Kommt die Grexit-Debatte wieder?

Manche wollen Griechenland aus dem Euro hinausbegleiten. Gibt es auch eine EU ohne Austerität?

Der Polen-Besuch von Bundeskanzler Merkel wurde als großer Erfolg für die EU und für Merkel bezeichnet. Dabei war man sich nur in der gemeinsamen Gegnerschaft gegenüber Russland einig. Über die EU hatte die nationalkonservative Regierung, die einen Rückbau der EU fordert, ganz andere Vorstellungen[1] als der von Merkel repräsentierte Block der deutschen EU.

Doch man hofft, Polen auf Linie zu bringen, weil mit dem Brexit Polen ein Bündnispartner verloren ging. Die Konservativen saßen sogar mit der polnischen Regierungspartei in der gleichen EU-Fraktion. Aber Merkels Bekenntnis, dass es in der EU keine Mitglieder mit unterschiedlichen Rechten geben dürfe, werden wohl auch die polnischen Gastgeber als Propaganda erkannt haben. Schließlich wird in den letzten Monaten mehr denn je, auch von Politikern aus Merkels Umfeld von einem Europa der zwei Geschwindigkeiten gesprochen.

Ein EU-Staat minderen Rechts ist schon lange Griechenland, das unter dem im Wesentlichen von Deutschland orchestrierten Austeritätsprogramm nicht nur auf sozialem Gebiet einen beispiellosen Aderlass erlebte. Auch die Schleifung tariflicher und gewerkschaftlicher Rechte ist fester Bestandteil dieses Austeritätsprogramms. Griechische Gewerkschafter beschreiben die Folgen in der Zeitschrift ver.di Publik[2]:

Darunter fällt auch die Aufweichung des Kündigungsschutzes. Das betrifft die Zahl der zugelassenen monatlichen Kündigungen in einem Betrieb aus wirtschaftlichen Gründen. Bisher sind sie auf fünf Prozent der Beschäftigten beschränkt, jetzt sollen sie auf zehn Prozent angehoben werden. Hinzu kommen weiter sinkende Lohnniveaus, die unter dem Mindestlohn von 585 Euro für Berufseinsteiger liegen können und bei denen den Gewerkschaften die Tarifhoheit genommen werden soll, ebenso wie die Flexibilisierung der Arbeitszeiten. Zudem soll das Streikrecht geändert werden: Streiks müssen beim Arbeitgeber künftig 20 Tage vorher angemeldet werden. Die Gewerkschaftsverbände sollen nicht mehr zu Streiks aufrufen dürfen. Stattdessen muss die Mehrheit der Beschäftigten des jeweiligen Betriebs für einen Streik stimmen. Weiterhin fordern die Gläubiger, dass Freistellungen für Gewerkschaftsarbeit reduziert und Aussperrungen als Arbeitskampfmaßnahme für Arbeitgeber eingeführt werden.

ver.di Publik

Eine treibende Kraft bei dieser Entrechtung der Beschäftigungen zum Zwecke der Deregulierung des Arbeitsmarktes ist der Internationale Währungsfonds, der schon bei einem Treffen in Westberlin 1988 von Kritikern[3] als Institution markiert wurde, die zur Verarmung und Entrechtung beiträgt.

In Griechenland bestätigt sich dieses Urteil. Deswegen will vor allem die Bundesregierung den IWF mit im Boot haben, wenn Griechenland der Knüppel gezeigt wird. Doch weil die IWF-Bürokratie einschätzt, dass Griechenland seine Schulden nicht zurückzahlen kann, könnte sich der IWF daraus zurückziehen und in Deutschland steht eine neue Grexit-Debatte an. Der Europapolitiker der FDP, Alexander Graf Lambsdorff[4], hat schon mal den Austritt Griechenlands aus der EU-Zone gefordert[5]:

„Wir müssen so schnell wie möglich einen Weg finden, wie wir Griechenland zwar in der EU und ihrer Solidargemeinschaft halten, aber aus der Eurozone hinaus begleiten“, sagte Lambsdorff und regte einen geordneten Übergang zur griechischen Nationalwährung an.

Die Debatte dürfte in Deutschland wieder an Fahrt aufnehmen, wenn es um weitere Gelder für die griechischen Banken geht, die immer fälschlich als Griechenlandhilfe bezeichnet werden. Gerade im Vorwahlkampf dürften verschiedene populistische Attacken gegen Griechenland gestartet werden.

Da stellt sich noch einmal dringlicher die Frage, ob sich für Tsipras und die Mehrheitsfraktion seiner Syriza die Unterwerfung unter das EU-Diktat gelohnt hat? Damit wurde seine eigene Partei gespalten und die vor zwei Jahren sehr aktive soziale Bewegung in Griechenland demotiviert.

Wäre er mit dem gewonnenen Referendum im Rücken, bei dem die Mehrheit der griechischen Bevölkerung OXI zu den Zumutungen der EU gesagt hat, aus der Eurozone ausgetreten, hätte das auch über Griechenland hinaus eine soziale Dynamik in Gang setzten können, die nicht den Kapitalismus, aber das deutsche Austeritätsmodell in Frage gestellt hätte.

Mit der Unterwerfung Griechenlands und der Niederlage der sozialen Bewegungen schlug die Stunde der Rechtspopulisten. Die deutsche Politik hat also an ihrem Aufstieg einen großen Anteil, über den kaum geredet wird. Wenn jetzt wieder über ein Hinausdrängen Griechenlands aus der Eurozone geredet wird, ist auch das Wasser auf die Mühlen der Rechten. Ein selbstbewusster Austritt Griechenlands vor zwei Jahren wäre hingegen Labsal für die sozialen Bewegungen in vielen europäischen Ländern gewesen.

Noch immer gibt es Reformgruppen, die hoffen und auch dafür arbeiten, dass in dieser EU ein anderer Weg als die Austerität möglich ist. Die Gründung der DIEM[6] geht auf den kurzzeitigen griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis zurück, der in seiner kurze Amtszeit bewiesen hat, dass die Eurokraten völlig resistent gegenseine Argumente der ökonomischen Vernunft waren. Die Bewegung Diem hat sich bis 2025 Zeit gegeben, ihre Pläne für ein anderes Europa zu konkretisieren.

Ob es dann die EU, wie wir sie kennen, noch geben wird, ist völlig unklar. Auch manchen überzeugten Europäern schwant mittlerweile, dass zumindest in Großbritannien die „Deutsch-EU“ eine Schlacht verloren hat. Dominik Johnson hat kürzlich in der Taz die Fakenews aufgelistet[7], die die EU-Befürworter über den Brexit verbreiten und die EU aufgefordert, endlich Abschied vom Selbstbetrug zu nehmen.

