Warum redet niemand über die türkischen Staatsbürger in Deutschlands Gefängnissen?

Über Missverständnisse und Heuchelei im deutsch-türkischen Verhältnis

Vermeintliche Versprecher sagen oft mehr über die Realität aus als alle diplomatischen Floskeln. Das konnte man bei der Pressekonferenz von Merkel und Erdogan gut beobachten. Als Merkel von Missverständnissen zwischen der Türkei und Deutschland sprach, korrigierte sie sich schnell und sprach von fundamentalen Differenzen unter anderem in der Frage der Freiheits- und Menschenrechte. Genau das ist eines der Missverständnisse.

Wenn es um Beziehungen von Ländern geht, spielen politische Interessen die entscheidende Rolle, die dann gerne mit schönen Floskeln von Menschenrechten übertüncht werden. Parteien wie die Grünen sind Vertreter der Kapitalfraktionen, die ihre Interessen besonders gerne zu Menschenrechts- und Freiheitsfragen aufbauschen.

Weil sich dafür im Zweifel leichter Krieg führen lässt, gehören diese Kapitalfraktionen und ihr politisches Personal auch aktuell zu den gefährlichsten. Sie sind auch die Meister jener Symbolpolitik, die von Anfang an Kennzeichen der Grünen war. Das konnte man beim Erdogan-Besuch gut beobachten.

Da wollte Cem Özdemir am Bankett mit Erdogan teilnehmen, angeblich um Erdogan zu ärgern. Tatsächlich wollte er damit als potentieller Außenminister nur deutlich machen, dass er und seine Partei auch ihre Rolle in der deutschen Außenpolitik spielen.

Wo bleibt die Kampagne für Max Zirngast?

Die Heuchelei setzt sich bei der Diskussion um die deutschen Staatsbürger in türkischen Gefängnissen fort. Da sind eben nicht alle Gefangenen gleich. Während sich für den liberalen Deniz Yücel Politiker fast aller Parteien und der Bundespräsident persönlich eingesetzt haben, beschränkt sich die Unterstützung für den linken österreichischen Journalisten Max Zirngast bisher auf linke Medien [1].

Dabei ähneln sich die Vorwürfe gegen beide Journalisten. Doch Max Zirngast hätte als Publizist mit klaren Sympathien für die Sache der kurdischen Bewegung womöglich auch in Deutschland mit Verfolgung und Repression rechnen können. So schreibt [2] die Welt in klar distanzierenden Ton:

Zirngast lebt seit 2015 in der Türkei, spricht fließend Türkisch. Er studiert an der Middle East Technical University in Ankara, die als linksgerichtet gilt. Im Juli sollen Studenten festgenommen worden sein, nachdem sie ein Erdogan-kritisches Plakat gezeigt hatten. „Re:volt“ bezeichnet Zirngast nicht nur als Autor, sondern auch als Aktivisten. Es sei die Nähe zum Umfeld der türkischen kommunistischen Partei, die Zirngast vorgeworfen werde, heißt es aus gut informierten Kreisen. Die Welt [3]

Der Publizist und Medienaktivist Kerem Schamberger [4] bekommt seit Jahren auch in Deutschland zu spüren, dass solche Aktivitäten nicht erwünscht sind. Razzien [5], kurzzeitige Festnahmen und Internetsperren [6] zeugen davon. Schamberger schildert das deutsch-türkische Verhältnis präzise in einem Interview [7]:

Merkel und die EU unterstützen Erdoğan mit Milliarden, damit er Flüchtlinge davon abhält, nach Europa zu kommen. Um zu zeigen, wie absurd das ist: Die Politik Erdoğans sorgt dafür, dass in Afrin Anfang des Jahres Hunderttausende Menschen fliehen. Zur gleichen Zeit bekommt er zwei Milliarden Euro von der EU zur Abwehr von Flüchtlingen. Das ist ein zynisches Geschäftsmodell.

Kerem Schamberger

In der Türkei gefoltert – in Deutschland inhaftiert

Als zynisches Geschäftsmodell kann auch die Praxis der deutschen Justiz bezeichnet werden, linke Oppositionelle aus der Türkei und Kurdistan in Deutschland ebenfalls zu kriminalisieren.

Davon sind hunderte kurdische Aktivisten und vermeintliche oder tatsächliche Unterstützer linker türkischer Parteien, Gewerkschaften und Massenorganisationen betroffen. So sind Menschen, die in der Türkei im Gefängnis gefoltert wurden, in Deutschland erneut inhaftiert.

Die Kooperation zwischen der türkischen und deutschen Justiz läuft zum Leidwesen der Anwälte im Verfahren gegen türkische Linke in München [8] geräusch- und reibungslos [9]. Die Stadtplanerin und Gewerkschaftlern Gülaferit Ünsal kämpfte in den letzten Wochen mit einer Unterstützergruppe [10] dafür, dass ihr Asylantrag bearbeitet wird, nachdem sie in Deutschland kriminalisiert wurde.

Die linke türkische Band Grup Yorum wird in Deutschland sogar häufiger mit Auftrittsverboten bedroht [11], aktuell in Frankfurt/Main [12], als in der Türkei.

Die Repression gegen türkische und kurdische Linke findet den Beifall der türkischen Regierungen nicht erst seit Erdogan an der Macht ist. Bereits unter der Herrschaft der kemalistisch-nationalistischen Politiker und Militärs lief die deutsch-türkische Kooperation sehr gut.

Das Erdogan-Regime fordert nun, dass auch vermeintliche oder tatsächliche Anhänger der Gülen-Bewegung in Deutschland verfolgt oder ausgeliefert werden. Doch anders als bei dem türkischen und kurdistischen Linken ist die deutsche Justiz hier nicht so kooperativ. Schließlich könnte man die islamistischen Gegenspieler zu Erdogan gut gebrauchen, falls Erdogan und sein Regime stürzen.

Alte Waffenbrüderschaft

Die Zusammenarbeit beider Länder geht mehr als hundert Jahre zurück. „Als das Deutsche Reich im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts in seine imperialistische Phase eintrat, rückte das noch nicht unter den anderen Großmächten aufgeteilte Vielvölkerreich am Bosporus ins Blickfeld der Berliner Kolonialstrategen“, schreibt der Publizist Nick Brauns [13].

Diese Interessen des deutschen Kapitals überdauerten die unterschiedlichen Regime, wie Brauns nachweist [14]. Der aktuelle Besuch reiht sich diese Kooperation ein. Dabei gab es immer auch Störgeräusche, aber das gemeinsame Interesse überwog.

Das ist auch aktuell der Fall. Daher ist es politisch falsch, der Bundesregierung vorzuwerfen, sie unterwerfe sich Erdogan. Tatsächlich ist das deutsch-imperialistische Interesse, dass die Kooperation von Staaten bestimmt. Hier müsste eine linke Kritik ansetzen.

