 Bündnispartner Deutschlands waren und es bis heute noch sind.

Dass Cohn-Bendit zu Mélenchons Missetaten auch eine Aufforderung an Merkel zählt, diese solle einfach mal das Maul halten, komplementiert das Bild von einem Mann, der als junger Linksradikaler gesprungen und als deutscher Schäferhund gelandet ist.

Unmut bei Cohn-Bendit und einigen Zuhörerin zog sich der Schaubühne-Regisseur Thomas Ostermeier zu, der es tatsächlich wagte, eine prononcierte Gegenmeinung zu Cohn-Bendit zu äußern, die in der Frage gipfelt, warum prekäre Franzosen den Kandidaten Macron wählen sollen, der nun die Mehrheit der Bevölkerung mit jenen Zumutungen beglücken will, die in Deutschland als Hartz-IV bekannt sind.

Cohn-Bendit, Pascale Hugues sowie Hélène Kohl wurden nicht müde zu berichten, wie genau die konservativen Medien verfolgen, wie in Deutschland diese Zumutungen umgesetzt wurden und wie die französische Elite davon lernen kann. Zumindest ein Zuhörer konnte die Lüge widerlegen, dass es in Deutschland keine Proteste gegen Hartz-IV gab. Dass es damals eine monatelange Protestbewegung gab und als Spätfolge über den Umweg der WASG die Linkspartei daraus entstand, muss ein Cohn-Bendit und die ihm huldigen Journalisten nicht mehr wissen.


Wer Macron nicht wählt, ist schuld an Le Pen

Dafür wurden schon neue Gegner ausgemacht. Dass sind all die Linken, die nicht mit fliegenden Fahnen und möglichst noch in der Wahlnacht zur Wahl von Macron aufgerufen haben. Da ist natürlich Cohn-Bendit in einer paradoxen Situation.

Einerseits ist er davon überzeugt, dass Le Pen bei den Wahlen keine Chance hat, und da hat er wahrscheinlich Recht. Andererseits darf Macron auch nicht den Eindruck erwecken, die Wahlen seien schon gelaufen. Sonst werden eben viele einfach die Wahlen boykottieren. Da wurde schon erinnert, dass ein Teil der Konservativen, Klerikalen etc. im Gegensatz zu Fillon nicht für Macron stimmen wollen.

Umso mehr werden nun die Linken in die Pflicht genommen. So haben die oft aus einen Missverständnis bestehende Sympathien deutscher Linksliberaler mit dem französischen Soziologen Didier Eribon bereits starke Risse bekommen, weil der bekennende Mélenchon-Wähler[8] eben nicht bereit[9] ist, Macron zu wählen und zur Erneuerung der Linken aufruft[10].

Er ist nicht allein. Auch Geoffroy de Lagasneri hatte – vor der ersten Wahlrunde – eindeutig erklärt[11], dass das Hochschreiben von Le Pen dazu dient, eine linke Alternative zu diskreditieren:

Das Problem ist, dass alle nur noch strategisch wählen und wir uns kaum noch fragen, was wir eigentlich möchten. Wir sollten diese Frage vermeiden und stattdessen neue Dynamiken für die Linke entwickeln – mit einem sozialistischen Kandidaten oder Jean-Luc Mélenchon.
Geoffroy de Lagasnerie

Der Philosoph und Essayist (vgl. „Die Kunst der Revolte“[12] über Snowden, Assange und Manning) hat auch ganz klar benannt, wofür Macron steht:

Ordnung, Gehorsam und Hierarchie. In jedem Aspekt des sozioökonomischen Lebens ist er immer für den Abbau jener Systeme, die die Menschen vor sozialer Gewalt schützen. Er will das Arbeitsrecht aufheben – die Arbeiterrechte beschneiden und die Arbeitgeberrechte stärken -, um die Klassenordnung zu stärken. Er will die allgemeine Wehrpflicht einführen. Und in einem Gay-Magazin auf mehr Rechte für die Transgender angesprochen, antwortete er, das sei sehr kompliziert, weil mehr Rechte für Transgender eine Provokation für das französische Seelenleben bedeuteten.
Geoffroy de Lagasnerie

Lagasnerie hat auch eine Erklärung für das Hochschreiben von Le Pen:

