Größte Regierungspartei redet, als wäre sie in der Opposition. Esken plädiert für soziale Politik, Kühnert für Seenotrettung. Was daran zynisch ist. Ein Kommentar.

Doppelmoral: SPD macht auf Opposition und lobt Pannen-Kanzler Scholz

Wenn dann über die Ergebnisse der Studie der Hans-Böckler-Stiftung zu Armut und Vertrauen in die Demokratie geschrieben wurde, hatte man oft den Eindruck, das größte Problem bestehe gerade in diesen Vertrauensverlust der Armen in die Staatsapparate. Dabei müsste doch die Frage lauten, warum sollten die Armen Vertrauen in ein System haben, dass für ihre Situation wesentlich verantwortlich ist?

Die Wahlprognosen für die SPD sind aktuell ebenso im Keller wie das Vertrauen in die von ihr geführte Bundesregierung. Doch die größte Regierungspartei erweckte auf ihrem Berliner Parteitag den Eindruck, sie habe mit alledem nichts zu tun. „Deutschland. Besser. Gerecht.“ schreien einen die Floskeln an, als würde die Partei nicht …

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Die Unzufriedenheit mit der Corona-Politik wächst vor allem unter Erwerbstätigen. Bei manchen führt das auch zur "Impfmüdigkeit". Ergebnisse einer Befragung als Warnsignal

Corona-Krise: Verzicht auf Booster mangels Vertrauen in die Politik

Die Frage, wie soziale Proteste in der Pandemie aussehen könnten, die nicht von irrationalen Gruppen vereinnahmt werden können, stellt sich nach den Umfragen der Hans-Böckler-Stiftung um so dringlicher. Schließlich kann die wachsende Unzufriedenheit vermehrt zu Protesten führen. Doch mit welchen Inhalt und mit welchen Bündnispartnern? Das war eine zentrale Frage der Autorinnen und Autoren des Buches "Corona und Gesellschaft", die sich aus haben verschiedenen emanzipatorischen Zusammenschlüssen von Wissenschaftlern zusammensetzt – darunter die Assoziation für Kritische Gesellschaftsforschung, das Institut für Protest- und Bewegungsforschung und das Netzwerk Kritische Bewegungsforschung zusammensetzt.

Zwei Jahre nach Beginn der Corona-Krise in Deutschland erreicht die Unzufriedenheit unter Erwerbspersonen neue Höchststände. Dabei handelt es sich nicht etwa um eine Fake-News von „Querdenkern“ und Maßnahmenkritikern. Das ist vielmehr das Ergebnis einer Befragung   …

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Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung stellt Untersuchung vor: Mit diesen Mitteln soll der Staat arbeitsmarktpolitische Herausforderungen bewältigen

Ökonomen fordern neue Wirtschaftspolitik nach der Pandemie

Die angeblich positiven Wirtschaftseffekte durch die Biden-Wahl sind ebenso Spekulation wie die Aufweichungen der Corona-Beschränkungen. Der erhoffte positive Effekt durch die Impfankündigungen ist ja nicht nur in Deutschland weitgehend verpufft. Auch in Großbritannien folgt auf den spektakulär inszenierten Impfbeginn ein neuer Lockdown. Zudem widersprechen die optimistischen Szenarien der Nachholeffekte dem vom IMF angemahnten sozialökologischen Umbau.

Das zweite Jahr unter Corona ist angebrochen und die verschiedenen Wirtschaftsinstitute beschäftigten sich mit der näheren Zukunft der Ökonomie. Am 5. Januar ging auch das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung mit seinem Report zum wirtschaftspolitischen Ausblick für 2021 an die Öffentlichkeit. Nicht überraschend bewegen sich die Forderungen unter dem Motto „Wirtschaftspolitische Herausforderungen 2021“ im Rahmen des …

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Autoritärer Staat und Austerität

Die Reaktionen von Politik und Medien auf den Protesttag zeigen, dass die Angst davor wächst, dass diejenigen, die unter der Austeritätspolitik leiden, öfter in Deutschland ihren Protest ausdrücken könnten

Die Spuren des Blockupy-Aktionstages wurden in Frankfurt/Main schon längst beseitigt. Doch vor allem bei der konservativen Presse und Politik scheint die Tatsache, dass erstmals Menschen aus ganz Europa ihren Protestin in das Land getragen haben, das für die Austeritätspolitik hauptsächlich verantwortlich ist, doch für Beunruhigung gesorgt zu haben. Sie beginnen wohl zu begreifen, dass es mit der Friedhofsruhe hierzulande vorbei sein könnte, wenn die Menschen aus dem EU-Raum dort protestieren, wo die Verantwortlichen sitzen.