URL dieses Artikels:
http://www.heise.de/-4178485
https://www.heise.de/tp/features/Warum-redet-niemand-ueber-die-tuerkischen-Staatsbuerger-in-Deutschlands-Gefaengnissen-4178485.html

Links in diesem Artikel:
[1] https://jacobinmag.com/2018/09/erdogan-turkey-jacobin-journalist-jailed-max-zirngast
[2] https://www.welt.de/print/welt_kompakt/print_politik/article181527376/Free-them-all-Max-Zirngast.html
[3] https://www.welt.de/print/welt_kompakt/print_politik/article181527376/Free-them-all-Max-Zirngast.html
[4] https://kerem-schamberger.de/
[5] https://turkishpress.de/tr/node/2189
[6] https://www.heise.de/tp/features/Facebook-zensiert-im-Interesse-der-tuerkischen-Regierung-3195746.html
[7] https://mosaik-blog.at/schamberger-kurden-tuerkei-eu-erdogan
[8] https://www.tkpml-prozess-129b.de/de/
[9] http://www.fr.de/politik/muenchener-kommunisten-prozess-vorwuerfe-gegen-tuerkische-ermittler-a-1465888
[10] http://soligruppeguelaferituensal.blogsport.de/
[11] https://www.heise.de/tp/features/Grup-Yorum-Verbote-Schikanen-finanzielle-Verluste-3744759.html
[12] https://de-de.facebook.com/GYyasaklanamaz/
[13] http://www.nikolaus-brauns.de/
[14] http://www.nikolaus-brauns.de/Waffenbruder.htm/

Viel Heuchelei nach der Erdogan-Wahl

Nach der Wahl in der Türkei melden sich in Deutschland noch mal die Heuchler zu Wort. Auch manchem Trump-Kritiker hierzulande geht es eher um verletzten Nationalstolz als um Emanzipation

In der Türkei haben sämtliche Oppositionsparteien den Wahlsieg von Erdogan bei der Präsidentenwahl erstaunlich schnell anerkannt. Auch im Ausland stellen sich Erdogan-Gegner auf eine langjährige Herrschaft ihres Kontrahenten mit der neuen Machtfülle nach der geänderten Verfassung ein.

Erstaunlich verhalten waren die Töne von Kristian Brakel von der Böll-Stiftung Istanbul[1] im Deutschlandfunk-Interview[2]. Er drückte sogar die Hoffnung aus, dass Erdogan jetzt, wo er sein Wahlziel erreicht hat, einen weniger polarisierenden Regierungsstil praktizieren werde.

Sind Deutsch-Türken Wähler zweiter Klasse?

Derweil übt sich der grüne Politiker Cem Özdemir in einer für seine Zunft seltenen Profession der Wählerbeschimpfung[3]. Bezogen auf Autokorsos von feiernden Erdogan-Anhängern in deutschen Städten monierte Özdemir:

Die feiernden deutsch-türkischen Erdogan-Anhänger jubeln nicht nur ihrem Alleinherrscher zu, sondern drücken damit zugleich ihre Ablehnung unserer liberalen Demokratie aus. (…) Das muss uns alle beschäftigen.

Cem Özedemir[4]

Nun würde man sich solche harschen Töne von allen Parteien gegenüber den Wählern von AfD und Co. wünschen. Da kommen aber fast immer die Standardfloskeln, dass man natürlich die Sorgen und Nöte der Wähler verstehe und sie auch bestimmt in der Mehrheit keine Rassisten seien. Özdemirs Äußerungen machen schon den Eindruck, als seien Deutsch-Türken Wähler zweiter Klasse.

Zumal schon wie bei den letzten Wahlen der Türkei auch dieses Mal nicht die Mehrheit aller in Deutschland lebenden Menschen mit türkischen Wahlrecht Erdogan gewählt haben, sondern nur die, die sich an der Wahl beteiligt haben.

Wenn dann in vielen Medien behauptet wird, „die Türken“ in Deutschland hätten mit Mehrheit Erdogan gewählt, ist das falsch. Wäre es nicht angebracht, das klarzustellen, bevor man die Wahlentscheidung der Mehrheit der türkischen Wähler kritisiert, die in Deutschland an der Wahl teilgenommen haben?

Und wie passt es zu Özdemirs Diagnose, dass die Erdogan-Wähler die Ablehnung der liberalen Demokratie ausdrücken, obwohl sie in Deutschland mehrheitlich Parteien wie SPD, Grünen und Linken wählen würden?


Wie tragfähig ist die Unterscheidung von liberaler versus illiberaler Demokratie?

Tatsächlich wird die Unterscheidung zwischen liberaler versus illiberale Demokratie in Deutschland besonders gerne bemüht, weil man sich doch auf der Seite der Guten wähnt und damit Machtansprüche begründet. In der Praxis ist diese Unterscheidung längst aufgeweicht.

Der „illiberale Demokrat“ Erdogan ist anerkannter Partner beim Flüchtlingsdeal, der der Festung Europa möglichst viele Migranten fernhalten soll. Gegen linke türkische Oppositionelle, die häufig gegen türkischen Staatsterrorismus schon kämpften, als von Erdogan noch niemand sprach, geht die deutsche Justiz mit voller Härte vor und nutzt dabei auch juristische Beweismittel aus der „illiberalen Demokratie“ in der Türkei.

Da sei nur auf das sich mehrere Jahre hinziehende TKPML-Verfahren in München[5] hingewiesen oder auf den aktuellen Kampf von Gülaferit Ünsal[6] um ein Asylverfahren in Berlin. Die Stadtplanerin wurde als linke Gewerkschafterin in der Türkei und dann nach dem Paragraph 129b auch von der deutschen Justiz verurteilt.

Nach ihrer Freilassung darf sie nicht aus Deutschland ausreisen, bekommt aber auch kein Asylverfahren. Auch die Verfolgung linker kurdischer Aktivitäten wurde in den letzten Monaten in Deutschland sogar noch intensiviert[7]. Es wurden sogar ganze Bucheditionen beschlagnahmt[8]. Von Özdemir hat man dazu keine Kritik gehört.

Doch mancher kurdische oder türkische Oppositionelle wird sich so seine eigenen Gedanken über liberale und illiberale Demokratien in der Praxis zu machen. Medien wie der Spiegel betonen nun, dass der ungarische Ministerpräsident sowie Russlands und Irans Präsident Erdogan zu seiner Wiederwahl gratulierten[9].

Das haben auch alle anderen Präsidenten getan, weil es zum Machtritual gehört. Doch im Spiegel soll die Reihung dieser Namen suggerieren, dass sich da die Phalanx der Illiberalen aus aller Welt gefunden hat.

Die Rechte hetzt gegen Erdogan-Anhänger in Deutschland und bewundert Erdogan

Doch hier wird auch die Heuchelei der Kräfte rechts von der Union deutlich. Seit Wochen läuft eine Kampagne gegen zwei Fußballspieler, die sich mit Erdogan ablichten ließen. Doch insgeheim bewundern sie den türkischen Präsidenten; nur offen zum Wahlsieg gratulieren wie ihr Idol Orban können sie auf rechten Internetseiten nicht.
Dort nahm man dafür den Erdogan-Kritiker Deniz Yücel von rechts ins Visier und hätte ihm noch längere Haft in türkischen Gefängnissen gewünscht. So wird nach der Erdogan-Wahl nur wieder die Heuchelei der liberalen und illiberalen Demokraten deutlich, die sich im Zweifel näher sind, als sie denken.

Mit Luther gegen Trump?

Diese Heuchelei erleben wir auch ständig bei vielen Trump-Kritikern in Deutschland. Nur selten bringt es jemand so klar auf den Punkt, wie der von manchen als links bezeichnete Theologe und DDR-Kritiker Friedrich Schorlemmer in der Tageszeitung Neues Deutschland[10].

Schon in der Überschrift „Ungehobelt, unberechenbar, unhöflich“ hat er drei Attribute aufgelistet, die in Deutschland schon lange US-Bürgern nachgesagt werden. Wenn er dann über eine Welt nachdenkt, die „von einem Trump-ler beherrscht, ja an der Nase herumgeführt wird“ hat er von links bis rechts alle an seiner Seite, die schon immer vor einer amerikanischen Weltherrschaft warnten. Dann kommt der nationale Schulterschluss, wenn es heißt:

Und wir Deutschen stehen auch ziemlich schlecht da. Wir haben einen schlechten Ruf, weil wir so „erfolgreich“ sind. Und statt selber auch konkurrenzfähige und gute Autos zu produzieren, werden die Deutschen verantwortlich dafür gemacht, dass sich US-amerikanische Autos schlechter verkaufen.

