»Das System wird in Frage gestellt«

Irans Opposition geht wieder auf die Straße
Mila Mossafer war politische Gefangene in Iran und lebt in Berlin. Sie ist Mitbegründerin des Komitees zur Unterstützung der politischen Gefangenen in Iran-Berlin, dass sich 1997 während des Hungerstreiks oppositioneller Häftlinge in Iran mit dem Ziel gegründet hatte, die Gefangenen zu unterstützen und das für den Sturz des Regimes in Teheran eintritt. Aus Schutz vor Verfolgungen durch iranische Geheimdienste möchte Mila Mossafer nicht fotografiert werden
.
 
ND: Am 1. März gab es im Iran wieder Protestaktionen der Bevölkerung. Was war der Grund?
Mila Mossafer: Anlass der Demonstrationen war die Nachricht von der Verhaftung der beiden Politiker Mir-Hossein Mussawi und Mehdi Karubi und deren Verschleppung an einen unbekannten Ort. Bei den Protesten, die in Teheran, Maschhad, Schiras und Isfahan stattfanden, gingen nicht nur die Anhänger der beiden auf die Straße. Die Demonstranten forderten nicht nur die Freilassung dieser in den westlichen Medien gezielt zu Oppositionsführern erklärten Politkern, sondern die Freilassung aller politischen Gefangenen und den Sturz des islamischen Systems.

Geht die Opposition über den von Mussawi und Karubi eingeschlagenen Kurs hinaus?
Anders als in vielen westlichen Medien dargestellt, gehörte ein Großteil der iranischen Protestbewegung nie zu den Anhängern von Mussawi und Karubi. Beide waren jahrelang Funktionäre des islamischen Regimes und haben sich an der Unterdrückung Oppositioneller beteiligt. Sie haben immer betont, dass sie hinter der islamischen Verfassung und der islamischen Republik stehen. Ein Großteil der Protestierenden forderte aber schon bei den Demonstrationen im letzten Jahr den Sturz der islamischen Republik. Bei den jüngsten Protesten wurde noch deutlicher, dass die Bewegung sich nicht auf eine Verteidigung von Mussawi und Karubi reduzieren lässt. Die Demonstranten schweigen nicht mehr, ihre Parolen stellen das System insgesamt in Frage.

Fürchtet die Führung in Teheran, dass die Revolte in den Nachbarländern auf Iran übergreift?
Auf jeden Fall. Zu Beginn der Aufstände versuchte das Regime, die Bewegungen noch als Fortsetzung der islamischen Revolution zu vereinnahmen. Doch bald kamen keine Meldungen mehr. Die Opposition hat die Proteste genutzt, um wieder auf die Straße zu gehen. Die massive Repression, die bis zur Hinrichtung von Oppositionellen reichte, hatte dazu geführt, dass im letzten Jahr Straßenproteste nicht mehr möglich waren. Eine Parole bei den letzten Protesten lautete: »Mubarak, Ben Ali, jetzt Seyed Ali (Khamenei)«.

Wie steht um die Organisierung des Protests?
Bisher fehlt noch eine politische Organisation, die den Protesten, die sich nicht auf der Linie von Mussawi und Karrubi befinden, eine gemeinsame Plattform gibt. Es gibt allerdings Menschenrechtsorganisationen, wie die »Mütter vom Tulpenpark«. Der Name kommt von dem Park in Teheran, wo sich die Angehörigen von ermordeten politischen Gefangenen der 80er Jahre mit Angehörigen von Opfern der aktuellen Repression einmal in der Woche treffen. Am Anfang hatte sich die Gruppe unter anderem vor dem Eingang des berüchtigten Teheraner Ewin-Gefängnis getroffen.

Wie kann die Oppositionsbewegung von Deutschland aus unterstützt werden?
Wichtig ist zu erkennen, dass Debatten über militärische Angriffe auf Iran nicht der Opposition, sondern dem Regime nützen, weil dieses dann die nationalistische Karte spielen kann. Neben der Solidarität mit den Gefangenen sollte die linke Bewegung dafür sorgen, dass der Export von Technologien aus Deutschland, mit denen die Oppositionsbewegung bekämpft wird, gestoppt wird. So wurden die Handys von Oppositionellen mit Programmen abgehört, die von Siemens-Nokia stammen. Zudem sind auf Fotos Militärfahrzeuge von Daimler-Chrysler zu sehen, die gegen die Demonstranten eingesetzt werden.

