Die Nachkommen

Aktive Zeugenschaft

Nachkommen der Verfolgten des Naziregimes, von Exil und Widerstand melden sich zu Wort

Als Nachkommen der NS-Verfolgten, des Widerstands und des Exils wollen wir uns gemeinsam einsetzen für eine Welt des Friedens, der Freiheit und der Solidarität.« Dieses Bekenntnis stammt aus einem Aufruf der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) Berlin, abgedruckt auf der Rückseite einer neuen Publikation, in der sich…

„Aktive Zeugenschaft“ weiterlesen

Wenn die Eltern im Widerstand waren

Nachfahren von Gegnern und Opfern der NS-Herrschaft wollen auch Verfolgung von Linken in der UdSSR aufarbeiten

Matthias Wörsching engagiert sich seit vielen Jahren gegen die extreme Rechte. Der Berliner Historiker und Politikwissenschaftler ist unter anderem in der Pankower Ortsgruppe der VVN-BdA (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschist*innen) aktiv. Dort leitete er in den letzten Monaten ein besonderes Projekt. In Werkstattgesprächen trafen sich Kinder, Enkel und Urenkel von Widerstandskämpfer*innen gegen den Nationalsozialismus und Verfolgten des Naziregimes.

Am Sonntag trafen sich etwa 60 Nachkommen der Widerstandskämpfer*innen zur Abschlussveranstaltung der Werkstattgespräche im Betsaal des ehemaligen Jüdischen Waisenhauses Berlin-Pankow.

Auch Andrée Fischer-Marum gehörte zu den Teilnehmer*innen. Die Nazis ermordeten ihren Großvater im Jahr 1934. Er war viele Jahre Abgeordneter des Badischen Landtags für die Sozialdemokraten. Die Familie war auf drei Kontinente zerstreut. Andrée Fischer-Marum lebte in der DDR. Nach 1990 wurde der Kontakt wieder enger.

Heute pflegt Fischer-Marum das Grab ihres Großvaters in Karlsruhe. Wichtiger aber sind ihr die Gespräche in den Schulklassen. Dort stößt sie häufig auf Kinder aus migrantischen Familien. Auch für die Familie Marum gehörten Flucht und Migration schon seit Generationen zum Leben dazu. Daher hören die Kinder der Geflüchteten gebannt zu, wenn sie ihre Familiengeschichte erzählt. Auch die Ökonomin Anne Allex, deren Mutter als KPD-Mitglied im Widerstand war, berichtete, wie sich Kinder von Geflüchteten in Berlin für die Geschichte des Widerstands interessieren.

Sie hatte vor einigen Wochen eine Ausstellung über Berliner Firmen, die von jüdischer Zwangsarbeit profitierten, in einen Ausstellungsraum im Wedding aufgebaut, in dem sich migrantische Jugendliche zum Unterricht trafen. »Sie schauten sich die Ausstellungstafeln erschrocken an und fragten, ob ihnen in Deutschland auch Zwangsarbeit drohen könnte«, berichte Allex.

Sabine Reichwein, die Tochter des von den Nazis 1944 hingerichteten Reformpädagogen Alfred Reichwein, beschrieb, wie sie in ihrer Jugend das Gefühl hatte, ihr Vater habe sie wegen seines politischen Engagements verlassen. Später studierte sie Pädagogik. Nun sieht sie in ihrem Vater ein Vorbild.

Die Medienwissenschaftlerin Inge Münz-Koenen ging auf ein auch unter den Widerstandskämpfer*innen gegen den Faschismus besonders schmerzliches Kapitel ein. Es ging um Tausende von Linken aus Deutschland, die in der Sowjetunion Schutz gesucht hatten und Opfer des Großen Terrors seit 1937 geworden waren. In der DDR war das Thema Tabu und auch in der VVN-BdA wurde ihnen vorgeworfen, Antikommunismus zu fördern, berichtete Münz-Koenen. Doch sie und ihre Mitstreiter*innen ließen sich nicht beirren. Jetzt planen sie eine Aufarbeitung der Verfolgungen von vor allem jüdischen Kommunist*innen in den frühen 1950er Jahren in verschiedenen osteuropäischen Staaten.

In der zweiten Gesprächsrunde wurden weitere auch unter NS-Verfolgten strittige Themen angesprochen. Sonja Kosche berichtete über die Kontinuität der Verfolgung und Diskriminierung von Sinti und Roma. Der Jurist Kamil Majchrzak berichtete über die besonderen Probleme als Enkel eines Auschwitz-Birkenau-Häftlings. Der Musiker Andrej Hermlin hielt ein leidenschaftliches Plädoyer gegen jeden Antisemitismus.

Die Veranstaltung war der Abschluss der Werkstattgespräche der Nachkommen der Widerstandskämpfer. Doch für Wörsching und den Projektkoordinator Marco Pompe ist die Arbeit noch lange nicht zu Ende. Im Dezember soll eine Broschüre mit den Berichten der Nachkommen erscheinen. Vielleicht findet das Projekt eines Gesprächskreises der Nachfahren der Widerstandskämpfer*innen in anderen Regionen Deutschlands Nachahmer*innen. Angesichts von AfD-Politiker*innen, die eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad fordern, wäre das dringend notwendig.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1106539.antifaschismus-wenn-die-eltern-im-widerstand-waren.html

Peter Nowak

Der Weltmeister knausert

Die polnischen Reparationsforderungen wegen der Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg empören Regierung und Medien in Deutschland. Die polnische Regierung gibt sich hartnäckig.

Wer Warschau in den vergangenen Jahren einen Besuch abgestattet hat, konnte in der historischen Innenstadt eine Fotoausstellung sehen. Auf den Bildern waren die vollständig zerstörten Straßenzüge am Ende des Zweiten Weltkriegs zu sehen. Die Besucher wurden zudem in mehreren Sprachen ­darüber informiert, dass Deutschland für diese Zerstörung verantwortlich sei. Das kam hierzulande nicht gut an, schließlich möchte der Aufarbeitungsweltmeister nicht von anderen an die Verbrechen Nazideutschlands erinnert werden. Die polnische Regierung wurde mehr oder weniger offen darauf hingewiesen, dass man gemeinsam Mitglied der Nato und der EU sei und es daher anachronistisch wirke, weiter derart an die Vergangenheit zu erinnern.