Damit wir am Ende glücklich sind über einen rechten konservativen Kandidaten. So war es in den Niederlanden. Da wird unsere Angst regiert. Lassen Sie uns nicht über die FN-Wähler sprechen, sondern über die vielen, die nicht wählen können und tatsächlich Ausgeschlossene sind. Menschen, die den FN wählen, tun dies, um repräsentiert zu werden. Das ist ein sehr gewaltvoller Akt. Aber was ist mit den Schwarzen, den Arabern in der Banlieue, die sich ausgeschlossen fühlen?
Geoffroy de Lagasnerie

Frankreich im Ausnahmezustand unter Macron oder Le Pen

Auch Edouard Louis hält[13] nichts von der These, dass Macron das Gegenmittel zu Le Pen sind:

Blödsinn. Politiker wie Macron haben Le Pen stark gemacht. Sie gaben sich als Linke und haben lupenrein rechte Politik gemacht, die Banken unterstützt, das Parlament geschwächt. Wenn er im ersten Wahlgang gewinnt, hat Le Pen im zweiten Wahlgang gute Chancen. Weil sie in erster Linie das Produkt des Ekels vor dieser konservativen Linken ist. Ich habe meine Mutter vor der letzten Wahl überzeugt, für Präsident François Hollande zu stimmen. Heute sagt sie, du hast mich betrogen, er hat vier Jahre lang Politik gegen uns gemacht. Jetzt ist sie geradezu besessen von Le Pen.
Edouard Louis[14]

Nun hat Louis als einer der wenigen Linken auszusprechen gewagt, dass die Wahlen tatsächlich erst am 7. Mai zu Ende sind und bis dahin auch ein Sieg von Le Pen theoretisch noch denkbar ist. Darauf werden jetzt alle Fans von Macron setzen.

Sie würden natürlich auch nicht fragen, ob eine erklärte Wirtschaftsliberale gegen einen Rechtspopulisten auch schon in den USA verloren hat. Manchen war es auch peinlich, dass in EU-Kreisen und der Bundesregierung bereits nach dem ersten Wahlabend in Frankreich von einem guten Ergebnis für Europa gesprochen wurde. Da wurde doch zu offensichtlich das Kreuzeln für irrelevant erklärt.

Da könnte man sich ja gleich Algerien zum Vorbild nehmen. Dort wurde, nachdem Anfang der 1990er Jahre die Islamistische Rettungsfront zu stark wurde, der zweite Wahlgang einfach abgesagt. Das wird man in Frankreich wohl nicht machen. Aber selbst wenn wahrscheinlich Macron auch gewinnt – auch ohne Unterstützung aller Linken -, dürfte er eine Politik machen, die die Rechte weiter stärkt. Es wäre nur zu hoffen, dass auch die entschiedene Linke sich weiter entwickelt, damit bei den nächsten Wahlen wirklich wieder eine zumindest begrenzte Alternative möglich ist.

Ansonsten ist zu hoffen, dass die sozialen Bewegungen und Basisgewerkschaften sich wieder auf der Straße zu Wort melden, und allen Präsidenten deutlich machen, dass mit ihren Widerstand zu rechnen ist. Schließlich hatte ja erst im letzten Jahr eine Kombination aus sozialer Bewegung und Gewerkschaften für mehrere Monate in Frankreich die politische Agenda bestimmt.

In dieser Zeit war der Front National ins Hintertreffen geraten. Die transnationale Unterstützung ist umso wichtiger, weil ja in Frankreich weiterhin der Ausnahmezustand gilt und keiner der Präsidentschaftsbewerber ihn aufheben will. In der aktuellen Ausgabe der Zeitung für Bürgerrechte Cilip[15] wird auf dieses Frankreich im Ausnahmezustand eingegangen.

Es besteht die Gefahr, dass soziale Grausamkeiten wie die Agenda 2010 oder die Rente mit 67 im Zeichen des Ausnahmezustands durchgesetzt werden sollen. Bezeichnend war schon, dass diese Sondergesetze bei der Veranstaltung von Cohn-Bendit genau so wenig erwähnt wurden, wie die aktuellen sozialen Bewegungen, mit denen der Posterboy der 68er nichts zu tun hat.

