Waffen für die Kurden

Vom Zentralismus zum Kommunalismus?

Direkte Erfahrungen mit der Umstrukturierung in der kurdischen Befreiungsbewegung. Ein Erlebnisbericht vom mesopotamischen Sozialforum 2009

Im September 2009 hatte ich die Gelegenheit als Besucher des mesopotamischen Sozialforums in Diyarbakir in Ansätzen mitzubekommen, wie die in Öcalans Buch Jenseits von Staat, Macht und Gewalt skizzierten Grundsätze konkrete Auswirkungen auf die Menschen in Kurdistan haben. Die meist mehrsprachigen Veranstaltungen deckten eine große thematische Bandbreite ab. Dort ging es unter anderem um das Recht auf Bildung, drohende Kriege um Energie und Wasser und den Zustand der Gewerkschaftsbewegung im Nahen Osten. Viele Diskussionen gab es um das Projekt des Demokratischen Kommunalismus, mit dem die kurdische Bewegung die Demokratisierung der Gesellschaft voranbringen will und das in Öcalans Verteidigungsschriften eine große Rolle spielt. Es ist vom mexikanischen Zapatismus und den sozialistischen Rätevorstellungen beeinflusst und stieß auch bei den Linken aus Westeuropa auf großes Interesse. Der Interpret dieser Idee in die Vorstellungswelt der kurdischen Bevölkerung ist aber vor allem Öcalan. Seine Texte, die in der hiesigen Linken kaum wahrgenommen werden, sind für die große Mehrheit der kurdischen Bevölkerung, unabhängig von Alter und Bildungsgrad, tatsächlich eine Art Wegweiser zu Konzepten der Befreiung in der Geschichte und der Gegenwart. Mag es für theoretisch vorgebildete LeserInnen eher eine Mischung von verschiedenen theoretischen Ansätzen sein, für Teile der kurdischen Bevölkerung sind es Hinweise für die praktische Politik. Das wurde auf dem Sozialforum besonders beim Themenbereich „Patriarchat“ deutlich, dem Öcalan in seinen Schriften großen Raum widmet.

Kurdischer Gender Trouble

So befassten sich in Diyarbakir zahlreiche Arbeitsgruppen mit Diskriminierungen und Verfolgungen, denen Menschen aufgrund ihres Geschlechts ausgesetzt sind. Im Workshop Gender-Trouble wurde anhand von Fotos über den männlichen Blick in den Medien diskutiert. Daran nahmen Menschen allen Alters teil, von der über sechzigjährigen Frau mit Kopftuch bis zum Jugendlichen. Organisiert wurde er von der Organisation Lambda, einer Vereinigung von Bi- und Homosexuellen und Transgender-Personen in der Türkei. Diese Themen spielen nicht nur auf dem Sozialforum eine wichtige Rolle. Ein Mitglied des türkischen Menschenrechtsvereins (IHD) berichtete in einer Arbeitsgruppe, dass bei ihren wöchentlichen Aktionen in Diyarbakir an unterschiedliche Opfer des Staatsterrorismus erinnert wird. Dazu gehören auch die Menschen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung verschleppt und ermordet wurden. Ein aus Istanbul angereister Teilnehmer, der sich selbst als Anarchist bezeichnete, zeigte sich über die Themen und die Diskussionskultur positiv überrascht. Die kurdische Linke sei hier ein Vorreiter für linke emanzipatorische Ideen. Dort würden feministische Themenstellungen angesprochen, die in Teilen der türkischen Linken noch immer eine marginale Rolle spielen, erklärte er.

Auch über staatskritische Themen sowie eine generelle Ablehnung von Macht und Hierarchien werde in der kurdischen Linken seit einigen Jahren sehr offen diskutiert. Er könne sich mit seinen anarchistischen Vorstellungen daher in der Linken von Diyarbakir eher wiederfinden als in Istanbul, betonte der Mann, der auch bekundete für die PKK als Anarchist keine großen Sympathie gehabt zu haben.