Die Tafeln wurden in einer Zeit aufgestellt, als die nationalistische Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) bereits in einer Koalition mit anderen rechten Parteien die polnische Regierung stellte. PiS brachte erstmals die Forderung nach deutschen Reparationen auf. 2004 beschloss das polnische Parlament einmütig, die Regierung möge mit Deutschland in dieser Sache in Verhandlungen treten. Dies war auch eine Reaktion auf die vorangegangene Ankündigung deutscher Vertriebenenorga­nisationen, Entschädigungsforderungen an Polen zu stellen. Doch die damals schnell wechselnden polnischen Regierungen nahmen keine Verhandlungen auf, die seit 2007 die Regierung führende, Deutschland freundlich gesinnte konservative Bürgerplattform (PO) um Donald Tusk hatte kein Interesse an dem Thema.

Die PiS kündigt eine »historische Gegenoffensive« an

Seit ihrem Wahlsieg 2015 muss PiS keine allzu große Rücksicht mehr auf die mitregierenden Parteien Polen Zusammen und Solidarisches Polen nehmen, die auf der Wahlliste PiS kandidierten. Die Partei baut Polen innenpolitisch in einen autoritären Staat um und hat kürzlich das Thema Reparationen erneut in die Diskussion gebracht. Bereits Ende Juli hatte der Parteivorsitzende Jarosław Kaczyński eine »historische Gegenoffensive« angekündigt: »Wir reden über gewaltige Summen und auch über die Tatsache, dass Deutschland sich viele Jahre lang geweigert hat, die Verantwortung für den Zweiten Weltkrieg zu übernehmen.« Die Reparationsforderungen sind in der polnischen Bevölkerung populär, die Erinnerung an die Zerstörung vieler Orte und die Verbrechen der Deutschen ist nach wie vor sehr lebendig.

»Reparationen sind eine notwendige Konsequenz des durch Deutsche staatlich organisierten und durchgeführten Völkermordes und anderer Verbrechen gegen die Menschheit. Eine echte Wiedergutmachung ist angesichts des singulären Ausmaßes jedoch nicht leistbar. Die Gelder könnten aber in eine neu zu gründende deutsch-polnische Stiftung fließen, die sich der so­zialen Betreuung der hochbetagten Überlebenden und der Bearbeitung transgenerationeller Traumata bei Nachkommen widmet und anders, als es heute der Fall ist, langfristig die ­Erinnerungs- und Bildungszusammenarbeit zu Shoah, Nationalsozialismus und Antikriegsforschung in beiden Ländern sicherstellt«, kommentiert Kamil Majchrzak, ein Vorstandsmitglied des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora (IKBD), die polnischen Forderungen. Insgesamt sechs Millionen polnische Staatsbürger kamen zwischen 1939 und 1945 kriegsbedingt ums Leben. Weitere zehn Millionen wurden Opfer deutscher Verbrechen. Gemessen an der Bevölkerungszahl und dem Gesamtvermögen hat Polen im Zweiten Weltkrieg von allen europäischen Staaten die meisten Toten und die höchsten materiellen Verluste zu beklagen. Die Deutschen und ihre Hilfstruppen waren für die Massenmorde an der jüdischen Bevölkerung verantwortlich. Die deutschen Vernichtungslager wurden auf polnischem Territorium errichtet.

Regierungssprecher Steffen Seibert reagierte wie immer, wenn es um Reparationen geht: Deutschland bedauert heftig, die Kasse bleibt dennoch geschlossen

.
Der deutsche Regierungssprecher Steffen Seibert reagierte wie immer, wenn Überlebende oder Nachkommen der Opfer der deutschen Verbrechen Reparationen fordern. Deutschland stehe zu seiner Verantwortung für die »unfassbaren Verbrechen« des Zweiten Weltkriegs, betonte er am 8. September. Polen habe jedoch 1953 auf weitere Forderungen verzichtet und dies mehrfach bestätigt. Die deutsche Regierung verwies darauf, dass die DDR Entschädigungen an Polen gezahlt habe, weshalb die Frage abschließend geregelt sei. Deutschland bedauert also heftig, die Kasse soll dennoch geschlossen ­bleiben.

In einem Anfang September veröffentlichten 40seitigen Gutachten kommt der Wissenschaftliche Dienst des polnischen Parlaments Sejm jedoch zu anderen ­Ergebnissen als die Bundesregierung. Die einseitige Erklärung der polnischen Regierung vom 23. August 1953, in der sie den Verzicht auf weitere Kriegsreparationen erklärte, galt nach Ansicht der Autoren nur für die DDR. Zudem sei die Erklärung auch formal ungültig. Der damalige Beschluss des polnischen Ministerrats habe gegen die Verfassung verstoßen, weil nicht der Ministerrat, sondern der Staatsrat für die Ratifizierung und Kündigung völkerrechtlicher Verträge zuständig gewesen sei. Die Höhe der ausstehenden Entschädigungen wurde in dem Gutachten nicht genannt. Aus dem Umfeld der polnischen Regierung wurde eine Summe von 840 Milliarden Euro ins Gespräch gebracht. Nach dem Krieg wurden die von Deutschland verursachten materiellen Schäden am polnischen Staats- und Privateigentum den Autoren zufolge auf 48,8 Milliarden US-Dollar geschätzt.

Deutschland lehnt ab, aber Polen ist nicht Griechenland

Nicht nur die Bundesregierung, sondern auch ein Großteil der deutschen Medien lehnt die polnische Forderung vehement ab. Der Tagesspiegel urteilte, das »Beharren der PiS auf Reparationen« wirke »provozierend undankbar«. Im Spiegel wurde die Berichterstattung mit einem leicht revanchistischen Unterton versehen: »Die Position der Warschauer Parlamentsexperten berücksichtigt wohl auch zu wenig, dass Polen nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem mit deutschem Territorium entschädigt wurde. Die Siegermächte hatten sich darauf geeinigt, dem Land Teile Ostpreußens, Schlesiens, Pommerns und des östlichen Brandenburgs zuzuschlagen. Millionen Deutsche wurden von dort vertrieben, sie hinterließen Privatbesitz, Häuser und Fa­briken.« Polen hält demnach »deutsches Territorium« in seinem Besitz – und soll offenbar deshalb stillhalten.

Michael Wuliger erinnerte in einer Kolumne in der Jüdischen Allgemeinen an den polnischen Antisemitismus. »Ob die Forderung Erfolg haben wird, ist fraglich. Falls aber wider Erwarten Deutschland tatsächlich zahlt, sollte Warschau einige der Milliarden vorsorglich beiseite legen. Denn offene Rechnungen hätte auch Polen zu begleichen – mit seinen jüdischen Bürgern«, schreibt Wuliger und verweist auf zahlreiche Pogrome gegen Jüdinnen und Juden, die den NS-Terror überlebt hatten. Das ist eine vernünftige Forderung, die sich wohltuend abhebt vom Beleidigtsein und von der kategorischen Zahlungsverweigerung in Deutschland, wo man es fast unisono als Zumutung empfindet, auch 72 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs noch mit Reparationsforderungen konfrontiert zu werden.

