Ein Sieg der Rechten und eine Niederlage für die Deutsch-EU

Die Linke kann überhaupt erst wieder Ansehen entwickeln, wenn sie Abstand zu Figuren wie Renzi nimmt. Ein Kommentar zur Italien-Wahl

Kaum sind die italienischen Wahlen um, wird schon über mögliche Neuwahlen diskutiert. Das war in Italien in der Nachkriegszeit nichts Ungewöhnliches. Das Land hatte zahlreiche kurzlebige Regierungen in den 1960er bis 1980er Jahren, nachdem die Christdemokraten ihre Hegemonie verloren hatten.

Doch damals stand als Alternative eine nominal kommunistische, in der realen Politik sozialdemokratische Partei zur Verfügung. Nur wegen des K-Worts im Namen befassten sich Natostäbe, Gladio und auch der damalige sozialdemokratische Bundeskanzler Helmut Schmidt in Bonn damit, um eine Regierungsbeteiligung dieser nominalkommunistischen Partei zu verhindern.

Damals gab es auch links von der seit jeher sehr staats- und systemtreuen KP eine breite Palette linker Bewegungen und Basisgewerkschaften. Ende der 1980er Jahre ordnete sich die politische Landschaft in Italien neu. Es begann der Aufstieg des Berlusconismus, der die vorher isolierten Mussolini-Anhänger wieder politikfähig machte und einen schrankenlosen Wirtschaftsliberalismus propagierte.

Der sich als Selfmademann gerierende Großkapitalist, der über den Gesetzen steht, wurde zum Vorbild auch der armen und ausgebeuteten Menschen. Wenn sie auch keine Möglichkeit haben, Steuern zu hinterziehen, können sie immer noch auf eine ohne Genehmigung gebaute Hütte verweisen.

Der Berlusconismus hat die italienische Gesellschaft grundlegend verändert, wie auch das aktuelle Wahlergebnis zeigt. Es ist ein Erfolg auf ganzer Linie für die unterschiedlichen Rechtsformationen und eine Niederlage der von der Deutsch-EU propagierten Partei Mario Renzis.

Der Verschrotter wurde selber zum alten Eisen geworfen

Der als „Verschrotter der Linken“ auftretende Mario Renzi wurde nun selbst zum alten Eisen geworfen. Er hat in Italien schon lange an Renommée eingebüßt und wurde vor allem zum Hoffnungsträger der vom Hegemon Deutschland dominierten EU. Was er verschrotten wollte, waren der Sozialstaat und erkämpfte Arbeiterrechte.

Damit stand Renzi ganz im Einklang mit dem EU-Austeritätsprogramm. Dass die Zahl der Prekären wuchs, kam Deutschland zugute. Schließlich arbeiteten viele gut ausgebildete Arbeitskräfte in Deutschland im Niedriglohnsektor wie in der Gastronomie. In einigen Städten gab es schwierige Versuche, diese prekär Beschäftigte zu organisieren, wie es in Berlin die Migrant Strikers praktizieren.

Dass der Verschrotter des Sozialstaats Renzi überall als Linker durchgeht, zeigt eigentlich schon, wie groß der Rechtsruck in der italienischen Politik ist. Renzis neoliberale Partei, die sich als sozialdemokratisch bezeichnet, ist nun mit einen Stimmenanteil von um die 20 Prozent auf dem Niveau der aktuellen SPD angelangt.

Und das in einem Land, in dem vor 40 Jahren eine kommunistische Partei Wahlergebnisse von weit über 30 Prozent hatte und es daneben noch weitere linke und halblinke Parteien gab – in einem Land mit einer lebendigen außerparlamentarischen Linken, die sich bei den Protesten gegen den G8-Gipfel 2001 in Genua artikulierte. Der darauf folgende blutige Terror gegen die soziale Bewegung hat mit zu dem Rechtsruck beigetragen.

Die Fünf-Sterne-Bewegung und Lega Nord als Rechtsformationen neuen Typs

Viele, die sich damals für eine linke Alternative in sozialen Zentren, in Basisgewerkschaften oder in Bewegungen gegen das Prekarität engagierten, zogen sich zurück oder gingen nach rechts. Das machte den Aufstieg der Fünf-Sterne-Bewegung möglich. Nicht wenige von ihnen haben sich noch vor 20 Jahren in der Bewegung gegen Prekarität auf der Straße organsiert.

