Warum die in Spanien ansässige Plattform der Hypothekenbetroffenen bis heute ein internationales Vorbild für den Kampf um Wohnraum ist

Inspiration für viele Mietrebellen

Für die PAH war es eine beson­de­re Her­aus­for­de­rung, ihre außer­par­la­men­ta­ri­schen Akti­vi­tä­ten fort­zu­set­zen und gleich­zei­tig die Stadt­re­gie­rung, die von einer ehe­ma­li­gen Akti­vis­tin ange­führt wird, von unten zu kon­trol­lie­ren. Dabei hat es die Orga­ni­sa­ti­on geschafft, wei­ter­hin ihre Stär­ke auch auf der Stra­ße zu behal­ten und sich nicht in admi­nis­tra­ti­ve Arbeit ein­bin­den zu las­sen.

Vie­le Mieter*innen, die sich gegen Ver­drän­gung weh­ren, bli­cken seit vie­len Jah­ren hoff­nungs­voll nach Spa­ni­en. Auch deut­sche Initia­ti­ven wie das Bünd­nis »Zwangs­räu­mung ver­hin­dern« und die Stadt­teil­in­itia­ti­ve »Hän­de weg vom Wed­ding« schau­en auf die dort ansäs­si­ge Platt­form der Hypo­the­ken­be­trof­fe­nen (PAH), die zu einer Inspi­ra­ti­on für vie­le Mietrebell*innen in ande­ren Städ­ten gewor­den ist. Auf der inter­na­tio­na­len Ent­eig­nungs­kon­fe­renz, die von Frei­tag bis Sonn­tag an der Tech­ni­schen Uni­ver­si­tät in Ber­lin statt­fand, tausch­ten die­se Grup­pen ihre Erfah­run­gen aus. Doch was macht die PAH so erfolg­reich, wie sieht ihr Kon­zept aus? …

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Streik als Privileg

Wirtschaft & Soziales: Gegen das geplante  Tarifeinheitsgesetz regt sich Widerstand

Die Erklärung »Linke Hauptamtliche in ver.di« erinnert an eine drastische Einschätzung des ehemaligen Vorsitzenden der Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) Heinz Kluncker. Dieser sagte in den 1970er Jahren: »Wo ein Streik reglementiert  oder gar verboten ist, handelt es sich um reine Diktaturen.« Der Verweis in der ver.di-Erklärung kommt nicht von ungefähr, denn aktuell versucht die Bundesregierung das Streikrecht reglementieren. Besonders bitter: Der DGB-Vorstand und ein großer Teil seiner Einzelgewerkschaften stimmen dem von der Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) in den Bundestag eingebrachten  Tarifeinheitsgesetz sogar zu. Danach soll ein Tarifvertrag nur dann Anwendung im Betrieb finden, wenn die vertragsschließende Gewerkschaft die Mehrheit der Mitglieder hat. Spartengewerkschaften, die nur in ein bestimmtes  Segment der Beschäftigten vertreten, wären nicht mehr tariffähig und hätten keine Verhandlungsmacht mehr. Sollte das Gesetz wie geplant im Sommer in Kraft treten, wären Gewerkschaften wie die Gewerkschaft der Lokführer (GDL) die Hände gebunden. Die GDL hat bereits eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht angekündigt.  Der Arbeitskampf bei der GDL, der sich Anfang Mai mit einem fast einwöchigen Streik noch mal verschärft ist, steht bereits im Schatten der Tarifeinheit, bevor das Gesetz überhaupt in Kraft tritt. Die GDL will natürlich davor zu einer für sie vorteilhaften Einigung kommen. Der Bahn-Vorstand setzt hingegen auf eine Zermürbungstaktik und  will den Konflikt in die Länge ziehen, bis das Gesetz der GDL Grenzen setzt. Politik und Medien wiederum nutzen den Ausstand bei der Bahn, um  Stimmung für eine weitere Einschränkung des Streikrechts zu machen.

Unter dem Motto »Hände weg  vom Streikrecht« rief ein Bündnis linker Gewerkschafter_innen am 18. April zu einer bundesweiten Demonstration nach Frankfurt am Main auf. Die anarchosyndikalistische Basis-Gewerkschaft FAU brachte mit ihren schwarzroten Bannern Farbe in die Demonstration. Die Fahnen der Lockführergewerkschaft GDL waren indes weder so bunt noch so zahlreich vertreten. Dennoch wurden die Lokführer_innen in Frankfurt besonders freundlich begrüßt, schließlich hat die Gewerkschaft in den vergangenen Wochen gezeigt, dass es durchaus möglich ist einen Streik zu organisieren, der auch gesellschaftlich wahrgenommen wird. Viele Redner_innen bezogen sich auf die GDL und machten klar, dass das Bahnmanagement wohl auch deshalb im aktuellen Arbeitskampf auf Zeit zu spielen versucht, weil es nach der Verabschiedung des Tarifeinheitsgesetzes mit der kämpferischen Gewerkschaft nicht mehr verhandeln müsste.

Trotz der kämpferischen Stimmung war die Demonstration zahlenmäßig enttäuschend. Dass lediglich 700 Kolleg_innen für die Verteidigung des Streikrechts demonstrierten, lag auch an den im DGB organisierten Einzelgewerkschaften. Keine der Gewerkschaften, die sich gegen das Tarifeinheitsgesetz positioniert haben, unterstützte die Demonstration. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) unterstützt gemeinsam Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) eine von ver.di initiierte Unterschriftensammlung gegen das Gesetz. Obwohl sich die Dienstleistungsgewerkschaft seit Jahren klar gegen die Tarifeinheit ausspricht, ist diese Frage organisationsintern umstritten, wie  Erdogan Kaya von der linken Basisgruppe ver.di-aktiv auf  einer Berliner  Mobilisierungsveranstaltung für die Demonstration erklärte. So werde etwa die Tarifeinheitsinitiative von ver.di-Gewerkschafter_innen bei der Lufthansa unterstützt.

