Die Nachkommen

Aktive Zeugenschaft

Nachkommen der Verfolgten des Naziregimes, von Exil und Widerstand melden sich zu Wort

Als Nachkommen der NS-Verfolgten, des Widerstands und des Exils wollen wir uns gemeinsam einsetzen für eine Welt des Friedens, der Freiheit und der Solidarität.« Dieses Bekenntnis stammt aus einem Aufruf der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) Berlin, abgedruckt auf der Rückseite einer neuen Publikation, in der sich…

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Politisches Erwachen in Gefangenschaft


Erinnerungen an Werner Gutsche, Geschichtsaufklärer und Streiter gegen Rechtsradikalismus

»Er wollte das NS-Unrecht aufdecken, seien es die in Neukölln jahrelang verschwiegenen Zwangsarbeitslager, die vergessenen SA-Folterstätten oder das verschmähte Erinnern des kommunistischen Widerstands.« Mit diesen Worten würdigt Hans Coppi, Vorsitzender der Berliner VVN-BdA, den Neuköllner Kommunisten Werner Gutsche. Bis zu seinem Tod 2012 hat sich jener unermüdlich gegen Rassismus und Rechtsradikalismus engagiert.

Freunde und Genossen erinnern sich an ihn in diesem Buch, das zugleich die Geschichte der linken Opposition in Berlin-Neukölln zeichnet. Hierfür haben die Historiker Matthias Heisig und Bernhard Bremberger ohne jegliche finanzielle Unterstützung recherchiert.

Über Gutsches Zeit in der Wehrmacht erfährt man nur wenig. Sein politisches Bewusstsein erwachte in russischer Kriegsgefangenschaft und beim Besuch einer Antifa-Schule, die er mit Hans Modrow absolvierte. Auch Gutsche wird Mitglied der SED, lebte jedoch in der Frontstadt Westberlin. Er sammelte Unterschriften für den Stockholmer Appell zur Abschaffung der Atomwaffen und setzte sich für eine ehrliche, kritische Aufarbeitung der NS-Vergangenheit ein. Seine Aufforderung an Mitstreiter vom Neuköllner Geschichtsverein »Da müsst ihr euch mal drum kümmern« wurde Titel gebend. Gutsches Einsatz verdankt sich die Benennung des Neuköllner Sportstadions nach dem antifaschistischen Widerstandskämpfer Werner Seelenbinder, der als Kommunist in Westberlin lange tabu war.

Das Buch informiert über eine Widerstandsgruppe gegen die Nazis an der Rütlischule, die Bestreikung von SA-Sturmlokalen durch Arbeiter sowie einen Schauprozess gegen Kommunisten 1935, der mit Todesurteilen endete. Christian von Gelieu weist auf blinde Flecken der kommunistischen Geschichtsschreibung hin. Gemeinsam mit seiner Frau Claudia ist der Historiker übrigens vor einigen Wochen Opfer rechter Gewalt geworden. Der Terror von Neonazis beweist einmal mehr, wie wichtig Bücher wie dieses sind.

Frieder Boehne/ Bernhard Bremberger/ Matthias Heisig: »Da müsst ihr euch mal drum kümmern. « Werner Gutsche (1923–2012) und Neukölln.
Metropol. 300 S., br., 22 €.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1045570.politisches-erwachen-in-gefangenschaft.html
Peter Nowak

Das Konzentrationslager und Zuchthaus Sonnenburg

Ein KZ zur Ausschaltung der Arbeiterbewegung

Das Konzentrationslager und Zuchthaus Sonnenburg. (Hrsg. Hans Coppi, Kamil Majchrzak). Berlin: Metropol, 2015. 240 S., 19 Euro