Nun wurden sie Teil einer neuen rechten Bewegung, die sich aber mit dem Slogan „Weder rechts noch links“ auch zur alten Rechten in Opposition befanden. Diese hatte sich mehr als 20 Jahre lang um Berlusconi gruppiert, nun ist im Rechtslager die Lega Nord zur stärksten Kraft geworden. Sie ist der Typus einer neuen europäischen Rechten und kooperiert mit dem Front National und der FPÖ.

Die Fünf-Sterne-Bewegung hatte sich auf europäischer Ebene mit den nicht ganz so rechten Parteien in einem Bündnis befunden, in dem auch die AFD-Europaabgeordnete von Storch vertreten ist. Stärkste Gruppierung dort war die rechte britische UKIP-Partei, die mit dem Brexit ihre Mission erfüllt hat und verschwindet.

Seitdem ist auch das europäische Bündnis, in dem die Fünf-Sterne-Bewegung nun die stärkste Kraft ist, in der Krise. Die europäische Positionierung zeigt aber auf, dass hier zwei Rechtsformationen zur stärksten Kraft in Italien wurden. Dass das nicht unmittelbar zu einer stramm rechten Regierung führen wird, liegt an Macht- und Hegemoniekämpfen innerhalb dieser Rechten. Da gibt es einige grundlegende Differenzen.

Die Lega Nord entstand schließlich als rechte norditalienische Separatistenbewegung, die anfangs ihre Hauptagitation gegen die Menschen aus Süditalien führte und dabei nicht mit Stigmatisierungen und Rassismus sparte. Die Fünf-Sterne-Bewegung ist hingegen in Süditalien stark.

Solche Spaltungen müssen kein Grund für einen langanhaltenden Bruch sein. Schließlich ist die Ablehnung der Migration eine Klammer für beide Bewegungen. Was aber fehlt, ist eine politische Figur im rechten Lager, die die unterschiedlichen Spektren zusammenhalten kann.

Berlusconi konnte den rechten Hegemon für eine längere Zeit spielen, heute nicht mehr. Daher ist es nicht unwahrscheinlich, dass es erst zu Neuwahlen kommen wird, bis sich die unterschiedlichen Rechtsformationen zusammenraufen. Die sogenannte Linke wird auch dann keine große Rolle spielen. Mit Renzis Rücktritt ist dort erst einmal eine Personallücke entstanden.

Eindeutiger Verlierer ist die EU

Die Linke kann überhaupt erst wieder Ansehen entwickeln, wenn sie Abstand zu Figuren wie Renzi nimmt, die noch stolz darauf waren, als Merkels Schoßhündchen zu gelten.

Der Leiter des Europaprogramms der Bertelsmannstiftung Johannes Fritz-Vannahme hat in einem Deutschlandfunk-Interview gesagt, wer neben den Linken in Italien noch verloren hat:

Aber wir haben einen eindeutigen Verlierer: Das ist die Europäische Union. Das zeichnete sich übrigens in den Umfragen vor dieser Wahl, auch in den Umfragen der Bertelsmann-Stiftung deutlich ab. Da ist viel von Desillusionierung, Unzufriedenheit, Pessimismus, auch was die persönliche Lebensführung angeht, zu spüren gewesen. Und eine rekordniedrige Marke: Nur 56 Prozent der befragten Italiener waren noch für einen Verbleib ihres Landes in der EU. Das ist der absolute Minusrekord innerhalb der Europäischen Union.

Johannes Fritz-Vannahme, Deutschlandfunk
Der wirtschaftsfreundliche Experte benennt in dem Interview auch die Gründe für die Unzufriedenheit:

Der Zweckoptimismus des geschäftsführenden Ministerpräsidenten Gentiloni, der noch vorher sagte, die Angstmacher, die werden nicht gewinnen, war halt nur Zweckoptimismus. Wir wissen das seit langem, dass die Unzufriedenheit wächst, und das durchaus aus guten Gründen, handfesten Gründen.