Friedrich Schorlemmer, Neues Deutschland[11]

Nun fragt man sich zunächst, ob es eine Satire ist, aber nein, Schorlemmer meint es ernst, wenn er das deutsche „Wir“ aufruft. Das hat nicht etwa einen schlechten Ruf, weil es so erfolgreich beim Massenmord an den Juden und dem Anfachen von zwei Weltkriegen war. Nein, die Neider gönnen den Deutschen den Volkswagen nicht. Und am Ende ruft Schorlemmer noch einen deutschen Herold gegen Trump herbei.

Luther sprach 1524 so Klartext, dass selbst Trump verstehen könnte, was gemeint ist: Soll man denn zulassen, dass lauter Flegel und Grobiane regieren, wenn man es sehr wohl besser machen dann?

Friedrich Schorlemmer, Neues Deutschland

Dass dieser Luther zeitgleich zum Massakrieren aufständischer Bauern und zur Eliminierung von Juden aufgerufen hat, ist Schorlemmer natürlich kein Wort wert. Die Publizistin Hengameh Yaghoobifarah[12] hat in einer Taz-Glosse[13] anlässlich der Einführung eines Luther-Feiertags in mehreren Bundesländern Luther-Fans wie Schorlemmer ins Stammbuch geschrieben:

Hardcore-Fans von Luther können ihn eigentlich nur feiern, indem sie von der Arbeitswut geritten das Neue Testament nehmen und damit antisemitische und sexistische Straftaten begehen. Wie sonst zelebriert man einen Mann, der Frauen als Unkraut bezeichnet, das zu nichts außer Hausarbeit gut ist, und der brennende Synagogen sehen will?

Hengameh Yaghoobifarah, Taz

Das muss man Schorlemmer nicht unterstellen. Doch dass ihm in der Kritik gegen Trump nur der Aufruf an die Deutschen einfällt und er dann Zuflucht zu Luther nimmt, zeigt, dass manche Trump-Kritiker nicht die Sorge um Emanzipation und Menschenrechte, sondern verletzter Nationalstolz antreibt.

Peter Nowak
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http://www.heise.de/-4091757
https://www.heise.de/tp/features/Viel-Heuchelei-nach-der-Erdogan-Wahl-4091757.html

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.boell.de/de/2013/11/20/laenderbuero-tuerkei-istanbul
[2] https://www.ivoox.com/en/wohin-steuert-erdogan-interview-mit-kristian-brakel-boll-stiftung-audios-mp3_rf_26712891_1.html
[3] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/tuerken-in-deutschland-waehlen-recep-tayyip-erdogan-kritik-von-cem-oezdemir-a-1214730.html
[4] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/tuerken-in-deutschland-waehlen-recep-tayyip-erdogan-kritik-von-cem-oezdemir-a-1214730.html
[5] https://www.tkpml-prozess-129b.de/de/
[6] http://soligruppeguelaferituensal.blogsport.de/
[7] https://isku.blackblogs.org/category/pkk-verbot/
[8] https://www.pen-deutschland.de/de/tag/mezopotamien-verlag/
[9] http://www.spiegel.de/politik/ausland/wladimir-putin-und-viktor-orban-gratulieren-erdogan-a-1214773.html
[10] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1091399.ungehobelt-unberechenbar-unhoeflich-trump.html
[11] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1091399.ungehobelt-unberechenbar-unhoeflich-trump.html
[12] http://www.taz.de/Hengameh-Yaghoobifarah/!a25938/
[13] http://www.taz.de/Kolumne-Gehts-Noch/!5512400/

Nicht dort, nicht hier

Nach einer Haftstrafe wegen Paragraf 129b fordert Gülaferit Ünsal soziale Rechte ein.

Mein Name ist Gülaferit Ünsal. Ich forderte mein Asyl- und Aufenthaltsrecht sowie soziale Rechte.« Mehrmals wiederholte die Frau mit den längeren dunklen Haaren diese Ansprache vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Berlin. Seit Mitte Mai hat die 48-Jährige Protestaktionen vor verschiedenen Behörden in Berlin veranstaltet. Eigentlich wollte sie auch Berlins Innensenator Andreas Geisel einen Brief mit ihren Forderungen persönlich übergeben. Doch dazu bekam sie bis heute keine Gelegenheit. Auf ihre Bitte um einen Termin hat sie nicht einmal eine Antwort erhalten.

Dabei ist Ünsal nicht freiwillig nach Berlin gekommen. 2011 war die Türkin von Griechenland nach Deutschland ausgeliefert worden, wo sie wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung nach dem Paragrafen 129b angeklagt wurde. 2013 wurde sie vom Berliner Kammergericht zu einer Haftstrafe von sechseinhalb Jahren verurteilt. Sie sei von August 2002 bis November 2003 Europachefin der in der Türkei auch bewaffnet gegen den Staat kämpfenden Revolutionären Volksbefreiungsfront-Partei (DHKP-C) gewesen, so das Gericht in der Urteilsbegründung. Die Organisation beruft sich auf Marx und Che Guevara und fand in den 1990er Jahren sowohl in den Armenvierteln der türkischen Großstädte, aber auch in der akademischen Jugend UnterstützerInnen.

»Ich arbeitete in Istanbul als Stadtplanerin und engagierte mich dort in einer Gewerkschaft. Darüber bekam ich auch Kontakt zu linken Gruppen«, berichtet Ünsal über ihre Politisierung. »Mir ging es bei meinem Engagement immer um die Rechte der Ausgebeuteten und den Kampf gegen den Faschismus, der in der Türkei lange vor Erdogan begonnen hat«, betont sie. Mit Gewalt und Terror habe sie nie etwas zu tun habt.

Auch das Berliner Kammergericht konnte ihr keine Beteiligung an militanten Aktionen nachweisen. Verurteilt wurde sie wegen des Sammelns von Spenden und des Organisieren von Konzerten. JuristInnen kritisieren seit Jahren, dass mit dem Paragraf 129b legale Handlungen als Terrorismus kriminalisiert werden können, wenn damit eine Organisation unterstützt wird, die als terroristisch klassifiziert wird. Ünsal hat in den letzten Jahren die ganze Härte dieses Gesetzes zu spüren bekommen. Sie musste ihre Haftstrafe bis zum letzten Tag verbüßen.

Wenn Ünsal von ihrer Zeit in der JVA für Frauen in Berlin berichtet, spürt man, dass sie noch immer darunter leidet. Sie berichtet von Mobbingaktionen mehrerer Mitgefangenen, von schlaflosen Nächten, weil in den Zellen neben, unter und über ihr Tag und Nacht Krach war. Eine Mitgefangene habe sie rassistisch beleidigt und ihr mehrmals ins Gesicht geschlagen. Ablenkung fand Ünsal in dieser Zeit in der Malerei. Das Hobby hat sie bis heute nicht aufgegeben. Der Berliner Künstler Thomas Killper bescheinigt ihr künstlerisches Talent und würde ihre Bilder in Berlin zeigen. Doch Ünsal hat bisher wenig Zeit gehabt, sich ihrer Kunst zu widmen.

Im Januar 2018 wurde sie aus dem Gefängnis entlassen. »Es war nur der Wechsel aus einem geschlossenen in ein offenes Gefängnis«, so ihr bitteres Resümee fünf Monate später. Eigentlich wollte sie zurück nach Griechenland, wo sie vor ihrer Auslieferung lebte. Doch Ünsal darf Deutschland nicht verlassen. Deshalb stellte sie einen Asylantrag. Doch das Berliner Ausländeramt erklärt sich für nicht zuständig. Ünsal steht weiter unter Führungsaufsicht und darf keinen Kontakt zu Organisationen aufnehmen, die der Verfassungsschutz zum Umfeld der DHKP/C rechnet. »Ich lebe in einem rechtlosen Zustand, habe keine gültigen Dokumente, bin ohne finanzielle Unterstützung und auch nicht krankenversichert«, klagt Ünsal. Sabine Schmidt (Name geändert) spricht von einer kafkaesken Situation, in der sich Ünsal befinde. Sie lebt in einer Stadt, in der sie nie leben wollte, und wird doch behandelt, als existiere sie gar nicht.