Grenzen der Machtkritik

Auch viele westeuropäische TeilnehmerInnen des Sozialforums teilten das positive Urteil über das Sozialforum. Es sei gelungen, sich auch über kontroverse Themen in solidarischer Atmosphäre auszutauschen. Zu diesen strittigen Themen gehört die Rolle von Führungspersönlichkeiten wie Abdullah Öcalan in der linken Bewegung.

Hier liegt auch einer der größten Schwachpunkte in Öcalans Schriften. Bei aller durchaus ernsthaften Auseinandersetzung mit staats- und machtkritischen Texten und Theorien bleibt Öcalans Rolle als Prophet außerhalb jeder Kritik. Öcalans Machtkritik reicht bedauerlicherweise nicht aus , seine eigene Rolle in der Organisation zu hinterfragen.

Schwachpunkt Soziale Frage

Ein weiterer Schwachpunkt in Öcalans Schriften ist die fehlende Ökonomiekritik. Daher kommt es in den Schriften auch zu durchaus missverständlichen Formulierungen. So heißt es an einer Stelle: „Besser wäre, sich auf einen schlanken Staat zu einigen, der lediglich Aufgaben zum Schutz der inneren und äußeren Sicherheit und zur Versorgung sozialer Sicherheitssysteme wahrnimmt.“ Die Metapher vom schlanken Staat spielt heute auch oft in wirtschaftsliberalen Theorien eine große Rolle. In Öcalans Schriften sind soziale Fragen weitgehend ausgeblendet. Mehrmals verweist er ausdrücklich darauf, dass Klassenkämpfe keine große Bedeutung haben. Auch die Rolle von Gewerkschaften als Selbstorganisation der Lohnabhängigen kommt in den Schriften kaum vor. Dafür finden sich mehrere positive Bemerkungen zur sozialdemokratischen Globalisierung, die Öcalan als Alternative zum klassischen Imperialismus in die Diskussion bringt. Es gäbe also genügend kritische Fragen an Öcalans Vorstellungen zu stellen. Allerdings sollte durchaus zur Kenntnis genommen werden, dass in seinen Schriften eine mit starken geschichtlichen und mythologischen Bezügen versehene Kritik an Macht und Staat vorliegt. Diese Kritik sollte in Zukunft auch in Deutschland Gegenstand einer kritischen Diskussion sein.
http://www.direkteaktion.org/211/vom-zentralismus-zum-kommunalismus
Peter Nowak

Mit Drohnen gegen die PKK?

Während türkische Medien von einem bevorstehenden türkisch-iranischen Angriff mit Unterstützung der USA auf PKK-Stellungen in Nordkurdistan schreiben, werden auch in Deutschland pro-kurdische Gruppen aktiv
Von einem Angriff auf die Pressefreiheit sprach Außenminister Westerwelle. Er verurteile die Besetzung des RTL-Fernsehstudios durch rund 30 prokurdische Aktivisten in Köln am vergangenen Mittwoch. Sie weigerten sich das Studio zu verlassen, bevor der Sender einen Beitrag zu den in der Türkei inhaftierten Vorsitzenden der Kurdischen Arbeiterpartei PKK Abdullah Öcalan gesendet hat. Die gewaltfreie Aktion dauerte nur wenige Stunden und wurde durch die Polizei beendet.
  Auf der Internetseite des Senders findet sich darüber keine Notiz und auch sonst war das Medieninteresse sehr gering. Das war vor mehr als 12 Jahren noch anders, als Proteste von pro-kurdischen Aktivisten auf Autobahnen in Deutschland für Schlagzeilen sorgten. So wurde auch kaum erwähnt, dass der Gerichtshof der Europäischen Union Deutschland erst vor wenigen Tagen im Zusammenhang mit einem kurdischen Medium die Verletzung der Pressefreiheit bescheinigt hat.