Da ist Frankfurt auf jeden Fall in einer Zeit eine gute Adresse, wo sich die Politik vor allem darum sorgt, wie es dem Dax geht und ob der Markt verschreckt wird, aber nicht, ob die Menschen noch ein Dach über den Kopf oder genug zu essen haben. Da wird seit Tagen in deutschen Medien darüber gerätselt, was es mit den Stinkefinger auf sich hat, den der heutige griechische Finanzminister vor Jahren als linker Oppositionspolitiker gezeigt haben soll, als er Deutschland erwähnte. Varoufakis Grundlagentext [1], in dem er sich als Arzt am Krankenbett des Kapitalismus betätigt, um das Umkippen der Gesellschaft in die Barbarei zu verhindern, wird kaum zur Kenntnis genommen, obwohl er viel über seineheutige Politik sagt.

Auch die Studie [2] der DGB-nahen Hans-Böckler-Stiftung über die Folgen der Austeritätspolitik für die Mehrheit der Menschen in Griechenland, die die Kritik des Blockupy-Bündnisses bestätigt, schafftees kaum in die Medien. „Der Austeritätskurs in Griechenland hat die Einkommen der privaten Haushalte in dem Krisenland drastisch einbrechen und die Armut ansteigen lassen“, lautet das Ergebnis.

Doch die Studie wird nicht dazu führen, dass sich Schäuble oder seine Unterstützer von der Austeritätspolitik distanzieren oder sie nur kritisch hinterfragen. Schließlich geht es ihnen um den Wirtschaftsstandort und nicht um Menschen. Distanzieren aber sollen sich jetzt die Organisatoren der Proteste zur EZB-Eröffnung, wenn es nach den Politikern einer ganz großen Koalition von Grünen bis zur Union geht. Sie griffen bei einer Debatte im Bundestag die Protestorganisatoren an. Zudem forderten sie von der Linken wieder einmal eine Distanzierung von Gewalt.

Straßenmilitanz in Kiew bejubelt, in Frankfurt/Main kriminalisiert

Doch als Katja Kipping, eine der Co-Vorsitzende der Linken dieser Aufforderung nachkam [3], war das nur ein Anlass für weitere Distanzierungsaufforderungen. Viel souveräner ging die Linksparteiabgeordnete Heike Hänsel mit denDistanzierungsforderungen um. Sie listete einige der Opfer der Austeritätspolitik auf und kam zu dem Schluss, „dass die Gewalt in erster Linie von der EZB ausgeht, nicht von ihren Kritikern“.

Besonders erbost reagiertendie Medien und viele Politiker als Hänsel daran erinnerte [4], dass militante Kämpfe gegen eine bürgerlich-demokratisch gewählte Regierung auch von Politikern der großen Koalition nicht immer abgelehnt werden. Als im letzten Jahr die Lage in Kiew eskalierte, waren sie des Lobes voll für die dortigen Straßenkämpfer und ihre Gewalt. Sie konnten sich ja sicher sein, dass dort keine Linken aktiv sind. Die Empörung, die Hänsel mit dieser simplen Erklärung, deren Realitätsgehalt niemand bestreiten kann, auslöste, zeigte, dass sie ins Schwarze getroffen hat. Erbost [5] reagierten die konservativen Medien darauf, dass das Blockupy-Bündnis deutlich machte, dass es sicher einzelne militante Aktionen ablehnt, sich aber einer Distanzierung verweigert.

Der deutsche Distanzierungszwang verhindert letztlich inhaltliche Auseinandersetzungen. Das Blockupy-Bündnis fordert diese ein und erteilt allen Spaltungsversuchen in gute und schlechte Demonstranten eine Absage. Sie verweisen darauf, dass sie nicht alle Aktionen billigen, aber die Wut der Menschen über die Folgen einer Politik, die ihnen Lebenschancen nimmt, verstehen können.

In der FAZ hingegen übt man sich nach den Protesten schon mal im Rundumschlag gegen alle, die sich zur EZB-Eröffnung überhaupt kritisch zu Wort melden. In einen Kommentar [6] werden Politiker von Linken und Grünen, aber auch Gewerkschaften heftig angegriffen und sogar ziemlich unverhohlen in die Nähe von Mord und Totschlag gerückt.