Schmidt gehört zum Solidaritätskreis Gülaferit Ünsal, in dem sich schon während ihres Prozesses einige Menschen zusammengefunden haben. Sie schrieben ihr Briefe ins Gefängnis oder besuchten sie. Als Ünsal vor drei Jahren in Hungerstreik trat, um sich gegen das Mobbing und nur unregelmäßigen Postempfang zur Wehr zu setzen, organisierte die kleine Gruppe vor dem Gefängnis Kundgebungen. Jetzt beteiligt sie sich an Ünsals Protestaktionen.

Auch die Juristin und Bundestagsabgeordnete der Grünen Canan Bayram hat Ünsal kennengelernt, als sie sich nach einem wochenlangen Hungerstreik in lebensbedrohlichen Zustand befand. Bayram besuchte sie im Gefängnis, sprach stundenlang mit ihr und erreichte mit der Gefängnisleitung einen Kompromiss, so dass Ünsal den Hungerstreik abbrach. Sie habe die Gefangene nicht als Opfer kennengelernt, sondern als politisch handelnde Frau, so Bayram. Dass Ünsal nun weiterhin als Terroristin behandelt wird und für ihre Rechte kämpfen muss, ist für Bayram unverständlich. Sie hofft auf eine humanitäre Lösung und setzt sich dafür ein, dass Ünsal eine Therapie im Berliner Zentrum für Folteropfer antreten kann. Schließlich war sie in türkischen Gefängnissen Folter ausgesetzt gewesen und in ihrer Berliner Haftzeit mehrmals mit rassistischen Angriffen und dem Mobbing von Mitgefangenen konfrontiert.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1091305.kurden-in-deutschland-nicht-dort-nicht-hier.html

Peter Nowak

Hoffen auf eine humanitäre Lösung

Gülaferit Ünsal saß in der Türkei im Gefängnis. Nun lebt sie in Berlin und fordert Asylrecht

„Mein Name ist Gülaferit Ün­sal. Ich forderte Asylrecht und soziale Hilfe“ – mehrmals wie­derholt die Frau mit den dunk­ len Haaren diese Ansprache vor dem Bundesamt für Mig­ration und Flüchtlinge in Ber­lin. Noch bis Donnerstag will die 48­Jährige diese Protestak­tion täglich zwischen 13 und 14 Uhr wiederholen. In der letz­ten Woche hat sie bereits vor dem Amtssitz von Innensena­tor Geisel eine Erklärung verle­sen. „Ich werde behandelt wie eine Terroristin. Daher komme ich zu Ihnen, um Ihnen zu sa­gen, ich bin ein Mensch, der Rechte hat“, erklärte sie dort.

Ünsal arbeitete als Stadt­ planerin in Istanbul und en­ gagiert sich in der linken DHKP­C, die auch militant in der Türkei agiert, aber auch in Deutschland als terroris­tisch eingestuft wird. Obwohl Ünsal keine Beteiligung an be­ waffneten Aktionen vorgewor­fen wurde, verurteilte sie das Berliner Kammergericht im Jahr 2013 wegen Unterstützung einer ausländischen ter­ roristischen Vereinigung nach § 129 b zu sechseinhalb Jahren Haft.

Anfang Januar 2018 wurde Ünsal aus dem Gefängnis ent­lassen. „Es war nur der Wech­sel aus einem geschlossenen in ein offenes Gefängnis“, so ihr bitteres Resümee gegen­ über der taz. Eigentlich wollte sie zurück nach Griechenland, wo sie lebte, bis sie auf Antrag der Justiz ausgeliefert wurde. Doch Ünsal durfte Deutsch­land nicht verlassen. Darauf­ hin stellte sie einen Asylan­trag in Deutschland – doch das Berliner Ausländeramt erklärt sich für nicht zuständig.

Gülaferit Ünsal steht weiter unter Führungsaufsicht und darf keinen Kontakt zu Orga­nisationen aufnehmen, die der Verfassungsschutz zum Umfeld der DHKP­C rechnet „Ich lebe in einem rechtlosen Zustand, habe keine gültigen Dokumente, bin ohne finanzielle Unterstützung und auch nicht krankenversichert“, klagt Ünsal.

Die Juristin und Bundes­tagsabgeordnete Canan Bay­ram hofft auf eine humanitäre Lösung für Ünsal und setzt sich dafür ein, dass die Frau eine Therapie im Berliner Zen­trum für Folteropfer beginnen kann. Schließlich sei Ünsal in türkischen Gefängnissen Fol­ter ausgesetzt gewesen und in ihrer Berliner Haftzeit mehr­mals mit rassistischen Angriffen und Mobbing von Mitge­fangenen konfrontiert gewe­sen, sagte Bayram der taz.

taz
mittwoch, 30. mai 2018

Peter Nowak

Silvester vor der JVA

Anarchistische Gruppen rufen zuKundgebungen vor Berliner Gefängnissen aufnter dem Motto „Silvester zum Knast“ ruft ein Bündnis von anarchistischen Gruppen und Einzelpersonen heute zu Kundgebungenvor Berliner Gefängnissen auf. Dieses Jahr soll um 17 Uhr im Carl-von-Ossietzky-Park gegenüber der JVA Moabiteine Demonstration stattfinden. Um 22.30 Uhr treffen sich AktivistInnen dann vor dem S-Bahnhof Frankfurter Allee undziehen demonstrierend zur JVA für Frauen in der Lichtenberger Alfredstraße. In der Justizvollzugsanstalt ist seit mehreren GülafGülaferit  Ünsal inhaftiert, die  wegen Unterstützung einer verbotenen türkischen kommunistischen Gruppe DHKP-C verurteilt wurde. Seit einigen Wochen sitzt eine Frau mit dem Pseudonym Thunfisch in der JVA in Untersuchungshaft. Sie wird beschuldigt, auf der olidaritätSolidaritätsdemonstration mit dem Hausprojekt Rigaer94 Anfang Juli Steine geworfen zu haben.Die Kundgebung soll bis weit nach Mitternacht andauern unddürfte sich – bis auf die politischen Parolen zwischendrin-  wenig von einem gewöhnlichen Silvesterabend unterscheiden. „Natürlich ist an diesem Tagnd zu dieser Uhrzeit nicht der Ort für hochtheoretische Reden“, meint Sandra Schäfer (Name geändert),die innerhalb der Vorbereitungsgruppe der diesjährigen Knastaktionen aktiv ist.Zum Team gehört auch Robert Schulz (Name geändert), der ineiner Antiknastgruppe mitarbeitet. Er begründwarum gerade Silvester die Aktionen vor den Gefängnissen für ihn wichtig sind. „Während draußen die Menschen feiern und das neue Jahrbegrüßen, sitzen die Inhaftierten allein, passiv und isoliertin ihren Zellen.“ Mit den Kundgebungen, die seit mehr als 20 Jahren stattfinden, wolle anden Gefangenen signalisieren, dass sie nicht vergessen sind.Im Aufruf zu den Kundgebungen wird eine generelle Kritik an den Gefängnissen geübt  So wird auf Plakaten darüber informiert, dass in der JVA Plötzensee circa ein Viertel der Gefangenen inhaftiert sind, weil sie beim Fahren ohne Ticket erwischt wurden und die verhängte Geldstrafe nicht bezahlen konnten. Damit soll dem Bild begegnet werden, dass es bei den aktuell über 4.100 Gefangenen in Berliner JVA um Schwerkriminelle handelt.
aus Taz TAZ vom 31.12. 2016
PETER NOWAK

Gülaferit Ünsal beendet ihren Hungerstreik

Weil sie in der Haft schikaniert worden sein soll, nahm Gülaferit Ünsal aus Protest keine Nahrung mehr auf. Jetzt hat die Gefängnisleitung reagiert.