Vielleicht sollte sich auch die Mehrheit der griechischen Bevölkerung, die noch vor zwei Jahren hoffte, ohne Austeritätsdiktat in der EU-Zone bleiben zu wollen, von diesem Selbstbetrug verabschieden. Lambsdorff und sicher noch einige andere Politiker könnten den Lernprozess mit ihrem Ausschlussgerede beschleunigen. Auch in Deutschland suchen Linke[8] neue Wege jenseits der EU und einer Renaissance der Nationalstaaten.


Peter Nowak

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[1] http://www.spiegel.de/politik/ausland/angela-merkel-in-polen-kanzlerin-lehnt-rueckbau-der-eu-ab-a-1133587.html
[2] https://publik.verdi.de/2016/ausgabe-08/gewerkschaft/international/seite-8/A0
[3] https://autox.nadir.org/archiv/iwf/programm.html
[4] http://www.lambsdorffdirekt.de
[5] http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/griechenland-alexander-graf-lambsdorff-fordert-euro-austritt-a-1133576.html
[6] https://diem25.org/home-de/
[7] http://www.taz.de/!a4/
[8] http://www.antikapitalistische-linke.de/

Griechenland: „Es reicht“

Zu blond für die Rassisten

Die Reaktionen auf die angebliche Entführung eines Kindes durch Roma in Griechenland zeigen, wie weit verbreitet rassistische Klischees in Europa sind.

»Sinti und Roma sind mittlerweile gezwungen, ihre Zugehörigkeit zur Minderheit zu verbergen.« Dieses bittere Resümee zog Romani Rose, der Vorsitzende des Zentralrats deutscher Sinti und Roma, Anfang November auf einer Pressekonferenz in Berlin. Er kommentierte die jüngste rassistische Kampagne gegen diese Minderheit in mehreren europäischen Ländern. Als Vorwand für diese diente eine Razzia in einem griechischen Roma-Lager Ende Oktober, bei der der Polizei ein blondes Mädchen auffiel, das nicht zu ihrem Bild eines Roma-Kindes passte. Es wurde von den Beamten einem Heim übergeben und als »Maria« der Öffentlichkeit vorgestellt. Nachdem ein DNA-Test nachwies, dass es nicht bei seinen leiblichen Eltern gelebt hatte, machten Spekulationen über eine Kindesentführung die Runde.

Dass die verdächtige Frau falsche Papiere vorgelegt hatte, mache sie jedoch nicht zu einer Kidnapperin. »Das Paar hat das Mädchen geliebt, als sei es sein eigenes Kind«, betonte die Juristin Ma­rietta Palavra-Zatirion, die Anwältin der Roma-Familie. Auch als durch medizinische Untersuchungen festgestellt werden konnte, dass das Kind bei bester Gesundheit war, beruhigten sich die Gemüter nicht.

Wenige Tage später zeigte sich, dass die Mär über ein von Roma entführtes Kind eine rassistische Projektion war: Bei den Eltern des Mädchens handelt es sich um ein Roma-Ehepaar aus der zentralbulgarischen Stadt Gurkowo. Die Mutter hat in einer polizeilichen Befragung erklärt, sie habe in einer wirtschaftlicher Notlage und mangels gültiger Papiere vor einigen Jahren ihre sieben Monate alte Tochter bei ihren damaligen Arbeitgebern in Griechenland zurückgelassen und wolle sie eines Tages zurückholen. Das Kind war nicht gerettet, sondern vielmehr ihren Pflegeeltern entrissen und mit einem christlichen Vornamen versehen an die Öffentlichkeit gezerrt worden.

Dass nun aber ausgerechnet die Pflegeeltern, die das Kind wohl ohne staatliche Unterstützung aufgenommen haben, als Kindesentführer an den Pranger gestellt wurden, ist nur durch rassistische Vorurteile zu erklären. So reicht die Mär von den »Zigeunern«, die christliche Kinder entführen, bis ins 15. Jahrhundert zurück und war immer wieder Anlass für Verfolgung. 1873 führte die Falschmeldung, »Zigeuner« hätten in Stettin ein Kind entführt, zu Polizeimaßnahmen gegen die Minderheit in ganz Preußen.

Die Ereignisse und die Berichterstattung zeigten, dass traditionelle rassistische Klischees auch in der gesellschaftlichen Mitte sehr weit verbreitet sind. Eine Adoption wurde zunächst gar nicht erst in Erwägung gezogen, der polizeiliche Zugriff ohne konkreten Tatverdacht stieß nicht auf Kritik. Vielmehr teilt die griechische Polizei mit großen Teilen der Bevölkerung in vielen europäischen Ländern die Annahme, dass Roma keine blonden Kinder haben können. Die Grund­lage dieser Behauptung ist ein Rassismus, der aus dem Aussehen auf die Herkunft der Menschen schließen will.

Die Falschbehauptung vom blonden entführten Mädchen führte zu staatlichen Maßnahmen und rassistischen Angriffen auf Roma in verschiedenen europäischen Ländern. Im serbischen Novi Sad versuchten Rechte, einem Rom sein Kind auf offener Straße wegzunehmen, weil es nach ihrem rassistischen Weltbild zu blond war. In Irland ließ die Polizei nach einer anonymen Denunziation zwei Kinder aus Roma-Familien vorübergehend in Heime einweisen, weil sie den Beamten als zu blond erschienen, um Roma sein zu können. Erst nachdem zweifelsfrei nachgewiesen worden war, dass die Geburtsurkunden authentisch waren, konnten die Kinder wieder zu ihren Eltern zurückkehren.

Dass sich in allen Fällen der Entführungsverdacht als haltlos erwies, dürfte die Ressentiments nicht mindern. Die angegriffene Minderheit bekam kaum Unterstützung aus der vielzitierten Mitte der Gesellschaft. »Kein Politiker hat uns beigestanden«, resümierte Romani Rose in Berlin ernüchtert.

http://jungle-world.com/artikel/2013/46/48824.html

Peter Nowak

Bekommt die griechische Bevölkerung mehr Zeit zum Atmen beim Opfern?

Merkel will weitere Opfer von der griechischen Bevölkerung. Wie die reagiert, dürfte eine wichtige Frage sein, die in den hiesigen Medien kaum diskutiert wird

Soll Griechenland in der Eurozone bleiben oder nicht? Diese Frage geht auch nach dem Besuch des griechischen Ministerpräsidenten Samaras in Berlin weiter. Auch wenn Merkel in der gemeinsamen Pressekonferenz betonte, dass sie Griechenlands Verbleib in der Eurozone wünsche, setzte sie sogleich hinzu, dass die griechische Regierung den Worten Tagen folgen müsse. Dass heißt konkret, die griechische Regierung muss noch weitere Sparprogramme in einem Land durchsetzen, in dem große Teile der Bevölkerung schon weit jenseits der Armutsgrenze leben.

