Gute Taten für die Propaganda

Rechte Gruppen sammeln für Obdachlose und hetzen gegen Flüchtlinge

Der Verein »Dresdner Bürger helfen Dresdner Obdachlosen e.V.« trägt nicht zufällig gleich zweimal den Namen der sächsischen Stadt in seinem Namen. Wer ein »Dresdner Obdachloser« ist – davon hat man offenbar rassistische Vorstellungen, auch wenn man das gegenüber Medien nicht zugeben will.

In der Satzung des Vereins heißt es: »Der Verein Dresdner Bürger helfen Dresdner Obdachlosen und Bedürftigen e.V. unterstützt Dresdner Obdachlose und Bedürftige.« Auf Nachfrage stellt Vereinsgründer Ingo Knajder klar, dass darunter auch Dresdner mit Migrationshintergrund fallen. Doch als ein Reporter der Wochenzeitung »Die Zeit« wissen will, ob auch in Dresden lebende Geflüchtete von seinem Verein Unterstützung bekommen, will sich Knajder nicht festlegen. Das überrascht nicht. Denn nach Recherchen der »Zeit« sind die Gründer des Vereins fest in der rechten Szene und bei Pegida verankert. Knajder selbst sei Administrator einer Facebook-Seite, die Dresden vor »Islam-Toleranz-Romantikern, Gutmenschen-Spinnern und Deutschland-Hassern« schützen will.

Hilfe für wohnungs- und obdachlose Menschen ist gerade in der kalten Jahreszeit dringend notwendig. Doch zunehmend drängen Rechte in die Obdachlosenhilfe, um vermeintliche Wohltaten für ihre Propaganda zu verwerten. Auf rechten Internetseiten werden dann Bilder von bettelnden Menschen gepostet, um die Frage zu stellen, warum für sie kein Geld da sei, während es für Flüchtlinge ausgegeben werde.

Es ist genauso wie mit Frauenrechten. Die entdecken Rechte auch immer dann, wenn sie tatsächlich oder vermeintlich von Männern aus arabischen und afrikanischen Ländern verletzt werden. Dann gerieren sie sich als VorkämpferInnen gegen den angeblich aus diesen Regionen exportierten Sexismus. Obdach- und Wohnungslose haben Rechte auch nur entdeckt, um sie gegen Geflüchtete und MigrantInnen auszuspielen.

Frieder Kraus von der Berliner Obdachlosenhilfe e.V. beobachtet in Berlin seit Jahren Versuche von Rechten, sich als Helfer für deutsche Bedürftige aufzuspielen. Dazu gehörte die Initiative »Salz und Licht«, die sich den Zusatz »Obdachlosenhilfe Mauerpark« gab.

Auf ihrer Facebook-Seite wurde im Oktober 2015 ein Foto mit einer klaren Positionierung gepostet: »Dieses Haus pflegt die deutsche Kultur. Heute ist Reformationstag und kein Halloween«. Solche Töne würde man beispielsweise auf der Onlinepräsenz der Initiative Brot für Berlin e.V. nicht finden. Sie vermeidet politische Stellungnahmen.

Der für Brot für Berlin e.V. im Register eingetragene Kevin Eichelbaum hat noch 2016 für die mittlerweile aufgelöste rechtspopulistische Bürgerbewegung Pro Deutschland bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus kandidiert. Laut einer Schrift der Linken Medienakademie (LiMA) fungierte Eichelbaum zeitweilig sogar als Bundesgeschäftsführer von Pro Deutschland.

Der Publizist und Autor Lucius Teidelbaum prognostiziert, dass sich das Interesse der rechten Szene an Wohnungs- und Obdachlosen bald wieder legen wird. Er hat sich mit dem Hass auf Obdachlose in der rechten Szene befasst und darüber im Unrast-Verlag ein Buch mit dem Titel »Obdachlosenhass und Sozialdarwinismus« veröffentlicht.

Teidelbaum betreut das »Berberinfo«, ein Blog für Straße und Leben. Dort werden Bettelverbote ebenso kritisiert wie andere Formen der Diskriminierung von Wohnungs- und Obdachlosen. Auch an von rechten Tätern ermordete Obdachlose wird auf »Berberinfo« erinnert. Etwa Dieter Eich, den Neonazis im Mai 2000 in Berlin-Buch erst brutal verprügelten und dann erstachen. Oder Günther Schwannecke, der in Berlin-Charlottenburg von Rechten erschlagen wurde, als er zwei zuvor von ihnen angegriffene Studierende verteidigte.

