Ausbeutung bleibt legal

MALL OF SHAME
Die Klage eines um seinen Lohn betrogenen Bauarbeiters wird vom Arbeitsgericht abgewiesen

„Ich hatte große Hoffnungen in die deutsche Justiz. Doch mittlerweile bin ich sehr enttäuscht“, sagt Ovidiu Mindrila. Gerade hat der rumänische Bauarbeiter erfahren, dass seine Klage auf eine Lohnnachzahlung von 4.134 Euro abgewiesen wurde. Mindrila war extra aus Rumänien zum Prozess am Berliner Arbeitsgericht angereist. Er gehört zu jener Gruppe umänischer Bauarbeiter, die auf der Baustelle des Einkaufszentrums Mall of Berlin gearbeitet haben und um große Teile ihres Lohns geprellt wurden. Das ausstehende Geld wollte sich Mindrila nun von der Bauherrin HGHI Leipziger Platz GmbH & Co. KG holen. Mandrila hatte von August bis Oktober 2014 vertragslos fast 500 Stunden für ein Subunternehmen auf der Baustelle gearbeitet. Statt der versprochenen 6 Euro pro Stunde erhielt er am Ende nur etwa 200 Euro. Daraufhin wandte er sich mit einigen anderen Geprellten an die Basisgewerkschaft FAU (Freie ArbeiterInnenunion). Die Arbeiter protestierten edienwirksam und reichten Klagen gegen die Subunternehmen ein, bei denen sie beschäftigt waren. Obwohl sie in mehreren Prozessen gewannen, hat keiner der Betroffenen bisher seinen Lohn erhalten, weil die Subunternehmen Konkurs
anmeldeten. Doch Mandrila und die FAU wollten sich damit nicht abfinden. Also verklagten sie mit der HGHI die Bauherrin, die das Zentrum betreibt. Die Firma gehört zum Firmengeflecht des Investors Harald Huth. „Wer die Subunternehmen auswählt, ist auch dafür verantwortlich, wenn die Löhne nicht gezahlt werden“, so die Argumentation von Mindrilas Anwalt Sebastian Kunz.
Der Anwalt der beklagten Firma hatte hingegen argumentiert, dass einzig die Subunternehmen bestimmen, was auf
der Baustelle geschieht. Das Geschäft der Holding sei es einzig, Einkaufszentren zu betreiben. Für den Bau seien die beauftragten Unternehmen zuständig. Dieser Rechtsauffassung schloss sich das Arbeitsgericht an und lehnte indrilas Klage ab. Trotz dieser Niederlage will er den juristischen Kampf fortsetzen. „Es geht um mein Recht“, betonte er gegenüber der taz. Enttäuscht zeigte sich auch Hendrik Lackus von der FAU Berlin. Anfangs habe er noch die Hoffnung gehabt, dass die Arbeiter ihre Löhne bekommen. Doch je länger sich die Auseinandersetzung hinzog, umso pessimistischer wurde er. Über die Stimmung der Betroffenen sagte er: „Mittlerweile sind viele der Arbeiter wieder in Rumänien. Trotz des großen Interesses an ihrem Fall in Deutschland glauben sie nicht mehr, dass sie ihren Lohn bekommen.“

TAZ DONNERSTAG, 4. MAI 2017

Peter Nowak

»Ausbeutung wieder ein Thema«

Seit mehr als zwei Jahren kämpfen die ehemaligen Bauarbeiter des Einkaufszentrums Mall of Berlin um ihren Lohn. Über den aktuellen Stand sprach die Jungle World mit Clemens Melzer und Tinet Ergazina von der Berliner Sektion der Basisgewerkschaft Freie Arbeiterinnen- und Arbeiterunion (FAU).

Small Talk mit Clemens Melzer und Tinet Ergazina (FAU) von Peter Nowak

Sie haben den Bauinvestor Harald Huth verklagt. Warum?