In der letzten Zeit gab es etwa verschiedene Berichte über die Situation des griechischen Gesundheitswesens, wo es oft nur noch Medikamente gegen Bargeld gibt. Dass Merkel diese Zustände nicht unbekannt sind, kleidete sie in die Worte, dass die Regierung von der Bevölkerung bereits große Opfer verlangt habe. Auf diesen Weg soll sie weitermachen und dabei habe Samaras die Unterstützung der deutschen Regierung. Dass aber weitere Opfer bei einer Bevölkerung, die in wenigen Monaten eine im Euroraum beispiellose Senkung ihres Lebensstandards erfahren hat, die Frage aufwerfen, von was sollen die Leute überhaupt noch leben, wird dabei völlig ausgeblendet.

Denn auch der griechische Ministerpräsident wollte vor allem als gelehriger Schüler gelten, der beteuerte, wie gut seine Regierung die von der EU diktierten Vorgaben umsetzen will. Er erklärte es zur Frage der nationalen Ehre, dass seine Regierung die Schulden zurückzahle, und wollte selber dafür bürgen. Hierin offenbarte sich ein seltsames Demokratieverständnis, das eher an den feudalistischen Spruch: „Der Staat bin ich“ erinnert und nicht für die Situation in einer bürgerlichen Demokratie angemessen scheint, in der Politiker bekanntlich nur für kurze Zeit im Amt sein sollen. Zudem hat Samaras noch als Oppositionspolitiker heftig gegen die EU-Diktate mobil gemacht.

Wie lange hält die griechische Regierung?

Wie will Samaras seine Bürgschaft einhalten, wenn seine Koalition scheitern sollte und nach abermaligen Neuwahlen doch noch eine Koalition mit der Linksopposition Syriza an die Regierung kommt. Die hatte bekanntlich die Schuldenstreichung oder zumindest die Neuverhandlung über das Rettungspaket zur zentralen Forderung erhoben. Wenn der konservative Gegenspieler die Frage der Schuldenbegleichung zur nationalen Ehre erklärt, liefert er ein direktes Kontrastprogramm zur Linksopposition und gibt damit auch jegliche Druckmittel aus der Hand, um mehr Zeit für die Durchsetzung der Opfer unter der Bevölkerung zu erreichen. Die Dramatik der Situation drückte er in den Worten aus, er wolle mehr Zeit zum Atmen haben.

Für viele Menschen in Griechenland sind das nicht bloß Worte. Während sich verschiedene Politiker von Union und FDP nun weiter darüber streiten, ob Griechenland etwas mehr Zeit gewährt werden soll oder nicht, und die SPD und die Grünen durchaus mit Verweis auf deutsche Interessen eher dafür plädieren, sind sich diese Parteien aber darin einig, dass die griechische Bevölkerung noch weitere Opfer bringen muss. Es geht dann zwischen SPD und Grünen auf der einen und den Parteien der Regierungskoalition auf der anderen Seite nur darum, wie lange die griechische Regierung Zeit gewährt werden soll. Völlig ausblendet wird dabei, dass ein Großteil der griechischen Bevölkerung für Parteien gestimmt hat, die für eine Schuldenstreichung eingetreten sind und dass in den gesamten letzten Monaten Zigtausende Menschen für diese Forderungen auf die Straße gegangen sind. Die griechische Bewegung für einen Schuldenmemorandum bekam für ihre Forderungen über alle Parteien hinweg Unterstützung.

Wie die parlamentarische und mehr noch die außerparlamentarische Opposition in Griechenland darauf reagieren wird, dass der konservative Ministerpräsident weiter Opfer auf ihre Kosten ankündigt, ist völlig offen. Sollte der Druck auf der Straße wieder wachsen, werden die Risse in der heterogenen Koalition in Athen stärker werden. Nur Bernd Riexinger von der Linken und Teile der außerparlamentarischen Bewegung erinnern daran, dass eigentlich nicht die griechische Bevölkerung, sondern die Banken von der Troika „gerettet“ werden. Schließlich ist auch in der kleinen außerparlamentarischen Bewegung hierzulande das Interesse an den Ereignissen in Griechenland schnell wieder geschwunden, nachdem der Wahlsieg der Konservativen feststand. Wurden noch Mitte Mai im Berliner IG-Metall-Haus Delegierte der streikenden Stahlarbeiter aus Griechenland von Hunderten bejubelt, so gab es kaum Reaktionen, als die Stahlarbeiter nach massiven Druck von Polizei und Unternehmen den Ausstand vor einigen Wochen erfolglos beenden mussten.

Die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland interessiert sich sowieso nur für die Frage, ob es dem Standort Deutschland mehr nützt, wenn Griechenland in der Eurozone gehalten wird oder nicht, und will, so der aktuelle Politbarometer, der griechischen Bevölkerung nicht mehr Zeit zum Durchatmen zwischen den Opfergängen gönnen.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/152656
Peter Nowak

Griechenland in oder out?

Nicht nur in Deutschland hat die Debatte über einen Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone an Fahrt gewonnen

Als kürzlich Berlins Vizekanzler Philipp Rösler wieder einmal laut über einen Austritt Griechenlands aus der EU-Zone redete, wurde von einigen SPD-Politikern dessen Rücktritt gefordert. Er habe mit seinem unverantwortlichen Geschwätz mit dazu beigetragen, dass nun auch Deutschland von den Ratingagenturen abgewertet wurde, lautete die ganz auf den Standort bezogene Kritik der Sozialdemokraten. Denn für die Interessen der griechische Bevölkerung einzutreten, könnte ja wieder fast als Vaterlandsverrat gewertet werden – und davor haben besonders deutsche Sozialdemokraten große Angst.

Da brauchte vor einigen Wochen der FDP-Wirtschaftslobbyist Brüderle das V-Wort nur kurz in den Mund zu nehmen, als manche Sozialdemokraten nach dem Wahlsieg des französischen Parteifreunds Hollande zu forsch gegenüber der Bundesregierung auftraten. Und schon waren sie wieder kleinlaut. Als vor wenigen Tagen nun der bayerische Finanzminister Markus Söder Rösler noch überbot und einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone als fast unabwendbar bezeichnete, kam denn auch von der SPD keine große Resonanz. Sie haben mittlerweile längst mitbekommen, dass Griechenland-Schelte und EU-Kritik populär ist.

Schon längst gibt es Bestrebungen, bei den nächsten Wahlen mit einer populistischen Partei der EU-Kritiker anzutreten. Noch sind sich die beteiligten Personen nicht ganz einig, aber es sieht so aus, als liefe es auf die Kandidatur der Freien Wähler hinaus. Es ist durchaus nicht unwahrscheinlich, dass sie damit das politische Koordinatensystem in Deutschland durcheinanderbringen könnte. Besonders betroffen davon während die aktuellen Regierungsparteien. So kann die Intervention von Rösler und Söder auch als ein vorgezogener Wahlkampf betrachtet werden. Es ist klar, dass die EU-Politik dort eine zentrale Rolle einnehmen wird.