„Einem schwärmerischen Neunzehnjährigen mag man die Naivität durchgehen lassen, er habe doch nur demonstrieren wollen, den Wilkens und Genossen aber nicht. Sie wussten genau, was sie taten. Sie nahmen Tote in Kauf. Erst brennen die Streifenwagen, dann die Menschen“, lautet das letzte Kapitel im Kommentar. Es ist eindeutig, dass hier eine kritische Bewegung kriminalisiert werden soll.

„Ihr verbrennt keine Autos, ihr verbrennt den Planeten“

Offensiv hat die bekannte Publizistin und Kapitalismuskritikerin Naomi Klein [7], die in ihrem jüngsten Buch [8] über eine Kooperation zwischen Umweltbewegung und Kapitalismuskritik nachdenkt, den politischen Zusammenhang dargestellt. „Ihr verbrennt keine Autos, ihr verbrennt Planeten“, schrieb sie Institutionen wie der EZB ins Stammbuch. Diese betrieben eine Politik für Reiche, in ihr säßen „die wahren Randalierer“.

Damit hat auch Klein den weitgehend tabuisierten Zusammenhang hergestellt zwischen der hilflosen Gewalt der Opfer jener mächtigen Gewalt, die vielfältiger Weisein das Leben von Millionen eingreift. Es waren vor allem die Regelverletzungen bei den Protesten in Frankfurt/Main, die das Thema in die Medien brachte. Das erkannte auch der hochrangige Syriza-Politiker Giorgos Chondros [9], der an den Protesten teilnahm und von den Medien auch gefragt wurde, ob er die rund um die EZB brennenden Autos okay finde. Die Taz zitiert seine Antwort [10]: „Ja“, sagt Chondros. „Das ist gut für Medien. Was anderes wollen die ja nicht.“

Am Tag des Blockupy-Beitrags stieg der Dax einmal nicht und die Wirtschaftsredaktion des Deutschlandfunks sprach davon, dass die Märkte beunruhigt seien. Zwei Tage später steigt der Dax wieder, die Märkte sind wieder zufrieden und die griechische Regierung wird von der Bundesregierung und den von ihr abhängigen Institutionen unter Druck gesetzt, das Land wieder unter ihr Kuratel zu stellen, also die Politik umzusetzen, die in Griechenland abgewählt wurde.

Obwohl die Dokumentation Troika – Macht ohneKontrolle [11] nachgewiesen hat, dass bei der Etablierung dieser Strukturen zahlreiche Gesetze und Bestimmungen verletzt wurden, wird gegen die dafür Verantwortlichen, an erster Stelle Wolfgang Schäuble, nicht gerichtlich ermittelt. FAZ und Co. klagen nicht darüber, dass diese Gesetzesbrecher noch im Amt sind. Zwei Tage nach den Protesten kündigt das Bundesinnenministerium den Aufbau einer weiteren Anti-Terror-Einheit an. Hier wurden wieder einmal lange in den Schubladen liegende Pläne rausgeholt, um den Weg in den autoritären Staat, der zur Austeritätspolitik passt, auch hier voranzutreiben.

http://www.heise.de/tp/news/Autoritaerer-Staat-und-Austeritaet-2581962.html

Peter Nowak

Links:

[1]

http://www.woz.ch/-5a79

[2]

http://www.boeckler.de/cps/rde/xchg/hbs/hs.xsl/52614_53364.htm

[3]

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/blockupy-im-bundestag-die-linke-und-die-randale-in-frankfurt-a-1024472.html

[4]

https://twitter.com/HeikeHaensel/status/578155299640631298

[5]

http://www.faz.net/aktuell/rhein-main/blockupy/blockupy-distanziert-sich-nicht-von-gewalt-13492647.html

[6]

http://www.faz.net/aktuell/rhein-main/blockupy/linke-krawalle-in-frankfurt-nur-noch-blinder-hass-13491675.html

[7]

http://www.naomiklein.org/main

[8]

http://thischangeseverything.org/

[9]

http://www.deutschlandfunk.de/griechenland-wir-erleben-eine-soziale-katastrophe.694.de.html?dram%3Aarticle_id=282670

[10]

http://www.taz.de/!156687/

Kleine Verfassungsschutzkunde

Stipendiaten der Hans-Böckler-Stiftung kritisieren, es gebe dort zu wenig Distanz zum Verfassungsschutz.