«Sonnenburg symbolisiert wie kaum ein anderer Ort Beginn und Ende der zwölf Jahre währenden Schreckensherrschaft des NS-Regimes», heißt es im Klappentext. In knapp 30 Aufsätzen informiert das Buch über die Geschichte des KZ und Zuchthaus Sonnenburg, Historiker aus Polen, Frankreich, Luxemburg, Belgien und Deutschland, sowie Angehörige der Opfer des KZ und Zuchthaus Sonnenburg kommen dabei zu Wort.
Lange Zeit war dieser Terrorort, der heute im westpolnischen Slonsk liegt, vergessen. In den ersten Jahren der NS-Herrschaft war der Ort als «Folterhölle Sonnenburg» weltbekannt – daran erinnert der polnische Historiker Andrzej Toczewski in seinem Überblicksartikel. Im April 1933 wurden die ersten Häftlinge in das Lager verschleppt. Es waren überwiegend Berliner Kommunisten. Aber auch die drei bekannten linken Intellektuellen Carl von Ossietzky, Erich Mühsam und Hans Litten wurden in Sonnenburg gefoltert. Alle drei überlebten das NS-System nicht.
Dass das Zuchthaus bereits in den 20er Jahren bekannt wurde, dafür sorgte der rebellische Linkskommunist Max Hölz, der dort inhaftiert war. Eine internationale Solidaritätsbewegung forderte seine Freilassung. Körbeweise trafen in diesen Jahren Solidaritätsbriefe im Zuchthaus ein. Auch in der Sowjetunion war Sonnenburg durch Hölz damals ein Begriff. Wegen schlechter hygienischer Bedingungen wurde das Zuchthaus 1931 von der preußischen Landesregierung geschlossen, was in der Bevölkerung auf Widerstand stieß. Schließlich war der Knast ein wichtiger Arbeitgeber. Die NSDAP konnte mit dem Versprechen, es wieder zu öffnen, in der Region Stimmen gewinnen.
Das Versprechen wurde schnell eingelöst. Sonnenburg wurde in der frühen NS-Zeit zu einem wichtigen Konzentrationslager für Berliner Linke. Über den Empfang der Gefangenen schrieb der kommunistische Widerstandskämpfer Klaas Meyer: «Es wurde mit allerhand Mordwerkzeugen, mir lief das Blut schon durch das Gesicht … Die ganze Bevölkerung war vertreten, wir wären Reichstagsbrandstifter. Eltern und Kinder schlugen nach uns und wir wurden angespuckt.» Der Politologe Christoph Gollasch verweist auf weitere Berichte über Folterungen in Sonnenburg und nennt den Ort «ein KZ zur Ausschaltung der Arbeiterbewegung».
Nach der Auflösung des KZ wurde Sonnenburg als Zuchthaus genutzt. Dorthin wurden während des Zweiten Weltkriegs aus ganz Europa Nazigegner, die von der Straße weg verhaftet wurden, verschleppt. Diese sogenannten Nacht- und Nebelgefangenen wurden hier unter besonders unmenschlichen Bedingungen festgehalten. Die Sterberate war hoch. Daniel Quaiser geht auf das Massaker ein, bei dem in der Nacht vom 30. auf den 31.Januar 1945 insgesamt 819 Gefangene von der Gestapo erschossen wurden, kurz bevor die Rote Armee das Lager befreien konnte. Viele der Opfer konnten trotz Bemühungen der Angehörigen aus verschiedenen europäischer Ländern nie identifiziert werden.
Der Jurist Kamil Majrchrzak berichtet über die juristische Aufarbeitung der Verbrechen in Polen. In der BRD hingegen wurden der für das Massaker verantwortliche SS-Sturmbannführer Heinz Richter und SS-Hauptsturmbannführer Wilhelm Nickel am 2.August 1971 vor dem Kieler Landgericht freigesprochen. Mittlerweile hat die polnische Justiz die Ermittlungen wieder aufgenommen.
Schon in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts hatte eine Gruppe von Antifaschisten in Westberlin mit der Erforschung der Geschichte des KZ Sonnenburg begonnen. Mit dem Umbruch von 1989 kam diese Arbeit zunächst zum Erliegen. Ab 2010 beschäftigten sich Mitglieder der Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) mit der Geschichte von Sonnenburg. Sie gründeten dafür einen gesonderten Arbeitskreis. So konnten auch noch die Arbeitsergebnisse aus den 80er Jahren mit einfließen. Es möge dem Buch gelingen, Sonnenburg zu einem europäischen Gedenkort zu machen, damit die Opfer des KZ nicht vergessen werden.