Schließlich sind Söder und Rösler in Europa nicht alleine mit der Forderung nach einem schnellen Austritt Griechenlands aus der Eurozone. Die Regierung von Lettland hat diese Forderung bereits gestellt. Wenig überraschend war, dass sich der als EU-Kritiker bekannte tschechische Präsident Klaus es sich nicht nehmen ließ, sich ebenfalls in dieser Frage zu Wort melden. Er forderte in einem Beitrag im Handelsblatt nicht nur einen schnellen Austritt Griechenlands aus der Eurozone, sondern auch einen Abschied von der sozialen Marktwirtschaft und von grünen Utopien.

Schrankenloser Kapitalismus ohne Sozialklimbim

Mit seinem Bekenntnis zum schrankenlosen Kapitalismus ohne Sozialklimbim und Umweltauflagen ist er sich auch mit den Politikern einig, die Griechenland in der Eurozone halten wollen Schließlich werden im Windschatten der Krise europaweit Arbeits- und Gewerkschaftsrechte abgebaut. Darauf haben Isabelle Schömann und Stefan Clauwaert in einer im Auftrag des Europäischen Gewerkschaftsinstituts verfassten Studie mit dem Titel Arbeitsrechtsreformen in Krisen – eine Bestandsaufnahme in Europa kürzlich hingewiesen.

EU-Politiker wie Barroso wollen am Beispiel Griechenland deutlich machen, wie weit man die Wirtschaft eines Landes deregulieren kann. Das soll natürlich ein Pilotprojekt für andere EU-Länder werden. Klaus, Rösler und andere wollen das Exempel eher im Rausschmiss Griechenlands sehen. An der Deregulierung im Interesse des Kapitals haben beide Fraktionen keine Kritik. „Mit dem bisherigen Krisenmanagement wird die Chance vertan, Europa sozial und nachhaltig aufzubauen“, so der Befund von Annelie Buntenbach vom DGB-Vorstand im Vorwort der erwähnten Studie des Gewerkschaftsinstitut. Die Studie ist allerdings auch eine Herausforderung an die Gewerkschaften und die sozialen Bewegungen. Doch die sind hierzulande kaum präsent, weder in der Griechenlanddebatte noch in der Solidarität in einer sich gerade ausweitenden sozialen Bewegung in Spanien.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152480
Peter Nowak

Wenn die Linke gewinnt, regiert das Chaos

Im Vorfeld der griechischen Wahlen, wird eine Drohkulisse aufgebaut, um einen Wahlerfolg der Linken zu verhindern. Doch was passiert, wenn Syriza doch stärkste Partei wird und sogar eine Regierung bilden kann?

Das Sprachrohr der Finanzwelt spricht Klartext: „Die FTD sagt in ihrer Wahlempfehlung, wen die Griechen wählen sollten, in deutscher und griechischer Sprache“, hieß es in der Ausgabe von Donnerstag. „Widersteht den Demagogen“, lautet die Überschrift und im Text wird schnell klar, dass damit der Spitzenkandidat der Linkssozialisten gemeint ist, der noch wenige Tage zuvor in einem Gastbeitrag in der FTD deutlich machen wollte, dass er nicht der Linksradikale ist, als der in der deutschsprachigen Presse fast unisono geführt wird. Dabei stützten sich die Zeitungen auf die Übersetzung des Parteinamens und verzichteten auf die politische Einordnung von Syriza. In dem Beitrag erläuterte Tsipras seinen „Rettungsplans für Griechenland“, der zutiefst sozialdemokratische Grundzüge hat.

„Die kurzfristige Stabilisierung Griechenlands wird der Euro-Zone zugutekommen, während sie an einem kritischen Punkt in der Entwicklung der Binnenwährung steht. Schlagen wir keinen anderen Weg ein, wird uns die Sparpolitik mit umso höherer Gewissheit zum Ausstieg aus dem Euro zwingen“, wiederholte Tsipras Argumente, die mittlerweile selbst von konservativen Ökonomen vertreten werden. Obwohl er sich dabei auch auf US-Präsident Obama berief, werden seine Argumente in der FTD überhaupt nicht ernsthaft diskutiert. Das wird in der Wahlempfehlung deutlich. Dort heißt es: „Widerstehen Sie der Demagogie von Alexis Tsipras und seiner Syriza. Trauen Sie nicht deren Versprechungen, dass man einfach alle Vereinbarungen aufkündigen kann – ohne Konsequenzen.“ Dass diese Vereinbarungen EU-Diktate waren, gegen die sich auch die Konservativen von der NEA anfangs gesträubt hatten, haben die Redakteure der Financial Times nicht vergessen. So bekommt auch ihr Favorit noch gleich eine Mitschuld an der aktuellen Situation zugewiesen:

„Ihr Land braucht endlich einen funktionierenden Staat. Damit es geordnet regiert wird, empfehlen wir die Nea Demokratia. Das fällt uns nicht leicht. Die Nea Demokratia hat über Jahrzehnte eine falsche Politik betrieben und die heutige Misere mitzuverantworten. Trotzdem wird Ihr Land mit einer Koalition unter Antonis Samaras besser fahren als unter Tsipras, der das Rad zurückdrehen will und eine Welt vorgaukelt, die es so nicht gibt.“

Es fragt sich nur, ob dieser Aufruf in Griechenland nicht den entgegengesetzten Effekt hat. Solche als Empfehlungen getarnten Befehle aus Deutschland will man dort auch nach 65 Jahre nach Kriegsende nicht gerne von dem Land hören, das seine eigenen Schulden an Griechenland nie bezahlt hat. Darauf hat einzig der Publizist Otto Köhler kürzlich hingewiesen. In Deutschland wurde auch nicht über den Brief des Syriza-Abgeordneten Panagiotis Kouroumplis diskutiert, in dem er die geplante Politik der Linkssozialdemokraten erläutert. Trotzdem ist der Wahlausgang ungewiss und der Wahlfavorit der Financial Times Deutschland könnte stärkste Partei werden, was noch immer nichts über die Regierungsbildung aussagt.

EU-Verantwortliche auf dem Todestrip?

Wenn es so kommt, liegt es an dem massiven Druck, der europaweit auf die griechischen Wähler ausgeübt wird. Noch wenige Stunden vor Wahlbeginn warnte Luxemburgs Premierminister und starker Mann in der EU Jean-Claude Junker vor unabsehbaren Folgen bei einen Wahlsieg von Syriza und malte einen EU-Austritt Griechenlands an die Wand, den Syriza mehrheitlich ablehnt. Junker betont noch einmal, „Über die Substanz des Sparprogramms für Griechenland kann nicht verhandelt werden“. Junker steht für die Politik, die der sozialdemokratische Ökonom Paul Krugmann als Todestrip der EU-Verantwortlichen bezeichnet hat.