Dennoch stellen die Gegner_innen der Gesetzesinitiative bei ver.di die Mehrheit. Anders sieht dies in der IG Metall aus. Daher erhielt in Frankfurt das IG-Metall-Mitglied Christiaan Boissevain  aus München besonders viel Applaus, als er die Tarifeinheitsinitiative als »großen Angriff auf das Streikrecht im europäischen Rahmen« bezeichnete.

Tatsächlich wird das Streikrecht nicht nur durch das Tarifeinheitsgesetz angegriffen. Weitgehend unbemerkt von einer größeren Öffentlichkeit  versuchen die internationalen Kapitalverbände, in den Gremien der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) das Streikrecht als Bestandteil der Koalitionsfreiheit im IAO-Übereinkommen 87 grundsätzlich in Frage zu stellen.  Die deutschen Unternehmerverbände sind darin aktiv beteiligt. »Hatte die Unternehmerlobby sich in den Vorjahren noch damit begnügt, gegen ein umfassendes und unbegrenztes Streikrecht zu agieren, stellt sie jetzt die Existenz eines internationalen Rechts auf Streik überhaupt in Frage«, kommentiert Jochen Gester in der März-Ausgabe der Sozialistischen Zeitung (SoZ) diesen Vorstoß. Die IAO-Richtlinien wirken sich auf die Rechtssprechung der Gericht auch in Deutschland auf.  Der DGB befürchtet  Verschlechterungen und hat eine Kampagne „Streikrecht im Übereinkommen 87 verteidigen“ gestartet (http://www.dgb.de/themen/++co++5051305e-b764-11e4-bdd7-52540023ef1a).

Mittlerweile sind in vielen europäischen Ländern Einschränkungen des Streikrechts bereits in Kraft oder in Vorbereitung.  So schreibt das italienische Streikrecht vor, dass Bahngewerkschaften Ausstände mindestens fünf Tage vorher ankündigen müssen. Zudem muss die Gewerkschaft eine »Grundversorgung« garantieren, während des Berufsverkehrs müssen Züge fahren. Solche Vorstellungen finden sich auch im Positionspapier »Für ein modernes Streikrecht – Koalitionsfreiheit sichern – Daseinsvorsorge sicherstellen« der CSU. Sollten diese Pläne realisiert werden, wäre das Streikrecht »nur noch formal vorhanden, aber in der Praxis ausgehebelt und unwirksam«, heißt es in einer Erklärung von ver.di Bayern. In Griechenland sorgt  die Austeritätspolitik der Troika nicht nur für eine massive Verarmung der Bevölkerung, sondern auch für eine Aushebelung von Tarif- und Gewerkschaftsrechten. In Spanien sind zahlreiche Gewerkschafter_innen  von langen Gefängnisstrafen bedroht, weil sie sich an Streikposten beteiligt hatten. Ausgangspunkt der dortigen Repression gegen Gewerkschafter_innen war der landesweite Streik im März 2012. Er wurde europaweit von linken Gruppen unterstützt. In Deutschland entstand in der Folge das M31-Netzwerk, das einen Aufruf zur Unterstützung eines europaweiten Generalstreiks verfasste. Es wäre an der Zeit, die Diskussion über die europaweite Verteidigung von Streik- und Gewerkschaftsrechten neu wieder weiter oben auf die Tagesordnung zu setzen.

aus:  ak 605 vom 19.5.2015

https://www.akweb.de/

Peter Nowak


Wem nützt die weitere Verrechtlichung der Arbeitskämpfe?

Tarifeinheit ist ein Füllbegriff, hinter dem sich unterschiedliche Interessen von Teilen des DGB und der Kapitalverbände verbergen

Hätte die Zugpersonalgewerkschaft GDL mehr Sinn für politische Symbolik, hätte sie ihren letzten Streik nicht schon am 21.Mai abgebrochen. Schließlich wurde am folgenden Tag das Tarifeinheitsgesetz[1] vom Bundestag verabschiedet, das Kritiker schon als Lex GDL bezeichnet haben. 444 Abgeordnete stimmten[2] für die von der Bundesregierung vorangetriebene Tarifeinheit, 144 stimmten dagegen und 16 enthielten sich. Geschlossen stimmten die am 22. Mai im Parlamentssaal anwesenden Abgeordneten der Grünen und Linken gegen das Gesetz, auch eine SPD- und 16 Unionsabgeordnete votierten mit Nein. Das Abstimmungsverhalten macht schon deutlich, dass es sich bei der Tarifeinheit keineswegs um eine Frage geht, die einfach im Links-Rechts-Schema eingeordnet werden können.

Abschied vom Prinzip: Ein Betrieb – ein Tarifvertrag

Ausgangspunkt des Gesetzes war ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts von 2010[3]. Aufgrund der Entscheidung war es rechtens, dass in einem Betrieb mehrere Tarifverträge der gleichen Berufsgruppen nebeneinander bestehen können. Damit wich das Bundesarbeitsgericht von seiner bisherigen Rechtssprechung ab, die dem Grundsatz „Ein Betrieb – ein Tarifvertrag“ gefolgt war. Zu den ersten, die nach diesem Urteil nach einer gesetzlichen Regelung der Tarifeinheit gerufen hatten, waren der DGB und ihre Einzelgewerkschaften.

Damals war auch die Linkspartei keineswegs klar dagegen positioniert. Das lag auch am Gewerkschaftsflügel, der über die WASG in die Linkspartei gekommen war. Was hat sich nun in den letzten 5 Jahren verändert, dass zumindest die parlamentarische Linke eindeutig gegen die Tarifeinheit ist und auch einige Einzelgewerkschaften, vor allem die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, ihre ursprüngliche Befürwortung der Tarifeinheit zurückzog? Bei ihr ist das eine Folge des großen Drucks von der Gewerkschaftsbasis. Dahinter stehen aber auch unterschiedliche Vorstellungen von der Gewerkschaftsmacht und Veränderungen durch neue Arbeitsverhältnisse.