Ein Grund mehr, Rechten nicht zu erlauben, die Obdachlosenhilfe für sich zu instrumentalisieren. Erst Ende Dezember hatte die Berliner Obdachlosenhilfe eine Spende von Klamotten ablehnen müssen – auf den Kleidern befanden sich rechte Symbole und Sprüche.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1075849.gute-taten-fuer-die-propaganda.html

Peter Nowak

Ist die Zahl der Morde mit Neonazi-Hintergrund wesentlich höher?

Polizei: eine Aktenrevision offenbart neue Zahlen rechter Gewalttaten. Wie blind war man zuvor, wie blind ist man noch?

Vor einigen Tagen ging eine Meldung durch die Medien, die aufhorchen lässt. Danach kann die Zahl der Tötungsdelikte mit neonazistischem Hintergrund wesentlich größer sein, als bisher in der Öffentlichkeit behauptet wurde. Nachdem die NSU-Morde bekannt geworden sind, durchforstete die Polizei in Bund und Ländern die Archive nach unaufgeklärten Fällen, bei denen es keine Tatverdächtigen gibt. 3.300 Tötungsdelikte und Tötungsversuche von 1990 bis 2011 wurden noch einmal unter die Lupe genommen. Als Zwischenergebnis wurde bekannt, dass es in 746 Fällen Anhaltspunkte für ein mögliches rechtes Tatmotiv gibt.

Auf den ersten Blick mag es erstaunen, dass in so vielen Fällen die rechten Motive nicht erkannt wurden. Ist das nicht ein Beweis dafür, dass die Polizei und die Justiz auf dem rechten Auge blind waren? Die Kritik am Verschweigen der rechten Hintergründe bei Kriminalfällen wird von zivilgesellschaftlichen Initiativen seit Jahrzehnten moniert. Dazu gehören die Macher der Internetplattform „Mut gegen rechte Gewalt“.

Sie haben nach genauen Nachforschungen 184 Tote durch Neonazis von 1990 bis 2011 in Deutschland aufgelistet. Die Sicherheitsbehörden gehen noch immer von 63 Todesopfern aus. Es waren vor allem engagierte Journalisten wie Heike Kleffner und Frank Jansen, die bereits vor 10 Jahren in einer akribisch recherchieren Dokumentation nachgewiesen haben, wie staatliche Stellen den rechten Hintergrund zahlreicher Morde ignorierten.

Nazimord im Altersheim?

In der Liste der Initiative „Mut gegen rechte Gewalt“ werden die staatlich anerkannten Neonazimorde gesondert vermerkt. Der Tod des deutsch-ägyptischen Schauspielers Jeff Dominiak, der von einem rechten Skinhead auf einem gestohlenen Motorrad überfahren und tödlich verletzt wurde, gehört nicht dazu. Vor Gericht wurde der Täter wegen fahrlässiger Tötung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt.

Auch der Tod des 92-jährigen Alfred Salomon ist nicht offiziell als von einem Nazi verursacht anerkannt. Der Holocaust-Überlebende traf in einem Altenheim in Wülfrath auf einen ehemaligen Obersturmführer der Organisation Todt. Er beschimpfte und schlug Solomon wegen seiner jüdischen Herkunft. Der starb daraufhin an einem Herzinfarkt.

Seit einigen Monaten wird der Tod des Künstlers Günther Schwannecke auch offiziell in ein mahnendes und den Mann würdigendes Licht gestellt. Der Spielplatz, auf dem er von einem Neonazi mit einem Baseballschläger so schwer verletzt wurde, dass er wenige Stunden später starb, trägt seinen Namen. Das ist den Mühen eines Bündnisses verschiedener antifaschistischer und zivilgesellschaftlicher Gruppen zu verdanken.

Nach dem Vorbild dieser Gedenkinitiative bemüht sich seit einigen Monaten auch in Berlin-Pankow ein Bündnis um die Errichtung eines Gedenksteins für den am 23. Mai 2000 in seiner Wohnung von Rechten ermordeten Dieter Eich. Bei Schwannecke und Eich handelte es sich um Menschen, die schon zu Lebzeiten an den Rand der Gesellschaft gedrückt wurden. Solchen Menschen wird auch nach ihren Tod, wenn sie Opfer rechter Gewalt werden, ein würdiges Gedenken verweigert.