 http://www.neues-deutschland.de/artikel/192481.das-system-wird-in-frage-gestellt.html

Fragen: Peter Nowak

Erst Mubarak, dann Ben Ali, jetzt Seyed Ali

Auch im Iran gehen die Menschen wieder auf die Straße, doch das Regime reagiert mit massiver Repression – ein Gespräch mit der Exiliranerin Mila Mossafer
Während die Niederschlagung des Aufstands in Libyen im Blickpunkt der Weltöffentlichkeit steht, ist es sehr ruhig um den Iran geworden, wo die starke Oppositionsbewegung im letzten Jahr Schlagzeilen machte. Auch im Iran hat sich die Protestbewegung wieder auf die Straßen zurück gemeldet. Die Regierung will mit Massenfestnahmen verhindern, dass sich die die Proteste ausbreiten und versucht auch zu verhindern, dass sie international bekannt werden. In den letzten Tagen sind nach Angaben von Oppositionellen mehr als 200 Menschen festgenommen worden, um weitere Proteste zu unterbinden. Wohl mit Erfolg.
   

Schon seit Monaten sind besonders Intellektuelle und Kulturschaffende im Visier des Regimes. Eine Kommission mit dem bezeichnenden Namen „Denkfabrik für eine sanfte Sicherheit“ hat sie zum Hauptfeind erklärt, wie der exiliranische Publizist Bahman Nirumand schreibt. In einer von dieser Denkfabrik vorgelegten Broschüre geraten auch Künstler ins Visier, die sich nicht explizit als Oppositionelle verstehen.

Über die aktuelle Situation im Iran sprach Peter Nowak mit Mila Mossafer. Die langjährige politische Gefangene im Iran lebt in Berlin und ist im Komitee zur Unterstützung der politischen Gefangenen im Iran-Berlin aktiv. Es wurde 1997 während eines Hungerstreiks von politischen Gefangenen im Iran mit dem Ziel gegründet, die politischen Gefangenen zu unterstützen und für den Sturz des islamischen Regimes einzutreten.

 Am 1. März gab es im Iran wieder Protestaktionen. Was war der Grund?

Mila Mossafer: Der Anlass der Demonstrationen war die Nachricht von der Verhaftung der beiden Politiker Mussawi und Karrubi und deren Verschleppung an einen unbekannten Ort. Bei den Protesten, die in Teheran, Maschhad, Schiras und Isfahan stattfanden, gingen nicht nur die Anhänger von Mussawi und Karrubi auf die Straße. Die Demonstranten forderten nicht nur die Freilassung dieser in den westlichen Medien gezielt zu Oppositionsführern erklärten Politikern, sondern die Freilassung aller politischen Gefangenen und den Sturz des islamischen Systems.

 Geht die Opposition über die von Mussawi und Karrubi eingeschlagenen Kurs hinaus?

Mila Mossafer: Anders als in vielen westlichen Medien dargestellt, gehörte ein Großteil der iranischen Protestbewegung nie zu den Anhängern von Mussawi und Karrubi. Beide sind jahrelange Funktionäre des islamischen Regimes und haben sich an der Unterdrückung Oppositioneller beteiligt. Sie haben immer betont, dass sie hinter der islamischen Verfassung und der islamischen Republik stehen.

Ein Großteil der Protestierenden forderte aber schon bei den Demonstrationen im letzten Jahr den Sturz der islamischen Republik. Bei den jüngsten Protesten wurde noch deutlicher, dass die Bewegung sich nicht auf eine Verteidigung von Mussawi und Karrubi reduzieren lässt. Die Demonstranten schweigen nicht mehr, und ihre Parolen stellen das System insgesamt infrage.

„Bisher fehlt noch eine politische Organisation“

 Fürchtet das Regime, dass die Revolte aus den Nachbarländern auf den Iran übergreift?

Mila Mossafer: Auf jeden Fall. Zu Beginn der Aufstände versuchte das Regime die Bewegungen noch als Fortsetzung der islamischen Revolution zu vereinnahmen. Doch bald kamen im Fernsehen und im Internet keine Meldungen über die Aufstände mehr. Die Opposition hat die Proteste genutzt, um wieder auf die Straße zu gehen. Die massive Repression, die bis zur Hinrichtung von Oppositionellen reichte, hatte dazu geführt, dass im letzten Jahr Straßenproteste nicht mehr möglich waren. Eine Parole bei den letzten Protesten lautete: „Mubarak, Ben Ali, jetzt Seyed Ali“. Damit ist geistige Führer des Iran Khamenei gemeint.

