„Für viele waren Nazis eine Nebenerscheinung“

Vor 30 Jahren gründeten sich in der DDR die ersten unabhängigen Antifa-Gruppen – Auslöser war der Überfall von Neonazis auf ein Punkkonzert in der Zionskirche in Prenzlauer Berg. Dietmar Wolf war einer der Mitbegründer der Ost-Antifa

INTERVIEW PETER NOWAK

taz: Herr Wolf, wann sind Sie in der DDR das erste Mal mit Neonazis in Kontakt gekommen?
Dietmar Wolf: Ich bin ab 1978 regelmäßig zu Spielen des Fußballclubs BFC Dynamo gegangen. Dort habe ich 1982 oder 1983 die ersten Fans mit extrem kurzen Haaren und auffälligen Klamotten gesehen, die aus heutiger Sicht typisch für Skinheads waren. Außerdem fiel zu dieser Zeit mehr und mehr auf, dass die Fansprechchöre immer extremer und aggressiver wurden und zunehmend rassistische, antisemitische, sexistische Inhalte hatten. Das war dann auch ein wesentlicher Grund für mich, nicht mehr zum BFC ins Stadion zu gehen.

Wie kamen Sie in den Kreis der Mitbegründer der Ostberliner Antifa?
Ich gehörte seit 1987 verschiedenen Gruppen der politischen Opposition in der DDR an. Unter anderem war ich auch Mitarbeiter in der Kirche von Unten. Deshalb war ich unmittelbar an der Planung und Organisation der Veranstaltung am 19. April 1989 beteiligt. Ich hatte zu dem Zeitpunkt bereits von der Gründung der Antifagruppe in Potsdam gehört. Allerdings hatte ich keine persönlichen Kontakte dorthin

Wie kam es zur Gründung unabhängiger Antifa-Gruppen in verschiedenen Städten der DDR?
Auslöser war der Überfall von Nazi-Skinheads auf ein Punkkonzert in der Ostberliner Zionskirche im Oktober 1987. Er hatte in zweierlei Hinsicht Si­gnal­wir­kung. Zum einen erhöhte sich danach die Zahl der offenen Übergriffe von Nazis und Skinheads. Zum anderen regte sich erstmals selbst organisierter Widerstand. Daraus folgte dann die Gründung von unabhängigen Antifa-Gruppen: in Potsdam und Dresden 1987, in Halle 1988 und in Berlin nach einem gescheiterten Versuch 1987 am 19. April 1989 in den Räumen der Kirche von Unten, der KvU.

Wer steckte hinter dem Überfall auf die Zionskirche?
Damals hatten sich relativ spontan ungefähr 30 Neonazis von einer Geburtstagsfeier in einer Kneipe in Prenzlauer Berg zur Kirche aufgemacht, um das Konzert anzugreifen. Angeführt wurde die Aktion von Ostber­liner Neonazis wie Ronny Busse. Einige ebenfalls beteiligte ­Westberliner Neonazis sind allerdings nie enttarnt worden: Es gab ein Amtshilfeverfahren der DDR-Behörden, dem aber leider von Westberliner Seite nicht stattgegeben worden ist.

Wie war das Verhältnis zwischen der Unabhängigen Antifa und den unterschiedlichen Gruppen der DDR-Opposition?
Gute Kontakte hatte wir zu linken Oppositionsgruppen, die sich anarchistisch definierten, wie zum Beispiel die Umweltbibliothek und eben die KvU in Berlin. Der große Teil der Oppositionsgruppen – auch jene, die sich als marxistisch oder trotzkistisch definierten – nahm die Antifa-Gruppen aber nicht wirklich ernst. Für ihn war damals das Thema Rassismus und Nazis eine eher unwesentliche Nebenerscheinung.

Wie reagierten die DDR-Verantwortlichen auf die unabhängige Antifa?
Der Staat beziehungsweise das Ministerium für Staatssicherheit antworteten mit Repression und Bespitzelung. Es gab seitens der Antifa-Gruppen Versuche, mit der FDJ ins Gespräch zu kommen und auch auf der unteren Ebene eine gewisse Zusammenarbeit anzuregen. Das wurde von der FDJ bis in die Zeit der Wende hinein kategorisch abgelehnt.

Die Maueröffnung 1989 ermöglichte Ihnen dann direkte Kontakte mit Westberliner und westdeutschen Antifagruppen. Wie entwickelte sich das Verhältnis zwischen Antifa Ost und West?
Nach anfänglich großem Interesse und großer Bereitschaft zur Zusammenarbeit machten viele Antifaschisten und Antifaschistinnen aus der DDR die Erfahrung von Bevormundung, Herabwürdigung und ideologischen Eingliederungsversuchen durch die Westgruppen. Das führte schnell dazu, dass auch in den antifaschistischen Gruppen der Begriff des Ost-West-Konflikts Einzug hielt.