Ignoriert wird dabei, dass bundesdeutsche Politiker bereits unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg möglichst keine Reparationen zahlen und die deutschen Verbrechen mit der Zerstörung deutscher Städte und der Aufnahme der deutschen Flüchtlinge nach 1945 verrechnen wollten. Zahlte die Bundesrepublik Reparationen, war immer ein politischer und juristischer Kampf vorausgegangen. Die neuen polnischen Forderungen wird Deutschland wohl nicht so abbügeln können wie die der griechischen Regierung. Als der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras im vergangenen Jahr daran erinnerte, dass Deutschland bei Griechenland noch Schulden aus der Besatzungszeit habe, schlugen ihm hierzulande kalter Hohn, Verachtung und offene Ressentiments entgegen. Mit der harten Austeritätspolitik, die vor allem von ihr diktiert wurde, hat die deutsche Regierung ein Instrument, mit dem sie die griechische Regierung kleinhalten kann. Für Polen, das nicht zur Euro-Zone gehört, gilt das nicht. Das Land dürfte sich deshalb nicht so leicht von seinen Forderungen abbringen lassen.

https://jungle.world/artikel/2017/38/der-weltmeister-knausert

Peter Nowak

Noch nicht Geschichte

VVN-Konferenz mahnt

In eindringlichen Worten beschwor der 90-jährige Volkmar Harnisch die Anwesenden, dem Aufstieg einer neuen rechtspopulistischen Bewegung in Deutschland entgegen zu treten. Er war 1944 im Alter von 17 Jahren von den Nazis inhaftiert worden. Am Freitagabend eröffnete er in der TU Berlin eine Konferenz der Vereinigten der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistischen (VVN-BdA). Unter dem Titel »Deutschland wieder gutgemacht?« befasste sie sich mit dem Wandel der Erinnerungspolitik an das NS-Regime. Harnisch ist einer der wenigen noch lebenden Widerstandskämpfe

Wie wird eine Erinnerungspolitik ohne die Zeitzeugen aussehen? Das ist eine Frage, die sich auch der Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme Detlef Garbe in seinem Einführungsreferat stellte. Er warnte vor einem »Aufarbeitungsstolz« deutscher Politiker, die eine neue Rolle Deutschlands in der Weltpolitik damit begründen, dass das Land sich der NS-Geschichte vorbildlich gestellt habe. Garbe erinnerte daran, dass bis in die 1980er Jahre der Kampf um Erinnerungsorte von NS-Terror und Verfolgung eine Aufgabe zivilgesellschaftlicher Organisationen war und von der Politik oft ignoriert oder gar sabotiert wurde. Er betonte, Gedenkpolitik müsse auch weiterhin politisch verunsichern. Wenn die AfD in den Bundestag einziehe, stünden ihr auch Sitze in Kommissionen zu, die sich mit Gedenkpolitik befassen. Zudem beklagte der Historiker daraufhin, dass der Etat für die Aufarbeitung der DDR-Geschichte größer sei als für die Erinnerung an den NS-Terror. Der Publizist Wolfgang Herzberg wiederum, der als Kind jüdischer Kommunisten im britischen Exil geboren wurde, verwahrte sich in einer engagierten Rede gegen die Gleichsetzung der DDR mit dem NS-Regime.

In einer von der Historikerin Cornelia Siebeck moderierten Podiumsdiskussion ging es dann um die Frage, wie eine Erinnerungspolitik aussehen kann, die in die aktuelle Politik kritisch intervenieren will. Nach dem Tod der letzten Zeitzeugen befürchtet sie eine Historisierung des Faschismus. Der Publizist und Jurist Kamil Majchrzak verwies in diesem Kontext auf die Verantwortung der dritten Generation, der Kinder und Enkel von NS-Opfern und Widerstandskämpfern. Dabei griff er eine Diskussion auf, die in Israel schon einige Jahre geführt wird. Majchrzaks Großvater war NS-Widerstandskämpfer und KZ-Häftling. Dessen Erfahrungen hätten auch ihn geprägt.

Für Anne Allex von der AG »Marginalisierte gestern und heute« ist Geschichte der Verfolgung in der NS-Diktatur noch längst nicht vollständig erforscht. Sie wies daraufhin, dass Menschen, die von den Nazis als »arbeitsscheu« und »asozial« klassifiziert wurden, bis heute keine Entschädigung erhalten haben und in den Nachkriegsjahren oft weiter verfolgt wurden. Der Wissenschaftler Stefan Heinz, der in einem Forschungsprojekt der FU Berlin über das Schicksal von Gewerkschaftern und Gewerkschafterinnen im NS-Staat mitarbeitet, ist der Überzeugung, dass vor allem die Widerstandsgeschichte der Arbeiterbewegung gegen die Hitlerdiktatur noch nicht ausgeforscht sei.

Die gutbesuchte Konferenz machte deutlich, dass die Gruppe jener wächst, die sich gegen Versuche stemmt, die Erinnerungspolitik an die Verbrechen des NS-Staates als vergangene Geschichte zu betrachten.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1063300.noch-nicht-geschichte.html

Peter Nowak

Das Konzentrationslager und Zuchthaus Sonnenburg

Ein KZ zur Ausschaltung der Arbeiterbewegung

Das Konzentrationslager und Zuchthaus Sonnenburg. (Hrsg. Hans Coppi, Kamil Majchrzak). Berlin: Metropol, 2015. 240 S., 19 Euro