Am 29. Mai hat Gülaferit Ünsal nach 54 Tagen ihren Hungerstreik erfolgreich beendet. In einem von Ünsal, ihrer Rechtsanwältin, der Gefängnisleitung und dem Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses Canan Bayram (Grüne) unterschriebenen Protokoll wurde festgehalten, dass die Gefangene Zeitungen und Post künftig sofort ausgehändigt bekommt. Die Gefängnisleitung verpflichtete sich gegenüber Ünsal »zu einem Umgang in interkulturell respektvoller Form«. Zudem sollten künftig Bedrohungen von Ünsal im Gefängnis untersucht und geahndet werden.

Die Gefangene hatte seit Monaten über Mobbing durch einige Mitgefangene und das Vorenthalten von legalen linken Zeitungen geklagt. Nachdem sie im letzten Jahr vergeblich mit Briefen auf ihre Situation aufmerksam gemacht hatte, war sie am 6. April in den Hungerstreik getreten. Die Nachricht vom erfolgreichen Ende des Hungerstreiks wurde am Freitagabend mit großer Freude von den rund 60 Menschen aufgenommen, die sich vor der JVA für Frauen in Pankow versammelt hatten, um Ünsal ihre Solidarität auszudrücken. Mehrmals wöchentlich fanden in den letzten Wochen Kundgebungen in unmittelbarer Nähe der JVA statt. Organisiert wurden sie von der Berliner Ortsgruppe der Roten Hilfe und dem Netzwerk »Freiheit für alle politischen Gefangenen«. Ünsal war im Mai 2013 vom Berliner Kammergericht zu einer Haftstrafe von sechseinhalb Jahren wegen »Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung« verurteilt worden.

»Für mich als Anwältin ist es absurd, dass man mehr als 50 Tage in den Hungerstreik gehen muss, um seine Rechte zu bekommen«, erklärte Canan Bayram gegenüber »nd«. Die Rote Hilfe sagte, es wird jetzt notwendig sein, dass die Öffentlichkeit weiterhin beobachtet, ob die Vereinbarungen mit Ünsal eingehalten werden. Canan Bayram will die Gefangene einmal im Monat besuchen. Auch Hakan Taş, der für die LINKE im Abgeordnetenhaus sitzt, hat einen Besuch bei Ünsal angekündigt.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/972852.guelaferit-uensal-beendet-ihren-hungerstreik.html

Peter Nowak

Fünfzig Tage hungern

Mehrmals wöchentlich finden zurzeit Kundgebungen in unmittelbarer Nähe der Justizvollzugsanstalt (JVA) für Frauen in Berlin-Pankow statt. Organisiert werden sie von der Berliner Ortsgruppe der Roten Hilfe und dem Netzwerk »Freiheit für alle politischen Gefangenen«. In deutscher und türkischer Sprache werden Solidaritätserklärungen verlesen. Zwischendurch wird Musik in beiden Sprachen gespielt. Die Teilnehmer der Kundgebungen halten Plakate mit dem Konterfei von Gülaferit Ünsal hoch, die sich seit dem 6. April in der JVA im Hungerstreik befindet. Sie wehrt sich so nach eigenen Angaben gegen Schikanen durch Mitgefangene und die Postzensur, denn linke Zeitungen in deutscher und türkischer Sprache erhält sie nicht oder nur mit großer Verzögerung. Ünsal wurde im Mai 2013 vom Berliner Kammergericht zu einer Haftstrafe von sechseinhalb Jahren wegen »Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung« verurteilt. Es handelt sich dabei um die »Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front« (DHKP-C), eine militante marxistisch-leninistische Organisation in der Türkei. Als geistig klar, aber körperlich sehr geschwächt beschreibt ein Mann, der Ünsal im Gefängnis besucht hat, ihren Zustand nach über fünfzig Tagen Hungerstreik. Ein körperlicher Zusammenbruch ist jederzeit möglich. Der Kreis der Unterstützer bleibt weiterhin überschaubar. Die Zahl der Kundgebungsteilnehmer schwankt zwischen 20 und 80. Mittlerweile haben weitere Gefangene, die nach Paragraph 129b verurteilt wurden, aus Solidarität einen Hungerstreik begonnen. Unterstützung kommt auch von der Gefangenengewerkschaft. Auffällig ist die Ignoranz staatlicher Stellen und der im Berliner Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien gegenüber dem lebensgefährlichen Protest. An Informationsmangel kann es nicht liegen. Ünsal hatte vor Beginn ihres Hungerstreiks in Briefen an die Öffentlichkeit und Parteien auf ihre Lage in der JVA Pankow aufmerksam gemacht.

http://jungle-world.com/artikel/2015/22/52031.html

Peter Nowak

Kampf für Lohn und Rente


Im Gefängnis ist reine politische Organisierung out, der Beitritt zu einer Gewerkschaft ist dagegen der Renner

Mehr als drei Jahrzehnte hörte man auf linken Demonstrationen: »Wir sind nicht alle, es fehlen die Gefangenen.« Heute hört man diese Parole seltener. Dabei sitzen auch jetzt Aktivisten hinter Gittern.

»Als politische, kämpfende und widerständige Gefangene grüßen wir aus den Kerkern der imperialistischen Bundesrepublik Deutschland die Völker der Erde, mit dem Geist der internationalen Solidarität und der Liebe zur Freiheit«, begann ein Aufruf, mit dem sich sieben Gefangene aus verschiedenen Justizvollzugsanstalten anlässlich des 1. Mais zu Wort meldeten. Der einzige deutsche Unterstützer des Aufrufs, Thomas Meyer-Falk, bezeichnet sich selbst als anarchistischer Red-Skin. 1996 wurde er nach einen Bankraub verhaftet. Das Geld sollte linken Projekten zufließen. Von Anfang an verstand sich Meyer-Falk als politischer Gefangener. Er ist damit eine Ausnahme.

Die anderen Unterzeichner des Aufrufs waren in der Türkei in militanten linken Organisationen aktiv, haben dort früher schon im Gefängnis gesessen und sich gegen Folter und Isolationshaft gewehrt. Einige beteiligten sich an langen Hungerstreiks. In Deutschland wurden sie wegen Mitgliedschaft oder Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung nach dem umstrittenen Paragrafen 129b verurteilt. Seit dem 6. April befindet sich eine von ihnen, Gülaferit Ünsal, in einem unbefristeten Hungerstreik, weil ihr in der JVA Pankow linke Literatur und Medien verweigert oder erst mit großer Verzögerung ausgehändigt wurden.

Die neue Gefangenenplattform erinnert in der Diktion an ähnliche Projekte der Gefangenen der Rote Armee Fraktion (RAF) und des antiimperialistischen Widerstands in den 70er und 80e Jahren. Sie organisierten damals kollektive Hungerstreiks und wurden von Gruppen draußen unterstützt. Mehr als drei Jahrzehnte hörte man auf linken Demonstrationen die Parole: »Wir sind nicht alle, es fehlen die Gefangenen.«

Seit die letzten Gefangenen aus organisierten linken Strukturen freigelassen wurden, hört man diese Parolen jedoch seltener. Für Wolfgang Lettow von der Publikation Gefangeneninfo, der seit Jahrzehnten politische Gefangene besucht, ist diese Entwicklung Ausdruck einer politischen Defensive. »Die durch den Kapitalismus hervorgerufene Vereinzelung geht auch an den Weggebunkerten nicht spurlos vorbei«, erklärt er gegenüber »nd«.