Zweierlei Zivilcourage

Das wird bei Günther Schwannecke besonders deutlich. Er wurde von dem Neonazi angegriffen, nachdem er einen Angriff auf ausländische Studierende durch eine Gruppe betrunkener Rechter verhindert hatte. Die Amnesie im Fall Schwannecke wird offensichtlich, wenn man den Fall mit der Reaktion auf den Tod von Dominik Brunner vergleicht .

Brunner wurde am 12. September 2009 in der Münchner S-Bahn Zeuge, wie Schüler von drei betrunkenen Jugendlichen belästigt wurden. Sie verlangten von ihnen die Herausgabe ihrer Handys und Geld. Brunner stellte sich vor die bedrohten Schüler und wollte die Jugendlichen der Polizei übergeben. Nachdem er einem von ihnen ins Gesicht geschlagen hatte, kam es zu einer körperlichen Auseinandersetzung, bei der Brunner zusammenbrach und starb.

Obwohl sich bald herausstellte, dass die Todesursache ein Herzinfarkt war und kein Baseballschläger benutzt wurde, war er für einen großen Teil der Öffentlichkeit und der Boulevardmedien ein Held. „Nach dem Mord an einem couragierten Bürger ist das Land berührt und fragt, wie die Täter derart verrohen konnten“, schrieb der Tagesspiegel.

Zum Zeitpunkt von Brunners Beerdigung standen die S- und U-Bahnen in München für eine Gedenkminute still. Brunner wurde posthum mit dem Bundesverdienstkreuz, dem Bayerischen Verdienstorden und dem XY-Preis für Zivilcourage ausgezeichnet. Die Zivilcourage des Günther Schwannecke aber wurde erst vor einigen Monaten durch eine zivilgesellschaftliche Initiative gewürdigt.

Auch wenn nun die Polizei jetzt damit begonnen hat, ihre Akten nach den braunen Hintergründen mancher unaufgeklärter Verbrechen zu durchforsten, so dürfte auch damit die ganze Dimension der rechten Gewalt nicht aufgeklärt werden. Das wird schon durch die Beschränkung auf die Tötungsverbrechen ohne bekannte Täter deutlich.

Denn es gibt auch Verbrechen mit bekannten und oft auch zu geringen Strafen verurteilten Tätern, die nicht als Tat von Neonazis anerkannt wurden. Die Todesfälle Jeff Dominiak und Alfred Solomon sind da keine Einzelfälle. Auch Dorit Botts würde weiterhin nicht als Opfer rechter Gewalt anerkannt, wenn die Kriterien der Aktendurchforstung durch die Polizei nicht verändert worden wären.

Der Mörder der Ladeninhaberin eines Military Shops in der Fuldaer Innenstadt ist bekannt und verurteilt worden. Nach der Recherche von Journalisten war der Mord an der Geschäftsfrau ein Aufnahmeritual in eine neonazistische heidnische Organisation. Zivilgesellschaftliche Initiativen in Fulda wollen nun immer an Botts Todestag dafür eintreten, dass der Nazihintergrund ihrer Ermordung auch offiziell anerkannt wird.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/155456

Peter Nowak

Links

[1]

https://www.mut-gegen-rechte-gewalt.de/news/chronik-der-gewalt/todesopfer-rechtsextremer-und-rassistischer-gewalt-seit-1990

[2]

http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2010-09/todesopfer-rechte-gewalt

[3]

http://www.opferfonds-cura.de/zahlen-und-fakten/erinnerungen/mai/jeff-dominiak

[4]

http://www.opferfonds-cura.de/zahlen-und-fakten/erinnerungen/november/alfred-salomon

[5]

http://www.opferfonds-cura.de/zahlen-und-fakten/erinnerungen/august/guenter-schwannecke/

[6]

http://guenterschwannecke.blogsport.eu/

[7]

http://niemandistvergessen.blogsport.eu/

[8]

http://www.tagesspiegel.de/berlin/gedenken-vor-zehn-jahren-von-rechtsradikalen-ermordet-dieter-eich/1844198.html

[9]

http://www.tagesspiegel.de/meinung/herzversagen-dominik-brunner-der-provozierte-held/1887598.html

[10]

http://www.tagesspiegel.de/meinung/herzversagen-dominik-brunner-der-provozierte-held/1887598.html

[11]

http://www.dominik-brunner-stiftung.de/

[12]

http://www.opferfonds-cura.de/zahlen-und-fakten/erinnerungen/august/dorit-botts/

[13]

http://fuldawiki.de/fd/index.php?title=Naziaufmarsch

Peter Nowak 

Kein Held für den Mainstream

Vor 21 Jahren schützte Günter Schwann­ecke in Berlin eine Gruppe Studierender vor einem rassistischen Angriff. Anschließend wurde er von Neonazis ermordet.