URL dieses Artikels:
Peter Nowak

https://www.heise.de/tp/features/Es-soll-deutsch-regiert-werden-3699072.html?seite=4
http://www.heise.de/-3699072

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.ipg-journal.de/schwerpunkt-des-monats/frankreich-vor-der-zaesur/artikel/detail/der-so-gut-wie-praesident-2000/
[2] http://www.ipg-journal.de/schwerpunkt-des-monats/frankreich-vor-der-zaesur/artikel/detail/der-so-gut-wie-praesident-2000/
[3] http://www.bild.de/politik/ausland/emmanuel-macron/waere-macron-gut-fuer-europa-und-deutschland-51418912.bild.html
[4] http://www.kas.de/wf/de/33.48666/
[5] http://www.cohn-bendit.eu/de
[6] http://taz.de/!164153/
[7] http://www.taz.de/Archiv-Suche/!1452036&s=goldner&SuchRahmen=Print
[8] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1048825.eribon-waehlt-am-sonntag-melenchon.html
[9] http://www.sueddeutsche.de/politik/praesidentschaftswahl-in-frankreich-didier-eribon-wer-macron-waehlt-waehlt-le-pen-1.3470851
[10] http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/didier-eribon-zur-krise-der-linken-in-frankreich-14973605.html
[11] http://www.taz.de/!5398106/
[12] http://www.deutschlandfunkkultur.de/geoffroy-de-lagasnerie-die-kunst-der-revolte-helden-des.950.de.html?dram:article_id=345604
[13] http://www.sueddeutsche.de/kultur/frankreich-die-linke-muesste-meine-eltern-ansprechen-ohne-soziorassistisch-zu-sein-1.3469363
[14] http://www.sueddeutsche.de/kultur/frankreich-die-linke-muesste-meine-eltern-ansprechen-ohne-soziorassistisch-zu-sein-1.3469363
[15] https://www.cilip.de/2017/03/05/112-maerz-2017-alles-anti-terror/

Luc Mélenchon gegen Le Pen

Könnte der Albtraum der Etablierten in Frankreich Realität werden?

Die ökoliberale Taz schlug einen Tag nach dem TV-Talk der Präsidentschaftswahlen in Frankreich Alarm. „Die Talk-Runde vor den Präsidentschaftswahlen nutzt nur den Populisten. Argumente dringen nicht durch. Die linke Mitte könnte scheitern“ zeterte der Kommentator.

Was war geschehen? In einer wichtigen Fernsehdebatte hatte der linkssozialdemokratische Kandidat Jean-Luc Mélenchon viele Zuschauer überzeugt und ging zumindest aus der Fernsehdebatte als Sieger hervor. Prompt stiegen auch seine Umfragewerte wieder und manche sehen ihn sogar in die Stichwahl kommen. Der Hauch einer Hoffnung also, dass gegen die Rechtsnationalistin Le Pen wenigstens ein Sozialdemokrat alter Schule antritt, der bestimmt nicht den Kapitalismus abschaffen, aber den Kapital einige Grenzen anlegen will und kein Freund der deutschdominierten EU ist.

Ob ein solches Unterfangen nicht naiv und schon mehrmals gescheitert ist, wäre natürlich zu fragen. Doch das werden sich die Wähler von Jean-Luc Mélenchon sicher auch fragen, falls er die Wahlen gewinnt und er seine Versprechen nicht umsetzen kann oder will. Und daraus können Radikalisierungs- und Lernprozesse entstehen, beispielsweise die Erkenntnis, dass man den Kapitalismus nicht einfach abwählen kann.

Es soll keine Alternative zum Bestehenden geben

Es könnte also durchaus eine außerparlamentarische Bewegung entstehen, die dann eben die Dinge selber in die Hand nimmt. Doch eine Konstellation Mélenchon – Le Pen würde auch signalisieren, dass es bei den Wahlen in sicher sehr engen Grenzen immerhin eine Alternative gibt.