«Sonnenburg symbolisiert wie kaum ein anderer Ort Beginn und Ende der zwölf Jahre währenden Schreckensherrschaft des NS-Regimes», heißt es im Klappentext. In knapp 30 Aufsätzen informiert das Buch über die Geschichte des KZ und Zuchthaus Sonnenburg, Historiker aus Polen, Frankreich, Luxemburg, Belgien und Deutschland, sowie Angehörige der Opfer des KZ und Zuchthaus Sonnenburg kommen dabei zu Wort.
Lange Zeit war dieser Terrorort, der heute im westpolnischen Slonsk liegt, vergessen. In den ersten Jahren der NS-Herrschaft war der Ort als «Folterhölle Sonnenburg» weltbekannt – daran erinnert der polnische Historiker Andrzej Toczewski in seinem Überblicksartikel. Im April 1933 wurden die ersten Häftlinge in das Lager verschleppt. Es waren überwiegend Berliner Kommunisten. Aber auch die drei bekannten linken Intellektuellen Carl von Ossietzky, Erich Mühsam und Hans Litten wurden in Sonnenburg gefoltert. Alle drei überlebten das NS-System nicht.
Dass das Zuchthaus bereits in den 20er Jahren bekannt wurde, dafür sorgte der rebellische Linkskommunist Max Hölz, der dort inhaftiert war. Eine internationale Solidaritätsbewegung forderte seine Freilassung. Körbeweise trafen in diesen Jahren Solidaritätsbriefe im Zuchthaus ein. Auch in der Sowjetunion war Sonnenburg durch Hölz damals ein Begriff. Wegen schlechter hygienischer Bedingungen wurde das Zuchthaus 1931 von der preußischen Landesregierung geschlossen, was in der Bevölkerung auf Widerstand stieß. Schließlich war der Knast ein wichtiger Arbeitgeber. Die NSDAP konnte mit dem Versprechen, es wieder zu öffnen, in der Region Stimmen gewinnen.
Das Versprechen wurde schnell eingelöst. Sonnenburg wurde in der frühen NS-Zeit zu einem wichtigen Konzentrationslager für Berliner Linke. Über den Empfang der Gefangenen schrieb der kommunistische Widerstandskämpfer Klaas Meyer: «Es wurde mit allerhand Mordwerkzeugen, mir lief das Blut schon durch das Gesicht … Die ganze Bevölkerung war vertreten, wir wären Reichstagsbrandstifter. Eltern und Kinder schlugen nach uns und wir wurden angespuckt.» Der Politologe Christoph Gollasch verweist auf weitere Berichte über Folterungen in Sonnenburg und nennt den Ort «ein KZ zur Ausschaltung der Arbeiterbewegung».
Nach der Auflösung des KZ wurde Sonnenburg als Zuchthaus genutzt. Dorthin wurden während des Zweiten Weltkriegs aus ganz Europa Nazigegner, die von der Straße weg verhaftet wurden, verschleppt. Diese sogenannten Nacht- und Nebelgefangenen wurden hier unter besonders unmenschlichen Bedingungen festgehalten. Die Sterberate war hoch. Daniel Quaiser geht auf das Massaker ein, bei dem in der Nacht vom 30. auf den 31.Januar 1945 insgesamt 819 Gefangene von der Gestapo erschossen wurden, kurz bevor die Rote Armee das Lager befreien konnte. Viele der Opfer konnten trotz Bemühungen der Angehörigen aus verschiedenen europäischer Ländern nie identifiziert werden.
Der Jurist Kamil Majrchrzak berichtet über die juristische Aufarbeitung der Verbrechen in Polen. In der BRD hingegen wurden der für das Massaker verantwortliche SS-Sturmbannführer Heinz Richter und SS-Hauptsturmbannführer Wilhelm Nickel am 2.August 1971 vor dem Kieler Landgericht freigesprochen. Mittlerweile hat die polnische Justiz die Ermittlungen wieder aufgenommen.
Schon in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts hatte eine Gruppe von Antifaschisten in Westberlin mit der Erforschung der Geschichte des KZ Sonnenburg begonnen. Mit dem Umbruch von 1989 kam diese Arbeit zunächst zum Erliegen. Ab 2010 beschäftigten sich Mitglieder der Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) mit der Geschichte von Sonnenburg. Sie gründeten dafür einen gesonderten Arbeitskreis. So konnten auch noch die Arbeitsergebnisse aus den 80er Jahren mit einfließen. Es möge dem Buch gelingen, Sonnenburg zu einem europäischen Gedenkort zu machen, damit die Opfer des KZ nicht vergessen werden.

aus: SoZ 6/2015

Das Konzentrationslager und Zuchthaus Sonnenburg

von Peter Nowak

»Die Russen sind da!«

In Polen steht das Ende des Zweiten Weltkriegs für den Beginn einer neuen Besatzungszeit.

Geht es nach dem polnischen Präsidenten Bronislaw Komorowski,  soll der 8. Mai in diesem Jahr zu einem geschichtsrevisionistischen  Spektakel werden.  An  diesem Tag will er die Staats- und Regierungschefs aller EU-Staaten  auf die Westerplatte bei  Gdańsk zu einer Konferenz  begrüssen. auf der eine Lesart der Geschichte europäisiert werden soll, die in den letzten Jahren in Polen zum Allgemeingut geworden ist. Ihr zufolge hat die Rote Armee Polen im Frühjahr 1945 besetzt und die Befreiung habe erst 1989  stattgefunden. Es ist verständlich, dass  auf einer solchen Konferenz  ein Vertreter der russischen Regierung  keinen Platz hat.

Auf der Westerplatte, auf der die Deutschen mit einem Schuss ausder Kanone eines Panzerkreuzersd den Zweite Weltkrieg eröffneten, soll  am 8. Mai  der  in Russland weiter gepflegten sowjetischen Geschichtserzählung die Perspektive der  Länder entgegenstellen werden, für die 1945 keine volle nationale Freiheit gebracht hat, heißt es in polnischen Medien. Das Gedenken dürfe nicht politisiert werden,  entgegnete der  polnische Präsident den Kritikern, die an den historischen Fakt erinnern, dass  die Rote Armee mit großen Opfern die deutsche Wehrmacht  aus Polen vertrieben hat.

Der absichtsvolle  Ausschluss Russlands als Rechtsnachfolger der Sowjetunion hat für die Vertreter der aktuellen polnischen Geschichtspolitik allerdings mit Politik nichts zu tun; er zählt zur polnischen Staatsraison. Damit werden allerdings nicht nur die Angehörigen der Roten Armee aus der offiziellen Gedenkpolitik ausgeschlossen.  „Die  vielfältigen Organisationsformen des antifaschistischen Widerstands in Polen und insbesondere die Bedeutung der 1. und 2. Polnischen Armee, die Seite an Seite mit der Roten Armee kämpfte,  werden heute in Polen kaum gewürdigt. Die Befreiung vom Faschismus im Mai 1945 wird in den Schulbüchern nicht als Befreiung, sondern Beginn einer neuen Besatzungsperiode gedeutet. Nicht der Kampf gegen den deutschen Faschismus und Nationalismus wird hervorgehoben, sondern der eigene Nationalismus verklärt“,  kritisiert der  Jurist und Publizist Kamil Majchrzak die neue polnische Geschichtspolitik.   Einen zentralen Grund für das Verschweigen des linken polnischen Beitrags bei der Zerschlagung des NS  sieht er darin, dass die Kombattanten nicht nur gegen die deutschen    Besatzer kämpften, sondern für eine grundlegende gesellschaftliche Umgestaltung  in Polen eintraten.