von Peter Nowak

Spätestens seit der Selbstenttarnung des NSU im November 2011 ist der Verfassungsschutz (VS) in Erklärungsnöten. Wie konnten Neonazis über Jahre rassistische Morde verüben während der VS davon nichts mitbekommen haben will? Auch in gewerkschaftlichen Kreisen ist seitdem die Distanz zu den Diensten gewachsen. So hat sich die DGB-Jugend auf ihrer Konferenz im Herbst 2013 eindeutig positioniert. »Die Gewerkschaftsjugend lehnt jegliche Bildungsarbeit des Verfassungsschutzes ab und spricht sich eindeutig gegen jedes Engagement des Geheimdienstes in diesem Themenfeld aus«, lautete der Kernsatz des mit großer Mehrheit angenommenen Antrags »Bildungsarbeit ohne Verfassungsschutz«. Doch mit der Umsetzung dieses Beschlusses gibt es auch gewerkschaftsintern Probleme.

In einer Protesterklärung, die der Jungle World vorliegt, monieren Stipendiaten der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung (HBS), dass man dort Distanz zum VS vermissen lasse. Der Abteilungsleiter der Studienförderung der HBS habe im Februar vorgeschlagen, für ein Seminar über »rechte Strukturen« einen Referenten einzuladen, der Stipendiat der HBS war und nun beim Verfassungsschutz in Niedersachsen arbeitet. Dieses Ansinnen führte zu Protesten bei Stipendiaten. Der Verfassungsschutz habe keinen Bildungsauftrag und seinem eingeschränkten Demokratieverständnis dürfe kein Platz gegeben werden, lautete die Begründung.

Sehr zurückhaltend reagierte das siebenköpfige Leitungskollektiv der Promovierenden der Stiftung auf Nachfrage. Es wolle »zum jetzigen Zeitpunkt keine offiziellen Statements zum Thema Hans-Böckler-Stiftung und Verfassungsschutz abgeben«, hieß es in einem Schreiben an die Jungle World. »Solange keine konkreten Pläne durch die Veröffentlichung eines Seminarprogramms bekannt sind, dreht es sich unserer Ansicht nach um Spekulationen und Stiftungsinterna, die wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht diskutieren können«, so die defensive Begründung der Promovierenden. Die kritischen Stipendiaten halten diese abwartende Haltung für falsch. Schließlich ist eine Kooperation mit dem Verfassungsschutz leichter zu verhindern, wenn eine öffentliche Debatte entsteht, bevor das Programm druckfertig ist, heißt es in der Protesterklärung der VS-kritischen Stipendiaten. Im Mai suchten sie das Gespräch mit der Abteilung Studienförderung. Ihr Versuch, innerhalb der Stiftung eine kritische Diskussion zum Umgang mit dem Verfassungsschutz anzustoßen, stieß schnell an Grenzen. Die Kritiker wurden darauf verwiesen, dass die IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) beim Thema Rechtsextremismus mit dem Verfassungsschutz kooperiere.

Auch das Leitungskollektiv der Stipendiaten verweist auf diese Gewerkschaft. »Die bessere Ansprechpartnerin zu dem ganzen Thema wäre unseres Erachtens zurzeit die IG BCE, die öffentlich mit dem Verfassungsschutz Ausstellungen und Bildungsveranstaltungen organisiert.« Bei der Eröffnung der Wanderausstellung »Gemeinsam gegen Rechtsextremismus« im Foyer der Hauptverwaltung der IG BCE am 7.  November 2013 in Hannover betonte Ralf Sikorski, Mitglied des geschäftsführenden Hauptvorstands, dass »die Gewerkschaften stets die Bekämpfung rechtsextremer Politik und Auffassungen, aber auch die inhaltliche Auseinandersetzung mit ihren Formen und Methoden vorangetrieben haben«. Die Kooperation mit dem Verfassungsschutz wird bei Sikorski zur antifaschistischen Praxis: »Dies ist eine gute Gelegenheit zu zeigen, dass Prävention und Sensibilisierung gegenüber den sich wandelnden Erscheinungsformen des Rechtsextremismus hochaktuell ist und bleibt. Das ist zugleich ein gemeinsames Anliegen aller demokratischen Kräfte.« Auch der Pressesprecher der IG BCE, Michael Denecke, scheint die Beschlüsse der DGB-Jugend nicht wahrgenommen haben. Auf die schriftliche Anfrage der Jungle World, wie die IG BCE mit den gewerkschaftlichen Stimmen umgehe, die ein Ende der Kooperation mit dem VS fordern, reagiert er mit der Gegenfrage: »Welche Stimmen meinen Sie?«

http://jungle-world.com/artikel/2014/33/50396.html

Peter Nowak

Neue Hartz IV-Regelung verfassungswidrig?

