Hunderte Linke demonstrieren friedlich gegen die neue RAF-Fahndung rund um Daniela Klette. Trotzdem wird vor gewaltbereiten Linksextremisten gewarnt

Demo in Berlin gegen zweiten Deutschen Herbst

In den nächsten Tagen sind weitere Aktionen geplant. So hat der Solidaritätskreis Daniela Klette für Sonntag eine Kundgebung vor der Justizvollzugsanstalt Vechta angemeldet, in der das mutmaßliche RAF-Mitglied seit ihrer Verhaftung festgehalten wird. »Der 18. März ist weltweit der Aktionstag gegen Gefangenschaft und Kriminalisierung. Wir wollen im Vorfeld Grüße von draußen nach drinnen senden«, sagt eine Mitorganisatorin der geplanten Kundgebung zu »nd«.

Schon gegen 17 Uhr ist am Samstag der Mariannenplatz im Berliner Bezirk Kreuzberg von Polizeiwagen umstellt. Polizistinnen laufen über den noch leeren Platz und kontrollierten sogar die Papierkörbe. Für 18 Uhr ist hier eine Demonstration angemeldet, die sich

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Andrej Holm und die Stasi-Vergangenheit

Die Stolpersteine auf dem Weg vom außerparlamentarischen Mieteraktivisten zum Staatssekretär

Normalerweise sorgen die Personalien von Staatssekretären nicht für Schlagzeilen. Doch im Fall des Stadtsoziologen Andrej Holm[1] ist das anders. Schon wenige Tage nach seiner Ernennung ist er Gegenstand von Schlagzeilen. Dass sich Holm als junger Mann kurz vor dem Ende der DDR noch bei der Stasi verpflichtet hat, sorgte noch nach mehr als einem Vierteljahrhundert für Beißreflexe.

Die üblichen Verdächtigten meldeten sich schnell zu Wort. Dazu gehört der Politologe Klaus Schröder, der einräumt[2], dass es ihm gar nicht um die kurze Stasi-Episode geht: „Er hat Berichte aus den verschiedenen Bereichen Ost-Berlins ausgewertet und an die Vorgesetzten weiter geliefert. Da hat er persönlich höchstwahrscheinlich niemandem geschadet.“

Was Schröder Holm eigentlich vorwirft, könnte ihm womöglich zur Ehre gereichen, so dass er noch 1989 in die SED eingetreten ist, als sich die Wendehälse schon nach anderen Betätigungsfeldern umgesehen haben. Tatsächlich kann man sagen, wer 1989 noch in die SED eingetreten ist, dem ging es vielleicht nicht in erster Linie um die Karriere, sondern tatsächlich um die Ideale, die die SED ja so gerne anführte. Gerade in den turbulenten Zeiten um 1989 sind Menschen mit Idealen in die SED eingetreten, in die sie zu anderen Zeiten wahrscheinlich nie aufgenommen wurden. Das war auch der Impuls, der den im Westen aufgewachsenen Ronald Schernikau noch ganz zum Schluss zur SED-Mitgliedschaft und DDR-Staatsbürgerschaft führte.

Dass Holm aber auch als parteiloser Wissenschaftler ein Linker geblieben ist, wirft ihm Schröder eigentlich vor:

„Er hat seinen Klassenstandpunkt beibehalten und den neuen Zeiten angepasst. Er wurde nicht bekehrt in dem Sinne, dass er den realen Sozialismus und die Stasi ablehnt. Das hat er nie öffentlich geäußert. Und er hat sich auch nie von gewaltbereiten Linksextremisten distanziert.

Er selber war ja verstrickt bis hin zum Linksterrorismus. Der Verdacht hat sich nicht belegen lassen. Gleichwohl hat der Bundesgerichtshof ihm ja attestiert, er habe eine linksextreme Gesinnung. Und das ist eben mehr, als nur gesellschaftliche Konflikte zu beschreiben, wie er selbst es jetzt darstellt. Andrej Holm steht symptomatisch dafür, dass große Teile der Linken – so wie auch bei den Grünen – die Trennlinie zu den gewaltbereiten Linksextremisten nicht ziehen.“

Von einer soziologischen oder polittheoretischen Warte ist diese Einschätzung eine wissenschaftliche Bankrotterklärung. Da werden der autoritäre Staatssozialismus und eine außerparlamentarische Linke, die in der DDR als kleinbürgerliche Linksradikale verfolgt worden wären, aus propagandistischen Gründen gleichgesetzt. Wenn Holm nach einer kurzen Verpflichtung für die Stasi zum treuen Diener des BRD-Staats geworden wäre, hätte Schröder keinen Grund gesehen, ihm die Jugendsünde vorzuhalten.