Seit wenigen Wochen ist im Berliner Straßenverzeichnis ein neuer Name an einem ungewöhnlichen Ort zu finden. Ende August wurde ein Spielplatz im Stadtteil Charlottenburg nach Günter Schwannecke benannt. Auf einer Tafel gibt es Informationen über den Namensgeber: »Auf diesem Platz wurde der Berliner Kunstmaler Günter Schwannecke am 29.08.1992 Opfer eines tödlichen Angriffs durch Neonazis. Er starb, weil er Zivilcourage bewiesen hat. Er steht in einer Reihe ungezählter Opfer von neonazistischem Terror. Wir werden sie niemals vergessen.«

Einem großen Teil der Öffentlichkeit war Schwann­ecke bisher völlig unbekannt. In den Statistiken über die Opfer rechter Gewalt in Deutschland tauchte er nicht auf, die Polizei wollte keinen politischen Hintergrund erkennen. Auch beim Prozess, der vor dem Berliner Landgericht stattfand, spielte das politische Umfeld des Täters keine Rolle. Im Februar 1993 wurde der Täter wegen schwerer Körperverletzung mit Todesfolge zu einer sechsjährigen Haftstrafe verurteilt. Dabei war er bereits kurz nach der Tat verhaftet worden und der Hintergrund des Mordes war schnell geklärt.

Schwannecke saß am Abend des 29. August 1992 mit seinem Freund Hagen Knuth auf dem Spielplatz auf einer Bank, als zwei Neonazis eine Gruppe Studierender aus Sri Lanka, die Tischtennis spielten, anpöbelten. Sie seien Ausländer und sollten verschwinden, riefen die Neonazis. Schwann­ecke und sein Freund verteidigten die Angegriffenen, die daraufhin fliehen konnten. Anschließend schlug einer der rechten Skinheads mit einem Baseballschläger auf die beiden Männer ein. Knuth überlebte die schweren Verletzungen, die ihm bei dem Angriff zugefügt wurden. Schwannecke starb am 5. September 1992 an den Folgen eines Schädelbruchs und Hirnblutungen.

Zu dieser Zeit organisierten Antifaschisten aus ganz Deutschland vor allem im Osten der Republik zum Schutz von Asylbewerbern Wachen vor Flüchtlingsunterkünften. Nur fünf Tage vor dem Mord auf dem Spielplatz in Charlottenburg hatten Neonazis und ein Bürgermob ein Flüchtlingsheim in Rostock-Lichtenhagen in Brand gesetzt, nachdem sie es tagelang belagert hatten. Die Bilder der verängstigten Menschen, die sich in letzter Minute vor den Flammen auf das Dach retten konnten, waren tagelang im Fernsehen zu sehen.

Im Prozess stellte sich heraus, dass die beiden rechten Skinheads davon animiert wurden, sie wollten in Charlottenburg ihren speziellen Beitrag für ein ausländerfreies Deutschland leisten. Nachdem die Studierenden aus Sri Lanka hatten fliehen können, schlugen die Neonazis auf die beiden Männer ein, die sich schützend vor sie gestellt hatten. »Die Wut der Skinheads hatte sich weiter gesteigert, weil ihre ursprünglichen Opfer fort waren. Sie suchten sich sofort neue«, schrieb die Günter-Schwannecke-Gedenkinitiative in einem Beitrag. Diesem Bündnis aus Antifaschisten und linken Jugendgruppen ist es zu verdanken, dass nach 21 Jahren doch noch an Günter Schwannecke erinnert wird.

Zum 20. Jahrestag seines Todes veröffentlichte das Bündnis eine Pressemitteilung mit dem Titel »Das war Mord! Was heute vor 20 Jahren geschah«, in der das Geschehen beschrieben wird. An einer von der Initiative organisierten Tatortbesichtigung im November 2012 beteiligte sich auch Marc Schulte (SPD), der Bezirksbaustadtrat von Charlottenburg-Wilmersdorf. Er hielt bei der Einweihung des Günter-Schwannecke-Spielplatzes eine Rede. Im Gespräch mit der Jungle World betonte er, dass er es erfreulich finde, dass sämtliche in der Bezirksverordnetenversammlung Charlottenburg-Wilmersdorf vertretenen Parteien von der CDU bis zur Linkspartei für die Namensgebung stimmten.