Es ist ja nicht nur eine Unzufriedenheit mit dem politischen Personal, sondern Italien findet, egal wer da nun in den letzten Jahren regiert hat, nicht so richtig raus aus einem Teufelskreis aus mangelnder Wettbewerbsfähigkeit, Kapitalflucht, Armut, Arbeitslosigkeit, hoher Staatsverschuldung.

Fritz-Vannahme, Deutschlandfunk
Der Bertelsmann-Experte warnt auch vor der Selbstzufriedenheit einer von Deutschland bestimmten EU, die nach den in ihrem Sinne ausgegangenen Präsidentenwahlen in Frankreich schon glaubte, sie hätte endlich gesiegt.

Selbst im Brexit sieht die Deutsch-EU noch einen Erfolg, weil jetzt ein weiterer Kontrahent Deutschlands draußen ist. Doch wenn Vannahme sagt, die EU müsse sich mehr um Italien kümmern, kann man das durchaus als Drohung sehen.

Migration wird nun auch von Macron zum Problem erklärt

Dass Vannahme im italienischen Wahlergebnis auch einen Auftrag sieht, die EU-Außengrenzen besser zu sichern, macht deutlich, dass Rechts auch hier schon wirkt.

Auch der französische Präsident Macron hat nach den italienischen Wahlen die Migration zum zentralen Problem der EU erklärt:

Macron sagte in Paris, der Wahlausgang stehe im Kontext eines starken Migrationsdrucks. Italien habe unter der Einwanderung besonders gelitten. Die Politik dürfe in dieser Lage nicht nur hehre Ideen vertreten, sondern sie müsse auch auf die brutale Wirklichkeit reagieren.

Deutschlandfunk
Nun ist klar, dass solche Exponenten des Systems wie Vannahme und Macron hoffen, mit ein bisschen mehr Festung Europa wieder Vertrauen bei italienischen Wählern zu gewinnen. Sollte die Restlinke, bzw. die sich dafür hält, solche Rezepte übernehmen, wäre das die sichere Garantie, noch weiter zu verlieren.

Vielmehr sollte sie die Frage stellen, warum sie sich weiter für diese EU einsetzen soll. Kürzlich haben die Sozialdemokraten Heiner Flassbeck, ein ehemaliger Lafontaine-Vertrauter, und Jörg Bibow mit dem Buch Das Euro-Desaster, daran erinnert, wie die deutsche Wirtschaftspolitik die Eurozone in den Abgrund treibt.

In einem junge Welt-Interview in der letzten Woche wies Flassbeck auf die wichtige Rolle des italienischen Wahlausgangs für die Entwicklung der Eurozone hin.

Auch hier sind manche Prognosen über das schnelle Ende der Eurozone wohl eher Wunschbild als Realität. Was aber positiv an den Texten von Flassbeck und Bibow ist: Sie sehen nicht in der Migration, sondern in der deutschen Politik die Ursache auch für den Ausgang der italienischen Parlamentswahlen.

Zudem macht das Buch deutlich, dass ein solidarisches Europa nur gegen die von Deutschland dominierte EU-Zone zu erkämpfen möglich ist. Wenn sich die italienische Rest-Linke davon leiten ließe, wäre es ihr vielleicht sogar wieder möglich, eine stärkere Rolle zu spielen.

Peter Nowak

https://www.heise.de/tp/features/Ein-Sieg-der-Rechten-und-eine-Niederlage-fuer-die-Deutsch-EU-3986924.html

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Links in diesem Artikel:
[1] http://www.arbeiterbewegung-jahrbuch.de/?p=536
[2] https://berlinmigrantstrikers.noblogs.org
[3] https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/ueber-uns/wer-wir-sind/ansprechpartner/mitarbeiter/cid/joachim-fritz-vannahme/
[4] http://www.deutschlandfunk.de/wahlausgang-in-italien-eindeutiger-verlierer-ist-die.694.de.html?dram:article_id=412232
[5] http://www.deutschlandfunk.de/italien-macron-wertet-wahlausgang-als-reaktion-auf.2932.de.html?drn:news_id=857899
[6] http://www.flassbeck.de/
[7] http://www.levyinstitute.org/scholars/jorg-bibow
[8] https://www.westendverlag.de/buch/das-euro-desaster/
[9] https://www.jungewelt.de/artikel/328213.vielleicht-erleben-wir-das-ende-schon-am-montag.html

Letzte Chance für den Euro?