Clemens Melzer: Wir verklagen nicht Huth persönlich, sondern eines seiner zahlreichen Unternehmen, die HGHI Leipziger Platz GmbH. Laut dem ­Arbeitnehmerentsendegesetz haftet der Auftraggeber wie ein Bürge für die Zahlung des tariflichen Mindestlohns an die Arbeitnehmer seiner Subunternehmen.

Warum klagen Sie erst jetzt?

Melzer: Am Bauprojekt war ein ganzes Geflecht von Unternehmen beteiligt. Die HGHI Holding GmbH beauftragte als Generalunternehmerin die Fettchenhauer Controlling und Logistic GmbH. Diese beauftragte als Subunternehmen unter anderem die Openmallmaster GmbH und die Metatec Fundus GmbH & Co. KG, für die unsere Mitglieder gearbeitet haben. Wir haben stets alle Akteure als verantwortlich benannt und in einem offenen Brief an die damalige Arbeitssenatorin Dilek Kolat auch auf die Rolle von Staat und Politik hingewiesen. Die Arbeiter haben zuerst die Subunternehmen verklagt und in acht von zehn Fällen Recht bekommen. Jedoch hat Metatec direkt nach dem Urteil Insolvenz angemeldet und Openmallmaster ist für das Gericht nicht mehr auffindbar.

Warum klagt eigentlich nur ein Bauarbeiter?

Tinet Ergazina: Die erste Klage ist schon fertig, weitere sind in Vorbereitung. Zwei Kollegen befinden sich in Berlin, die anderen arbeiten in anderen Ländern. Aber alle bestehen auf der Zahlung ihres Lohns.

Dieser Lohnkampf sorgt für große Aufmerksamkeit, trotzdem bekamen die Arbeiter ihr Geld nicht. Zeigen sich hier die Grenzen einer kämpferischen Gewerkschaftspolitik?

Melzer: Nicht das Konzept einer kämpferischen Gewerkschaftspolitik stößt an seine Grenzen. Es ist der lange juristische Weg. Wenn sich in Zukunft Bauarbeiter in ­einem höheren Grad organisieren und es möglich wird, in Fällen von Lohnraub zu Arbeitskampfmaßnahmen zu greifen, dann wären langwierige Gerichtsprozesse gar nicht unbedingt notwendig. Die Frage ist doch, wie es sein kann, dass diese Arbeiter allen Widrigkeiten zum Trotz nicht aufgegeben haben? Auf der Baustelle wurden Hunderte Arbeiter extrem ausgebeutet. Die Arbeiter, die auf ihren Löhnen und schriftlichen Verträgen bestanden, wurden oft sofort gefeuert. Es gab einen fast unendlichen Nachschub an Arbeitern, die noch nichts über die Zustände wussten, und ein einzelner Arbeiter war leicht zu ersetzen. Das Beispiel der Arbeiter, die trotzdem nicht aufgegeben haben, zeigt, dass es auch unter diesen Umständen möglich ist, Widerstand zu leisten. Wenn andere daraus lernen, wird es in Zukunft einfacher sein.

Proteste vor der Mall of Berlin sind seltener geworden. Ist der Lohnkampf in der Linken kein Thema mehr?

Ergazina: Wo immer die FAU Berlin hingeht, werden unsere Mitglieder auf die »Mall of Shame« angesprochen. Es ist weiterhin ein großes Thema. Die große Unterstützung, die wir im Rahmen dieses Kampfes erfahren haben, zeigt, dass Lohnarbeit und Ausbeutung wieder ein Thema in der deutschsprachigen Linken sind. Gewerkschaftsneugründungen wie zuletzt die Basisgewerkschaft Unterbau an der Frankfurter Goethe-Universität und die Gefangenengewerkschaft GG/BO, aber auch der wilde Streik bei Daimler in Bremen und das Sick-out, die gezielten Krankmeldungen, bei mehreren Flug­gesellschaften dieses Jahr lassen darauf schließen, dass immer häufiger der Mut da ist, sich zu organisieren.