Wo lagen die Unterschiede?
In den 90er Jahren gründeten westdeutsche Antifa-Gruppen die Antifaschistische Aktion/Bundesweite Aktion, eine antifaschistisch ausgerichtete Kader- und Sammlungsorganisation nach dem historischen Vorbild des Rotfrontkämpferbunds. Antifas aus der DDR koordinierten sich zu dieser Zeit im Ostvernetzungstreffen, zu dem Gruppen aus dem Westen keinen Zugang hatten.

Sie sind in der antifaschistischen Bildungsarbeit aktiv. Worum geht es da?
Ich sehe meine Bildungsarbeit als einen kleinen Beitrag zum Erhalt von antifaschistischer Geschichte. Sie ist in gewisser Weise eine Brücke von 1987 ins Jahr 2017. Denn leider stelle ich immer wieder fest, dass die Antifaschisten und Antifaschistinnen von 2017 kaum etwas über die Antifagruppen von 2007 und 1997 wissen, geschweige denn von 1987.

Interview: Peter Nowak

Dietmar Wolf, geb. 1965, stellt am 12. 10. um 20 Uhr das Buch „30 Jahre unabhän­gige Antifa in Ostdeutschland“ vor. BAIZ, Schönhauser Allee 26A

aus Taz vom 9.10.2017:
http://www.taz.de/Archiv-Suche/!5451924/

Die KvU muss Pause machen

Kirche von Unten verabschiedet sich aus Mitte

»Ich unterbreche die Sitzung und rufe die Ältestenversammlung ein«, rief ein aufgeregter Abgeordneter der BVV-Mitte am Donnerstagabend. Zuvor hatten zehn Personen den Versammlungsraum des Rathauses

Rathauses Mitte betreten und  eine kurze Rede begonnen. Doch was der Sprecher zusagen hatte, ging im Lärm der unterbrochenen BVV-Sitzung unter. Einige Abgeordnete  riefen nach der Polizei und drohten mit Hausverbot. Dabei wollten sich die unerwarteten  Besucher nur verabschieden:  Es  waren Nutzer und Mitarbeiter des Jugendclubs Kirche von unten (KvU), der sich nach 27 Jahren unfreiwillig  aus dem Stadtteil verabschieden muss.

In der Storkower Straße 119 hat die KvU neue Räume gefunden.     In der Kremmener Straße, wo die KvU ihr Domizil hatte, plant die  Immowert Arkonahöfe Berlin GmbH den Bau von Loft und Eigentumswohnungen. Zudem soll das 1910 errichtete Gebäude um 2 Stockwerke erhöht werden. Für die  nichtkommerziellen KvU war dort kein Platz mehr. Ihr waren bereits zum 31. Dezember 2012 die Räume gekündigt worden. Dass sie noch mehr  als ein Jahr in Mitte bleiben konnte, lag vor allem an der Widerstandsbereitschaft der Betreiber und Nutzer. Die KvU arbeitete in der Initiative „Wir bleiben alle“ mit und organisierte Solidaritätskonzerte und Demonstrationen. Nebenher kümmerten sich die Aktivisten um Ersatzräume und wurden findig.

Natürlich seien sie froh, dass sie Ersatzräume gefunden haben. Allerdings sei der Jugendclub damit nicht langfristig gesichert, erklärten die KvU-Mitarbeiter gegenüber nd. „Zur Zeit können wir unser Programm nicht durchführen, weil wir in den nächsten Monaten die neuen Räume renovieren müssen“. Da  alle diese Arbeit in ihrer Freizeit unentgeltlich verrichten,  rechnet er mit einer Umbauphase von mehreren Monaten. Auch die finanzielle Situation sei wie gewohnt schlecht, betont er. Zudem hat der neue Mietvertrag lediglich eine Laufzeit von fünf Jahren. Danach könnte die Suche nach Räumen von vorn losgehen, befürchten die KvU-Leute. Eine bittere Pille sei  für sie der Abschied von Mitte gewesen, betonen sie. Schließlich ist der 1987 als Einrichtung der offenen Jugendarbeit im Zusammenhang mit dem evangelischen Kirchentag in Mitte entstanden und gehörte bald zu einer der zentralen Einrichtungen der DDR-Opposition. Im Frühjahr 1989 wurden den Räumen der KvU die Ergebnisse der alternativen Stimmauszählung während der Kommunalwahl zusammengetragen. Damals wurde die KvU auch von Menschen besuchten, die nach 1990 bald in den verschiedenen Parteien Karriere machten. Die KvU blieb  dagegen auch nach der Wende oppositionell und ließ sich nicht von politischen Parteien vereinnahmen.       Diesen Kurs haben auch jüngere KvU-Mitarbeiter. „Da behaupten Politiker der BV V-Mitte, sie hätten die KvU gerettet. Dabei haben wir uns selber um Räume gekümmert“.  Deswegen trug der kurze BVV-Besuch den Titel “Danke für nichts“.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/927788.die-kvu-muss-pause-machen.html

Peter Nowak