Stolz auf Rawumsti – immer noch

Die Waffentechnik hat sich weiter entwickelt – die Konversionsdebatte nicht

Bis heute hat die IG Metall keine Antwort, wie ihr Einsatz für Frieden mit Interessenvertretung der Rüstungsarbeiter zusammenpasst. Im Gegensatz zu früher kümmert sich auch kaum noch jemand darum.

»Die Granaten wo wir drehen, sind in aller Welt begehrt. Wenn sie mit rawumsti platzen, ist so mancher sehr versehrt.« Diese Zeilen stammen aus dem Lied »35 Stunden sind genug« der deutschen Rüstungsarbeiter, mit dem der Satiriker Horst Tomayer 1986 die Haltung jener Gewerkschafter ironisierte, die stolz darauf verweisen, dass die Waffen, die sie produzierten, deutsche Wertarbeit sind. Fast 30 Jahre später hat sich die Waffentechnik weiter entwickelt. Nicht mehr Granaten, sondern Drohnen sind begehrtes Rüstungsgut. Die Debatte innerhalb der Gewerkschaften ist dagegen nicht von der Stelle gekommen.

Nachdem Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen die Entwicklung einer europäischen Drohne angekündigt hatte, sprach der zweite Bevollmächtigte der IG Metall Ingolstadt, Bernhard Stiedl, von einem »Lichtblick«. Ein solches Programm »würde am Airbusstandort Manching 1500 Arbeitsplätze sichern«. Stiedl hatte in den vergangenen Jahren wiederholt vor militärischer Abrüstung mit dem Verweis auf Arbeitsplätze gewarnt. Doch in der IG Metall steht er damit nicht allein. Anfang Juni warnten Betriebsratsvorsitzende von mehr als 20 Rüstungsfirmen, darunter zahlreiche Gewerkschaftsmitglieder, Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel in einem Brief, Rüstungsexporte einzuschränken, wie es im SPD-Programm steht. Rüstungsausfuhren könnten zwar kein Allheilmittel sein, aber ohne den Export sei die Industrie nicht überlebensfähig, hieß es in dem Schreiben.

Doch es gab in der Gewerkschaft auch Gegenstimmen. So betonte IG-Metall-Vorstandsmitglied Jürgen Kerner: »Waffengeschäfte dürfen nie vor Menschenrechte gehen.« Noch deutlicher wurde die beim IG-Metall-Bezirk Mitte für Tarif- und Betriebspolitik zuständige Sekretärin Katinka Poensgen. Sie kritisierte den Verweis auf die Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie als »Totschlagargument«. Es könne nicht Aufgabe einer Gewerkschaft sein, wegen des Erhalts »einiger weniger Arbeitsplätze in der Waffenindustrie, die Zerstörung des ganzen Erdballs zu riskieren«. Poensgen sieht sich mit ihrer Rüstungskritik in Übereinstimmung mit der Satzung. Demnach sind Ziele und Aufgaben der IG Metall neben der Demokratisierung von Wirtschaft, Staat und Gesellschaft auch der Einsatz für Frieden, Abrüstung und Völkerverständigung. Poensgen nimmt auch Bezug auf eine Debatte, die vor vier Jahrzehnten wesentlich weiter war als heute. Damals beschäftigten sich Arbeitskreise mit der Frage und unterbreiteten Vorschläge, wie in der Rüstungsindustrie eine Umwandlung in nichtmilitärische Produktion bewerkstelligt werden kann, ohne Arbeitsplätze zu gefährden.

Auftrieb erhielt die Debatte damals durch die Beschäftigten des britischen Luftfahrtunternehmens Lucas Aerospace, das zu über 50 Prozent von Rüstung lebte. Mitte der 70er Jahre sollte dort rationalisiert werden, die Schließung von Tochterfirmen stand an. Doch statt für mehr Rüstungsaufträge zu demonstrieren, machte sich die Belegschaft Gedanken über friedliche und nützliche Produkte. Die Techniker um den Ingenieur Mike Cooley entwickelten Alternativen – medizinische Apparate, innovative Energiequellen, Transport- und Bremssysteme, maritime Anlagen. Das Beispiel wirkte über Großbritannien hinaus.

In Deutschland war der Arbeitskreis »Alternative Produktion« der IG Metall Bremen besonders aktiv, der sich für eine Rüstungskonversion bei Airbus und dem damals noch existierenden Luft- und Raumfahrtunternehmen VFW einsetzte. Ende 2003 wurde der Arbeitskreis auf einstimmigen Beschluss der IG-Metall-Vertrauenskörperleitung aufgelöst. Der einstige Bestseller des Sozialdemokraten Freimut Duve »Produkte für das Leben statt Waffen für den Tod«, der mehrmals neu aufgelegt wurde, ist heute nur noch antiquarisch zu erhalten. Es beschäftigt sich kaum noch jemand mit dem Thema.

In der IG Metall war niemand für eine Stellungnahme zu erreichen. IG-Metall-Sekretär Stiedl, der sich für eine starke Rüstungsproduktion in Deutschland einsetzt, verwies auf den Vorstand. Dort bemühte sich die Pressestelle, den einzigen für diese Frage zuständigen Kollegen zu erreichen. Doch der ist im Urlaub.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/942478.stolz-auf-rawumsti-immer-noch.html

Peter Nowak