Wenn Kritiker der Tarifeinheit monieren, dass damit kleineren Gewerkschaften im Betrieb wesentliche Rechte genommen werden und deren Streikfähigkeit damit unterminiert werden soll, haben sie Recht. Selbst die Befürworter des Gesetzes, die solche Pläne lange von sich wiesen, geben mittlerweile offen zu, dass das Ziel des Tarifeinheitsgesetzes die weitere Verregelung des deutschen Arbeitskampfes ist. Lange Zeit war der Deutsche Gewerkschaftsbund der Garant für die Verrechtlichung der Arbeitskämpfe. Die Unternehmer konnten sich darauf verlassen, dass ein Streik nicht aus dem Ruder lief. Davon profitierte auch die Unternehmerseite, die natürlich überhaupt keine Arbeitskämpfe mochte. Doch wenn sie sich schon nicht vermeiden konnten, wussten sie wenigstens genau, wann der Streik beginnt und zu Ende ist. Diese Verregelungskultur war, anders als linke Kritiker behaupteten, kein Verrat an der Arbeiterklasse. Sie entsprach vielmehr den Bedürfnissen eines großen Teils der DGB-Mitglieder.

Einheitsgewerkschaft oder Betriebsgemeinschaft?

Vor allem in den fordistischen Großbetrieben sahen sich die Gewerkschaft als Teil des Betriebes. Dort trat man mit der Lehre ein und glaubte sich rundumversichert. Es ging dort schon mal um die Durchsetzung unterschiedlicher Interessen, aber immer schön konstruktiv, dabei sollte aber nie der Erfolg des Betriebes infrage gestellt werden.

Diese Arbeit der Gewerkschaftsarbeit, die nicht auf Konflikte setzt, sondern das Gemeinsame im Betrieb in den Mittelpunkt stellt, knüpfte vor allem in den ersten beiden Jahrzehnten der BRD an die Praxis der NS-Volksgemeinschaft an. Darauf machten linke Kritiker des DGB wie der Historiker Karl Heinz Roth aufmerksam, der in den 70er Jahren sein Buch „Die andere Arbeiterbewegung“[4] verfasste. Dabei wurden von den Kritikern damals aber oft die Unterschiede zwischen einer an die Standortlogik angepassten DGB-Politik und der NS-Betriebsgemeinschaftsideologie, wie sie sich in der Deutschen Arbeitsfront ausdrückte, außer acht gelassen. Letztere konnte nur in einem Umfeld existieren, wo auch die noch so angepasste Variante sozialdemokratischer Gewerkschaftspolitik terroristisch unterdrückt wurde. Die angepasste DGB-Betriebspolitik wiederum wurde wesentlich von den im NS illegalisierten Sozialdemokraten betrieben, baute aber in den Betrieben auf den Bewusstseinsstand der durch die NS-Volksgemeinschaft sozialisierten Belegschaften auf. Während nun vor allem die nach dem gesellschaftlichen Aufbruch von 1968 entstandene Linke die angepasste DGB-Politik heftig kritisierte und historische Parallelen zur NS-Betriebsgemeinschaft zog, verteidigten die ältere Linke die Einheitsgewerkschaft. Nach dieser Erzählung wurde sie von Antifaschisten unterschiedliche politischer Richtungen in den NS-Konzentrationslagern illegal gegründet und nach dem Ende des NS dann praktisch umgesetzt. Sie sei eine Konsequenz aus der Zersplitterung der Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik, die vom NS getrennt geschlagen, in die Illegalität, in die KZs getrieben und ins Exil gezwungen wurde.

Auch diese Erzählung kann sich auf historische Dokumente berufen. Es gab im Widerstand gegen den NS programmatische Abhandlungen von Kommunisten, Sozialdemokraten und Parteilosen, die sich in einer Gesellschaft nach dem Ende des NS eine Einheitsgewerkschaft wünschten, die stark genug sein sollte, den Machtansprüchen von Kapitalverbänden zu widerstehen. Nur hatte eine solche Einheitsgewerkschaft wenig mit der realen Praxis des DGB zu tun, die linke Kritiker wie den Linkssozialisten Viktor Agartz[5], aber auch Mitglieder der KPD in den 50er Jahren ausgrenzte. Gegenüber der neuen Linken, die im Gefolge des 68-Aufbruchs entstand, reagierte sie mit Gewerkschaftsausschlüssen. Diese repressiven Maßnahmen wurden mit der Verteidigung der Einheitsgewerkschaft begründet.

Hier haben wir das Beispiel eines Mythos in der Geschichte, wie ihn das Kollektiv Loukanios[6] in ihrem kürzlich veröffentlichten Buch „History is unwritten“[7] kritisch unter die Lupe nehmen. Die Erzählung von der Einheitsgewerkschaft kann sich auf reale historische Ereignisse berufen. Es waren nicht nur Kommunisten, sondern ebenso Linkssozialisten wie Wolfgang Abendroth[8], aber auch Anhänger dissidenter linker Gruppen, die das Konzept der Einheitsgewerkschaft verteidigten. Der DGB-Bürokratie diente der Verweis auf die Einheitsgewerkschaft dazu, Ausschlüsse von kritischen Mitgliedern zu rechtfertigen, die als Saboteure der Gewerkschaftseinheit hingestellt wurden.