Nach neueren historischen    Forschungen beteiligten  sich an den Kämpfen um Berlin insgesamt 170 000 polnische Soldaten .12 000 von ihnen kämpften in der Berliner Innenstadt gegen die letzten  Nester von Wehrmacht und Volkssturm.  An den verschiedenen Fronten kämpften nach Majchrzaks Recherchen ca. von 600.000   polnischen Kombattanten gegen die Wehrmacht.   Ihr Beitrag zur  Zerschlagung des NS wird   heute in Polen ignoriert, weil sie an der Seite der Roten Armee kämpften.

Selbst die Rolle der Roten Armee bei der Befreiung von Auschwitz ist in der heutigen offiziellen Geschichtspolitik zumindest  strittig.  Der polnische Präsident Komorowski  erklärte  in einem Interview mit der  Gazeta Wyborcza,  den Häftlingen von Auschwitz könne man nicht absprechen, dass sie sich von den sowjetischen Truppen befreit fühlten. Dies habe aber nicht für alle Menschen in Ostmitteleuropa gegolten. Dass die  letzten Überlebenden von Auschwitz von der Roten Armee real befreit wurden, kam ihm nicht über die Lippen.

Polens Außenminister Grzegorz Schetyna  versuchte  mit der These, Auschwitz sei nicht von „Russen“, sondern von Ukrainern befreit worden, die neue polnische Geschichtsdoktrin auszuweiten. Er  begründete seine Auffassung auf den Umstand, dass die 1945 in Südpolen operierenden sowjetischen Einheiten der „1. Ukrainischen Front“ angehörten. Dieser eigenwilligen Geschichtsinterpretation  konterte das russische Außenministerium mit einer Erklärung,  in der  dem Außenminister Wissenslücken attestiert worden. „Es ist allgemein bekannt, dass das KZ Auschwitz von den Truppen der Roten Armee befreit wurde, in der Vertreter vieler Nationalitäten heldenhaft kämpften“, heißt es darin.

Unter den sowjetischen Soldaten der sogeannten  Ukrainischen Front, die Auschwitz befreiten, viele Juden. Etwa Anatolij Schapiro; er  öffnete als erster Soldat der Roten Armee das Tor von Auschwitz öffnete und wurde von den Überlebenden  mit  dem Jubelschrei „Die Russen sind da!“  begrüßt.         Den  Angehörigen  der Ukrainischen Front  in der Roten Armee stand die nationalistische  ukrainische  Bewegung gegenüber, die sich im Kampf gegen die Sowjetunion     mit Nazideutschland verbündete und schon unmittelbar nach dem Einmarsch der Wehrmacht mit den Massenmorden an den ukrainischen Juden  begann. Führende Köpfe dieser Bewegung,  zum Beispiel  Stephan Bandera,  werden in der heutigen Ukraine rehabilitiert und als Freiheitskämpfer gegen Russland gefeiert. Daher ist es eine besonders perfide Geschichtsklitterung, wenn der polnische Außenminister diese Ukraine heute in die Tradition der Auschwitzbefreier stellt.

Nicht nur als Befreier vom NS   auch als Opfer der Nazis sind Kommunisten in der neuen polnischen Gedenkpolitik nicht vorgesehen. Die Konsequenzen   bekamen Angehörige von  NS-Opfern  aus verschiedenen europäischen Ländern zu spüren. Sie wollten am 30. Januar 2015 im westpolnischen Slonsk an der  Einweihung   der neu gestalteten  Ausstellung über das Konzentrationslager  und Zuchthaus Sonnenburg  teilnehmen.  „Sie waren eingeladen aber nicht willkommen. Nur unter großen Schwierigkeiten kamen sie in den Saal, in dem die Eröffnungsveranstaltung stattfand. Dort wurden sie nicht begrüßt. Als die Ausstellung eröffnet wurde, mussten sie vor dem Museum warten bis die Führung für die offiziellen Gäste beendet war“, heißt es in einer Pressemitteilung  des Internationalen Arbeitskreises zum Gedenken an die Häftlinge des KZ und Zuchthauses Sonnenburg bei der Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA).

In  Sonnenburg wurden  bereits im Frühjahr 1933 hunderte Kommunisten und bekannte linke Nazigegner wie Erich Mühsam, Carl  von Ossietzky und  Johannes Litten inhaftiert und gefoltert. Nach dem 2. Weltkrieg wurden sogenannte Nacht-und Nebel-Gefangene aus ganz Europa nach Sonnenburg verschleppt.  819 Gefangenen wurden  in  der Nacht vom 31. Januar 1931 von einem SS-Kommando erschossen, kurz bevor die  Roten Armee das Lager erreichte?    Ob der polnischen Präsidenten den wenigen  Gefangenen, die sich vor dem Massaker verstecken konnten, wohl  ausnahmsweise zugesteht, dass die   von der Roten Armee real und nicht nur gefühlt befreit  wurden?

aus: Konkret 5/2015

http://www.konkret-magazin.de/hefte/heftarchiv/id-2015/heft-52015/articles/in-konkret-1488.html

Peter Nowak

KZ Sonnenburg

Das KZ und Zuchthaus Sonnenburg, im heutigen westpolnischen Slonsk gelegen, war lange Zeit vergessen. In den ersten Jahren der NS-Herrschaft war der Ort als »Folterhölle Sonnenburg« weltbekannt. Im April 1933 wurden die ersten Häftlinge in das Lager verschleppt, überwiegend Berliner Kommunist_innen. Auch die drei bekannten linken Intellektuellen Carl von Ossietzky, Erich Mühsam und Hans Litten wurden in Sonnenburg gefoltert. Über den Empfang der Gefangenen schrieb der kommunistische Widerstandskämpfer Klaas Meyer: »Es wurde mit allerhand Mordwerkzeugen geschlagen, mir lief das Blut schon durch das Gesicht. (…) Die ganze Bevölkerung war vertreten, wir wären Reichstagsbrandstifter. Eltern und Kinder schlugen nach uns und wir wurden angespuckt«. Während des Zweiten Weltkriegs wurden Nazigegner_innen aus ganz Europa nach Sonnenburg verschleppt. Die Sterberate war hoch. Daniel Quaiser geht in seinen Aufsatz auf das Massaker ein, bei dem in der Nacht vom 30. auf den 31. Januar 1945 insgesamt 819 Gefangene von der Gestapo erschossen wurden, kurz vor der Befreiung durch die Rote Armee. Kamil Majrchrzak berichtet über die juristische Aufarbeitung der Verbrechen in Polen. In der BRD hingegen wurden die für das Massaker verantwortlichen SS-Männer Heinz Richter und Wilhelm Nickel 1971 vom Kieler Landgericht freigesprochen. Mittlerweile hat die polnische Justiz die Ermittlungen wieder aufgenommen. Ein Grund mehr, sich an die Geschichte Sonnenburgs und seiner Opfer zu erinnern.