Die Drohkulisse, die vor den Wahlen um Griechenland aufgebaut wird, wirkt. Selbst in der linksliberalen Tageszeitung empfiehlt ein Kommentator eine Stimmabgabe für die Konservativen. Viele Sparer haben in den letzten Tagen ihre Einlagen von den Konten ab, weil sie befürchten, dass die EU ihre Drohungen, eines Rausschmisses aus dem Euro ernst meint.

Chilenisches Szenario in Griechenland?

Was aber wird passieren, wenn der Druck gerade das Gegenteil bewirkt und Syriza eine Regierung bilden kann, aber nicht gleich die neoliberale Politik fortführt, wie die Linkspartei in ihrer Berliner Regierungszeit? Dann könnte das Drohszenario schon als Vorbereitung auf undemokratische Maßnahmen gewertet werden. Manches erinnert an die Drohungen gegen die Regierung der Unidad Popular 1970 in Chile. Auch damals wurde deren sozialistischer Präsidentschaftskandidat als gefährlicher Linksradikaler apostrophiert. Als die Bevölkerung an den Wahlurnen die Linksregierung unterstützte, wurde, wie der Filmemacher Patricio Guzmann in dem Film „Die Schlacht um Chile“ dokumentierte das Szenario „Allende bedeutet das Chaos“ mit Unterstützung vom US-Geheimdienst und chilenischen Rechtskräften in die Tat umgesetzt, bis ein rechter Militärputsch die Investitionsbedingungen in Chile erheblich verbesserte.

Auch in Griechenland stünden gleich mehrere Rechtskräfte für ein solches Szenario bereit. Die Rechtspopulisten von der Laos haben schon einige Monate mitregiert, ohne dass ein Junker oder eine FTD vor ihnen warnte. Die offen neonazistische Partei der Goldenen Morgenröte hat schon vor einigen Tagen vor den Fernsehkameras deutlich gemacht, dass sie zum Kampf gegen die Linke zur Verfügung steht, als der Sprecher gleich eine Abgeordnete der Kommunisten und von Syriza tätlich angriff. Dass es keine Warnung vor diesen Rechten gibt, zeigt sicher, dass sich mit ihnen sicher kein seriöser EU-Politiker sehen lassen will. Aber als Männer für das Grobe können sie schon gebraucht werden. Mittlerweile bereiten linke Initiativen und Gewerkschafter schon die Gründung von Solidaritätskomitees für Griechenland vor, für alle Fälle.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/152217
Peter Nowak

„In Griechenland wird zur Zeit ein Angriff auf die Lohnabhängigen geführt“

Auf einer Rundreise sprechen griechische Beschäftigte über die konkreten Folgen der Krisenpakete für große Teile der Bevölkerung

Eine Branche boomt in diesen Tagen in Griechenland: die Suppenküchen, wo Menschen, die teilweise keinerlei Einkünfte mehr haben, etwas Warmes zu Essen bekommen können. Allein in Athen nutzen täglich ca. eine viertel Million Menschen diese karitative Einrichtung. Auch die Zahl der Obdachlosen und der Menschen, die keinerlei Zugang zu medizinischen Leistungen haben, ist in den letzten Monaten rasant gewachsen.

Diese Zahlen nannte Konstantina Daskalopulou am Dienstagabend auf einer Veranstaltung im vollbesetzten Saal des Berliner IG-Metall-Hauses. Die Journalistin der linksliberalen Tageszeitung Eleftherotypi befindet sich mit vielen ihrer Kollegen seit mehreren Monaten im Streik. Schon seit August letzten Jahres haben sie keine Honorare mehr bekommen. Das Zeitungssterben ist Teil des griechischen Krisenprozesses. Doch nicht alle Redaktionen haben sich gewehrt wie das Redaktionsteam von Eleftherotypi.

Der Stahlarbeiter Panagiotis Katsaros gehört zu den griechischen Lohnabhängigen, die sich gegen die Krisenpolitik wehren. Er gehört zu der Belegschaft eines seit Monaten bestreikten und besetzten Stahlwerkes in der Nähe von Athen. Katsaros und Daskalopulou machen zur Zeit eine Rundreise durch verschiedene deutsche Städte. Auf ihrer ersten Station am Dienstagabend in Berlin betonten viele Veranstaltungsteilnehmer, sie hätten durch die Gäste plastisch vor Augen geführt bekommen, dass nicht der Großteil der griechischen Menschen gemeint ist, wenn die Politiker hierzulande von Griechenlandrettung reden.

Griechenland als europäisches Labor

Margarita Tsomou von der Initiative Real Democray Now – Berlin/Griechenland, die die Rundreise konzipierte, betonte auf der Veranstaltung, sie habe Verständnis, wenn in Deutschland Stimmen laut werden, dass man nicht für Griechenland zahlen wolle. Es gehe schließlich nicht um die Unterstützung der Mehrheit der dort lebenden Menschen, sondern um die der Banken.

Der griechische Arbeitsrechtler Apostolos Kapsalis, der in einem Forschungsinstitut des griechischen Gewerkschaftsbundes GSEE arbeitet, legte den Fokus auf die massive Aushöhlung der Gewerkschaftsrechte in Griechenland im Rahmen des Krisenpakets. Darauf haben bisher weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit Gewerkschafter hingewiesen. So hat die griechische Regierung auf Druck der EU-Troika ein Gesetz erlassen, das Lohnerhöhungen verbietet, bis die Arbeitslosigkeit auf 10 % zurückgegangen ist. Damit sei massiv in die Tarifhoheit eingegriffen worden. Kapsalis erläutert, dass vor allem die Branchentarifverträge, in denen die Beschäftigten eine reale Verhandlungsmacht haben, geschwächt werden und statt dessen betriebliche oder individuelle Vereinbarungen protegiert werden sollen.

Er sieht bei der Durchsetzung von neoliberalen Standards gegenwärtig Griechenland als europäisches Labor. Schon würden ähnliche Programme auch für Spanien, Portugal, Italien und vielleicht auch bald für Frankreich geschrieben, warnte der griechischen Gewerkschafter. Im Prinzip stimmte dieser Einschätzung auch Dierk Hirschel vom ver.di-Bundesvorstand zu, der in den letzten Wochen in verschiedenen Zeitungen die These vertreten hat, dass eine kämpferische, in Lohnerhöhungen mündende Tarifrunde hierzulande eine Unterstützung für die Lohnabhängigen an der europäischen Peripherie wäre.