Doch der Taz und ihrem Milieu scheint das gerade überhaupt nicht zu passen,daher ist sie vom temporären Überraschungserfolg von Mélenchon auch am falschen Fuß erwischt worden. Schließlich ist das Skript für die französischen Wahlen schon längst geschrieben. Im ersten Wahlgang sollen sich Le Pen und de Wirtschaftsliberale Macron gegenüberstehen. Im zweiten Wahlgang gewinnt dann Macron haushoch gegen Le Pen und die Welt ist für viele in Europa und Deutschland danach wieder in Ordnung.

Macron hat schon angekündigt, dass er Frankreich auf einen Pro-EU-Kurs halten will, was konkret heißt, er will sich der von Deutschland dominierten EU unterordnen. Dafür hat er schon von Anfang in Deutschland einen Sympathiebonus erhalten und wurde systematisch nach oben geschrieben. Immer mit der durch keine Belege verifizierte These, nur Macron könnte Le Pen und ihren Front National stoppen, wurden alle Kandidaten links von der Mitte als irrelevant, ja sogar als gefährlich abgestempelt, weil sie womöglich Le Pen zur Macht verhelfen könnten. In Frankreich haben mit dieser Begründung einige Personen aus dem Spektrum der Regierungssozialdemokraten schon Macron ihre Unterstützung zugesagt.

Wie die rechten Sozialdemokraten mit dem Schreckgespenst Le Pen ihre eigene Basis hintergehen
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Das ist ein Affront gegen den in einer Urabstimmung von der Basis der französischen Sozialisten mehrheitlich gewählten Benoit Hamon, der eher zum linken Flügel der Partei zählte, deswegen bei der Parteibürokratie keine Chancen hatte. Die mediale Öffentlichkeit übernahm die falschen Zuschreibungen, Hamon sei radikal und wolle womöglich gar das kapitalistische System in Frage stellen.

Doch ähnlich wie in Großbritannien im Fall von Corbyn, der auch von der eigenen Partei an den linken Rand gestellt wurde, durchschaute die Basis die Propaganda und wählte auch in Frankreich einen Kandidaten, der so klang wie Mitterand in den 1980er Jahren. Sie wollte sich nicht einreden lassen, dass heute als radikal und fast kommunistisch sein soll, was noch vor einigen Jahren offizielles Programm der Sozialdemokraten und ihnen nahestehender Gewerkschaften war.

In Deutschland ist es ja schon so, dass etwa Forderungen nach Unternehmersteuersätzen wie in der Ära Helmut Kohl als systemgefährdend gelten, wenn sie von „der Familie Lafontaine“ heute erhoben werden. Das Programm der IG-Metall aus den 1970er Jahren wäre heute wohl ein Fall für den Verfassungsschutz.

Als in Frankreich nun die Basis gesprochen hatte und das Ergebnis nicht so ausfiel, wie es sich die Bürokraten der Sozialistischen Partei vorgestellt hatten, erklärten führende Politiker der Hollande-Ära, sie fühlten sich nicht daran gebunden und wollten statt Hamon den Wirtschaftsliberalen Macron unterstützten. Begründet wird das mit dem Schreckgespenst der Rechtsnationalistin Le Pen, die unbedingt verhindert werden müsse.

Das ist aber kein plausibles Argument. Denn keine Umfrage prophezeit ihr einen Durchmarsch bereits im ersten Wahlgang. Nur dann aber würde das Argument rein logisch überhaupt Sinn machen, schon im ersten Wahlgang auf einen Konsenskandidaten zu setzen. In Wirklichkeit steht hinter der rechtssozialdemokratischen Revolte gegen das Votum der Basis ein instrumenteller Umgang mit der Gefahr von Rechts. Man bläst Le Pen zum gefährlichen Popanz auf, man überzeichnet die Gefahr einer Regierungsübernahme, um so linke Positionen zu erledigen.

So dient die Rechte seit jeher schon Interessen des kapitalistischen Staates, ohne dass sie auch nur in die Nähe einer Regierungsübernahme kam. Schon allein die immer wieder behauptete Möglichkeit, die Rechte könnte an die Macht kommen, soll sogenannte Kandidaten der Mitte und der Vernunft unterstützen – und die vertreten im Zweifel immer Kapitalinteressen. So diente in der BRD jahrelang der F.J.Strauß als Disziplinierungsinstrument für zu forsche Jusos und streikfreudige Gewerkschaften. In Italien nahm Berlusconi diese Rolle für die Linke ein und in Frankreich jetzt eben Le Pen.