aus: SoZ 6/2015

Das Konzentrationslager und Zuchthaus Sonnenburg

von Peter Nowak

KZ Sonnenburg

Das KZ und Zuchthaus Sonnenburg, im heutigen westpolnischen Slonsk gelegen, war lange Zeit vergessen. In den ersten Jahren der NS-Herrschaft war der Ort als »Folterhölle Sonnenburg« weltbekannt. Im April 1933 wurden die ersten Häftlinge in das Lager verschleppt, überwiegend Berliner Kommunist_innen. Auch die drei bekannten linken Intellektuellen Carl von Ossietzky, Erich Mühsam und Hans Litten wurden in Sonnenburg gefoltert. Über den Empfang der Gefangenen schrieb der kommunistische Widerstandskämpfer Klaas Meyer: »Es wurde mit allerhand Mordwerkzeugen geschlagen, mir lief das Blut schon durch das Gesicht. (…) Die ganze Bevölkerung war vertreten, wir wären Reichstagsbrandstifter. Eltern und Kinder schlugen nach uns und wir wurden angespuckt«. Während des Zweiten Weltkriegs wurden Nazigegner_innen aus ganz Europa nach Sonnenburg verschleppt. Die Sterberate war hoch. Daniel Quaiser geht in seinen Aufsatz auf das Massaker ein, bei dem in der Nacht vom 30. auf den 31. Januar 1945 insgesamt 819 Gefangene von der Gestapo erschossen wurden, kurz vor der Befreiung durch die Rote Armee. Kamil Majrchrzak berichtet über die juristische Aufarbeitung der Verbrechen in Polen. In der BRD hingegen wurden die für das Massaker verantwortlichen SS-Männer Heinz Richter und Wilhelm Nickel 1971 vom Kieler Landgericht freigesprochen. Mittlerweile hat die polnische Justiz die Ermittlungen wieder aufgenommen. Ein Grund mehr, sich an die Geschichte Sonnenburgs und seiner Opfer zu erinnern.

http://www.akweb.de/ak_s/ak603/15.htm

Peter Nowak

Hans Coppi und Kamil Majchrzak (Hg.): Das Konzentrationslager und Zuchthaus Sonnenburg. Metropol Verlag, Berlin 2015. 240 Seiten, 19 EUR.

Im Schatten

Im polnischen Słońsk ist eine Ausstellung eröffnet worden, die an das dortige ehemalige Konzentrationslager erinnert.

»Wer ins polnische Słońsk kommt, sollte unbedingt Zeit mitbringen«, heißt es auf der Homepage der »Initiative Kulturbrücke über die Oder«, die für eine deutsch-polnische Kulturbegegnung wirbt. Dort wird auf den Nationalpark Warthemündung mit seinen seltenen Vögeln und Pflanzen hingewiesen. Seit dem 31. Januar gibt es einen weiteren Grund, länger in dem polnischen Städtchen knapp 100 Kilometer östlich von Berlin zu verweilen. An diesem Tag wurde eine in deutsch-polnischer Kooperation und maßgeblich vom »Internationalen Arbeitskreis zum Gedenken an die Häftlinge des KZ und Zuchthauses Sonnenburg« der Berliner VVN-BdA konzipierte Ausstellung zur Geschichte des KZ Sonnenburg eröffnet. Sie erinnert an eine Zeit, die auf der Homepage der Kulturbrücke unter dem Stichwort »besonders dunkler Teil der Sonnenburger Geschichte« in einem kurzen Absatz abgehandelt wird.

»Sonnenburg symbolisiert wie kaum ein anderer Ort Beginn und Ende der zwölf Jahre währenden Schreckensherrschaft des NS-Regimes«, heißt es in der Ausstellung. Die in deutscher und polnischer Sprache erstellten Tafeln belegen diese Aussage detailliert. Bereits im Frühjahr 1933 wurden Kommunisten, Sozialisten und linke Intellektuelle aus Berlin und Brandenburg nach Sonnenburg verschleppt. Klaas Meyer, ein kommunistischer Seemann, beschrieb seine Begegnung mit der SA: »Es wurde mit allerhand Mordwerkzeugen geschlagen, den meisten lief das Blut schon durchs Gesicht. (…) Die ganze Bevölkerung war vertreten, man hatte ihnen gesagt, wir seien Reichstagsbrandstifter. Eltern und Kinder schlugen nach uns und wir wurden angespuckt.«

In der Ausstellung wird auch gezeigt, dass Sonnenburg nicht zufällig als Ort für das KZ ausgesucht wurde. Als 1931 das dortige Zuchthaus wegen katastrophaler hygienischer Zustände geschlossen wurde, regte sich im Ort, in dem das Zuchthaus ein zentraler Arbeitgeber war, Widerstand. Die NSDAP, die gegen die Zuchthausschließung agitierte, erzielte gute Wahlergebnisse.