Dass sowohl die Einheitsgewerkschaft als auch die Verregelung des Arbeitskampfes vor allem bei der neuen Linken auf Kritik stieß, ist nicht verwunderlich. Schließlich wurden sie aus der imaginierten Einheit ausgegrenzt und die Verregelung ließ kaum Spielraum für die Spontanität und Kreativität von Betriebsbelegschaften, die Arbeitskämpfe nicht nach dem Lehrbuch des DGB führen wollten. So wurde der wesentlich von Arbeitsmigranten aus der Türkei getragene Ford-Streik im Jahr 1973[9] von einer Allianz aus DGB-Führung, Polizei und betriebseigenen Sicherheitspersonal niedergeschlagen. Als alles vorbei war, resümierte[10] der Spiegel in rassistischer Diktion: „Der Türkenstreik bei Ford endete mit einem Sieg der Deutschen: Von den besonderen Forderungen der Gastarbeiter wurde bis heute kaum eine erfüllt. Die Isolation der Türken blieb.“

Hetze gegen und kritische Solidarität mit der GDL

Damals wagten Betriebslinke aus Deutschland gemeinsam mit türkischen Kollegen den Ausbruch aus der deutschen Standortlogik. Vier Jahrzehnte später fordert die mehrheitlich deutsche GDL, die im Bündnis mit dem Beamtenbund steht, den deutschen Standort nur deshalb heraus, weil sie auf kämpferische Interessenvertretung setzt und das Moment der Spontanität und Unberechenbarkeit in den Arbeitskampf zurückgebracht hat. Das reicht schon, um sämtliche antigewerkschaftlichen Reflexe zu mobilisieren (Spin Doctoring im GDL-Arbeitskampf[11]).

Da sorgt ein Julien Sewering für Aufregung, weil er das kämpferische Zugpersonal gleich nach Auschwitz schicken will und sich selber als Zugwärter, der dabei bestimmt nicht streikt, imaginiert[12]. Er ist kein Nazi, er will nur an den Klickzahlen verdienen, kommt gleich die scheinbar beruhigende Nachricht. Als ob es nicht schon beunruhigend genug wäre, mit Vernichtungswünschen gegen streikende Gewerkschafter überhaupt eine Leserschaft gewinnen zu können. Wenn man noch bedenkt, dass es sich bei diesen Blogs um ein Format handelt, dass angeblich von Jugendlichen als Ersatz für Nachrichtensendungen benutzt wird, ist das kein Grund zur Beruhigung. Scheinbar gibt es keine zivilisatorische Firewall, die die Sewerings und Co. ohne staatliche Maßnahmen ins gesellschaftliche Aus stellt, in das sie gehören.

Überdies beteiligen sich auch Kreise am Unions-Bashing gegen die GDL, die sonst schon mal dem DGB mangelnde Kampfbereitschaft attestieren. So lässt der Taz-Wirtschaftsredakteur Richard Rother einem Tarifexperten erklären[13], „wieso die GDL so absurd daherredet“ Dabei hat die GDL nur bei Streikbeginn das Ende offen gelassen. Damit soll verhindern werden, dass das bestreikte Unternehmen sich so gut wie möglich, auf den Arbeitskampf vorbereitet.

In vielen Ländern sind solche Momente der Unberechenbarkeit ein fester Bestandteil eines Arbeitskampfes. Aber für Rother ist so viel Ausbruch aus der verregelten deutschen Gewerkschaftstradition schon fast ein Fall für den Staatsanwalt. In einem Kommentar[14] fragt er nach dem Staatsverständnis der GDL und gleich noch des deutschen Beamtenbundes, weil die dem Zugpersonal nicht in den Arm fällt. Besonders empört ist Rother, dass die GDL mit dem Arbeitskampf das Tarifeinheitsgesetz aushebeln will. „Insofern trägt der kommende Ausstand Züge eines politischen Streiks, und der ist in Deutschland eigentlich verboten“, winkt Rother mit dem Gesetzbuch.

Ansonsten weist er der GDL den juristischen Weg. „Soll ein ganzes Land wochenlang stillstehen und ein bundeseigenes Unternehmen geschädigt werden, weil der Beamtenbund nicht auf einen Richterspruch aus Karlsruhe warten will, wenn er Zweifel am Willen des Gesetzgebers hat? fragt Rother rhetorisch und setzt hinzu: „Das wäre ja der normale Weg.“ Er vergisst hinzufügen, dass es normal ist für deutsche Gewerkschaften, die schon immer die Interessen des Standortes Deutschland mitdenken, wenn sie Forderungen stellen. Es ist der GDL gerade hoch anzurechnen, dass sie diesen normalen deutschen Weg verlassen hat. Die Tarifeinheit soll nun dafür sorgen, dass ein solches Abkommen vom deutschen Weg im Arbeitskampf nicht mehr möglich sein soll.

Daher bekam die GDL trotz ihrer konservativen Wurzeln von links Unterstützung[15]. „Das Grundrecht auf Koalitionsfreiheit und Streik ist kein Privileg der im DGB organisierten Gewerkschaften“, heißt es in der Erklärung des Bündnisses „Hände weg vom Streikrecht“[16]. Es sieht die mediale und politische Hetze gegen den Arbeitskampf des Zugperson als Begleitmusik zur Einführung des Tarifeinheitsgesetzes, das solche kämpferische Gewerkschaften an die Kette legen soll.

„Angesichts des Drucks der Leitung der Deutschen Bahn, der deutschen Regierung und auch in beachtlichem Maße der Medien“, erklärt[17] der in Budapest tagende Vorstand der Autonomen Lokomotivführergewerkschaften Europas[18] – in Vertretung der Lokomotivführer der 16 Mitgliedsgewerkschaften aus ebenso vielen Ländern – seine „Unterstützung und Solidarität mit den deutschen Lokomotivführern und der Mitgliedsgewerkschaft GDL bei ihrem Kampf für die tarifliche Vertretung aller ihrer Mitglieder bei der Deutschen Bahn.“

http://www.heise.de/tp/artikel/45/45032/1.html

Peter Nowak

Anhang

Links

[1]

http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/040/1804062.pdf

[2]

http://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2015/kw21_ak_tarifeinheit/374480

[3]

http://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Gericht=BAG&Datum=07.07.2010&Aktenzeichen=4%20AZR%20549/08

[4]

http://www.zvab.com/buch-suchen/titel/die-andere-arbeiterbewegung-und/autor/roth

[5]

http://www.iablis.de/globkult/geschichte/personen/973-das-dritte-leben-des-viktor-agartzChristophJ%C3%BCnkein