Die Fehler der US-Wahlen werden in Frankreich wiederholt

In den USA sollte Trump nach dem Willen des Parteietablissements der Demokraten diese Rolle übernehmen. Als der Außenseiter auch bei den Republikanern die ersten Vorwahlen gewann, äußerten sich manche im Parteiapparat sehr zufrieden, denn das könne die Chance von Hillary Clinton nur steigern, sich dann als Kandidatin der Mitte und Vernunft umso besser zu inszenieren.

Als dann die Vorwahlsiege für Trump nicht aufhören wollten und bei den Demokraten Sanders Clintons-Führungsrolle in Frage stellte, wurde die Argumentation gegen den innerparteilichen Konkurrenten ins Feld geführt. Sanders gefährde den Wahlsieg der Partei und sei verantwortlich, dass womöglich Trump an die Regierung käme, war aus dem Clinton-Umfeld zu hören, als der Konkurrent nicht gleich aufgeben wollte.

Heute wissen wir, wie falsch die Parteistrategen um Clinton lagen. Trotz Sanders Unterstützung verlor Clinton die Wahlen und das Argument, dass Sanders mehr Chancen gehabt hätte, Trump zu besiegen, ist durchaus plausibel. Denn er hätte zumindest die Chance gehabt, bei einem Teil der Abgehängten aus der weißen Arbeiterklasse gehört zu werden, die innerlich schon abschalteten, wenn sie den Namen Clinton nur hörten. Dabei mögen sicher auch Ressentiments gegen die kluge Frau eine Rolle gespielt haben, aber auch die Abwehr gegen eine Person, die so mit dem Wirtschaftsliberalismus verbunden war, wie es Hillary Clinton nun einmal ist.

Doch natürlich wären auch bei einer Kandidatur von Sanders viele Unbekannte im Spiel gewesen und daher muss die Frage, ob er hätte Trump besiegen können, offen bleiben. Sie hängt nämlich noch von einem Faktor ab, der medial kaum beachtet wurde. Wie hätten führende Kapitalkreise reagiert, wenn Sanders Kandidat der Demokraten geworden wäre? Hätten sie den sozialdemokratisch angehauchten Politiker akzeptiert oder dann plötzlich Trump als das kleinere Übel vorgezogen?

Das ist keine hypothetische Frage. Immer dann, wenn ein im Sinne der Kapitalinteressen zu linker Kandidat zur Wahl steht, bekommt auch ein Kandidat der extremen Rechten Zulauf von Seite der Konservativen, der Traditionalisten und auch moderner Kapitalisten. Wenn die Rechte nicht schon im Vorfeld die Rolle erfüllt, die Linke klein zu halten, ist er auf einmal durchaus ein Kandidat der unterstützt wird.

Lieber Hitler als Blum

Und da sind wir auch wieder bei Frankreich, zunächst im Jahre 1936. Damals gab es in Frankreich eine Richtungswahl. Führende Kapitalkreise und die damals noch starken Monarchisten fühlten sich durch das Beispiel Hitler-Deutschland inspiriert, auch in Frankreich eine rechte Diktatur einzuführen. Dagegen schloss sich die Linke, Kommunisten Sozialisten, Linksliberale, zur Volksfront zusammen. Spitzenkandidat wurde der Sozialist Leon Blum.

Die vereinigte Rechte gab die Parole „Lieber Hitler als Blum aus und konnte sich damit 1936 zunächst nicht durchsetzen. Doch nur wenige Jahre später, als die deutsche Wehrmacht Frankreich besetzte, wurde in der Zusammenarbeit der alten Mächte mit den Nazis nun ganz offen praktiziert.

Wenn heute nicht der Kandidat der Vernunft Macron, sondern womöglich Mélenchon gegen Le Pen in die Stichwahl treten würde, könnte man schnell beobachten, wie manche ihre Vorbehalte gegen die Rechtsnationalistin fallen lassen würden. Man würde veermutlich staunen, wie viele, die Le Pen eben noch als großes Schreckgespenst aufgebaut haben, nun auf einmal betonen würden, dass der Front National sich ja weiter entwickelt habe, Frankreich eine gefestigte demokratische Struktur besitze, die auch eine Regentschaft von Le Pen aushalten würde.