Der Sprecher der im letzten Jahr in der JVA Tegel gegründeten Gefangenengewerkschaft, Oliver Rast, zieht aus dem Wegbrechen organisierter linker Strukturen auch im Gefängnis Konsequenzen. »Jetzt sollte die Frage nach einem Gewerkschaftsengagement hinter Gittern offensiv ausgeworfen werden. Der Kampf gegen die staatlich sanktionierte Billiglöhnerei und die arbeits- und sozialrechtliche Diskriminierung von Gefangenen halten wir für hochpolitisch«, meint Rast gegenüber »nd«.

Gefängnisleitungen scheinen die Neuformierung ernst zu nehmen. So wurden in den vergangenen Wochen die Mitgliederzeitung sowie Ausweise und Materialien der Gefangenengewerkschaft immer wieder beschlagnahmt. Das Anwachsen der Vernetzung hinter Gittern auf über 500 Mitglieder konnten sie nicht verhindern. Hier sieht Rast ein großes Potenzial für eine Politisierung von Gefangenen, die wegen unterschiedlicher Delikte inhaftiert sind.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/970952.kampf-fuer-lohn-und-rente.html

Peter Nowak

Hungern aus Überzeugung

PROTEST Gülaferit Ünsal ist in der JVA Pankow in Hungerstreik getreten und fordert freien Medienzugang

„Schluss mit der Zensur von Zeitschriften und Zeitungen. Schluss mit der Provokation und dem Mobbing“ – so beginnt die Hungerstreikerklärung von Gülaferit Ünsal, die in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Pankow inhaftiert ist. Seit 6. April verweigert die nach dem Paragraf 129 b wegen Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung verurteilte Frau die Nahrung. Damit protestiert Gülaferit Ünsal dagegen, dass ihr die linke türkische Zeitung Yürüyus nicht ausgehändigt wird und andere Zeitungen mit großer Verspätung ankommen. Als weiteren Grund für den Hungerstreik nennt Ünsal das Mobbing von anderen Gefängnisinsassen.

„Sie wird von Mitgefangenen immer wieder beschimpft und bedroht“, erklärt Wolfgang Lettow vom Netzwerk „Freiheit für alle politischen Gefangenen“, der Ünsal regelmäßig besucht und mit ihr in Briefkontakt steht. „Ünsal hat seit Monaten versucht, ihre Situation mit juristischen Mitteln zu verbessern. Erst als das scheiterte, griff sie zum Mittel des Hungerstreiks“, sagte Lettow der taz.

Nach mehr als einem Monat der Nahrungsverweigerung beginnt langsam die Solidaritätsarbeit. Die Ortsgruppe der Roten Hilfe Berlin will mit Kundgebungen die Forderungen von Ünsal unterstützen.

Solidaritätshungerstreik

Ab 11. Mai ist Ahmed Yüksel, der in der JVA Düsseldorf inhaftiert ist, in zunächst auf drei Tage befristeten Solidaritätshungerstreik getreten. Sollte sich die gesundheitliche Situation von Ünsal verschlechtern, wollen weitere Gefangene teilnehmen.

Zum 1. Mai hatten sich sieben Insassen aus verschiedenen Gefängnissen mit einer Erklärung zu Wort gemeldet, in der sie sich als revolutionäre, widerständige und politische Gefangene bezeichnen.

Auch Gülaferit Ünsal hat diesen Aufruf unterschrieben. Die Mehrheit der UnterzeichnerInnen wurde wie sie wegen angeblicher Mitgliedschaft und Unterstützung der in Deutschland und der Türkei verbotenen Revolutionären Volksbefreiungsfront-Partei (DHKP-C) verurteilt.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2015%2F05%2F12%2Fa0141&cHash=6da23a95fbf880a96ab6ea84aea83789

Peter Nowak

Zusammen allein

Mit einem offenen Brief hat eine politische Gefangene darauf aufmerksam gemacht, dass sie im Gefängnis Berlin-Pankow Mobbing und Schikane ausgesetzt ist.

»Im Gefängnis, im Hof, bei der Arbeit, im Auto, während Arztbesuchen und auf den Stationen bin ich mit heftigen Provokationen von anderen Häftlingen angegriffen worden. Obwohl ich mit Wärtern und Sicherheitsleuten gesprochen habe, haben sie sich dazu nicht geäußert und nichts dagegen getan. Man hat eher darauf gewartet und darauf gebaut, dass die Angriffe mehr werden.« So beschreibt Gülaferit Ünsal ihre Situation im Frauengefängnis Berlin-Pankow. Sie hat vor einigen Wochen in einem offenen Brief mitgeteilt, dass sie Schikanen und Mobbing von Mitgefangenen ausgesetzt sei.

Auch das Verhalten des Gefängnispersonals kritisiert sie. »In meiner Zelle konnte ich einen Monat lang kein Fernsehen schauen und die Gefängnisleitung sagte, dass es mehrere Monate in Anspruch nehmen würde, dies reparieren zu lassen. Deshalb bin ich auch aus meiner Zelle in eine andere Zelle verdrängt worden«, heißt es in dem Brief. Mehrere türkische Zeitungen, die sie abonniert habe, seien ihr oft nicht ausgehändigt worden, beklagt die Gefangene. Für langjährige Mitglieder der Gefangenensolidaritätsbewegung ist es nicht verwunderlich, dass Konkurrenz und Ausgrenzung den Alltag im Gefängnis prägen. Solidarität hat allerdings schon fast vollständig gefehlt, als Ünsal mehrere Monate in Berlin vor Gericht stand und im Mai 2013 vom Berliner Kammergericht zu einer sechseinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt wurde. Die 43jährige wurde der »Rädelsführerschaft in einer ausländischen terroristischen Organisation« nach Paragraph 129b StGB beschuldigt.

Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Ünsal von August 2002 bis November 2003 Europa­chefin der in der Türkei auch bewaffnet gegen den Staat kämpfenden Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) war. Eine Beteiligung an Anschlägen konnte ihr nicht nachgewiesen werden. Vielmehr hat sie nach Ansicht der Richter für die DHKP-C Spenden gesammelt und Schulungen organisiert. Strafmildernd wurde gewertet, dass Ünsal nach 2003 keine Führungstätigkeit mehr in der Organisation nachgewiesen werden konnte. Daher blieb das Gericht unter dem von der Staatsanwaltschaft geforderten Strafmaß von acht Jahren Haft.

Wie schon in vorangegangenen 129b-Prozessen beruhten große Teile der Anklage auf Informationen türkischer Sicherheitskräfte. Da nach Einschätzung von Menschenrechtsorganisationen beim Zustandekommen solcher vermeintlicher Beweise Folter nicht ausgeschlossen werden kann, fordern sie, dass solche Informationen keinen Eingang in den Prozess finden. Doch wie schon in anderen 129b-Verfahren kooperierten auch beim Prozess gegen Ünsal deutsche und türkische Sicherheitsbehörden. Nachdem Ünsal 2011 auf Betreiben der Bundesanwaltschaft von Griechenland nach Deutschland ausgeliefert worden war, hatten noch linke Solidaritätsgruppen gegen das 129b-Verfahren mobilisiert. Im Laufe des mehrmonatigen Verfahrens und anlässlich der Urteilsverkündigung gab es aber keinerlei solidarische Aktivitäten mehr. »Während es in Griechenland eine große Bewegung gegen die Auslieferung gab, zeigte sich in Berlin, dass die Gefangenensolidaritätsbewegung in der Krise ist«, sagt ein Aktivist, der namentlich nicht genannt werden möchte, der Jungle World.