Mehrere Tafeln dokumentieren die Gesichter der »Nacht-und-Nebel-Gefangenen«, die nach 1941 aus zahlreichen von Deutschland besetzten Ländern in das Zuchthaus verschleppt wurden. Kurz vor dem Eintreffen der Roten Armee erschoss die SS in der Nacht vom 30. auf den 31. Januar 1945 in Sonnenburg noch 819 Gefangene.

70 Jahre später reisten zur Eröffnung der Ausstellung auch viele Angehörige der Opfer aus Deutschland und diversen europäischen Ländern an. Doch nicht alle fühlten sich in Słońsk willkommen. Viele Angehörige mussten in der winterlichen Witterung vor der Halle warten, in der ein Vertreter des Fürstenhauses von Luxemburg bei der Gedenkveranstaltung für die Opfer des 30. Januar 1945 sprach. Der größte Teil der Erschossenen kam aus Luxemburg.

»Auch unsere Angehörigen waren Opfer«, sagt Jan Hertogen. Der belgische Forscher, der beim Internationalen Arbeitskreis der Berliner VVN mitarbeitete, war besonders empört, dass die Rede der belgischen Botschafterin bei der Gedenkveranstaltung aus Zeitgründen kurzfristig gestrichen worden war. »In Sonnenburg wurde mein Vater gequält und heute fühle ich mich an dem Ort wieder gedemütigt«, sagt Meina Voigt Schnabel zur Jungle World. Auch die Tochter des kommunistischen Seemanns Klaas Meyer, der bereits 1933 die Zustände in der »Folterhölle Sonnenburg« der Öffentlichkeit bekannt machte, bekam keinen Zutritt zur Gedenkveranstaltung.

Am Nachmittag organisierte der Arbeitskreis ein Treffen im Rathaus von Słońsk mit dem polnischen Staatsanwalt Janusz Jagiełłowicz, der die Kommission für die Verfolgung von Verbrechen im Zuchthaus Sonnenburg leitet. Die 1972 eingestellten Ermittlungen gegen die Verantwortlichen wurden im Februar 2014 wieder aufgenommen. Rechtzeitig zum 70. Jahrestag des Massakers haben Hans Coppi und Kamil Majchrzak im Metropol-Verlag das Buch »Das Konzentrationslager und Zuchthaus Sonnenburg« herausgegeben, das einen guten Überblick über die Geschichte dieses weitgehend vergessenen Ortes des NS-Terrors gibt.

http://jungle-world.com/artikel/2015/06/51382.html
Peter Nowak

„Es ist noch vieles aufzuarbeiten


NS-ZEIT Ein Buch informiert über Arbeitsverweigerungen von ZwangsarbeiterInnen in Berlin. Das Interesse am Thema sei vorhanden, sagt Herausgeber Stefan Heinz. Jetzt müsse die Forschung an den Unis verankert werden

INTERVIEW PETER NOWAK

taz: Herr Heinz, der Titel des von Ihnen herausgegebenen Buchs lautet „Der vergessene Widerstand der Arbeiter“. Aber gab es nicht in den 70er- und 80er-Jahren eine Hinwendung zur Geschichte der Arbeiterbewegung und auch des Widerstands?