Auf der Veranstaltung in Berlin stießen seine Ausführungen allerdings nicht nur auf Zustimmung. Schließlich legte er dort den Schwerpunkt auf das Erläutern der Probleme, die seiner Meinung nach europaweite Krisenproteste erschweren. Als er dann aber Proteste in Deutschland mit Beteiligung der DGB-Gewerkschaften frühestens für Herbst 2012 in Aussicht stellte, gab es Buhrufe. Schließlich planen Basisgewerkschaften und soziale Initiativen bereits für den 31.März und für Mitte Mai europaweite Aktionstage des Krisenprotestes.
http://www.heise.de/tp/artikel/36/36587/1.html
Peter Nowak

Griechische Hochrüstung im Zeitalter der Krise

Noch 2010 gab Griechenland eine Milliarde Euro für Waffen aus

Eine Studie aus Brüssel war für die Bild-Zeitung wieder einmal ein Grund für Häme über die „Pleitegriechen“, die noch 2010 genug Geld hatten, um 1 Milliarde Euro für Rüstungsgüter ausgeben zu können. Größter Lieferant war Frankreich mit 876 Millionen Euro, gefolgt von Italien und den Niederlande. Auf Platz 4 folgt Deutschland mit insgesamt 35,8 Millionen Euro.

Schon länger ist bekannt, dass führende deutsche Rüstungskonzerne wie die Panzerfabrik KMW oder die Kieler Howalds-Werke-Deutsche Werft zu den Profiteuren der griechischen Militärpolitik gehören.

Der überproportional hohe Anteil der Rüstungsausgaben hat geopolitische und auch historische Gründe. Denn zwischen den beiden Natomitgliedern Griechenland und Türkei herrscht lediglich ein kalter Friede, der in der Vergangenheit schon mehrmals akut gefährdet war. Zypern ist seit langer Zeit ein Streitfall zwischen den beiden Ländern. Zudem gibt es Streit um die Abgrenzung der beiderseitigen See- und Lufthoheit in und über der Ägäis. Die Aufrüstung ist allerdings auch noch eine Erblast des kalten Krieges, als sowohl die Türkei als auch Griechenland an der „Südostflanke Europas“ massiv aufgerüstet wurden.
Verordnete außenpolitische Neuorientierung?

Im Zuge der Sparpolitik soll auch der Rüstungsetat um zunächst 300 Millionen Euro gekürzt werden, was allerdings nur ein erster Schritt sein dürfte. Schon wird auch von deutschen Kommentatoren wie Lothar Rühl in der FAZ gefordert, Griechenland müsse jetzt sein Verhältnis zum feindlichen Verbündeten Türkei grundsätzlich ändern.

Natürlich ist es naheliegend, die Reduzierung der Rüstungsausgaben in einem Land zu fordern, in dem zur Zeit massive Einschnitte bei den Löhnen, den Renten und Sozialleistungen umgesetzt werden. Die Reduzierung der Rüstungsausgaben müsste eine zentrale Forderung der griechischen Protestbewegung sein, die sich in den letzten Wochen im Widerstand gegen das von der EU diktierte Sparpaket lautstark zu Wort gemeldet hat. Schließlich sind Forderungen nach Einsparungen beim Militär statt auf sozialem Gebiet oder der Bildung weltweit ein grundlegendes Element sozialer Protestbewegungen.

Wenn solche Forderungen nicht gestellt werden, könnte das darauf hindeuten, dass die zentralen außenpolitischen Prämissen der griechischen Politik von einem großen Teil der Bevölkerung geteilt werden. Eine Kehrtwende in der türkisch-griechischen Zusammenarbeit kann aber nicht von außen diktiert werden, sondern muss zumindest von einem relevanten Teil der griechischen Bevölkerung unterstützt und eingefordert werden. Sollte dagegen eine Rüstungsausgabensenkung und ein neuer Politikansatz gegenüber der Türkei als EU-Diktat interpretiert werden, könnte es das Erstarken einer nationalistischen Rechten begünstigen, die schon längere Zeit nicht erfolglos durch die Krise verunsicherte Teile der Gesellschaft anspricht. Die Propaganda gegen eine EU, die nicht nur auf die Wirtschafts-, sondern auch die Außen- und Verteidigungspolitik Griechenlands Einfluss nehmen will, könnte solche Kräfte stärken.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151570
Peter Nowak

Nur zaghaft Seit‘ an Seit‘

Linke Solidaritätsaktionen für Griechenland sind bisher keine Massenveranstaltungen – das soll sich ändern
Während in der Eurokrise der Ton zwischen den Politikern rauer wird, bereiten auch linke Initiativen Protestaktionen vor.

»Solidarität mit den Protesten in Griechenland – Gegen die Verarmungspolitik der EZB«, heißt das Motto einer Kundgebung, für die linke Gruppen für den kommenden Samstag in verschiedenen Städten in Deutschland mobilisieren. Proteste sind unter anderem in Frankfurt am Main und Berlin geplant. Dort hatten sich bereits am vergangenen Sonntag zu einer kurzfristig geplanten Kundgebung knapp 80 Menschen vor dem griechischen Konsulat getroffen. Die in Berlin lebende Kulturwissenschaftlerin Margarita Tsomou, die in der Initiative Real Democracy Now Berlin/GR aktiv ist, rechnet bei den Protesten am Wochenende mit einer höheren Beteiligung.

Natürlich gebe es das von den Boulevardmedien und vielen Politikern gepflegte Klischee von den Pleitegriechen noch immer. Doch in der letzten Zeit würden auch die Gegenstimmen lauter. »Das Klima hat sich verändert. Selbst aus Gewerkschaftskreisen seien Anfragen gekommen, wie die Proteste und Streiks in Griechenland unterstützt werden können«, erklärt Tsomou gegenüber »nd«. Mittlerweile werde von Gewerkschaftern ein Aufruf erarbeitet, der sich ausdrücklich mit den Protesten gegen das EU-Sparpaket solidarisiert.

Zu den Erstunterzeichnern gehört auch der ehemalige Berliner DGB-Vorsitzende Dieter Scholz und der Stuttgarter ver.di-Vorsitzende Bernd Riexinger. Der Aufruf soll in den nächsten Tagen veröffentlicht werden. Mitte März soll im Berliner IG-Metall-Haus eine von verschiedenen Gewerkschaftsinitiativen unterstützte Veranstaltung über die Kämpfe gegen das EU-Spardiktat informieren.

Eingeladen werden soll unter anderem eine Journalistin der linksliberalen griechischen Tageszeitung »Eleftherotypia«. Die Journalisten der Zeitung haben seit Monaten keine Löhne mehr bekommen und wollen ihr Blatt jetzt als Genossenschaft in Selbstverwaltung weiter produzieren. Auch ein Delegierter eines Stahlwerks bei Athen, dessen Belegschaft seit Monaten gegen die Verschlechterung der Arbeitsverhältnisse streikt, wird dort über den Kampf berichten.