[6]

http://historyisunwritten.wordpress.com/das-autorinnenkollektiv/

[7]

http://www.edition-assemblage.de/history-is-unwritten/

[8]

http://www.offizin-verlag.de/Abendroth-Wolfgang-Gesammelte-Schriften—Band-2-1949—1955

[9]

http://ford73.blogsport.de/

[10]

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41911224.html

[11]

http://www.heise.de/tp/artikel/45/45015/

[12]

http://www.huffingtonpost.de/christoph-hensen/vergasen-strafanzeige-juliensblog_b_7341830.html

[13]

http://www.taz.de/!160188/

[14]

http://www.taz.de/Kommentar-Lokfuehrerstreik/!160108/

[15]

http://www.labournet.de/branchen/dienstleistungen/bahn/bahn-gewerkschaften/bahn-gewerkschaft-gdl/solidaritat-mit-dem-streik-der-gdl/

[16]

http://streikrecht-verteidigen.org/

[17]

http://www.ale.li/index.php?id=156&L=0&N=0

[18]

http://www.ale.li/index.php?id=2&L=0&N=0

Streikrecht ist ein Grundrecht

Der Streit um die gesetzliche Regelung der Tarifeinheit nimmt kein Ende / Im April soll demonstriert werden

»Wo ein Streik reglementiert oder gar verboten ist, handelt es sich um reine Diktaturen.« Diese drastische Einschätzung stammt von dem ehemaligen ÖTV-Vorsitzenden Heinz Kluncker aus den 70er Jahren. Daran erinnern »Linke Hauptamtliche in ver.di« in einer Erklärung nicht ohne Grund.

Aktuell will die Bundesregierung das Streikrecht reglementieren, und der DGB-Vorstand und ein großer Teil der Einzelgewerkschaften stimmen dem von der Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) am 5. März in den Bundestag eingebrachten Tarifeinheitsgesetz sogar zu.

Nach den Vorstellungen der Bundesregierung kann ein Tarifvertrag nur dann Anwendung im Betrieb finden, wenn die vertragsschließende Gewerkschaft die Mehrheit der Mitglieder hat. Spartengewerkschaften, die nur in ein bestimmtes Segment der Beschäftigten vertreten, wären dadurch im Nachteil. Denn, wenn sie nicht tarifvertragsfähig sind, sinkt auch ihre Verhandlungsmacht.

Unter dem Motto »Hände weg vom Streikrecht« ruft ein Bündnis linker GewerkschafterInnen für den 18. April zu einer bundesweiten Demonstration nach Frankfurt am Main auf. Die Initiative dazu hat eine Arbeitsgruppe ergriffen, die sich auf einer Aktionskonferenz am 24. Januar in Kassel gegründet hat. Zu den Unterstützern der Demonstration gehören neben der anarchosyndikalistischen Basisgewerkschaft Freie Arbeiterunion (FAU), die Lokführergewerkschaft GDL und verschiedene linksgewerkschaftliche Initiativen. Von den acht DGB-Mitgliedsgewerkschaften findet sich keine unter den UnterstützerInnen der Demonstration, die sich gegen das Tarifeinheitsgesetzt positioniert haben. »Wir haben über diese Demonstration keinerlei Informationen«, erklärte eine Mitarbeiterin der Pressestelle der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die sich von Anfang gegen das Tarifeinheitsgesetz stellte.

Die GEW unterstützt gemeinsam mit der NGG eine Unterschriftensammlung der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di gegen das Gesetz. Doch obwohl sich die Dienstleistungsgewerkschaft seit Jahren klar gegen die Tarifeinheit ausspricht, ist diese Frage organisationsintern nicht unumstritten, wie Erdogan Kaya von der linken Basisgruppe ver.di-aktiv auf der Berliner Mobilisierungsveranstaltung für die Demonstration in der letzten Woche erklärte. Er machte darauf aufmerksam, dass ver.di.-GewerkschafterInnen beispielsweise bei der Lufthansa das Tarifeinheitsgesetz unterstützen. Anders als bei ver.di sind in der IG Metall die Gegner der Initiative in der Minderheit.

Dazu gehört Günther Triebe vom Berliner IG Metall Ortsvorstand, der auf der Veranstaltung gesprochen hat. Der Basisgewerkschafter Willi Hajek erinnerte in seinen Abschlussbeitrag an eine Äußerung des damaligen DGB-Vorsitzenden Michael Sommer, der sich 2012 gegen den Generalstreik spanischer Gewerkschafter ausgesprochen und ihnen den Rat gegeben hat, dass in Krisensituationen Gewerkschafter und Arbeitgeber kooperieren sollen. Genau von diesem Geist der Sozialpartnerschaft sei auch das Tarifeinheitsgesetz geprägt. Hajek hat schon Pläne über die Demonstration hinaus. Wenn am 21. und 22. Mai das Tarifeinheitsgesetz in zweiter und dritter Lesung im Bundestag beraten und verabschiedet wird, soll auf einer Alternativveranstaltung darüber diskutiert werden, wie das Grundrecht auf Streik durchgesetzt werden kann.

Peter Nowak

Wer streikt, hat Recht

Bald finden die ersten Lesungen des Tarifeinheitsgesetzes im Bundestag statt. Unter dem Motto »Hände weg vom Streikrecht« planen Gewerkschafter den Protest gegen das Gesetz

Im November konnte man den Eindruck gewinnen, Deutschland stehe kurz vor einer Revolution. Zumindest, wenn man die Reaktionen vieler Medien und konservativer Politiker zum Maßstab nahm, als das in der Gewerkschaft der Deutschen Lokomotivführer (GDL) organisierte Bahnpersonal für einige Tage die Arbeit niedergelegt hatte. Kaum zeigt ein Streik Wirkung, wird hierzulande vor einem Missbrauch des Streikrechts gewarnt und nach dem Gesetzgeber gerufen. Nach dem Ende des GDL-Streiks geht das gesetzliche Prozedere zur Einschränkung des Streikrechts, das unter dem Namen Tarifeinheit schon lange vor dem Streik des Bahnpersonals auf den Weg gebracht wurde, weiter. Anfang März ist die erste Lesung des geplanten Gesetzes zur Tarifeinheit im Bundestag vorgesehen. Für den 23. März ist die öffentliche Anhörung im Bundestagsausschuss »Arbeit und Soziales« geplant. Kurz darauf sollen bereits die zweite und dritte Lesung stattfinden.