Mélenchon wiederum könnte dem Front National real gefährlich werden, wenn es ihm gelingt, den Teil der französischen Arbeiterklasse, der noch in den 1980er Jahren die Kommunisten gewählt hat und nach deren Niedergang politisch heimatlos geworden waren, wieder anzusprechen. Dazu gehören auch die EU-Kritik und womöglich auch eine Abstimmung über den Verbleib Frankreichs in der EU.

Obwohl die wahrscheinlich nach dem heutigen Stand sogar für die EU ausgehen würde, haben die Verteidiger des Status quo der von Deutschland hegemonisierten EU eine Heidenangst vor solchen Befragungen, nach dem Brexit ist die noch gewachsen. Der Grund ist einfach, wenn die Menschen sehen, man kann aus diesen Verein auch wieder austreten, was vorher so undenkbar schien, dass es dafür nicht einmal Regularien gab, könnten ja auch in anderen Ländern Menschen auf den Gedanken kommen.

Jedenfalls könnte Mélenchon mit solchen Forderungen vielleicht eher Arbeiterwähler von der Rechten zurückholen. Macron könnte und wollte es auch nicht. Der konzentriert sich auf eine Bündelung der Kräfte des Status quo und nicht auf die Prekären und Abgehängten. Doch ob es Mélenchon wirklich schafft, in die entscheidende zweite Runde der Präsidentschaftswahl zu kommen, ist noch völlig offen.

Allein die Nervosität der Kräfte des Status quo, als er bei einer TV-Debatte so gut abschnitt und auch online und in den sozialen Netzwerken den Rechten erfolgreich Paroli bietet, zeigt aber, dass die Möglichkeit real ist.

Ein großes Handicap für Mélenchon ist die Zersplitterung der Sozialdemokraten auf zwei Kandidaten. So steht neben Mélenchon noch der von Teilen seiner Partei verlassene Hamon. Programmatisch ist der Graben zwischen beiden nicht so tief. Das zeigt sich auch an scheinbaren Details wie in der Europapolitik. So unterstützen beide eine Initiative, die Blackbox EZB zu öffnen. Konkret wird Europäische Zentralbank aufgefordert, ein bisher unter Verschluss gehaltenes Gutachten zu veröffentlichen, in dem es um die Frage geht, ob die Erpressungspolitik des Jahrs 2015 gegenüber Griechenland überhaupt rechtmäßig war.

Da wäre in einem zentralen Politikfeld der Europapolitik tatsächlich eine Einigung zwischen Mélenchon und Hamon möglich. Doch es sind neben persönlichen Rivalitäten auch gewichtige Argumente, die Mélenchon für seine eigene Kandidatur ins Feld führte, als er scheinbar aussichtslos war. Er wollte sich nicht wieder abhängig von der Sozialistischen Partei machen, die wie alle Sozialdemokraten noch jeden progressiven Ansatz zerstört hat. Nach den Erfahrungen mit Hollande wäre auch jeder Kandidat, der auf den Ticket der Sozialdemokraten auftritt, sofort diskreditiert gewesen.

Nun müsste Hamon über seinen Schatten springen und nach den Erfahrungen mit einer eigenen Partei, die eher Macron als ihn unterstützt, den Schulterschluss mit Mélenchon suchen. Dann könnte tatsächlich eine Alternative in Frankreich zur Wahl stehen.

https://www.heise.de/tp/features/Luc-Melenchon-gegen-Le-Pen-3679010.html

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Peter Nowak
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[1] http://www.taz.de/!5399767/
[2] http://melenchon.fr/
[3] http://en-marche.fr/emmanuel-macron
[4] http://www.benoithamon2017.fr/
[5] http://www.dhm.de/lemo/biografie/lion-blum
[6] http://www.zeit.de/1992/16/als-frankreich-sich-selbst-aufgab
[7] http://www.youtube.com/user/PlaceauPeuple
[8] http://www.taz.de/!5394016/
[9] https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/sonst_publikationen/Materialien_BlackboxEZB.pdf
[10] http://diem25.org/thegreekfiles-de/)