Weder die Hartz IV-Neuregelung noch das von der Regierung beschlossene Bildungspaket halten nach Gutachten die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts ein

  Ab Januar 2012 soll der Regelsatz für Hartz IV-Bezieher um 10 Euro auf 374 Euro steigen. Entsprechende Medienberichte hat eine Sprecherin des Bundesarbeitsministeriums bestätigt.

Heftige Kritik an der Maßnahme, die noch in diesem Monat vom Bundeskabinett beschlossen werden soll, kommt von Gewerkschaften und Sozialverbänden. So erklärte Ulrich Schneider vom Paritätischen Gesamtverband: „Auch die angekündigte 10-Euro-Erhöhung macht die Hartz-IV-Regelsätze nicht verfassungsfester. Dass für die älteren Kinder gar keine Anpassung erfolgt, ist ignorant und geht an der Alltagsrealität von Familien vollkommen vorbei.“

Annelie Buntenbach vom DGB-Bundesvorstand forderte eine grundsätzliche Reform der Hartz IV-Gesetze. Buntenbach kann sich mit ihrer Kritik auf zwei Studien der DGB-nahen Hans Böckler Stiftung stützen, die am 5. September in Berlin vorgestellt wurden. Danach entsprechen weder die Hartz IV-Neuregelung noch das von der Regierung beschlossene Bildungspaket den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Wegen methodischer Fehler bei der Bemessung sei der Regelsatz für Hartz IV-Bezieher kleingerechnet worden. Das ist das Fazit zweier von dem Juristen Johannes Münder auf Basis von Daten der Verteilungsforscherin Doktor Irene Becker erstellten Studie.

An 10 Punkten werden Widersprüche zum Hartz IV-Urteil festgestellt

Ein zentraler Kritikpunkt lautete, bei der Festsetzung des Regelbedarfs seien Menschen mit geringen Einkommen als Referenzgruppe aufgenommen worden, obwohl die Richter in Karlsruhe betonten, dass das Existenzminimum nicht über das Konsumverhalten von Menschen ermittelt werden darf, die von Sozialhilfe oder Hartz IV-Leistungen angewiesen sind. Mit der Ungleichbehandlung von Single-Haushalten und Familien bei der Festsetzung des Regelsatzes werde gegen das Gleichheitsgebot des Grundgesetzes verstoßen.

Als Hauptmangel beim Bildungspaket wurde die Benachteiligung von Kindern aus strukturschwachen Gebieten angeführt. Denn dort, wo keine Bildungsförderungsmaßnahmen angeboten werden, besteht nach der Logik der Gesetzgeber auch kein Anspruch auf Leistungen.

Eine unabhängige Kommission wird gefordert

Buntenbach forderte als Konsequenz aus den Studien die Einrichtung einer unabhängigen Kommission, die die Regelsätze nach dem tatsächlichen Bedarf und nicht nach Kassenlage bemisst. „Es wäre ein Armutszeugnis, wenn erst erneut das Bundesverfassungsgericht eingreifen müsste“, so die Gewerkschafterin. Tatsächlich haben mittlerweile mehrere Betroffene Klagen gegen die neuen Regelsätze eingereicht, darunter auch Gewerkschaftsmitglieder, die vom DGB unterstützt werden.

Allerdings warnen Erwerbslosenaktivisten vor zu großen Hoffnungen, dass es Karlsruhe schon im Sinne der Erwerbslosen richten werde. Schon im letzten Jahr wurden von manchen Sozialverbänden Illusionen verbreitet. Doch in dem Urteil haben die Richter bewusst keine konkreten Zahlen für Hartz IV-Sätze vorgegeben. „Das Positivste, was aus der Diskussion um die Klage entstanden ist, war das Bündnis „Krach schlagen statt Kohldampf schieben“, das im letzten Herbst für eine Erhöhung des Regelsatzes eintrat und sich dabei nicht in juristischen Details verfing, sondern die konkrete Situation der Betroffenen thematisierte“, meinte ein Erwerbslosenaktivist. Das Bündnis, um das es nach dem Urteil ruhig geworden ist, könnte bei erneuten Klagen wieder aufleben.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/150416

Peter Nowak