Stefan Heinz: Einige Widerstandsgruppen sind in der Tat wieder in Vergessenheit geraten. Andere waren bis vor kurzem vergessen oder sind es noch immer. Während DDR-Historiker auf den KPD-Widerstand fixiert blieben, wurden in der Bundesrepublik ab den 70er-Jahren Vorstöße von meist jüngeren Leuten gemacht, Fragen zur Arbeiterbewegung und deren Widerstand gegen das NS-Regime zu thematisieren. Zuvor beschäftigte sich dort die Öffentlichkeit fast ausschließlich mit dem Widerstand konservativer Kreise um den 20. Juli 1944 und der Kirchen. Nach 1989/90 entstand die kuriose Situation, dass bisher nicht zugängliche Archivakten neue Forschungen ermöglicht hätten, die finanzielle Förderung für entsprechende Projekte aber zurückgefahren wurde. Dies entsprach einer Erinnerungskultur, in der linker Arbeiterwiderstand, gerade weil er sich zum Teil als revolutionär verstand, schlicht nicht mehr angesagt war.

In den 90er-Jahren vertraten auch manche linke Historiker die These, dass der Großteil der ArbeiterInnen loyal zum NS-System stand und nur eine verschwindende Minderheit Widerstand leistete. Können das Ihre Forschungen bestätigen?

Ich denke zum einen, dass loyales Verhalten schwer messbar ist, wenn alle, die mit der NS-Politik nicht einverstanden waren, damit rechnen mussten, mundtot gemacht zu werden. Denk- und Verhaltensweisen in der Arbeiterschaft stehen im Widerspruch zur NS-Propaganda einer vereinten „Volksgemeinschaft“. Zum anderen bedeutete Nichtzustimmung keineswegs automatisch widerständiges Handeln, das nur eine Minderheit praktizierte. Wenn zeitliche Phasen betrachtet werden, wird man oft unterschiedliches Verhalten in ein und derselben Person entdecken. Fakt ist, der Arbeiterwiderstand begann schon 1933 und hatte die meisten Verluste zu beklagen. Umfang und Intensität der illegalen Aktivitäten, vor allem von Gewerkschaftern, werden erheblich unterschätzt.

Ein Aufsatz beschäftigt sich am Beispiel von Erich Wollenberg auch mit im Stalinismus verfolgten Kommunisten. Welchen Stellenwert hat das Thema in der Forschung zur Arbeiterbewegung?

Es gibt mehrere Projekte, die sich mit der Verfolgung von Kommunisten im sowjetischen Exil beschäftigen. Diese und andere Forschungen sind wichtig, da auch in diesem Bereich vieles aufzuarbeiten ist. Allerdings sollte darauf geachtet werden, die Funktion von Repression und Gewalt in die Besonderheiten eines politischen Systems einzuordnen, um falsche Gleichsetzungen zwischen Stalins Herrschaft und dem NS-Regime zu vermeiden.

In einem Kapitel beschäftigt sich die Historikerin Gisela Wenzel mit dem Widerstand von in Berlin lebenden polnischen StaatsbürgerInnen. Obwohl die Recherchen weit zurückreichen, ist das Thema kaum bekannt. Wo sehen Sie die Gründe?

Wie Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene haben solche Gruppen kaum eine Lobby, der es ein Bedürfnis ist, sich in ihre Tradition zu stellen und ein Gedenken zu pflegen. Im Vergleich zum Kreis des 20. Juli 1944 war bei diesen Widerständlern eine späte Gewissensentscheidung gar nicht nötig, da sie nie mit den Nazis sympathisiert hatten. Auch hinterließen sie wenig Selbstzeugnisse. Das macht sie für manche uninteressant.

Welche weiteren Aufgaben sehen Sie für die Forschung zum ArbeiterInnenwiderstand in Zukunft?

Es gibt noch sehr viel in den Archiven zu erforschen. Erfreulicherweise wächst das Interesse am Thema bei Studierenden derzeit wieder. Dies belegen auch einige Beiträge in dem Sammelband. Dieses Interesse zu fördern, an den Unis zu verankern und mit einer Gedenkkultur zu verbinden, ist die wichtigste Aufgabe und eine Herausforderung zugleich.