Es geht um den Sender Roj TV, der von Dänemark aus Sendungen in kurdischer Sprache ausstrahlt. Deutschland kann die Weiterverbreitung der Sendeinhalte auf seinem Hoheitsgebiet nicht verhindern, hat das Gericht entschieden. Gegen das Verbot der den Sender betreibenden Vereine in Deutschland hatte das Gericht hingegen nichts einzuwenden. Diese juristische Auseinandersetzung macht deutlich, dass Deutschland innerhalb der EU bei der Bekämpfung der kurdischen Nationalbewegung eng mit der Türkei zusammenarbeitet.

Die Kooperation erstreckte sich auf die unterschiedlichen Regierungen. Die Aktivitäten der pro-kurdischen Aktivisten sind wiederum ein Seismograph für die Situation im Südosten der Türkei. Immer wenn die Auseinandersetzungen dort eskalieren, steigt auch in der Diaspora das Engagement. Ein Höhepunkt war zweifelsohne die Verhaftung von Öcalan 1999.

Unterstützung vom Irak und der USA?

Zwölf Jahre später könnte eine erneute Eskalation drohen. Türkische Medien unterschiedlicher politischer Couleur berichten übereinstimmend, dass die Armee eine Bodenoffensive gegen den Nordirak vorbereitet, um die dortigen PKK-Stellungen anzugreifen. Eine Offensive mit dem gleichen Ziel war im Jahre 2007 nicht sehr erfolgreich. In türkischen Medien wurde sogar von einer Niederlage geredet, nachdem PKK-Kämpfer türkische Soldaten gefangen genommen und den Medien präsentiert hatten.

Eine besondere Brisanz erhält der geplante Angriff durch die Unterstützung von zwei Ländern, die in der weltpolitischen Arena eigentlich als Antipoden wahrgenommen werden. Unterstützung sollen sowohl der Iran als auch die USA zugesagt haben. Am Rande einer UN-Konferenz in New York soll der türkische Ministerpräsident Erdogan sowohl mit US-Präsident Obama als auch mit den iranischen Präsidenten Ahmadinedschad über eine größere Militäraktion gegen die PKK gesprochen und von beiden Unterstützung erhalten haben. Das iranische und das türkische Militär wollen sich bei der Aktion koordinieren und die USA Aufklärungsdrohnen und sogar unbemannte Kampfflugzeuge zum Kampf gegen die PKK beisteuern, wie sie bisher in Afghanistan und Pakistan im Kampf gegen Islamisten eingesetzt werden.

Indirekte Kooperation zwischen zwei Todfeinden

Die zumindest indirekte Kooperation zwischen den USA und Iran ist nur auf den ersten Blick paradox. Jenseits der weltpolitischen Feindschaft gibt es in konkreten Konflikten schon längere eine solche Kooperation beispielsweise in Afghanistan, aber auch im Irak. Der Iran, der vom Sturz Saddam-Husseins profitiert hat, sorgte über seine irakischen Bündnispartner dafür, dass sich das Land zumindest oberflächlich stabilisiert. Die gemeinsame Frontstellung gegen PKK-Stellungen würde auch das türkisch-iranische Bündnis festigen, das vor allem in den letzten Jahren erst Konturen bekommen hat.

Je mehr die türkische Regierung sich mit anti-israelischer Symbolpolitik zu profilieren sucht, desto mehr hat sie sich der iranischen Regierung angenähert, die wegen ihrer weltpolitischen Isolation und des Konflikts mit Saudi-Arabien auf jeden Bündnispartner angewiesen ist. Zumal Syrien, ein weiterer bisheriger Partner der Achse Istanbul-Teheran, durch die innenpolitische Situation ins Wanken geraten ist.