Small Talk von Peter Nowak

http://jungle-world.com/artikel/2016/49/55356.html

Shopping-Schande

Maulkorb für den FAU-Protest gegen die „Mall of Shame“

Seit Ende November unterstützt die Basisgewerkschaft Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union (FAU) rumänische Bauarbeiter, die über eine Leiharbeitsfirma beim Bau des Einkaufszentrums Mall of Berlin beschäftigt waren und um einen Großteil ihres Lohns geprellt wurden. Bei Kundgebungen wurde von den ehemaligen Beschäftigten immer wieder auch auf die Verantwortung des ehemaligen Generalunternehmens der Mall of Berlin, die Firma Fettchenhauer Controlling & Logistic, hingewiesen. Das versucht deren Inhaber Andreas Fettchenhauer jetzt, juristisch zu verhindern. In einer einstweiligen Verfügung, die der FAU Mitte Januar zuging, wurde der Gewerkschaft die Aussage verboten, sie befinde sich mit Andreas Fettchenhauer in einem Arbeitskampf. Ebenfalls untersagt wurde ihr die Behauptung, Fettchenhauer habe im Zusammenhang mit dem Arbeitskonflikt „eine große negative Öffentlichkeit“ erhalten. Auch dass die Firma Fettchenhauer für „massive Schwarzarbeit“ und die „Nichtabführung von Beiträgen an die Versicherungsträger“ verantwortlich sei, darf die FAU nicht mehr behaupten. Bei einer Zuwiderhandlung droht der Gewerkschaft ein Ordnungsgeld von 250.000 Euro und den verantwortlichen Sekretären eine Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten.

Der Pressesekretär der Berliner FAU, Stefan Kuhnt, sieht in der einstweiligen Verfügung einen Angriff auf die Gewerkschaftsfreiheit. Die FAU Berlin musste inzwischen mehrere Texte auf ihrer Homepage ändern. „Einstweilige Verfügungen sind ein gängiges Mittel gegen Gewerkschaften“, erklärt die FAU-Sekretärin Nina Matzek. Die FAU  hat  rechtliche Schritte dagegen eingeleitet,  die allerdings mit zusätzlichen Kosten verbunden sind, die die Gewerkschaft lieber in den Arbeitskampf investieren würde. Im Falle eines Widerspruchs könnte sie auf das kritische Pressecho zur Mall of Berlin ebenso wie auf die aktuelle Rechtslage hinweisen. „Die rechtliche Situation sieht vor, dass die Auftraggeber für die ausstehenden Löhne haften, wenn ein Subunternehmer nicht bezahlt“, erklärt Kuhnt.

Um den Lohn betrogen

Mit der einstweiligen Verfügung reagiert Fettchenhauer nun darauf, dass nicht nur der Subunternehmer, sondern auch seine Firma im Dezember durchaus in der Medienöffentlichkeit stand. Zahlreiche Zeitungen berichteten über den Arbeitskampf, auch im Deutschlandfunk gab es zwei Beiträge. Die Mall of Berlin ist ein Einkaufszentrum für die gehobenen Ansprüche in der Nähe des Potsdamer Platzes. Anfang Dezember begann eine Gruppe von acht rumänischen Bauarbeitern, unterstützt von der FAU, vor dem Eingang der Mall ihren Protest. Die Rumänen hatten auf der Baustelle der Mall gearbeitet und waren um einen Teil ihres Lohnes betrogen worden. Insgesamt 3000 Euro wurden ihnen vorenthalten. Die für den Bau der Mall of Berlin zuständigen Unternehmen schoben sich die Verantwortung für die nicht bezahlten Löhne wechselseitig zu. Die Firma Fettchenhauer Controlling & Logistic, die der Generalunternehmer auf der Baustelle war und mittlerweile Insolvenz angemeldet hat, verwies auf die Subunternehmen Metatec-Fundus GmbH & Co. KG aus Berlin sowie openmallmaster GmbH aus Frankfurt/Main. Beide Unternehmen lassen Presseanfragen unbeantwortet