Ende Januar trafen sich in Kassel etwa 50 linke Gewerkschafter und Unterstützer zu einer Konferenz, die unter dem Motto »Hände weg vom Streikrecht – für volle gewerkschaftliche Aktionsfreiheit!« stattfand. In den Redebeiträgen der Teilnehmer wurde vor allem betont, dass das Streikrecht ein Grundrecht sei und es sich bei jeder Einschränkung um eine Grundrechtsverletzung handele. Diese Argumentation findet sich auch in dem Aufruf »Juristen gegen das Tarifeinheitsgesetz«, der von dem Hamburger Rechtsanwalt Rolf Geffken initiiert wurde. Im Aufruf wird festgestellt, dass mit dem Tarifeinheitsgesetz gleich mehrere Grundrechte verletzt werden. Eine solche Argumentation mag bei einer Prüfung des Gesetzes durch das Bundesverfassungsgericht wichtig sein, zur Mobilisierung von Widerstand, um dieses Gesetz zu verhindern, trägt der Verweis auf das Grundgesetz aber wohlkaum bei. Da wäre eine transnationale Solidarität der Gewerkschaften in Europa, die sich von Standortnationalismus und Sozialpartnerschaft abgrenzt, wohl der bessere Weg. Auf der Konferenz in Kassel wurde die transnationale Dimension des Angriffs auf das Streikrecht angesprochen. »Was aktuell in der Bundesrepublik noch in der Planungsphase ist, ist in anderen westeuropäischen Ländern teilweise schon Realität«, sagte ein Konferenzteilnehmer.

Das Streikrecht und die Zulässigkeit anderer Protestformen werden insbesondere für Basisgewerkschaften immer mehr eingeschränkt. Damit würden Grundlagen für die Kriminalisierung und die politische Verfolgung geschaffen, hieß es auf der Konferenz. Als Beispiel wurde das in Spanien im Dezember vorigen Jahres in Kraft getretene Gesetz »zur Sicherheit der Bürger« genannt, das von der Opposition als »ley mordaza« (Knebelgesetz) bezeichnet wird, weil es das Recht auf freie Meinungsäußerung auf der Straße stark einschränkt. Mitte Januar wurden fünf Bergarbeiter aus Asturien nach diesem Gesetz zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Sie wurden beschuldigt, im vorigen Jahr mit militanten Streikaktionen gegen die Schließung der Bergwerke protestiert zu haben. Ebenfalls Mitte Januar erhielt in Spanien der 21jährige Gewerkschafter Alfonso Fernández Ortega eine Haftstrafe von vier Jahren. Er wurde beschuldigt, auf dem Weg zum Generalstreik in einem Rucksack Explosivstoffe mitgeführt zu haben. Alfon, wie der Angeklagte von der Solidaritätsbewegung genannt wird, bestreitet die Vorwürfe, seine Fingerabdrücke wurden nicht auf dem Rucksack gefunden. Bereits vor einem Jahr wurden in Spanien Gewerkschafter zu Haftstrafen verurteilt, weil sie beim Generalstreik im März 2012 als Streikposten tätig waren.

Auf der Konferenz wurde auch deutlich, wie gespalten der DGB in der Frage der Tarifeinheit mittlerweile ist. Das kann man schon als Erfolg der Gegner des Gesetzes werten, schließlich ging die erste Initiative für eine Tarifeinheit im Jahr 2011 aus der Kooperation des DGB mit dem Bund Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA) hervor. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi distanzierte sich wegen des Protests der Basis als erste DGB-Gewerkschaft von der Tarifeinheitsinitiative. Sie begründete diesen Schritt auch damit, dass Verdi in manchen Betrieben mittlerweile die Minderheitsgewerkschaft darstellt und sich damit selbst schwächen würde. Das Tarifeinheitsgesetz sieht vor, dass nur noch die Gewerkschaft, die in einem Betrieb die meisten Mitglieder hat, Tarifverträge aushandeln darf.

Der Vorstand der IG Metall propagiert hingegen weiterhin das Tarifeinheitsgesetz. »Gewerkschaftskonkurrenz schwächt nicht nur die betriebliche Interessenvertretung – sie schwächt die Gewerkschaftsbewegung insgesamt. Deshalb unterstützt die IG Metall den vorgelegten Gesetzentwurf zur Tarifeinheit«, heißt es auf der Homepage der IG Metall. Als Negativbeispiel wird das Agieren von Verdi angeführt, die Dienstleistungsgewerkschaft konkurriert in einigen Branchen mit der IG Metall um Mitglieder. Auch zwischen anderen DGB-Gewerkschaften wie der IG Bau und der IG Bergbau, Chemie und Energie (IG BCE) ist ein Kampf um die Mitglieder entbrannt. Dass DGB-Gewerkschaften nun den Gesetzgeber einschalten, um die Konkurrenz durch andere, unter dem Dach des DGB organisierte Gewerkschaften klein zu halten, ist ein Novum. Zur innergewerkschaftlichen Solidarität dürfte es kaum beitragen.