Auf dem linksreformistischen Flügel der Linken mehren sich Initiativen für eine andere EU-Politik. Doch die Erfolge sind fraglich

„Der Euro vor der Entscheidung“ lautet der Titel einer Studie, die gestern von der Rosa Luxemburg Stiftung vorgestellt worden ist, die im Umfeld der Linkspartei sicher noch für weitere Diskussionen sorgen dürften.

Zu den Herausgebern der Studie gehört neben Costas Lapavitsas mit Heiner Flassbeck ein Ökonom, der in der kurzen Ära des Finanzministers Oskar Lafontaine als dessen Staatssekretär fungierte. Eben jener Lafontaine hat mit einem EU-kritischen Beitrag in und außerhalb der Linkspartei für Aufregung gesorgt.

Bei Lafontaines politischer Vita ist es verständlich, dass diese Wortmeldung als Anbiederung an populistischen Anti-EU-Stimmungen verstanden wird. Allerdings ist diese Interpretation nicht vom Wortlaut des Beitrags gedeckt, wird doch dort ausdrücklich die Politik der deutschen Regierung für die Krise des europäischen Währungssystems verantwortlich gemacht und nicht wie in populistischen Argumentationen Deutschland à la Alternative für Deutschland als europäischer Zahlmeister hingestellt.

In Lafontaines Fußstapfen argumentiert auch die von Lapavitsas und Flassbeck ausgestellte Studie. Nur anders als der ehemalige Minister sind die beiden Herausgeber der Studie noch nicht ganz so pessimistisch. Sie sehen noch eine Chance für den Euro. „Es ist spät, doch noch ist es nicht zu spät für eine Umkehr. Würde Deutsch¬land als wich¬tigs¬tes Gläu¬bi¬ger¬land Ein¬sicht zei¬gen, seine Posi¬tion radi¬kal ver¬än¬dern und zusam¬men mit allen ande¬ren auf eine neue Stra¬te¬gie set¬zen, könnte die Euro¬zone die schwere Krise über¬win¬den“, heißt es in der Studie.

Doch dann bekunden sie, dass sie an eine solche Änderung nicht so recht glauben und diskutieren ganz wie Lafontaine andere Austrittsstrategien diskutieren. Schon in einem Interview im Deutschlandradio Ende April erklärte Flassbeck, man müsse den schwachen Ländern Anreize bieten, damit sie ihren Binnenmarkt wieder stärken. „Wenn dies von innen nicht möglich ist, dann müssen sie aussteigen und ihre eigene Währung abwerten.“ Konkret nennt der Ökonom folgende Schritte zur Rettung des Euros:

„Der Euro kann nur überleben, wenn alle Mitgliedsländer gleich wettbewerbsfähig sind. Das bedeutet: Die Löhne in Deutschland müssen deutlich steigen, um das Lohndumping der vergangenen Jahre auszugleichen. Außerdem muss man in ganz Europa die Sparprogramme einstellen und das Wachstum stimulieren. Sonst wird die Rezession unkontrollierbar, und die Schulden werden explodieren. Wenn die deutsche Regierung ihren Kurs nicht ändert, wird der Euro auseinanderfliegen.“

„Europa geht anders“

Diese Maßnahmen werden auch in einem Aufruf unter dem vagen Titel „Europa geht anders“ vorgeschlagen, die ausgehend von linken österreichischen Sozialdemokraten von verschiedenen linksreformerischen Gewerkschaftern, Politikern und Wissenschaftlern aus Deutschland, Österreich, Frankreich und Italien unterzeichnet worden ist. Aus Deutschland gehören zu den Erstunterzeichnerinnen die Co-Vorsitzende der Linkspartei Katja Kipping und von der SPD mit Hilde Mattheis eine SPD-Linke, deren Strömung parteiintern erst vor wenigen Wochen politisch abgewertet worden ist.