Hans Coppi/Stefan Heinz (Hrsg.): „Der vergessene Widerstand der Arbeiter. Gewerkschafter, Kommunisten, Sozialdemokraten, Trotzkisten, Anarchisten und Zwangsarbeiter“. dietz Verlag, Berlin 2012, 383 Seiten, 29,90 Euro



Stefan Heinz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsstelle „Nationale und Internationale Gewerkschaftspolitik“ am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der FU Berlin

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig
=2012%2F07%2F07%2Fa0231&cHash=ba7ae1e0de

Interview: Peter Nowak

Antifaschist Hans Coppi vor Gericht

Berliner VVN-BdA-Chef soll bei Blockade von Nazi-Marsch versucht haben, Polizisten zu schlagen
Blockaden sind ein wirksames Mittel, um Nazi-Aufmärsche zu verhindern. Die Blockierer jedoch werden oft kriminalisiert. In diesem Fall steht der Antifaschist Hans Coppi vor Gericht.
 

Am Montag wird vor dem Amtsgericht Königs Wusterhausen gegen den Landesvorsitzenden der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA), Hans Coppi, verhandelt. »Der Vorwurf lautet, ich hätte versucht, Einsatzkräfte der Polizei am 5. Dezember 2009 bei der Blockade des NPD-Aufmarsches in Königs Wusterhausen mit einer mitgeführten Fahnenstange zu schlagen und zu stechen«, erklärt Coppi. Er bestreitet den Vorwurf.

Rund 600 Menschen hatten am 5. Dezember gegen den Neonaziaufmarsch in Königs Wusterhausen protestiert. Aufgerufen zu der Protestdemonstration hatte ein Bündnis gegen Rechts, dem zivilgesellschaftliche Initiativen und politische Parteien angehören. Allerdings wurde die Blockade von der Polizei nach kurzer Zeit geräumt.

In einem auf der linken Internetplattform Inforiot veröffentlichten Augenzeugenbericht heißt es: »Die Neonazis starteten etwas über eine Stunde zeitversetzt vom Bahnhof aus. Eine Blockade auf halber Strecke der Naziroute wurde von der Polizei gewaltsam geräumt. Dennoch verzögerte sich durch diesen Protest der Ablauf der rechten Aktion erheblich. An mehreren weiteren Punkten der Route konnten Antifas lautstark stören. Das ›Nazis raus!‹ übertönte oftmals die Hetzparolen der Rechten.«

Bei der Auflösung der Blockade durch die Polizei wurde auch eine Fahne der VVN-BdA beschlagnahmt. Unter den Blockierern befand sich Hans Coppi, dessen Eltern Hans und Hilde 1942 beziehungsweise 1943 als Mitglieder der Widerstandsgruppe »Rote Kapelle« von den Faschisten hingerichtet worden sind. Seine Personalien wurden aufgenommen, was die Grundlage des Verfahrens ist. Dass im Zusammenhang mit den antifaschistischen Protesten in Königs Wusterhausen nur gegen ihn ein Strafverfahren eröffnet wurde, begründet Coppi mit der Vermutung, dass ein Sündenbock gesucht werden musste, weil die Polizei von der Blockade genervt war.

Markus Tervooren vom Vorstand der Berliner VVN-BdA sagt, die Blockade von Königs Wusterhausen habe danach in vielen Städten in Brandenburg Schule gemacht. »Ob in Eberswalde, Bernau, oder Strausberg – in den vergangenen Wochen blockierten Antifaschistinnen und Antifaschisten immer wieder die Aufmarschversuche von Brandenburger und Berliner Neonazis.«

Das soll auch in den nächsten Wochen weitergehen. Für den Sonnabend der kommenden Woche kündigte die NPD kurzfristig einen Aufmarsch in Finsterwalde an. Antifaschistische Gegenaktionen werden vorbereitet. Schon seit Monaten geplant ist ein Aufmarsch der rechtsextremen Kameradschaft Märkisch Oder Barnim in Manschnow im Oderbruch am 10. Juli. Auch in diesem Fall mobilisieren Antifagruppen zu Gegenaktionen.

»Naziaufmärsche blockieren ist unser Recht«, betont Tervooren selbstbewusst. Die VVN-BdA ruft dazu auf, Hans Coppi bei seinem Prozess zu unterstützen.

Verfahren gegen Hans Coppi am 28. Juni, 11.45 Uhr, Amtsgericht Königs Wusterhausen, Schlossplatz 4, Saal 2003 (Schöffensaal)

http://www.neues-deutschland.de/artikel/173945.antifaschist-hans-coppi-vor-gericht.html

Peter Nowak