Allerdings wurde auf der Konferenz in Kassel deutlich, dass der Kurs der IG Metall auch von einigen ihrer Mitglieder abgelehnt wird. Vertreter dieser Opposition innerhalb der IG Metall waren auch in Kassel vetreten. Sie beklagten, dass die Kritiker des Tarifeinheitsgesetzes es schwer hätten, sich in der Organisation Gehör zu verschaffen. So übe die Leitung der IG Metall Druck auf Bildungssekretäre und Funktionäre aus, in keiner Betriebsversammlung und in keinem Bildungsseminar das Tarifeinheitsgesetz zur Debatte zu stellen. Bei der Delegiertenversammlung der IG Metall in Köln sei es gelungen, über das Gesetz zu diskutieren. Eine mehrheitliche Ablehnung durch die Delegierten sei die Konsequenz gewesen, berichteten sie in Kassel.

Im März plant das Solidaritätskomitee mehrere Aktionen für die Erhaltung des Streikrechts, etwa eine zentrale Veranstaltung in Berlin oder rund um die »Blockupy«-Aktionstage in Frankfurt. In den kommenden Wochen soll es entsprechende Plakate, Flugblätter und Aufrufe unter dem Motto »Hände weg vom Streikrecht – für die gewerkschaftliche Aktionsfreiheit« geben. Mehrere Konferenzteilnehmer kündigten an, ihre Arbeit auch fortzusetzen, wenn es nicht gelinge, das Tarifeinheitsgesetz zu verhindern. Man wolle sich in diesem Fall darauf konzentrieren, die Umsetzung des Gesetzes zu verhindern. Angesichts der geringen Solidarität für Gewerkschafter, die in Ländern wie Spanien von Repression und Kriminalisierung betroffen sind, kann man bei solchen Ankündigungen skeptisch bleiben. Auch die Einschränkungen gewerkschaftlicher Grundrechte, die es hierzulande bereits ohne das Tarifeinheitsgesetz gibt, haben bisher keine großen Proteste zur Folge gehabt. Das muss derzeit die Basisgewerkschaft Freie Arbeiterunion (FAU) erfahren. Sie vertritt seit mehreren Wochen acht rumänische Bauarbeiter, die beim Bau der Mall of Berlin mitgearbeitet hatten und weiterhin auf ihren Lohn warten. Der ehemalige Generalunternehmer der Mall of Berlin, Andreas Fettchenhauer, setzte eine einstweilige Verfügung gegen die FAU-Berlin durch. Die darf nun nicht mehr behaupten, mit seiner Firma in einem Arbeitskampf zu stehen. Bei Zuwiderhandlung droht der FAU ein Ordnungsgeld in Höhe von 250 000 Euro oder bis zu sechs Monate Haft für den Gewerkschaftssekretär.

http://jungle-world.com/artikel/2015/06/51372.html

Peter Nowak

»Die Empörung ist recht groß«

Konferenz »Hände weg vom Streik« wendet sich gegen das neue Tarifeinheitsgesetz

Hände weg vom Streikrecht fordert eine Tagung am Wochenende in Kassel. Die Zeit drängt: Bereits im März will der Bundestag ein entsprechendes Gesetz verabschieden. Gewerkschafter warnen, dass der Arbeitskampf dadurch behindert werde.

Jakob Schäfer ist Mitglieder der IG Metall und aktiv im Arbeitsausschuss der Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken. Er gehört zu den Organisatoren der Aktionskonferenz »Hände weg vom Streikrecht«, die am Samstag in Kassel stattfindet.

Die Bundesregierung will mit einem neuen Gesetz zur Tarifeinheit das Streikrecht für kleinere Gewerkschaften erheblich einschränken. Wie weit ist Schwarz-Rot damit?
Für Anfang März ist die erste Lesung des Tarifeinheitsgesetzes vorgesehen, für den 23. 3. die öffentliche Anhörung im Ausschuss »Arbeit und Soziales« und für den 26.3. die zweite und dritte Lesung.

Innerhalb der DGB-Gewerkschaften gibt es Befürworter und Gegner der Gesetzesinitiative. Haben Sie Kontakt zu den Gegnern und werden sie an dem Kongress teilnehmen?
Ver.di, NGG und GEW haben sich entschieden gegen dieses Gesetzesvorhaben positioniert. Eine ganze Reihe von ver.di-KollegInnen hat sich für die Konferenz angemeldet. Aber es werden auch Mitglieder der IG Metall da sein. Die Empörung über die Zustimmung des IG Metall-Vorstands zu diesem Gesetzesvorhaben ist in den Reihen meiner Gewerkschaft, der IG Metall, recht groß.

Gibt es Kontakte außerhalb des DGB wie zur Basisgewerkschaft FAU oder zu den Lokführern der GDL?
Unser Aktionsbündnis gibt es seit dem ersten Versuch im Jahr 2011, ein solches Gesetz einzuführen. Seitdem gibt es den Kontakt zur GDL. Die ist aber zurzeit durch ihre Tarifrunde stark in Beschlag genommen, so dass wir nicht wissen, ob sie Vertreter schicken kann. Die FAU ist von Anfang an in dem Bündnis aktiv dabei. Schließlich ist sie ja in ihren basisgewerkschaftlichen Aktivitäten direkt und indirekt betroffen.

Während der GDL-Streiks Ende 2014 spielte das Thema Tarifeinheit eine große Rolle. Hat dieses Interesse sich auf Ihre Arbeit ausgewirkt?
Durch die GDL-Streiks wurde die praktische Bedeutung dieses Gesetzesvorhabens unmittelbar deutlich. Eine Gewerkschaft, die zumindest etwas kämpferischer für die Interessen ihrer Mitglieder eintritt, soll faktisch ausgeschaltet werden. Damit ist so manchen unserer KollegInnen klarer geworden, worum es eigentlich geht.

In den letzten Wochen wurden mehrere Streikzeitungen herausgegeben, die sich gegen die Tarifeinheit wandten. Soll dieses Projekt fortgesetzt werden?
Die Streikzeitung hat mit ihren drei Nummern und einer Auflage von mehreren Zehntausend einen tollen Beitrag zur Aufklärung in Sachen Tarifeinheit und zur Organisierung der Solidarität mit den GDL-KollegInnen geleistet. Ob es zu weiteren Ausgaben kommt, hängt vom Verlauf der Tarifverhandlungen ab. Ich verweise auf die ausgezeichnete Website der Streikzeitung: pro-gdl-streik14.de.