http://www.akweb.de/ak_s/ak603/15.htm

Peter Nowak

Hans Coppi und Kamil Majchrzak (Hg.): Das Konzentrationslager und Zuchthaus Sonnenburg. Metropol Verlag, Berlin 2015. 240 Seiten, 19 EUR.

Im Schatten

Im polnischen Słońsk ist eine Ausstellung eröffnet worden, die an das dortige ehemalige Konzentrationslager erinnert.

»Wer ins polnische Słońsk kommt, sollte unbedingt Zeit mitbringen«, heißt es auf der Homepage der »Initiative Kulturbrücke über die Oder«, die für eine deutsch-polnische Kulturbegegnung wirbt. Dort wird auf den Nationalpark Warthemündung mit seinen seltenen Vögeln und Pflanzen hingewiesen. Seit dem 31. Januar gibt es einen weiteren Grund, länger in dem polnischen Städtchen knapp 100 Kilometer östlich von Berlin zu verweilen. An diesem Tag wurde eine in deutsch-polnischer Kooperation und maßgeblich vom »Internationalen Arbeitskreis zum Gedenken an die Häftlinge des KZ und Zuchthauses Sonnenburg« der Berliner VVN-BdA konzipierte Ausstellung zur Geschichte des KZ Sonnenburg eröffnet. Sie erinnert an eine Zeit, die auf der Homepage der Kulturbrücke unter dem Stichwort »besonders dunkler Teil der Sonnenburger Geschichte« in einem kurzen Absatz abgehandelt wird.

»Sonnenburg symbolisiert wie kaum ein anderer Ort Beginn und Ende der zwölf Jahre währenden Schreckensherrschaft des NS-Regimes«, heißt es in der Ausstellung. Die in deutscher und polnischer Sprache erstellten Tafeln belegen diese Aussage detailliert. Bereits im Frühjahr 1933 wurden Kommunisten, Sozialisten und linke Intellektuelle aus Berlin und Brandenburg nach Sonnenburg verschleppt. Klaas Meyer, ein kommunistischer Seemann, beschrieb seine Begegnung mit der SA: »Es wurde mit allerhand Mordwerkzeugen geschlagen, den meisten lief das Blut schon durchs Gesicht. (…) Die ganze Bevölkerung war vertreten, man hatte ihnen gesagt, wir seien Reichstagsbrandstifter. Eltern und Kinder schlugen nach uns und wir wurden angespuckt.«

In der Ausstellung wird auch gezeigt, dass Sonnenburg nicht zufällig als Ort für das KZ ausgesucht wurde. Als 1931 das dortige Zuchthaus wegen katastrophaler hygienischer Zustände geschlossen wurde, regte sich im Ort, in dem das Zuchthaus ein zentraler Arbeitgeber war, Widerstand. Die NSDAP, die gegen die Zuchthausschließung agitierte, erzielte gute Wahlergebnisse.

Mehrere Tafeln dokumentieren die Gesichter der »Nacht-und-Nebel-Gefangenen«, die nach 1941 aus zahlreichen von Deutschland besetzten Ländern in das Zuchthaus verschleppt wurden. Kurz vor dem Eintreffen der Roten Armee erschoss die SS in der Nacht vom 30. auf den 31. Januar 1945 in Sonnenburg noch 819 Gefangene.

70 Jahre später reisten zur Eröffnung der Ausstellung auch viele Angehörige der Opfer aus Deutschland und diversen europäischen Ländern an. Doch nicht alle fühlten sich in Słońsk willkommen. Viele Angehörige mussten in der winterlichen Witterung vor der Halle warten, in der ein Vertreter des Fürstenhauses von Luxemburg bei der Gedenkveranstaltung für die Opfer des 30. Januar 1945 sprach. Der größte Teil der Erschossenen kam aus Luxemburg.

»Auch unsere Angehörigen waren Opfer«, sagt Jan Hertogen. Der belgische Forscher, der beim Internationalen Arbeitskreis der Berliner VVN mitarbeitete, war besonders empört, dass die Rede der belgischen Botschafterin bei der Gedenkveranstaltung aus Zeitgründen kurzfristig gestrichen worden war. »In Sonnenburg wurde mein Vater gequält und heute fühle ich mich an dem Ort wieder gedemütigt«, sagt Meina Voigt Schnabel zur Jungle World. Auch die Tochter des kommunistischen Seemanns Klaas Meyer, der bereits 1933 die Zustände in der »Folterhölle Sonnenburg« der Öffentlichkeit bekannt machte, bekam keinen Zutritt zur Gedenkveranstaltung.

Am Nachmittag organisierte der Arbeitskreis ein Treffen im Rathaus von Słońsk mit dem polnischen Staatsanwalt Janusz Jagiełłowicz, der die Kommission für die Verfolgung von Verbrechen im Zuchthaus Sonnenburg leitet. Die 1972 eingestellten Ermittlungen gegen die Verantwortlichen wurden im Februar 2014 wieder aufgenommen. Rechtzeitig zum 70. Jahrestag des Massakers haben Hans Coppi und Kamil Majchrzak im Metropol-Verlag das Buch »Das Konzentrationslager und Zuchthaus Sonnenburg« herausgegeben, das einen guten Überblick über die Geschichte dieses weitgehend vergessenen Ortes des NS-Terrors gibt.

http://jungle-world.com/artikel/2015/06/51382.html
Peter Nowak

„Von Versäumnissen ablenken“

Nach dem Bundestag hat auch der Bundesrat dem Gesetz zur Auszahlung der sogenannten Ghettorenten zugestimmt. Personen, die in einem nationalsozialistischen Ghetto arbeiten mussten, erhalten nun rückwirkend ab 1997 eine Rente – es sei denn, sie kommen aus Polen. Für diese Gruppe sei der polnische Versicherungsträger zuständig, behauptet die Bundesregierung bislang. Kamil Majchrzak ist Mitglied der »Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten«. Er setzt sich für die Auszahlung der Ghettorenten für polnische Juden ein.