Hier wird auch klar, wie unsinnig die Rechts-Links-Gleichsetzung ist. Ein ehemaliger Nazi konnte eben nach 1945 ein überzeugter BRD-Bürger werden, ohne seine Überzeugung aufzugeben. Ein Linker konnte, wenn er kein Karrierist war, nach dem Ende der DDR eben eine emanzipative Bewegung jenseits von Staat und Partei kennenlernen. Dann musste er aber auch schnell die Erfahrung machen, dass es nicht nur in der DDR einen Staatsschutz gab und dass man als Oppositioneller auch in der bürgerlichen Demokratie schnell in deren Visier geriet (Andrej H., § 129a und die verdächtigen Begriffe[3]).

Seine Verhaftung und die von weiteren linken Aktivisten sorgten für eine internationale Solidaritätswelle[4], an der sich auch Wissenschaftler aus den USA und anderen Ländern beteiligten (Verdacht ist nicht genug[5]).

In dem Solidaritätsbrief wird auch auf die Umstände der Verhaftung von Holm und seinen Freunden und Kollegen eingegangen, die damals auch in der BRD für viel Kritik sorgen, aber vielleicht schon vergessen sind. Daher sollen sie hier noch mal zitiert werden:

  • „Dr. Matthias B. habe in seinen wissenschaftlichen Abhandlungen „Phrasen und Schlagwörter“ verwendet, die auch die „mg“ verwende;
  • Dr. Matthias B. sei als promovierter Politologe intellektuell in der Lage, „die anspruchsvollen Texte der ‚militanten gruppe'“ zu verfassen. Darüber hinaus stünden ihm „als Mitarbeiter eines Forschungsinstituts Bibliotheken zur Verfügung, die er unauffällig nutzen kann, um die zur Erstellung der Texte der ‚militanten gruppe‘ erforderlichen Recherchen durchzuführen“;
  • Ein weiterer Beschuldigter habe sich mit Verdächtigen konspirativ getroffen: „So wurden regelmäßig Treffen vereinbart, ohne jedoch über Ort, Zeit und Inhalt der Zusammenkünfte zu sprechen“; er sei zudem in der „linksextremistischen Szene“ aktiv gewesen.
  • Bei einem dritten Beschuldigten sei eine Adressenliste gefunden worden, auf der auch die Namen und Anschriften der anderen drei standen;
  • Dr. Andrej Holm, der als Stadtsoziologe arbeitet, habe enge Kontakte zu allen drei in Freiheit befindlichen Beschuldigten,
  • Dr. Andrej Holm sei „in dem von der linksextremistischen Szene inszenierten Widerstand gegen den Weltwirtschaftsgipfel 2007 in Heiligendamm aktiv“ gewesen.
  • Als konspiratives Verhalten wird u.a. gewertet, dass er angeblich absichtlich sein Mobiltelefon nicht zu einem Treffen mitnahm.“

Es ist schon interessant, dass Schröder diese Verfolgung mit keinen Wort erwähnt und im Gegenteil den Verdacht gegen Holm weiter verbreitet und gar nicht erwähnt, dass mit ihm weitere außerparlamentarische Linke festgenommen wurden, darunter auch Aktivisten aus der linken DDR-Opposition.

Doch für Schröder und Co. wird die Verteidigung von Menschenrechten instrumentell gehandhabt. So wird auch seine kurze Stasi-Episode nur benutzt, um ihn als heutigen Linken zu diskreditieren. Falsch ist auch die Unterstellung, dass Holm seine Stasi-Episode verschwiegen hat. Darüber wurde schon vor zehn Jahren in der außerparlamentarischen Linken sehr kontrovers diskutiert.


Die Stasi-Debatte verdeckt eine Diskussion, die unmittelbar nach Holms Ernennung eine größere Rolle spielte. Es ging um die Frage, wie sinnvoll es ist, dass ein solch exponierter Aktivist der außerparlamentarischen Linken in die Politik wechselt. Die Frage müsste doch diskutiert wurden, ob er mit seiner Arbeit als demokratischer Wissenschaftler, als stetiger Berater von Mieter- und Stadtteilinitiativen [6]mehr für eine fortschrittliche Gesellschaft erreichen könnte als in seiner Rolle als Staatssekretär?