Die Bundesregierung plant mit der Einführung von Zwangsschlichtungen und der Sicherung der Daseinsfürsorge weitere Einschränkungen gewerkschaftlicher Rechte. Können Sie diese Pläne präzisieren?
Am weitesten ausgeführt sind diese Vorstellungen in einem Gesetzentwurf, den die Carl-Friedrich-von-Weizsäcker-Stiftung vorgelegt hat. Darüber wurde der stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende Arnold Vaatz in den Stuttgarter Nachrichten vom 2. April 2014 mit dem Satz zitiert: »Die Schäden, die ein Arbeitskampf auslöst, müssen im Verhältnis zum Anlass stehen.«

Gewerkschaftsrechte werden in vielen Ländern eingeschränkt. Werden auch Gewerkschafter von anderen Ländern auf der Konferenz anwesend sein?
Durch die Mitarbeit der Streikrechtsinitiative »tie germany« im Europäischen Netzwerk der BasisgewerkschafterInnen gibt es einen ständigen Austausch über die Situation in den verschiedenen europäischen Ländern. Auf dem letzten Treffen in Toulouse im Oktober 2014 wurde ausführlich über die Streiks und das geplante Tarifeinheitsgesetz informiert.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/959487.die-empoerung-ist-recht-gross.html

Interview: Peter Nowak

»Hände weg vom Streikrecht«

Gewerkschafter wehren sich gegen die vom DGB unterstützte Tarifeinheit per Gesetz
Bald soll in Deutschland das Prinzip »Ein Betrieb – Eine Gewerkschaft« per Gesetz gelten. So zumindest wünschen es sich die Arbeitgeber, und in selten harmonischer Einheit mit ihnen auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB). Doch in der Gewerkschaftslandschaft trifft die Linie des Dachverbandes schon seit Längerem auf Kritik. Nun hat sich eine Initiative gegen das Gesetzesvorhaben gegründet.   
Der Koalitionsausschuss der Bundesregierung will am 5. April über unterschiedliche Konzepte zur gesetzlichen Regelung der Tarifeinheit beraten. Demnach soll in einem Betrieb nur noch der Tarifvertrag der Gewerkschaft gelten, die die meisten Mitglieder hat. Alle anderen Beschäftigtenorganisationen müssten sich während der Laufzeit dieses Vertrages an die Friedenspflicht halten und dürfen nicht dagegen streiken. Unterstützung findet die Initiative von Seiten der Arbeitgeberverbände und des DGB. »Den Arbeitnehmern nutzt die Tarifeinheit, weil sie den Zusammenhalt innerhalb der Gesamtbelegschaften stärkt«, begründet der DGB-Vorsitzende Michael Sommer die Beteiligung seiner Organisation, und weiter: »Sie verhindert, dass einzelne Belegschaftsteile gegeneinander ausgespielt werden.
Die Initiative ist allerdings gewerkschaftsintern nicht unumstritten. An der DGB-Basis wächst die Kritik. So haben sich etwa die ver.di-Landesbezirke Berlin-Brandenburg, Bayern, Baden-Württemberg, NRW und Nord gegen die Tarifeinheitspläne ausgesprochen. »Die Postulierung der Friedenspflicht während der Laufzeit des vorrangigen Tarifvertrages soll auch gegenüber anderen Gewerkschaften gelten. Das bedeutet letztlich Streikverbot«, begründen die norddeutschen ver.di-Mitglieder in einem einstimmig gefassten Beschluss ihre Ablehnung. Unterdessen hat sich in Kassel die Initiative »Hände weg vom Streikrecht« gegründet. Am ersten Treffen beteiligten sich neben Mitgliedern der DGB-Gewerkschaften IG Metall, ver.di und der IG-Bergbau, Chemie, Energie (ICE) auch Aktivisten der Lokführergewerkschaft GDL und der anarchosyndikalistischen FAU. »Der gesetzesinitiativerischen Partnerschaft von DGB und BDA muss ein Riegel vorgeschoben werden«, erklärte der Lokführer Uwe Krug von der GDL-Berlin in Kassel das Anliegen der Initiative. Peter Gerstmann vom linksgewerkschaftlichen »Forum Betrieb, Gewerkschaft und soziale Bewegung Berlin« sah dort in einer gesetzlich festgeschriebenen Tarifeinheit eine Behinderung von Betriebskämpfen. »Die Initiative von DGB/BDA richtet sich weniger gegen die unternehmerabhängige Organisation AUB oder so genannte Christliche Gewerkschaften, die bisher keinerlei Arbeitskämpfe geführt haben, sondern gegen die Spartengewerkschaften GDL, Marburger Bund, UFO und Vereinigung Cockpit sowie andere, insbesondere kämpferische Gewerkschaften«, meinte er. Der Berliner Gewerkschaftler Willy Hajek, ebenfalls Teilnehmer des Kasseler Treffens, betonte im Gespräch mit ND eine besondere Qualität in der Zusammenarbeit zwischen Mitgliedern von Gewerkschaften inner- und außerhalb des DGB. Die Kooperation solle in der nächsten Zeit fortgesetzt werden. Der erste öffentliche Auftritt des Komitees soll auf den DGB-Veranstaltungen am 1. Mai stattfinden. In Berlin sollen daran auch Gewerkschafter aus Frankreich, Polen und Italien teilnahmen, die auf einer Veranstaltung am 30. April über die Verteidigung der Gewerkschaftsrechte in ihren Ländern berichten werden. Im September 2011 ist eine bundesweite Tagung des Komitees »Hände weg vom Streikrecht« geplant.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/193431.haende-weg-vom-streikrecht.html?sstr=Tarifeinheit|

Peter Nowak