Wem ist die Auszahlung der Ghettorenten zu verdanken?

Es ist der Ausdauer der ehemaligen Ghettoarbeiter, der engagierten Rechtsanwälte wie Simona Reppenhagen, der progressiven Richter wie Jan-Robert von Renesse, aber auch der engagierten Forscher wie Stephan Lehnstaedt zu verdanken, dass nun auch eine rückwirkende Zahlung von Ghettorenten ab 1997 an bestimmte Personen möglich ist.

Welche Folgen hatte die Verzögerung?

Wegen der totalen Verweigerungshaltung der Rentenversicherung bis 2009 und mancher bis heute andauernden Blockaden starben über 25 000 eigentlich berechtigte Überlebende, ohne je eine Rente erhalten zu haben, obwohl sie einen Antrag gestellt hatten. Nach wie vor sind nach Schätzungen etwa 15 000 bis 25 000 weitere Überlebende weltweit bei den Ghettorenten nicht berücksichtigt worden.

Weshalb werden Ghettoarbeiter aus Polen ausgenommen?

Um diese Diskriminierung zu rechtfertigen, beruft sich die Bundesregierung auf ein deutsch-polnisches Sozialabkommen von 1975. Das Abkommen hat aber nichts mit Ghettorenten zu tun, was auch der polnische Versicherungsträger ZUS mehrfach bestätigt hat.

Wie kann die Diskriminierung der polnischen Ghettoarbeiter beendet werden?

Es gibt praktisch nur zwei Wege, diese Ungleichbehandlung zu beenden. Entweder durch eine einseitige Verbalnote zum Zustimmungsgesetz zum Sozialabkommen von 1975 oder aber durch den Abschluss eines Ein-Punkt-Vertrags mit Polen, der lauten müsste: »Abweichend vom deutsch-polnischen Sozialabkommen haben Ghettobeschäftigte aus Polen, die die Kriterien von Paragraph 1 ZRBG erfüllen, einen Anspruch auf eine volle Ghettorente aus Deutschland.« Deutschland wird voraussichtlich den letzteren Weg wählen, um damit von seinen langjährigen Versäumnissen abzulenken und außenpolitisch sein Gesicht zu wahren.

http://jungle-world.com/artikel/2014/29/50242.html

Interview: Peter Nowak

Das vergessene Massaker

Der Opfer des Massakers im Konzentrationslager Sonnenburg wird in Frankreich, Luxemburg und Polen gedacht. In Deutschland findet das KZ Sonnenburg hingegen selten Erwähnung.

Das Konzentrationslager Sonnenburg war bereits 1934 zum Inbegriff des NS-Terrors geworden. Dazu hatte ein Bericht des KPD-Politikers Rudolf Bernstein beigetragen, der unter der Überschrift »Folterhölle Sonnenburg« in der in Prag herausgegebenen Arbeiter Illustrierten Zeitung (AIZ) erschienen war. Bernstein war wie Hunderte Nazigegner nach dem Reichstagsbrand am 27. Februar 1933 verhaftet worden. Weil die Gefängnisse in Berlin schnell überfüllt waren, nahmen die Nazis das ehemalige Zuchthaus Sonnenburg wieder in Betrieb.

Diese war 1930 von der preußischen Regierung wegen katastrophaler hygienischer Verhältnisse geschlossen worden. Gegen die Schließung hatte die NSDAP bereits damals protestiert und, wie die Wahlergebnisse zeigen, in der Region des damaligen Sonnenburg viel Zustimmung erhalten. Wenige Wochen nach dem Beginn ihrer Regierungsbetei­ligung machten die Nazis ihr Versprechen wahr. Bis zu 1 000 Häftlinge, in ihrer großen Mehrheit Kommunisten aus Berlin und Umgebung, aber auch prominente Pazifisten wie Carl von Ossietzky und Erich Mühsam sowie der Rechtsanwalt Hans Litten wurden dort ab April 1933 in die beengten Zellen gepfercht. Dort litten sie unter der miserablen Verpflegung und waren durch die SA-Wachmannschaften ständigen Demütigungen und Folter ausgesetzt. Das KZ wurde im April 1934 geschlossen. Einige Häftlinge, darunter Bernstein, wurden entlassen, viele wurden in andere Konzentrationslager verschleppt. Mühsam, Ossietzky und Litten überlebten das NS-Lagersystem nicht. Vom Beginn des Zweiten Weltkriegs an wurde das Gebäude wieder als Zuchthaus genutzt.

Ab 1942 waren dort sogenannte »Nacht- und Nebelhäftlinge« aus sämtlichen okkupierten Ländern inhaftiert. Viele von ihnen gehörten zu den über 800 Häftlingen, die in der Nacht vom 30. zum 31. Januar 1945 im Hof des Zuchthauses wenige Stunden vor der Befreiung durch die Rote Armee von einem SS-Kommando erschossen wurden. Opfer dieses größten Massakers in der Endphase des NS-Regimes waren Gefangene aus allen von der Wehrmacht besetzten europäischen Ländern. Besonders groß war der Anteil der Opfer aus Frankreich und Luxemburg. In diesen Ländern ist der Jahrestag des Massakers ein Gedenktag. In Deutschland hingegen ist das KZ Sonnenburg fast vergessen.

Obwohl das Massaker in Sonnenburg bereits durch die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse bekannt geworden war, wurde niemand dafür verurteilt. Zahlreiche Folterer aus Sonnenburg, wie Emil Krause oder Wladislaus Tomschek, setzten in der Bundesrepublik ihre Arbeit als Wachpersonal in Haftanstalten bis zu ihrer Verrentung fort. Die für das Massaker verantwortlichen Gestapo-Männer Heinz Richter und Wilhelm Nickel wurden 1970 vom Kieler Landgericht freigesprochen.