Schulte sprach auch den Grund an, warum der Ermordete 21 Jahre beinahe unbekannt geblieben ist. »Das lag sicher daran, dass Schwannecke keine bürgerliche Mainstream-Biographie hatte. Er war zeitweise ein bekannter Künstler. In den letzten Jahren seines Lebens aber war er obdachlos.«

Tatsächlich ist das Schweigen über den Tod Schwanneckes auch dann unverständlich, wenn man die durch Polizei und Justiz vollzogene Ausblendung der rechten Gesinnung des Täters in Rechnung stellt. Denn eigentlich hätten sich Schwann­ecke und dessen Freund Knuth als Menschen, die sich gewaltbereiten Jugendlichen entgegenstellten und dabei selbst zu Opfern wurden, der Sympathie der deutschen Öffentlichkeit und ihrer Leitmedien sicher sein können.

Die Amnesie im Fall Schwannecke wird besonders offensichtlich, wenn man den Fall mit der Reaktion auf den Tod von Dominik Brunner vergleicht. Brunner wurde am 12. September 2009 in der Münchner S-Bahn Zeuge, wie Schüler von drei betrunkenen Jugendlichen belästigt wurden. Sie verlangten von ihnen die Herausgabe ihrer Handys und Geld. Brunner stellte sich vor die bedrohten Schüler und wollte die Jugendlichen der Polizei übergeben. Nachdem er einem von ihnen ins Gesicht geschlagen hatte, kam es zu einer körperlichen Auseinandersetzung, bei der Brunner zusammenbrach und starb. Obwohl sich bald herausstellte, dass die Todesursache ein Herzinfarkt war und kein Baseballschläger benutzt wurde, war er für einen großen Teil der Öffentlichkeit und der Boulevardmedien ein Held. »Nach dem Mord an einem couragierten Bürger ist das Land berührt und fragt, wie die Täter derart verrohen konnten«, schrieb der Tagesspiegel.

Zum Zeitpunkt von Brunners Beerdigung standen die S- und U-Bahnen in München für eine Gedenkminute still. Brunner wurde posthum mit dem Bundesverdienstkreuz, dem Bayerischen Verdienstorden und dem XY-Preis für Zivilcourage ausgezeichnet. Eine Stiftung trägt seinen Namen. Der Haupttäter wurde wegen Mordes verurteilt, die Entscheidung wurde vom Bundesverfassungsgericht bestätigt. In der nach seinem Tod geführten Law-and-Order-Debatte wurde Brunner zum Helden, der starb, weil er gewalttätige Jugendliche in die Schranken weisen wollte. In kaum einen Artikel fehlte der Hinweis, dass Brunner Manager eines mittelständischen Unternehmens war, während die Jugendlichen keine Ausbildung hatten. Manche wollten die in Deutschland geborenen jungen Männer am liebsten in die Heimatländer ihrer Eltern abschieben.

Dagegen wurde die Zivilcourage von zwei obdachlosen Männern, die sich Rassisten entgegenstellten, von Polizei, Justiz und den Medien ignoriert. Dass sozial ausgegrenzte Menschen häufig Opfer rechter Gewalt werden, belegt auch der Fall des im Mai 2000 von vier Neonazis in seiner Wohnung in Berlin-Buch ermordeten Erwerbslosen Dieter Eich. Die Täter brüsteten sich später damit, einen »Assi abgestochen« zu haben. Die Arbeit eines antifaschistischen Bündnisses verhinderte, dass Eich vergessen wurde. Es organisiert jährlich zum Todestag eine Demonstration zum Gedenken. Bei Veranstaltungen und in Broschüren weist das Bündnis darauf hin, dass es in der Gesellschaft weit verbreitet ist, den Wert des Menschen an seiner Lohnarbeit zu messen, in der Gesellschaft weit verbreitet ist. Die Initiative »Niemand ist vergessen« plant die Errichtung eines »Buchs der sozialen Ausgrenzung« in der Nähe des Tatorts. Damit soll an Dieter Eich erinnert werden, aber auch auf die tief verwurzelte Ablehnung von Armen in der Gesellschaft hingewiesen werden, die für seinen Tod verantwortlich war.

http://jungle-world.com/artikel/2013/38/48498.html

Peter Nowak

Nach 21 Jahren anerkannt?