Dabei soll gar nicht in Abrede gestellt werden, dass Holm auch in seiner neuen Aufgabe die gleichen Ziele und Ideale verfolgt wie als außerparlamentarischer Aktivist. Das vor allem in Teilen des anarchistischen Milieus vorhandene Ressentiment, dass jeder, der einen solchen Posten annimmt, korrupt wird, ist eine verkürzte Kritik an Parlament und Politik, die gerade in Zeiten, wo auch von Rechts die Stimmen für einen starken Staat zunehmen, dringend überprüft werden müsste.

Eine emanzipative Kritik an der bürgerlichen Demokratie müsste gerade in dem Mittelpunkt stellen, dass es nicht um die Korruptheit und die schlechten Absichten von Politikern geht, sondern um die Tatsache, dass sie an der Regierung, nicht aber an der Macht sind. Genau das wird Andrej Holm noch oft genug erfahren, wenn er in seinen Posten tatsächlich umsetzen will, was er seit Jahren fordert. Denn dann muss er sich mit Kräften anlegen, die Macht und Privilegien haben. Die aber werden diese Privilegien mit allen Mitteln verteidigen.

Der Streit um die Stasi-Episode ist dann erst die Ouvertüre. Sollte er nicht schon hier aufgeben, werden ihm weitere Hindernisse in den Weg gelegt. Jede kleine Verfehlung wird zu Schlagzeilen führen und gerade ein Mensch, der mit dem Politikbetrieb und seinen Gepflogenheiten nicht so vertraut ist, wird diese Fehler machen.

Der ehemalige Brandenburgische Linksparteipolitiker Peer Jürgens[7] bekommt zurzeit die ganze Härte eines Rechtsstaats zu spüren, weil ihm vorgeworfen[8] wird, nicht lange genug in seinem Wahlkreis gewohnt und zu Unrecht Fahrtkosten und Mietzuschüsse kassiert zu haben. Der Verfolgungseifer, an dem sich auch eine grüne Parlamentskollegin von Jürgens beteiligte, erinnert an ähnliche Schnüffelaktionen gegen Erwerbslose, denen unterstellt wird, sie hätten nicht alle Angaben gemacht.

Es ist dann nur zu hoffen, dass Holm rechtzeitig erkennt, wenn es Zeit wird, seinen Posten zu verlassen und sich wieder mit einigen Erfahrungen reicher seiner außerparlamentarischen und wissenschaftlichen Arbeit zuzuwenden. Die größte Niederlage nicht nur für Holm wäre es, wenn er diesen Zeitpunkt nicht erkennt und glaubt, er müsse mitspielen im Politikbetrieb, um ein Schräubchen in die richtige Richtung zu bewegen, dabei aber das ganze Ziel aufgibt.

Daher sollte eine außerparlamentarische Linke Holm unterstützen, wo er von rechts angegriffen wird, egal, ob es sich um die Stasi-Beschuldigungen handelt oder um weitere Angriffe, die kommen werden. Doch diese Solidarität hat zwei Seiten. So sollte von Anfang klar sein, dass Kritik ein wichtiger Bestandteil dieser Solidarität ist. In dem Augenblick, in dem Holm das Amt höher stellt als seine eigenen Ideale, sollte das auch deutlich gesagt werden. Nur so ist zu verhindern, dass ein guter Wille zur Veränderung wieder einmal in der sozialdemokratischen Logik des kleineren Übels endet.

Holm hat erfreulicherweise sein Amt mit der Aufforderung angetreten, in ihm nicht jemanden zu sehen, der jetzt die Probleme für die Mieter löst. Die beste Unterstützung für seine Arbeit wären selbstbewusste Mietrebellen[9], die ihre eigenen Interessen jetzt erst recht vertreten. Das ist nicht nur eine Verantwortung für Holm, sondern für genauso für die Mieterbewegung in Berlin. Die nächsten Monate werden zeigen, ob beide diesen Herausforderungen gerecht werden können.

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[1] https://www.sowi.hu-berlin.de/de/lehrbereiche/stadtsoz/mitarbeiterinnen/copy_of_a-z/holm
[2] http://www.rbb-online.de/politik/beitrag/2016/12/interview-mit-klaus-schroeder-zu-andrej-holm.html
[3] https://www.heise.de/tp/features/Andrej-H-129a-und-die-verdaechtigen-Begriffe-3415116.html
[4] https://einstellung.so36.net/ps/1832
[5] https://www.heise.de/tp/features/Verdacht-ist-nicht-genug-3415866.html
[6] http://gentrificationblog.wordpress.com/
[7] http://peer-juergens.de/
[8] http://www.rbb-online.de/politik/beitrag/2016/11/potsdam-prozess-juergens-peer-fahrtkosten.html
[9] http://mietrebellen.de/