Erdogan hat sich schon deutlich vom Assad-Regime zu distanzieren versucht. Manche politischen Beobachter vermuten gar, die Türkei könnte sogar unter dem Mantel einer humanitären Intervention in dem Nachbarland militärisch eingreifen, wie es Frankreich in Libyen vorexerziert hat. Der Krieg gegen die kurdischen Militärbasen könnte auch dazu dienen, im Vorfeld eines solchen Konflikts mögliche Kontrahenten auszuschalten. Denn wie so oft in der Geschichte ist die kurdische Nationalbewegung auch jetzt wieder zum Spielball unterschiedlicher politischer Interessen geworden.

Bündnis Israel – Kurden?

Das wurde besonders deutlich, als sich die anti-israelische Politik Erdogans verschärft hat. Prompt wurden Planspiele israelischer Politiker bekannt, der kurdischen Bewegung in der Türkei Hilfestellung zu leisten. Besonders der israelische Außenminister Avigdor Lieberman dachte sogar laut über eine Militärhilfe für die PKK nach, wurde aber vom israelischen Ministerpräsidenten dafür gerügt.

Ob Netanjahu diese Pläne insgesamt ablehnte oder nur die öffentliche Präsentation durch seinen Außenminister, blieb dabei offen. Auch die Antwort der PKK auf die Avancen blieb nebulös. Von deren Führung wurde als Vorbedingung für eine Kooperation mit Israel eine Entschuldigung für die angebliche Beteiligung Israels an Öcalans Verhaftung gefordert. Nun könnte man das als Retourkutsche für Erdogans Forderung an Israel interpretieren, sich für den Angriff auf die Gazahilfsflotte zu entschuldigen.

Allerdings wird sich Israel wohl weder bei der türkischen Regierung noch bei der PKK entschuldigen. Ob damit eine Kooperation ausgeschlossen wird, ist dennoch offen. Unabhängig davon sorgt die angebliche PKK-Unterstützung durch Israel im Internet für viel Zuspruch bei Verschwörungstheoretikern aller Couleur.

Erdogan kann der Basis seiner islamischen Partei damit einen Angriff auf PKK-Stellungen jedenfalls gut plausibel machen. Der wiederaufgeflammte Guerillakrieg in der Türkei sorgt sowieso schon für nationalistische Aufwallungen. Das bekommen vor allem die erst vor wenigen Monaten gewählten Abgeordneten eines Bündnisses aus linken und pro-kurdischen Gruppierungen zu spüren. Wegen diverser Schikanen und ständiger Menschenrechtsverletzungen haben sie einen Parlamentsboykott beschlossen, was den Druck auf sie noch erhöht.

Zivilgesellschaft und die Rolle der irakischen Kurden

Dabei galt der überraschend hoch ausgefallenen Wahlerfolg der Partei für Frieden und Demokratie eines Bündnisses von prokurdischen und linken Kräften als Stärke der Zivilgesellschaft vor allem in den kurdischen Gebieten der Türkei, wie sie noch einmal beim kürzlich zu Ende gegangenen zweiten Mesopotamischen Sozialforum in Diyarbakir deutlich wurde. Diese Zivilgesellschaft dürfte das erste Opfer einer militärischen Eskalation gegen die PKK werden.

Dass es in dem Konflikt um politische und nicht um ethnische Konflikte handelt, zeigt sich auch daran, dass die türkische Regierung auch die kurdische Autonomieregierung im Nordirak für den Kampf gegen die PKK gewinnen will. Gespräche laufen schon länger.

Da führende Politiker dieser Regionalregierung mit einer Zivilgesellschaft konfrontiert sind, die gegen die Menschenrechtsverletzungen und Korruption in den Autonomiegebieten protestieren, sehen die Politiker in der PKK und ihren nordirakischen Bündnispartnern einen gefährlichen Konkurrenten. Daher haben sie durchaus ein Eigeninteresse, wenn sie sich an einer gegen die PKK gerichtete Militäraktion beteiligen oder diese zumindest stillschweigend dulden.

http://www.heise.de/tp/artikel/35/35597/1.html

Peter Nowak