Nachdem Ünsal wegen eines Haftbefehls der Bundesanwaltschaft im Juli 2011 in Auslieferungshaft genommen worden war, formierte sich in Griechenland eine große Solidaritätsbewegung gegen ihre drohende Auslieferung nach Deutschland. Beteiligt waren auch Rechtsanwälte und Menschenrechtler. Sie sahen in der Anklage nach Paragraph 129b ein politisches Instrument, mit dem legale Tätigkeiten wie das Verteilen nicht verbotener Zeitungen oder die Solidaritätsarbeit mit politischen Gefangenen als Terrorismus deklariert werde. Ünsals Auslieferung konnten die griechischen Aktivisten nicht evrhindern, erwarteten aber, dass die Solidaritätsarbeit in Deutschland fortgesetzt werde. Doch weder der Prozess noch die sechsjährige Haftstrafe sorgten für größere Aufmerksamkeit. Erst Ünsals Berichte über den Druck, dem sie im Gefängnis ausgesetzt ist, stießen auf etwas mehr Interesse. In den vergangenen Wochen wurden mehrere Kundgebungen organisiert und Protestschreiben an die Gefängnisleitung gerichtet.

Peter Nowak

http://jungle-world.com/artikel/2015/02/51202.html

Mobbing im Knast

PANKOW In der Frauen-JVA soll eine Gefangene drangsaliert werden. Grüne und Linke wollen klären, ob es einen politischen Hintergrund gibt

An Silvester wird es diesmal gleich zwei Knastdemonstrationen geben. Neben der traditionellen Demo, die um 22.45 vom U-Bahnhof Turmstraße zur JVA Moabit zieht, gibt es eine zweite Demonstration, die auf das Schicksal von Gülaferit Ünsal aufmerksam machen will.

Ünsal, die in der JVA für Frauen in Pankow einsitzt, hatte Anfang Dezember in einem offenen Brief über Schikanen durch Mitgefangene geklagt. „Im Gefängnis, im Hof, bei der Arbeit, während der Arztbesuche und auf den Stationen bin ich heftigen Provokationen von anderen Häftlingen ausgesetzt“, schreibt Ünsal in dem Brief, der der taz vorliegt.

Gegenüber BesucherInnen hat Ünsal erklärt, sie sei von den Gefangenen aufgefordert worden, die Toiletten in der Gefängnisetage zu putzen. Als sie erklärte, dafür seien alle Gefangenen gemeinsam zuständig, sei sie bedroht und beleidigt worden.

Ünsal sieht sich als politische Aktivistin. Die 43-Jährige wurde im Mai 2013 vom Berliner Kammergericht zu einer sechseinhalbjährigen Haftstrafe nach dem Paragrafen 129b wegen „Rädelsführerschaft in einer ausländischen terroristischen Organisation“ verurteilt. Das Gericht beschuldigte sie, für die türkische Revolutionäre Volksbefreiungsfront-Partei (DHKP-C) Spenden gesammelt und Solidaritätskonzerte organisiert zu haben.

Inzwischen haben der rechtspolitische Sprecher der Grünen im Abgeordnetenhaus, Dirk Behrendt, und die linke Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke die Gefängnisverwaltung um Aufklärung der Vorwürfe gebeten. „Ich kann mir durchaus vorstellen, dass eine unbequeme, weil politische und noch dazu nichtdeutsche Gefangene Einschüchterungen und Bedrohungen ausgesetzt ist“, meint Jelpke.

„In einer Justizvollzugsanstalt befinden sich Menschen in einer nicht selbst gewählten Gemeinschaft. Das macht das Zusammenleben nicht unbedingt leichter“, erklärt die Pressesprecherin der Senatsverwaltung für Justiz, Claudia Engfeld, gegenüber der taz. Man versuche in Einzelgesprächen mit allen Beteiligten Lösungen zu finden.

Treffpunkt 15 Uhr, U-Bahnhof Bernauer Straße

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2014%2F12%2F30%2Fa0110&cHash=16786c3f46571354decadea5ab5a2590

Peter Nowak

Sechs Jahre Haft für Spendensammeln

Berlin: Das Berliner Kammergericht hat am vergangenen Donnerstag die aus der Türkei stammende Gülaferit Ünsal zu einer Haftstrafe von sechseinhalb Jahren verurteilt. Die 43-Jährige wurde der »Rädelsführerschaft in einer ausländischen terroristischen Organisation« nach Paragraph 129b Strafgesetzbuch beschuldigt.

Das Kammergericht sieht es als erwiesen an, dass Ünsal von August 2002 bis November 2003 Europachefin der in der Türkei auch bewaffnet gegen den Staat kämpfenden Revolutionären Volksbefreiungsfront-Partei (DHKP-C) war. Die Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Freiheitsstrafe von acht Jahren gefordert. Das Gericht machte zu Gunsten der Angeklagten geltend, dass ihr nach 2003 keine Führungstätigkeit in der DHKP-C mehr nachzuweisen sei.
Menschenrechtsgruppen kritisieren die Paragrafen 129a und 129b als Gesinnungsjustiz, mit dem Linke auch für legale Aktivitäten zu hohen Haftstrafen verurteilt werden könne.

www.neues-deutschland.de/artikel/822130.bewegungsmelder.html
Peter Nowak

URTEIL GEGEN AKTIVISTIN GÜLAFERIT ÜNSAL

Sechseinhalb Jahre fürs Spendensammeln

Das Kammergericht hat am vergangenen Donnerstag die aus der Türkei stammende Gülaferit Ünsal zu einer Haftstrafe von sechseinhalb Jahren verurteilt. Die 43-Jährige wurde der „Rädelsführerschaft in einer ausländischen terroristischen Organisation“ nach Paragraf 129b Strafgesetzbuch beschuldigt.

In ihrem griechischen Exil war Ünsal aufgrund eines Haftbefehls der Bundesanwaltschaft im Juli 2011 in Auslieferungshaft gekommen und drei Monate später an die Bundesrepublik ausgeliefert worden. Seitdem ist sie in der Frauen-JVA in Lichtenberg gefangen.

Für das Gericht ist erwiesen, dass Ünsal von August 2002 bis November 2003 Europachefin der in der Türkei auch bewaffnet gegen den Staat kämpfenden Revolutionären Volksbefreiungsfront-Partei (DHKP-C) war. Die Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert, die Staatsanwaltschaft eine Freiheitsstrafe von acht Jahren gefordert. Das Gericht machte zugunsten Ünsals geltend, dass ihr nach 2003 keine Führungstätigkeit mehr nachzuweisen sei. Daher blieb es unter dem von der Staatsanwaltschaft geforderten Strafmaß.

Wie schon in vorangegangenen 129b-Prozessen beruhten große Teile der Anklage auf Informationen türkischer Sicherheitskräfte. Da nach Informationen von Menschenrechtsorganisationen beim Zustandekommen solcher „Beweise“ Folter nicht ausgeschlossen werden kann, dürften sie nach deutschem Recht eigentlich keinen Eingang in den Prozess finden.

Eine Beteiligung an Anschlägen konnte das Gericht Ünsal, die sich der DHKP-C in den frühen 90er Jahren angeschlossen haben soll und deswegen in der Türkei bereits zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, nicht nachweisen. Vielmehr habe sie nach Ansicht der Richter für die DHKP-C Spenden gesammelt und Schulungen organisiert.