Mit der Veranstaltung soll auch zu weiteren Krisenprotesten in Deutschland mobilisiert werden. Neben dem 31. März, zu dem zahlreiche Basisgewerkschaften und linke Gruppen in ganz Europa aufrufen, sind weitere europaweite Aktionen für den Mai geplant. Der genaue Termin solle auf einer bundesweiten Aktionskonferenz am übernächsten Wochenende in Frankfurt am Main festgelegt werden, erklärt Roland Süß vom Attac-Koordinierungskreis. »Bei der Aktionskonferenz in Frankfurt und den dort geplanten Krisenprotesten wird die Solidarität mit den griechischen Protesten eine große Rolle spielen«, sagt Süß gegenüber »nd«.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/218759.nur-zaghaft-seit-an-seit.html
Peter Nowak

Die Grenzen der Demokratie im EU-Projekt

Die letzten Tage dürften für Klarheit bei den Trägern der Sozialproteste gesorgt haben

In Griechenland läuft alles auf eine große Notstandskoalition hinaus (Machtspiele der großen Parteien in Griechenland). Das ist auch die Folge der Lektion, welche die griechische Regierung in der letzten Woche gelernt hat. Sie lautet, dass die Demokratie keineswegs das konstitutionelle Element der europäischen Gemeinschaft ist. Die kurze Zeit zwischen der Ankündigung eines Referendums über die EU-Beschlüsse und der Absage wenige Tage später durch den griechischen Ministerpräsidenten zeigten die Panik auf in welche die EU-Elite geriet, als der Regierungschef eines EU-Landes es wagte, die Bevölkerung befragen zu wollen, ob sie den Maßnahmen überhaupt zustimmt, die gravierende Auswirkungen auf ihr Leben haben..

Dabei war es die Absicht des griechischen Ministerpräsidenten, den von der EU geforderten Kurs der Haushaltssanierung durch ein Referendum gestärkt umsetzen zu können. Damit wäre nicht nur seine Regierung, sondern auch die EU-Politik bestätigt worden. Aber allein die Möglichkeit, dass, wie nun mal bei demokratischen Abstimmungen nicht zu vermeiden, die Mehrheit auch mit Nein stimmen könnte, führte zu Panikreaktionen, als stünde ein kommunistischer Umsturz in Athen bevor. Schließlich könnte der demokratische Virus auch auf andere Länder übergreifen. Dass der Druck auf den griechischen Ministerpräsidenten massiv war, verschweigen die Befürworter dieses Kurses gar nicht.

„Die EU ist kein Wohlfahrtsverein“

„Seit dem G-20-Gipfel von Cannes ist ein für alle Mal klar: Die EU ist kein Wohlfahrtsverein. Die Konsequenzen dieser Einsicht werden erheblich sein – auch was Verwerfungen angeht“, kommentiert die FAZ am Wochenende.

„Und was ist mit der Souveränität? Und wie steht es mit der Demokratie in den nun unter Kuratel gestellten oder überwachten Staaten? Die Grenzen ihrer Souveränität haben die Märkte den betroffenen Staaten aufgezeigt“, beantwortet das konservative Blatt die rhetorische Frage selber.

Während der FAZ-Kommentator durch die Verwendung des Pronomens „Wir“ den Standpunkt der deutschen Regierung selbstverständlich einnimmt, dann aber anonyme Märkte als Begründung für den Notstand der Demokratie heranzieht, bleiben konservative Medien in den europäischen Nachbarländern weniger allgemein. So schrieb der Figaro:

„Ab sofort wird Europa stärker den deutschen Prioritäten Rechnung tragen müssen – vor allem auch in der Budgetdisziplin, die von Berlin aus gesehen seit der griechischen Krise in Europa aus dem Ruder gelaufen ist.“

Damit trägt das regierungsnahe Blatt der Tatsache Rechnung, dass der französische Präsident mit seinen Bestreben, die Maastrichter Stabilitätskriterien zu lockern, an der deutschen Bundeskanzlerin gescheitert ist. Sarkozy wollte eine höhere Staatsverschuldung in Kauf nehmen, um die Proteste gegen die EU-Spardiktate, die nicht nur in Griechenland seit Wochen zu beobachten sind, einzudämmen.

Die Grenzen der Demokratie bekam auch Italien schon zu spüren, dessen Wirtschaftspolitik in Zukunft von EU und IWF überwacht werden soll. Doch nicht die Berlusconi-Regierung, sondern die Gewerkschaften, Studierenden und sozialen Bewegungen sind es, die schon lange gegen weitere soziale Verschlechterungen mobil machen. Sie kämpfen nicht gegen Berlusconi, um einen EU-genehmen Sparkommissar zu akzeptieren.

Was geschieht, wenn sich die sozialen Bewegungen nicht verlaufen?

Die deutsche Regierung, verwöhnt von den marginalen sozialen Protesten im eigenen Land, will die gesamte EU-Zone nach dem Vorbild der deutschen Wirtschaftspolitik gestalten. Was aber passiert, wenn sich die sozialen Bewegungen in Griechenland, Italien, Portugal, Spanien und vielleicht demnächst in Frankreich nicht verlaufen und marginalisieren lassen wie in Deutschland?

Diese Frage wird sich vermehrt stellen, nachdem in den letzten Tagen am Beispiel Griechenland die Grenzen der Demokratie im EU-Projekt so deutlich wie nie markiert wurden. Die letzten Tage dürften da auch für Klarheit bei den Trägern der Sozialproteste gesorgt haben In Zukunft werden sie in den europäischen Nachbarländern verstärkt gegen das EU-Modell Deutschland geführt werden. Illusionen über demokratische Prozesse bei den Aktivisten dürften endgültig geschwunden sein.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/150775

Peter Nowak

Karlsruhe prüft deutsche Asylpolitik

Von der Beurteilung des griechischen Asylsystems hängt die Zukunft vieler Flüchtlinge ab

Der Rechtsschutz für Asylbewerber steht auf dem Prüfstand. Das Bundesverfassungsgericht verhandelt an diesem Donnerstag über die drohende Abschiebung eines Flüchtlings nach Griechenland. Das Verfahren könnte grundlegende Bedeutung für den Rechtsschutz von Asylbewerbern haben.
 

Heute findet vor dem Bundesverfassungsgericht eine mündliche Verhandlung statt, auf die Flüchtlingsorganisationen und Antirassismusgruppen große Hoffnung setzen. Der Rechtsschutz für Asylbewerber steht auf dem Prüfstand. Der Beschwerdeführer ist ein irakischer Staatsbürger, der bereits in Griechenland einen Asylantrag gestellt hatte, bevor er nach Deutschland kam. Deshalb entschied das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, dass sein Antrag unzulässig sei und ordnete die Abschiebung nach Griechenland an. Das Bundesverfassungsgericht stoppte die Abschiebung im September vergangenen Jahres jedoch einstweilig. Sollte diese Entscheidung Bestand haben, könnte das Auswirkungen auf das gesamte Asylsystem der Europäischen Union haben, in der die Verantwortung für Flüchtlinge sehr ungleich verteilt ist.