Marc Schulte ist SPD-Bezirksbaustadtrat von Charlottenburg-Wilmersdorf

nd: Warum haben Sie in Berlin einen Spielplatz in Charlottenburg nach Günter Schwannecke benannt?

Schulte: An diesem Ort wurde Herr Schwannecke am 29. August 1992 von zwei rechten Skinheads so schwer verletzt wurde, dass er wenige Tage später im Krankenhaus starb. Wir haben ihm an seinem 21. Todestag in einer sehr würdevollen Weise gedacht. Ein guter Bekannter von ihm hat eine alte Zeichnung von  Schwannecke mitgebracht, die an dem Gedenkstein angebracht wurde. Sehr wichtig finde ich auch, dass sämtliche im Bezirksparlament vertretenen Parteien von der CDU bis zur Linken an dem Gedenken teilgenommen haben.

nd:  Wie hat sich das Verbrechen zugetragen?
Schulte:   Günter Schwannecke saß mit seinem Freund Hagen Knuth auf dem Spielplatz auf einer Bank, als die beiden Neonazis Migranten anpöbelten und vertreiben wollte.  Sie griffen ein und verteidigten die Migranten, die darauf hin fliehen konnten. Danach schlugen einer der Rechten mit einem Baseballschläger auf die beiden ein. Hagen Knuth überlebte, doch Günter Schwannecke starb am 5. September 1992 an den Folgen von Schädelbruch und Hirnblutungen. Er musste sterben, weil er Zivilcourage gezeigt hatte.
nd:  Warum dauerte es 21 Jahre, bis die Ehrung erfolgte?
Schulte:  Herr Schwannecke  wurde nicht als Opfer rechter Gewalt anerkannt, weil bei der Tat keine rechten Parolen gerufen und kein Hitlergruß gezeigt wurde. Der Täter wurde wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer sechsjährigen Haftstrafe verurteilt. Dabei wurde während des Prozesses das neonazistische Umfeld des Täters bekannt.  Nur fünf Tage vor dem Angriff auf Schwannecke fanden in Rostock-Lichtenhagen die mehrtägigen Angriffe auf Flüchtlingsheime statt.
nd:  Warum  wurde über  den Tod von Schwannecke kaum bekannt, während  Dominik Brunner, der bei wegen seines Einschreitens gegen gewalttätige Jugendliche ohne politischem Hintergrund in München ums Leben kam,    bundesweit geehrt wurde?
Schulte: Das lag sicher daran, dass Schwannecke keine bürgerliche Mainstream-Biographie hatte. Er war zeitweise ein bekannter Künstler. In den letzten Jahren seines Lebens aber war er obdachlos.
nd:  Wer hat sich für das Gedenken eingesetzt?
Schulte: Es hat sich die Günther Schwannecke-Initiative gegründet, in der antifaschistische Initiativen, Jugendgruppen, die SPD, die Piraten und die Linke mitarbeiten. Die Initiative hat unter unter schwannecke.blogsport.eu einen Internetauftritt gestaltet, auf  dem  über das Leben von Schwannecke informiert wird. Er soll nicht nur als Naziopfer sondern auch seine Biographie gewürdigt werden.    Dabei sollen auch die Brüche in seinem Lebenslauf deutlich werden.
nd:  Sind nach der Gedenkveranstaltung weitere Aktionen geplant?
Schulte.: Mit der Namensgebung und dem Aufstellen des Gedenksteines ist ein wichtiger Schritt gemacht.  Aber es wird auch in Zukunft weitere Aktionen geben, um an Schwannecke zu erinnern.   So gibt es in der Gedenkinitiative  die Überlegung, im nächsten Jahr einen Apfelbaum auf dem Spielplatz anzupflanzen. Damit soll der Gedenkort würdiger gestaltet werden.
nd: Hat für Sie die Ehrung auch eine aktuelle politische  Bedeutung?
Schulte:  Natürlich. Wenn ich sehe, wie in den letzten Wochen wieder rechte Sprüche  gegen die Errichtung von Flüchtlingsunterkünften geschwungen werden, finde ich sehr wichtig, hier einen Mann zu gedenken, der Zivilcourage gegen rechts gezeigt hat.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/831882.nach-21-jahren-anerkannt.html
Interview: Peter Nowak