Nachdem der Kampf um die vorenthaltenen Löhne auch die Öffentlichkeit erreicht hatte, fragten mehrere Zeitungen, wo denn der DGB in dem Konflikt bleibe. Tatsächlich hatten die Bauarbeiter sich Ende Oktober zunächst an den DGB-Berlin Brandenburg gewandt und nach Unterstützung gefragt. Das im dortigen Gewerkschaftshaus angesiedelte „Beratungsbüro für entsandte Beschäftigte“ nahm Kontakt mit den Unternehmen auf und schrieb Geltendmachungen. Außer Abschlagszahlungen, die nur einen Bruchteil des vorenthaltenen Lohnes ausmachten, konnten die Bauarbeiter auf diesem Weg allerdings nichts erreichen. Sie hatten weder Arbeitsverträge noch Gewerbescheine – das macht die Durchsetzung ihrer Ansprüche schwierig. Einige nahmen die Abschlagszahlungen und unterzeichneten zudem eine vom Unternehmen vorbereitete Erklärung, nach der sie auf weitere rechtliche Schritte verzichten sollten. Andere beharrten darauf, ihren vollen Lohn zu erhalten und wollten weiter gehen.

Eine politische Kampagne hatte der DGB jedoch nicht geplant. Erst nachdem sich die verbliebenen Bauarbeiter an die FAU wandten, begann die wochenlange Öffentlichkeitsarbeit, die nun mit der einstweiligen Verfügung beantwortet wird. Die FAU betont, dass sie die Kollegen weiterhin im Kampf um die vorenthaltenen Löhne unterstützen wird, u.a. durch Klagen gegen die Subunternehmen vor dem Arbeitsgericht. Zudem erinnert die FAU mit gezielten Aktionen immer wieder an die Verantwortung des Generalunternehmens Fettchenhauer. Dafür bekamen sie jetzt Unterstützung von unerwarteter Seite.

„Ein Generalunternehmen haftet gegenüber Arbeiterinnen und Arbeitern nachgeordneter Unternehmer und Subunternehmer, wenn diese ihren Arbeitgeberverpflichtungen nicht nachkommen“, stellt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von Ministerin Andrea Nahles (SPD) fest. So geht es aus einer Antwort auf eine schriftliche Anfrage der Bundestagsabgeordneten Azize Tank (parteilos, für DIE LINKE) hervor. Die Sprecherin für Soziale Menschenrechte hatte nach der aktuellen Rechtslage gefragt. „Nach Paragraf 14 Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG) haftet ein Unternehmer, der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Werk- oder Dienstleistungen beauftragt, wie ein Bürge“, heißt es in der Antwort des Ministeriums. Damit referiert das Ministerium die seit 2002 geltende Rechtslage. Angesichts der Insolvenz des Generalunternehmens Fettchenhauer ist es trotzdem schwierig, die Forderungen durchzusetzen. Die FAU führt zunächst Klage gegen die Subunternehmen, behält sich aber auch eine Klage gegen den Generalunternehmer vor. Fettchenhauer arbeitet nach der Pleite seines vormaligen Unternehmens nun unter dem Firmennamen Fettchenhauer Construction weiter. Interessanterweise pflegt er auch zu dem Investor der Mall of Berlin, Harald Huth, weiterhin geschäftliche Beziehungen – Huth hatte nach Bekanntwerden des Skandals in der Berliner Zeitung vom 11.12. 2014 behauptet, dass die Geschäftsbeziehungen zu Fettchenhauer beendet worden seien.  „So wollen wir nicht mehr weiter- machen. Die Zusammenarbeit ist im Nachhinein sicher ein Fehler gewesen“, wird Huth in dem Blatt zitiert.

Die FAU braucht für die Fortführung des Arbeitskampfs Unterstützung und Spenden. Spenden können für den Arbeitskampf können auf folgendes Konto  überwiesen werden

Konto-Inh.: Allgemeines Syndikat Berlin
IBAN: DE45 1605 0000 3703 0017 11
BIC: WELA DE D1 PMB
Verwendungszweck: Spende

aus:

express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit 2/2015

http://www.labournet.de/express/

Peter Nowak