Konkret geht es um das seit 2003 bestehende Dublin II-Abkommen. Nach der in der irischen Hauptstadt beschlossenen Verordnung ist der EU-Staat für die Abwicklung eines Asylverfahrens zuständig, den ein Flüchtling zuerst betritt. Deutschland ist das wegen seiner zentralen Lage nur selten. Im Jahr 2009 erklärte sich das Bundesamt für Migration bei etwa 33 Prozent aller in Deutschland gestellten Asylanträge für nicht zuständig und richtete ein Übernahmeersuchen an einen anderen europäischen Staat. Griechenland hingegen ist für Flüchtlinge aus Irak, Iran oder Nordafrika das Tor nach Europa: Ihre Fluchtwege führen sie zuerst an die Ägäis.

Der 30-jährige Iraker, dessen Klage in Karlsruhe verhandelt wird, fürchtet, in Griechenland kein ordentliches Asylverfahren zu bekommen. Seit Jahren weisen Flüchtlingsorganisationen, aber auch der Europarat auf die Überlastung des griechischen Asylsystems hin. Gerade erst ermahnte das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR die Regierung in Athen, umgehend menschenwürdige Bedingungen in den Lagern zu schaffen und den Flüchtlingen Rechtssicherheit zu gewähren.

»Das Land ist eine asylrechtliche Wüste«, sagt der Geschäftsführer von Pro Asyl Günter Burkhardt. Das Asylsystem sei »völlig kollabiert«. Bereits der Zugang zu einem Asylverfahren ist nicht sichergestellt, bestätigt die griechische Rechtsanwältin Giota Masouridou. Ein Aufnahmesystem für Schutzsuchende sei nicht vorhanden. Die Anerkennungsquote in der ersten Instanz liege seit Jahren nur wenig über null Prozent, die zweite Rechtsinstanz wurde 2009 abgeschafft. Aktuell seien fast 50 000 Asylverfahren unbearbeitet. »Die Folgen für die in Griechenland gestrandeten Schutzsuchenden sind Rechtlosigkeit, willkürliche Inhaftierung, Obdachlosigkeit und Hunger«, so die Athener Asylexpertin Masouridou.

Wegen dieser Zustände haben mehrere europäische Länder die Abschiebungen nach Griechenland gestoppt, darunter Holland, Belgien, Norwegen und Großbritannien. In Dänemark wurden nach Interventionen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte seit diesem Sommer über 200 Abschiebungen gestoppt. Auch in Deutschland verweigerten Verwaltungsgerichte in über 300 Fällen die Überstellung nach Griechenland. Das Bundesverfassungsgericht intervenierte seit vergangenem Herbst zugunsten von 13 Asylsuchenden, weil dort womöglich »bedrohliche rechtliche Defizite« herrschten.

Von den obersten deutschen Richtern wird nun eine Grundsatzentscheidung erwartet. Der Zweite Senat will prüfen, ob die Bundesrepublik Flüchtlinge automatisch in einen Ersteinreisestaat abschieben darf oder ob die Betroffenen Anspruch auf eine gerichtliche Überprüfung haben. Dass überhaupt eine mündliche Verhandlung stattfindet spricht dafür, dass Karlsruhe dem Verfahren eine fundamentale Bedeutung beimisst. Das Urteil wird in einigen Wochen erwartet.

Die Bundesregierung wehrt Änderungen an ihrer Abschiebepolitik bis jetzt ab. Sie macht es sich leicht und verweist auf die formale Einordnung jedes EU-Mitgliedstaates als »sicher«. In einer kleinen Anfrage erklärte sie im Dezember: »Die Bundesregierung hält an ihrer Auffassung fest, dass Griechenland ein sicherer Drittstaat im Sinne von Artikel 16a Absatz 2 GG ist.« Vielleicht müssen sich die Politiker wieder einmal von Karlsruhe korrigieren lassen.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/182883.karlsruhe-prueft-deutsche-asylpolitik.html

Peter Nowak

Sind wir alle Griechen?

Soziale Initiativen wenden sich gegen antigriechische Stimmung und erklären sich mit griechischen Protesten solidarisch
Vor einigen Monaten hatten die Medien das Ende der Finanz- und Wirtschaftskrise herbei geschrieben. Doch durch die Debatte über die Euroschwäche und die Rettungspakete für die griechische Wirtschaft ist das Krisenbewusstsein wieder in den gesellschaftlichen Diskurs zurück gekehrt.

Am vergangenen Mittwoch hatten soziale Initiativen unter dem Motto „Von Athen bis Berlin – Wir zahlen nicht für Eure Krise“ zu einer Demonstration durch Berlin-Mitte aufgerufen, ca. 300 Teilnehmer waren gekommen. „Die Zahl entsprach unseren Erwartungen. Schließlich war die Zeit der Mobilisierung extrem kurz“, meinte Florian Becker vom Krisenbündnis gegenüber Telepolis. Erst Mitte Mai hatte sich in Berlin ein Solidaritätskreis gegründet, der sich in der ersten Presseerklärung gegen eine antigriechische Stimmung in deutschen Medien wandte und mit den Teilen der griechischen Bevölkerung solidarisch erklärte, die gegen den mit dem Rettungsplan verbundenen Sparauflagen und Kürzungen protestierten und streiken.

In zahlreichen Redebeiträgen hoben Vertreter verschiedener sozialer Organisationen, aber auch griechische Verbände in Berlin hervor, dass es in Griechenland die bisher stärksten europäischen Proteste gegen das Abwälzen der Krisenlasten auf die Bevölkerung gäbe. Mit Parolen wie „Wir sind alle Griechen“ oder „Wir müssen griechisch lernen“ wurde ein Ausbreiten des Widerstands auch in andere Länder propagiert.

In Deutschland sind in den nächsten Wochen einige Antikrisenaktivitäten geplant. So soll auf einem Workshoptag am 5.Juni in Berlin die Krise theoretisch ergründet werden. Auf Demonstrationen in Berlin und Stuttgart soll am 12. Juni gegen die unterschiedlichen Auswirkungen der Krisenpolitik wie Bildungsabbau, Lohnverzicht und Bildungsabbau demonstriert werden.

Dort wird mit griechischen Verhältnissen sicher nicht zu rechnen sein, aber das Krisenbewusstsein in Teilen der Bevölkerung wächst. Das zeigt auch der Film Der Gewinn der Krise, in dem 9 Menschen aus 6 Städten berichten, welche Auswirkungen die Krise auf ihr Leben hat. Vertrauen in Politiker ist bei den Gesprächspartnern kaum vorhanden, aber auch die Bereitschaft zu Protest findet sich nur vereinzelt.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/147664

Peter Nowak