 Wie steht um die Organisierung des Protests?

Mila Mossafer: Bisher fehlt noch eine politische Organisation, die den Protesten, die sich nicht auf de Linie von Mussawi und Karrubi befinden, eine gemeinsame Plattform gibt. Es gibt allerdings Menschenrechtsorganisationen, wie die Mütter vom Tulpenpark. Der Name kommt von dem Park in Teheran, wo sich die Angehörigen von ermordeten politischen Gefangenen der 80er Jahre mit Angehörigen von Opfern der aktuellen Repression einmal in der Woche treffen. Am Anfang hatte sich die Gruppe u.a. vor dem Eingang des berüchtigten Teheraner Ewin-Gefängnis getroffen.

 Beteiligen sich auch Lohnabhängige an den Protesten?

Mila Mossafer: Es gibt regelmäßig Proteste und Streiks von Arbeitern um ihre unmittelbaren Interessen, wie den Kampf um nicht ausgezahlte Löhne und gegen schlechte Arbeitsbedingungen. Diese Proteste haben kaum Verbindung zu der Demokratiebewegung. Das liegt auch an einer fehlenden politischen Organisation, aber auch an der Verfolgung aktiver Gewerkschafter und Arbeiteraktivisten.

 Warum scheint das Regime in Teheran fester als in Ägypten oder in Tunesien die Macht zu behaupten?

Mila Mossafer: Die Bedingungen sind unterschiedlich. Im Iran sind die Armee und die Milizen Teil des Machtapparates und im Besitz von Banken und Industrieanlagen. Durch einen Sturz des Regimes hätten sie also viel zu verlieren. Dadurch werden sie anders als in Ägypten oder Tunesien kaum die Seiten wechseln. Zudem kann sich das Regime noch auf Teile der Landbevölkerung stützen, die durch den Bau einer Brücke oder eines sozialen Einrichtung zur Loyalität mit dem Regime veranlasst wird. Allerdings wächst auch im Iran der Teil der Bevölkerung, die in den Städten leben.

 Wie kann die Oppositionsbewegung von Deutschland aus unterstützt werden?

Mila Mossafer: Wichtig ist zu erkennen, dass die Debatten über militärische Angriffe auf den Iran nicht der Opposition, sondern dem Regime nützen, weil sie dann die nationalistische Karte spielen kann. Neben der Solidarität mit den politischen Gefangenen sollte die linke Bewegung vor allem dafür sorgen, dass der Export von Technologien aus Deutschland gestoppt wird, mit denen die Oppositionsbewegung bekämpft werden. So wurden die Handys von Oppositionellen mit Programmen abgehört, die von Siemens-Nokia produziert werden. Zudem sind auf Fotos Militärfahrzeuge von Daimler-Chrysler zu sehen, die gegen die Demonstranten eingesetzt werden.

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/34/34301/1.html

Peter Nowak

Ist Israel der Feind?

In der iranischen Opposition ist ein Streit über die Haltung zum Nahostkonflikt ausgebrochen
Wie hältst Du es mit Israel und mit Palästina? Diese Frage sorgt nicht nur in Deutschland immer wieder für viel Aufregung. Auch in der iranischen Opposition ist wegen der Nahostfrage ein großer Streit ausgebrochen. Auslöser war eine Erklärung führender Aktivisten der Grünen Bewegung, der zentralen Opposition gegen das iranische Regime, zum Sturm auf die sogenannte Gaza-Flotte, die die israelische Blockade gegen den Gazastreifen brechen wollte.

Nach dem Sturm der israelischen Armee auf die Flotte, bei dem 9 Menschen starben, schrieben die 75 Oppositionellen, das Vorgehen der israelischen Armee gleiche den Maßnahmen des iranischen Regimes gegen Oppositionelle. Pathetisch heißt es dann in dem Schreiben, dass die Grüne Bewegung „Schulter an Schulter mit dem Widerstand der Palästinenser“ und überhaupt mit allen „freiheitsliebenden Bewegungen dieser Welt“ dieser Welt stehe. Viele der Unterzeichner gehörten der linken Opposition gegen das Schahregime an und wurden von dem Mullahregime abermals in die Gefängnisse geworfen oder ins Exil getrieben. Sie haben noch nicht vergessen, dass das Schahregime, das es bei der Verletzung der Menschenrechte den Mullahs ein Vorbild war, gute Beziehungen zu Israel unterhalten hat.