Keine Reaktionen

Nach Ünsals Auslieferung hatten noch linke Solidaritätsgruppen gegen das 129b-Verfahren mobilisiert. Im Laufe des mehrmonatigen Verfahrens und anlässlich der Urteilsverkündigung gab es aber keine Reaktionen. „Während es in Griechenland eine große Bewegung gegen die Auslieferung gab, zeigte sich in Berlin, dass die Gefangenensolidaritätsbewegung in der Krise ist“, erklärte ein Aktivist gegenüber der taz, der namentlich nicht genannt werden wollte.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2013%2F05%2F21%2Fa0116&cHash=e9118c2a20e86894685eefce94fdcdb5

Peter Nowak

Kritik an „Gesinnungsjustiz“

JUSTIZ Am Donnerstag hat der Prozess gegen Gülaferit Ü. begonnen – nach dem Anti-Terror-Paragrafen 129 b. Vor dem Gericht gab es Proteste

Vor dem Kammergericht hat am Donnerstag der Prozess gegen eine mutmaßliche Linksterroristin begonnen: Der 42-jährigen Gülaferit Ü. wird Mitgliedschaft in einer verbotenen türkischen Gruppe vorgeworfen. Es ist in Berlin das erste Verfahren nach Paragraf 129 b, der die Mitgliedschaft in politischen Organisationen unter Strafe stellt, die als terroristisch erklärt werden. In der Vergangenheit wurde damit unter anderem in Hamburg, Stuttgart und Düsseldorf gegen mutmaßliche AktivistInnen islamischer sowie linker türkischer und kurdischer Gruppen vorgegangen.

Ü. soll Mitglied der marxistischen „Revolutionären Volksbefreiungspartei/-front“ (DHKP-C) gewesen sein. Diese in den 70er Jahren gegründete Organisation hatte in den Armenvierteln der großen Städte sowie an den Universitäten der Türkei ihre Basis. Nach dem Vorbild von Che Guevara propagierte sie die Kombination legaler politischer Arbeit mit militanten Aktionen. Die Gruppe ist in der Türkei und in Deutschland verboten.

Am ersten Prozesstag am Donnerstag äußerte sich die Angeklagte nur zu ihrer Person, nicht zur Anklage. Sie saß hinter Panzerglas, für den Prozess waren verstärkte Sicherheitskontrollen angeordnet.

Die Staatsanwaltschaft verlas Auszüge aus einer Datei, die die Justizbehörden von der belgischen Polizei erhalten haben. Sie sei bei einer Razzia in Büros von legal arbeitenden türkische Organisationen in Belgien gefunden worden. Laut Staatsanwaltschaft handelt es sich dabei um eine politische Biografie, die Ü. selbst verfasst haben soll. Der Text schildert ihren politischen Werdegang in der Türkei, darunter eine Haftstrafe wegen Beteiligung an einer militanten Aktion.

Seit Oktober in U-Haft

Die Datei enthielt auch Adressen und Telefonnummern einiger Verwandten Ü.s. Eine der Nummern habe die Angeklagte gewählt, als sie nach ihrer Überstellung nach Deutschland mit Angehörigen Kontakt aufnahm, so die Staatsanwaltschaft. Ü. wurde im Oktober 2011 aus Griechenland nach Deutschland ausgeliefert und sitzt seitdem in Untersuchungshaft im Frauengefängnis Lichtenberg.

Vor Prozessbeginn am Donnerstagmorgen organisierte ein Initiativkreis, dem verschiedene politische Gruppen angehören, eine Kundgebung vor dem Kammergericht. Sie forderten Ü.s Freilassung sowie die Abschaffung der Paragrafen 129 a und 129 b, die sie als „Instrument der Gesinnungsjustiz“ bezeichneten. RednerInnen monierten, die Angeklagte sei erschwerten Haftbedingungen ausgesetzt. So würden ihre Post zensiert, die Zusendung deutschsprachiger Literatur erschwert und der Kontakt zu türkischen Mitgefangenen unterbunden.

Schon in Griechenland hatten sich Menschenrechtsgruppen gegen Ü.s Auslieferung an Deutschland eingesetzt. Sie sahen in der Anklage nach dem Paragrafen 129 b ein politisches Instrument, mit dem völlig legale Tätigkeiten wie das Verteilen nicht verbotener Zeitungen oder die Solidaritätsarbeit mit politischen Gefangenen als Terrorismus deklariert werde. Eine solche Kritik äußern auch JuristInnenorganisationen in Deutschland. Auch sie wollen das Berliner Verfahren kritisch begleiten.

Der Prozess wird sich in die Länge ziehen. Das Kammergericht hat Termine bis Ende November festgesetzt.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2012%2
F07%2F20%2Fa0146&cHash=c90d5a9175
Peter Nowak

Wenn der Verkauf von Zeitungen Terrorismus ist…


In den nächsten Monaten ist mit einem neuen 129b-Verfahren in Deutschland zu rechnen.Angeklagt werden soll Gülaferit Ünsal.

Die türkische Linke sitzt seit dem 21.Oktober in der JVA-Lichtenberge in Untersuchungshaft.Die Bundesanwaltschaft hatte einen Auslieferungsantrag an Griechenland gestellt,wo die Frau die letzte Zeit gelebt hatte.
Ünsal wurde überstellt-weitgehend unbemerkt von einer solidarischen Öffentlichkeit.Erst am 15.Januar 2012 fand dann im Anschluß an die Liebknecht-Luxemburg-Demo,die ganz in der Nähe der JVA vorbeizog,eine erste Solidaritätskundgebung mit knapp 80 solidarischen Menschen statt.
Aus den Erfahrungen mit der griechischen Millitärdiktatur und dem linken Widerstand fdagegen,sind größere Teile der griechischen Öffentlichkeit sensibilisiert,wenn politische Aktivisten verfolgt werden.Auch gegen die Auslieferung von Ünsal hatte sich ein Bündnis linker und zivilgesellschaftlicher Gruppen gegründet,das von da an mobilisierte.
So schrieb die griechische „Gruppe der AnwältInnen für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen in ihrer Stellungnahme gegen Ünsals Auslieferung:“Die strafrechliche Verfolgung von Personen,die rechtmäßige politische Aktivitäten ausführen,auf der Grundlage ihrer angeblichen Beteiligung an Organisationen,die die europäischen Regierungen willkürlich
als „terroristisch“ charackterisieren,ist Gesinnungsstaftrecht und widerspricht dem strafrechtlichen Grundsatz,dass Handlungen uns nicht Überzeugungen verfolgt werden.Tatsächlich macht es der §129b möglich,völlig legale juristische Tätigkeiten als Terrorismus zu verfolgen.Im Fall von Gülaferit Ünsal schreibt die Bundesanwaltschaft in einer Erklärung,dass ihre Tätigkeit vor allem im Verkauf von Zeitschriften und Drucksachen und in der Organisierung von Spendensammlungen füe politische Gefangene in der Türkei bestanden habe.Diese völlig legalen Aktivitäten werden kriminalisiert,weil die Bundesanwaltschaft behauptet,Ünsal habe sie im Rahmen ihres Engagements für die in Deutschland verbotene marxistische DHKP/C geleistet.Prompt ist der Verkauf von legalen Zeitungen und die Solidaritätsarbeit zu politischen Gefangenen in der Türkei „Terrorismus“.
Mit ähnlichen 129b-Verfahren sind in den letzten Jahren vermeintliche Aktivisten türkischer,kurdischer oder tamilischer Organisationen,die sich selber als links verstehen,in Deutschland zu langjahrigen Haftstrafen verurteilt worden.Ünsal droht ein ähnliches Urteil.Mittlerweile hat sich ein Initiativkreis gebildet,der im Vorfeld des noch nicht terminierten
Verfahrens Informationsveranstaltungen und Solidaritätsaktionen vorbereiten will.dabei wird eine länderübergreifende Solidaritätsarbeit angestrebt.So gibt es Überlegungen,griechische AktivistInnen,die im letzten Jahr gegen Ünsals Auslieferung protestierten,zur Prozessbeobachtung nach Deutschland einzuladen.
Achter auf weitere Ankündigungen in Linken Medien und auf Solidarischen Websids und kommt zur Demo unter dem Moto“Solidarität mit Gülaferit Ünsal“ am 18.März nach Berlin.

aus Sonderbeilage der Roten Hilfe zum 18.März 2012
http://www.trueten.de/archives/7628-Sonderausgabe-der-Roten-Hilfe-zum-18.3.2012.html

Peter Nowak