Zu den zentralen Forderungen des Aufrufs zählen eine europäische Umverteilung des Reichtums durch faire Einkommen und höhere Gewinn- und Vermögensbesteuerung, die Beendigung der Lohnsenkungsspirale und damit der Abbau der riesigen Ungleichgewichte, was in den Leistungsbilanzüberschüsse weniger Länder auf Kosten von Defiziten anderer Länder deutlich werde. Neben der Wiederregulierung der Finanzmärkte gehören auch die Stärkung der Arbeitnehmerrechte, Arbeitnehmerschutzbestimmungen und Gewerkschaftsrechte zu den Forderungen des Aufrufs. Der Punkt ist wichtig, weil allein in Griechenland in den letzten Wochen mehrere Streiks durch Dienstverpflichtungen von der Regierung unterbunden wurden. Aktuell sind die Lehrer betroffen.

Diese Einschränkungen des Streikrechts betreffen nicht nur die europäische Peripherie. Vor einigen Wochen hatte Dänemarks Mitte-Links-Regierung tausende streikende Lehrer ausgesperrt und versucht, damit einen Arbeitskampf abzuwürgen. An diesem Beispiel wird aber auch schon das Dilemma solcher Aufrufe für ein anderes Europa deutlich. Weil nicht nur in Deutschland Sozialdemokraten und Grüne an der Deregulierung an führender Stelle mit beteiligt sind, ist auch von diesen Kreisen nicht zu erwarten, dass sie ihre eigene Politik demontieren und sich an Aufrufen beteiligen, die ein Umsteuern fordern.

Daher macht das Unterzeichnerspektrum aus Deutschland den Eindruck, als träfe es sich regelmäßig beim Institut Solidarische Moderne, das seit einigen Jahren wenig beachtet von der Öffentlichkeit die Kräfte links von der Bundesregierung zusammenbringen will.

EU-Austritt und das deutsche Interesse

Sollte aber die EU-Politik so weiterlaufen wie bisher, dann werden ökonomische Gesetzmäßigkeiten die Frage nach einem Ausweg außerhalb des Euros aktuell werden lassen. Diese Fakten zu benennen, hat nichts mit Populismus zu tun. Denn dass zumindest die Studie das Gegenteil der Alternative für Deutschland will, zeigen allein diese Sätze, die als Absage an eine rechtspopulistische EU-Kritik verstanden werden können.

„Darüber hinaus haben die einseitige und eindeutig falsche Schuldzuweisung an die Schuldnerländer und die von ihnen verlangte Austeritätspolitik eine Wirtschaftskrise in Gang gesetzt, deren negative Folgen für die Lebensverhältnisse der Menschen die nationalen demokratischen Systeme infrage stellen und das friedliche Zusammenleben der Bürger in Europa für Jahrzehnte belasten werden.“

Deswegen gehen auch Beiträge in die Irre, die an linken EU-Austrittsszenarien in erster Linie die Nähe zum Rechtspopulismus monieren, wie es der Ökonom Michael Krätke in der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung Freitag versucht. Dort zählt er ausdrücklich auch Heiner Flassbeck zu diesen „Illusionisten“. Bemerkenswerterweise hat aber seinen Beitrag dann einen anderen Inhalt, als die Ankündigung erwarten lässt. Nicht linke Austrittsszenarien, sondern die Argumente des AfD werden dort widerlegt, indem er aufzeigt, welche negativen Folgen ein EU-Austritt für die deutsche Wirtschaft haben würde. Eine solche Argumentation trifft politische Kräfte, die ein deutsches Interesse an einen EU-Austritt ernsthaft vertreten.

Man kann aber auch argumentieren, dass Deutschlands Euromitgliedschaft so gravierende negative Folgen für die Länder in der europäischen Peripherie hat und Deutschland bisher so eindeutig der ökonomische Gewinner war, dass über Austrittsszenarien auch dann diskutiert werden sollte, wenn davon der deutsche Standort Nachteile erfährt. Ansonsten bleibt man in populistischen Argumentationslinien gefangen.

Die von immer mehr Ökonomen im In- und Ausland geforderte Kursänderung in der EU-Politik scheitert ja nicht an der Boshaftigkeit oder Dummheit deutscher Politiker, sondern an der kurzfristigen Interessenlage des Standorts Deutschland, die sich eben von den Interessen der Standorte der europäischen Peripherie unterscheiden. Ein europäischer ideeller Gesamtkapitalist, der eine langfristige Interessenlage im Blick hat, existiert aber nicht. Daher ist es auch unwahrscheinlich, dass die auch von Flassbeck und Co. geforderte Kursänderung zustande kommt.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/154284
Peter Nowak