Eine jüngere Generation in der iranischen Opposition, die mit der permanenten antiisraelischen Propaganda des islamischen Regimes aufgewachsen war, widerspricht der pro-palästinensischen Erklärung der Grünen Bewegung. In einer von 27 Aktivisten unterzeichneten Erklärung wird darauf verwiesen, dass die Grüne Bewegung im Iran im Gegensatz zur palästinensischen Bewegung gewaltfrei agiert habe. Die Parole der iranischen Opposition habe „Nicht Gaza, nicht Libanon – mein Leben für Iran!“ gelautet. Deswegen sei die pro-palästinensische Erklärung nicht repräsentativ für die gesamte iranische Opposition.

Saeed Ghaseminejad, Sprecher der Liberalen Studenten Irans und Direktor des Centre Iranien d’etudes du Liberalisme charakterisierte in einem Interview die Unterzeichner des Gegenbriefes so: „Fast alle sind jung, die meisten sind Studenten. Sie sind die Kinder der islamischen Revolution und aufgewachsen unter der Islamischen Republik. In dieser Generation findet man so viele Gruppen und Individuen, die an Frieden im Nahen Osten glauben, die nicht antisemitisch denken, die glauben, dass sowohl Israelis als auch Palästinenser ein Recht auf ein eigenes Land haben und in Frieden zusammen leben können – also Leute, die nicht glauben, dass Israel unser Feind ist.“

http://www.heise.de/tp/blogs/8/148035

Peter Nowak

Weitgehend unbeachtet

Gewerkschafter von DGB, ver.di, IG Metall und GEW aus Südwestdeutschland setzen sich in einem Aufruf für die Freilassung des iranischen Gewerkschafters Mansour Ossanloo ein. Der Vorsitzende der Gewerkschaft des staatlichen Teheraner Busunternehmens wurde 2007 zu fünf Jahren Haft verurteilt, weil er sein Recht auf Vereinigungsfreiheit wahrgenommen hat. In der Haft war er Folterungen ausgesetzt. Auch Aktivisten der unabhängigen Zuckerarbeitergewerkschaft Dezful wurden mit der Begründung inhaftiert, sie würden die nationale Sicherheit gefährden.

Die staatlichen Angriffe verstärken sich, nachdem verschiedene oppositionelle iranische Gewerkschaften, darunter die Interessenvertreter der Busfahrer, der Zuckerarbeiter, aber auch von Elektrizitäts- und Metallarbeitern, mit einer gemeinsamen Erklärung an die Öffentlichkeit getreten sind. Dort fordern sie neben demokratischen Reformen wie dem Streikrecht auch eine Erhörung des Mindestlohns, die Zahlung ausstehender Löhne und die Rücknahme der von der iranischen Regierung geplanten Kürzungen von Subventionen bei Grundnahrungsmitteln.

Diese Ansätze einer neuen iranischen Arbeiterbewegung sind besonderen staatlichen Repressionen ausgesetzt. Deshalb bedarf es einer internationalen gewerkschaftlichen Solidaritätsbewegung zu ihrer Unterstützung. Der Aufruf der süddeutschen Gewerkschafter ist daher nur zu begrüßen. Hier wird der Fokus auf den von Anfang an extrem arbeiterfeindlichen Kurs der islamischen Republik Iran gelegt. Die Konzentration auf die gewerkschaftlich Solidarität hebt sich auch positiv ab von einer unreflektierten positiven Bezugnahme auf die iranische Oppositionsbewegung. Statt einem Austausch der Eliten in Iran fordern die Gewerkschafter soziale Rechte ein. Ihre auf der Homepage justiceforiranianworkers.org dokumentierten Aktivitäten blieben in der deutschen Linken, trotz der seit Monaten heftig geführten Debatte um Iran, weitgehend unbeachtet.

Vielleicht verschafft der Aufruf, der auf der Homepage emanzipationundfrieden.de/Ossanloo-Usammlung.pdf unterzeichnet werden kann, den Aktivitäten der unabhängigen Gewerkschaften in Iran hierzulande eine größere Aufmerksamkeit.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/166372.weitgehend-unbeachtet.html

Peter Nowak