Das Gedenken an die Opfer haben hingegen Gruppen und Einzelpersonen aus der Region des seit 1945 zu Polen gehörenden Słońsk aufrechterhalten. So wurde 1974 auf Initiative des polnischen Staatsanwalts Przemysław Mnichowski, des Leiters der lokalen Hauptkommission zur Erforschung der deutschen Verbrechen in Polen und an der Bevölkerung in der Region Słońsk, ein Museum errichtet. Auch das jährliche Gedenken an das Massaker wird von der Gemeinde Slońsk organisiert und getragen. Seit einigen Jahren beteiligen sich auch Mitglieder der Berliner Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) daran. »Aus den dort geführten Gesprächen ist die Idee zu einer gemeinsamen Tagung in Słońsk entstanden«, sagt Kamil Majchr­zak der Jungle World. Der Publizist ist Mitbegründer des Arbeitskreises zur Geschichte des Konzentrationslagers und des Zuchthauses Sonnenburg bei der Berliner VVN-BdA. Bei der Tagung, die am 13. September stattfinden soll, werden Angehörige der Opfer des Massakers aus verschiedenen europäischen Ländern über das Erinnern und Gedenken nach 1945 sprechen.

Damit setzt die VVN-BdA die 2012 begonnene Kooperation mit polnischen Zeitzeugen und Widerstandskämpfern fort, durch die einer größeren Öffentlichkeit bekannt wurde, dass fast 200 000 polnische NS-Gegner 1945 an der Schlacht um Berlin teilnahmen. Einige der noch lebenden polnischen Befreier und ihre Angehörigen hatte die VVN-BdA im Mai vorigen Jahres nach Berlin eingeladen. Am diesjährigen Tag der ­Erinnerung in Berlin wird am 8. September mit Philip Bialowitz einer der letzten Überlebenden des Vernichtungslagers Sobibór aus Polen anreisen.

Die späte Würdigung des polnischen Widerstands zumindest in linken Kreisen ist umso bedeutender, weil nicht nur in Deutschland, sondern auch in Polen ehemalige NS-Widerstandskämpfer von Rechten unter Druck gesetzt werden. So verzichtete der polnisch-britische Soziologie Zygmunt Bauman nach antisemitischen und antikommunistischen Angriffen auf die Ehrendoktorwürde der Universität Breslau. »Wir sind Polen! Auf Wiedersehen, Kommunist! Wen hat der Bürgermeister eingeladen?« riefen die Störer, als Baumann in der Geburtsstadt von Ferdinand Lassalle eine Rede anlässlich des 150jährigen Jubiläums der Sozialdemokratie halten wollte. Im Deutschlandfunk setzte der nationalkonservative Publizist Łukasz Warzecha die Angriffe auf Bauman fort. Nicht die rechten Störer, sondern die Rede des jüdischen Antifaschisten erklärte er zum Skandal: »Für mich ist das dasselbe, wie wenn man einen ehemaligen SS-Mann einladen würde, der offen redet darüber, dass er in der SS war, sich dafür aber nicht entschuldigt, und er auch noch gefeiert wird.«

http://jungle-world.com/artikel/2013/36/48399.html

Peter Nowak

Datenweitergabe rechtswidrig

Gericht stärkte Rechte von Journalisten

Das Wiesbadener Verwaltungsgericht hat kürzlich mit einer Entscheidung die Rechte von Journalisten gestärkt, die sich bei Großveranstaltungen akkreditieren wollen. Danach ist die Weitergabe von Journalistendaten an das NATO-Hauptquartier rechtswidrig.

Geklagt hatte Kamil Majchrzak, der unter anderem für die polnische Ausgabe der Le Monde Diplomatique berichtet. Für diese Zeitung wollte er auch über den NATO-Gipfel schreiben, der im April 2009 in Straßburg, Baden-Baden und Kehl stattgefunden hatte. „Ich hatte bereits im Januar 2009 über das Internet eine Akkreditierung beantragt. Die NATO übermittelte meine persönlichen Daten daraufhin dem BKA. Die Behörde in Wiesbaden glich diese mit dem polizeilichen Informationssystem INPOL ab. Auf dieser Grundlage empfahl das BKA der NATO, die Akkreditierung abzulehnen“, berichtet Majchrzak.
für die Datenweitergabe habe die gesetzliche Grundlage gefehlt, so das Wiesbadener Gericht. Das BKA dürfe laut Gesetz personenbezogene Daten an Dienststellen der Stationierungsstreitkräfte oder an eine internationale kriminalpolizeiliche Organisation übermitteln. Diese Voraussetzungen träfen aber nicht auf das NATO-Hauptquartier in Brüssel zu.
Es war nicht der erste juristische Erfolg, den Majchrzak mit Unterstützung von ver.di errungen hat. Schon Anfang April 2009 verpflichtete die 6.Kammer des Verwaltungsgerichts Wiesbaden das Bundeskriminalamt per Einstweiliger Anordnung, die negative Stellungnahme zur Presseakkreditierung zurückzunehmen. Bei dem Vorgang, so das Gericht, habe es sich um die Übermittlung personenbezogener Daten und damit um einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gehandelt. Das BKA legte gegen diese Entscheidung mit Erfolg Beschwerde ein. Der hessische Verwaltungsgerichtshof hob die Eilentscheidung aus formalen Gründen auf. Das Verwaltungsgericht Wiesbaden hat dem Journalisten nun in der Sache Recht gegeben, aber Revision zugelassen.
Der Berliner Rechtsanwalt Sönke Hilbrans, der Majchrzak juristisch verteidigte, sieht in dem jüngsten Wiesbadener Urteil, das inzwischen rechtskräftig ist, positive Signale für die Rechte der Journalisten über den Fall seines Mandanten hinaus. „Die Entscheidung enthält insbesondere für die internationale Kooperation bei Akkreditierungsverfahren wichtige Hinweise. Nachdem sich für den Betroffenen und eine Anzahl anderer Journalisten schon zum G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm gezeigt hatte, dass die Datenabfragen vor Akkreditierungen rechtswidrig waren, kann diese Praxis jetzt auch für die NATO und andere internationale Organisationen nicht fortgesetzt werden, erklärte der Anwalt gegenüber M. Die Vorsitzende der dju Ulrike Maercks-Franzen mahnt eine Änderung der Akkreditierungspraxis bei sportlichen und politischen Großveranstaltungen an. Die dju hat sich zusammen mit dem Deutschen Presserat, der ARD und Verlegerverbänden auf Grundsätze und Eckpunkte bei der Akkreditierung geeinigt. Danach sollen Journalisten einen grundsätzlichen Rechtsanspruch auf Akkreditierung haben. Eine Ablehnung dürfe nur möglich sein, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Journalist durch sein Verhalten die Sicherheit stören könnte. Er muss darüber so rechtzeitig informiert werden, dass er Gelegenheit zu einer Stellungnahme hat.

http://mmm.verdi.de/archiv/2010/12/recht/datenweitergabe-rechtswidrig

   Peter Nowak